Analytisch bis wild
Dave Hill Designs Titan, dieser analoge Kompressor ist zusammen mit dem Mic-Preamp Europa 1 und einem Plugin alles, was die Firma Dave Hill Designs an Produkten zu bieten hat. Mitnichten ist Dave Hill ein unbekannter Name im Pro-Audio-Business. Er zeichnet auch verantwortlich für die Produktlinien der beiden Hersteller Summit Audio und Crane Song. Unter Dave Hill Designs vertreibt der Entwickler Pro-Audio-Gear mit einem gewissen Etwas. Diese bewegen sich leicht außerhalb der gewohnten Norm und so ist auch der Dave Hill Designs Titan nicht nur ein weiterer Kompressor. Der Titan ist schon geraume Zeit auf dem Markt. Da es sich hier nicht um Riesenauflagen handelt, muss man mitunter ein wenig warten, da die Geräte nicht immer auf Lager sind. Umso glücklicher war ich, als mich gleich zwei der Geräte zum Test erreichten – kann ich doch so dem Einsatz als Stereo-Bus-Kompressor auf den Zahn fühlen. Der Dave Hill Designs Titan kommt nämlich mit einer Link-Funktion, die Hardware-technisch über ein DSUB9-Kabel erreicht wird. Da es sich hier nicht um eine exotische Spezialverdrahtung handelt, reicht ein voll durchkontaktiertes DSUB9-Kabel völlig aus – zur Not also auch in Eigenregie zusammenzusetzen.
Hardware des Dave Hill Designs Titan
Das Gerät benötigt eine Höheneinheit im Rack und da die Lüftung passiv geschieht, sollte man keine Geräte genau auf die Ventilationsöffnungen stellen. Das Chassis ist allerdings schon so konzipiert, dass immer ein kleiner Spalt dafür offen bleibt, wenn es im Rack verschraubt ist. Außerdem entwickelt das Gerät auch bei längerem Gebrauch nicht übermäßig viel Hitze. Weitere Anschlüsse sind lediglich die Kaltgerätebuchse und der Ein- und Ausgang als symmetrische XLR-Verbindungen. Auf symmetrische Klinkenbuchsen wurde leider verzichtet.
Alle Bauteile sind von höchster Qualität, was man in der Preiskategorie auch erwarten kann. Interessanterweise sind alle Drehregler keine Potentiometer, sondern Encoder – ja der Dave Hill Designs Titan wird digital gesteuert. Die speziellen Funktionen des Kompressors leiten sich aus der Tatsache ab, dass der Sidechain, also der Kanal, der die Regelung des Nutzsignals vornimmt, über einen DSP realisiert ist. Dieser ist mit beinahe 900 kHz Samplefrequenz ausreichend getaktet, um sich keine Aliasing-Artefakte einzufangen. Das ist auch nötig, denn die Bandbreite des Nutzsignals reicht von 3 Hz bis hinauf zu 175 kHz. Um das akkurat darzustellen, bräuchte man schon ein Interface mit 384 kHz Sampling-Rate – die selten sind.
Nach dem Einschalten fällt natürlich als erstes das farbige LC-Display ins Auge, das die verschiedenen Einstellungen wiedergibt und auch grafisch simuliert. Allerdings wird der Kompressionsvorgang nicht visualisiert. Das übernimmt der LED-Bar-Graph mit seinen 41 LEDs und zwei Modi: Gain-Reduction oder Output-Level. Die Reichweite reicht dabei von -21 bis +20, wobei eine gelbe LED den Ruhepegel von 0 markiert, was einer tatsächlichen Ausgangsspannung von +4 dBu entspricht. Bei Vollaussteuerung gibt der Dave Hill Designs Titan satte +24 dBu ab.
Für mich eindeutig eine Enttäuschung ist das Fehlen eines Sidechain-Eingangs, gerade weil hier über den DSP einige interessante Sachen möglich wären.
Der Signalweg des Nutzsignals ist dabei voll analog und komplett in Class-A-Technik ausgeführt. Was einfach heißt, dass es schon mal zu keinen Übernahmeverzerrungen kommen kann, die nur in Class-B oder -AB vorkommen kann. Das Eigenrauschen beträgt dabei -91 dBu und da das Signal bis zu +25 dBu am Ausgang betragen kann ohne zu übersteuern, kann man hier mit einer Dynamik von 116 dB arbeiten.
Bedienung des Dave Hills Designs Titan
Auf Anhieb erkennt man in vier von den fünf grünen Encodern alte Bekannte: THRESHOLD, ATTACK, RELEASE, GAIN. Was aber ist SHAPE? Hier tritt zum ersten Mal das LC-Display in Aktion. Hat man eine gewisse Threshold eingestellt, bewirkt der Shape-Parameter eine Kombination aus Ratio- und Knee-Einstellung, wie man sie von anderen Kompressoren kennt. Das kann man sehr genau auf dem Display erkennen. Dabei hat eine SHAPE-Einstellung von Null die größte Gain-Reduction, da hier das Knie sehr flach und beinahe linear ist. Schraubt man SHAPE dann nach oben, so wird das Knie ausgeprägter und die Gain-Reduction beschränkt sich auf einem kleineren Bereich.
Die Parameter werden nicht in Zeit- oder dB-Werten dargestellt, sondern lediglich von 0 bis 99. Das mag am Anfang etwas ungewöhnlich erscheinen, so ist aber auch die einfache Wiederaufrufbarkeit von gemachten Einstellungen gewährleistet. Da das Gerät als Feedback-Style-Kompressor ausgelegt ist, ändern sich entsprechend die genauen Zeiten für Attack und Release, je nachdem welche Einstellungen man für Threshold und Shape wählt. Ganz grob gemessen besitzt aber Attack eine Spannbreite von 2 ms bis 500 ms und Release geht von 200 ms bis 3,5 s.
Die Firmware des Dave Hill Designs Titan befindet sich immer noch auf Version 1 (zu sehen beim Anschalten des Gerätes, das ca. 13 Sekunden benötigt) und eine von vielen Seiten gewünschte Funktion zum tatsächlichen Speichern von mehreren Einstellungen bis heute ausgeblieben ist.
Zumindest merkt er sich nach dem Ausschalten die aktuellen Einstellungen, so dass man mit einer Session am nächsten Tag gleich weitermachen kann. Und eigentlich sind die Parameter auf dem Display auch schnell abgelesen und niedergeschrieben. Anders verhält es sich aber mit den roten Drehreglern; deren Werte kann man nur am Gehäuse ablesen. Sie unterscheiden sich auch in der Haptik von den anderen Bedienelementen, da sie schwergängiger sind und satter einrasten.
Rotkäppchen des Dave Hill Designs Titan
Aber gerade diese sind verantwortlich für den klanggestalterischen Einsatz des Dave Hill Designs Titan. Beschriftet sind sie mit VCA COLOR, PARALLEL MIX und DYNAMIC COLOR. Unter PARALLEL MIX kann man sich sofort etwas vorstellen. Besonderheit ist hier, dass selbst bei der Einstellung DIRECT (0), immer noch ca. 6 Prozent des komprimierten Signals am Ausgang liegen. Die Bedienungsanleitung, die als gedruckte Version mitgeliefert wird und auch auf der Dave Hill Designs Website als PDF zur Verfügung steht (beides engl.), bemerkt hier lapidar, dass für 100 Prozent Originalsignal schließlich der Bypass-Schalter zuständig ist.
FAT/ NORMAL/ AIR
Diese Einstellungen werden über einen Dreifachschalter vorgenommen und beeinflussen die Regelcharakteristik des Sidechains. Dabei stehen die Einstellungen eben für mehr Low-End, ausgeglichen und mehr Top-End im Ausgangssignal. Mit einem Testsignal ist der Effekt gut zu messen, passt sich aber eben den Frequenzen im Ausgangsmaterial an. Tatsächlich ist der Effekt im ersten Moment nicht besonders auffällig. Es klingt auch mehr so, als würden sich einfach die Instrumente in den betreffenden Frequenzbereichen nach vorne schieben, anstatt dass einfach die Frequenzen stärker hervortreten.
VCA COLOR startet bei der Einstellung PWM (ist hier vielleicht doch Class-D beteiligt?) und endet bei VINTAGE. Der Effekt ist der, dass je mehr man in Richtung Vintage geht, der Klang ein wenig dumpfer wird, die Transienten nachlassen und eine einsetzende Kompression besser zu hören ist. Bis zu dem Punkt, an dem man ein deutliches Pumpen wahrnehmen kann. Aber der Effekt ist nicht so offensichtlich und richtig merkt man den Unterschied erst, wenn man von der PWM-Einstellung sofort auf die VINTAGE-Einstellung geht. Da es sich ja um Encoder handelt, ist das rein physikalisch auch kein Problem.
DYNAMIC COLOR hat einen anderen Effekt und wird in der Anleitung so beschrieben, dass er harmonische Obertöne einfügt (vulgo: verzerrt), die zu den von VCA COLOR eingefügten Harmonischen entgegengesetzt in der Phase sind. Und da dabei hauptsächlich die 3. Harmonische (also der 2. Oberton), eingesetzt wird, wird der Sound dadurch klarer. Hm, was? Ach ja da steht zum Glück auch noch: Macht den Sound generell „größer“ und verleiht ihm mehr Lebendigkeit. So kann man auch aus stark limitiertem Material noch etwas Dynamisches herausholen (es gibt ja einige Limiter-Plugins, die dafür berüchtigt sind, alles „tot“ zu machen). Dieser Regler greift nur, wenn es auch etwas an Gain zu reduzieren gibt.
Das Regelverhalten kann man in der Abbildung gut nachvollziehen, je mehr man die DYNAMIC COLOR reindreht, desto mehr Transienten erheben sich aus dem komprimierten Signal und geben so dem Klang wieder mehr Punch. Auch Bässe oder Gitarren können davon profitieren. Das bringt mich auch gleich zum …
Einsatz des Dave Hill Designs Titan
Wie gesagt wurden zwei Dave Hill Designs Titan angeliefert, so dass ich alle Beispiele in Stereo machen konnte. Erreicht wird das über die Link-Funktion. Dabei kann jeder der beiden Kompressoren als Master dienen. Da sie sich dabei wechselseitig verstellen und auch nach Deaktivierung der Link-Funktion die vorigen Werte nicht wieder aufgerufen werden, kann man leider keine A/B-Vergleiche mit verschiedenen Einstellungen machen – schade eigentlich, auch hier wäre ein Speicherplatz sicher nicht zu viel verlangt gewesen.
Lässt man die Rotkäppchen erstmal außen vor, haben wir es mit einem hochklassigen und sehr unauffällig arbeitenden State-Of-The-Art-Kompressor zu tun. Der Einsatz der Basisfunktionen führt zu denkbar guten Ergebnissen und man hat sich schnell an die Parametrisierung von 0 bis 99 gewöhnt – letztendlich entscheidet ja das Ohr und nicht irgendein dB- oder Zeitwert über das Ergebnis. Dabei arbeitet er auch unter extremerer Einstellung verzerrungsarm und wirkt außerordentlich transparent. Dass dabei jeder Parameter beinahe jeden anderen beeinflusst und das Ergebnis auch noch vom Ausgangsmaterial abhängt, fällt gar nicht auf, da das Ausgangssignal jedes Mal musikalisch klingt.
In andere Territorien bringt einen dann die Rotkäppchen-Fraktion. Generell ist hier der PARALLEL MIX-Regler der entscheidende, denn extreme Einstellungen von DYNAMIC- und/oder VCA- COLOR kann man damit abschwächen, um dennoch zu universell einsetzbaren Klängen zu kommen.
Sehr gute Erfolge habe ich damit machen können, „tot“-limitiertes Material wieder zu beleben, um es danach noch einmal durch eine Brick-Wall zu jagen, so dass ich eine unglaublich hohe RMS-Aussteuerung erreichen konnte, obwohl das Material immer noch eine wahrgenommene Dynamik behielt (Andrew Scheps, der Mann der den Loudness-War gewann, lässt grüßen: Und tatsächlich war er auch als Berater bei dem Projekt tätig).
Gerade für transientenreiches Material bietet der Dave Hill Designs Titan ein enormes Potential. Ob auf einzelnen Drum- oder Rhythmus-Spuren oder einem kompletten Drumset. Durch die verschiedenen Optionen hat man volle Kontrolle über Transienten, Raumanteil und Kolorierung. Das macht den Kompressor im Doppelpack auch zu einem guten Bus-Kompressor. Dabei muss man aber bedenken, dass er prinzipiell nicht als Brickwall-Limiter konzipiert ist, soll heißen, es gibt keine extrem hohe Ratio-Einstellung für Brickwall-Limiting. Schaut man sich das Ergebnis aber mal an, wenn man ordentlich in die Gain-Reduction fährt, ist auch durchaus ein Einsatz als Limiter gewährleistet.
Irgendwie ist das mit dem Sidechain für mich etwas verwirrend. Erst steht das es es über DSP realisiert ist und kurz danach fehlt der Sidechain-Eingang. Wie ist das gemeint?
@Trance-Ference Der Titan hat keinen Sidechain Eingang. Was er hat ist ein integrierter Low/High pass Filter im Sidechain, der sich über den „Fat/Air“ Schalter aktivieren lässt.
Der DSP Regelt den VCA indem er das Eingangssignal interpretiert. Der Titan ist also ein Hybrider Kompressor mit digitaler Steuerung und analogem Signalpfad. Das ist nicht ungewöhnlich.
Ich hatte einige Jahre lang ein stereo Pärchen Titanen, habe sie aber wieder verkauft, weil ich irgendwie nicht warm mit ihnen geworden bin. Ist definitiv ein hochwertiger Kompressor, aber die Bedienung fand ich nervig.