Was können günstige Pickups wirklich?
Inhaltsverzeichnis
Über die Firma Harley Benton muss man mittlerweile gar nicht mehr viel sagen. Zu geradezu unverschämt günstigen Preisen bekommt man Instrumente, nach denen wir uns als Einsteiger in den 80er- und 90er-Jahren die Finger geleckt hätten. Und sogar im Fuhrpark der Profis findet man heute das eine oder andere Instrument von Harley Benton. Warum auch nicht? Die gebotene Qualität ist ja auch mehr als nur zufriedenstellend, allerdings definiert in einer Signalkette immer das schwächste Glied die untere Qualitätsgrenze.
Und wenn bei der Produktion gespart werden muss, kommen bei Gitarren und Bässen gern als Erstes die Tonabnehmer zu kurz. Kein Wunder, denn ein Satz guter Pickups kostet gern mal fast so viel wie ein komplettes Harley Benton Instrument. Nun ergab jüngst der pure Zufall eine Möglichkeit, zwei identische Harley Benton Instrumente mit unterschiedlichen Pickups zu vergleichen. Tesla Pickups vs. Roswell Pickups – und weil ich gemein bin, baue ich in eine der Ladies gleich mal neue Pickups ein.
Tesla Pickups vs. Roswell – Die Testkandidatinnen
Vor einiger Zeit hatte ich eine Harley Benton Telecaster mit zwei Humbuckern zum Test hier. Das Instrument bekam von mir eine Bestnote, weil ich für den aufgerufenen Preis von damals noch 399,- Euro keine andere Wahl hatte, als die beeindruckende Qualität in Relation zum Preis als sensationell einzustufen. Aktuell ist dieses Instrument sogar für sagenhafte 299,- Euro erhältlich. Den Testbericht vom Dezember 2021 könnt ihr hier nachlesen. Ich habe dieses Instrument seinerzeit gegen Geld eingetauscht und direkt bei mir behalten. Und ja, wir müssen Testinstrumente (leider) sonst immer zurückschicken… Hier gibt’s noch mal ein Video von der Gitarre, straight out of the box, mit den originalen verbauten Roswell Pickups. Die Kommentare unter dem Video zeigen, dass wohl kaum jemand mit diesem Sound aus so einer „Billiggitarre“ gerechnet hätte.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Die Tatsache, dass diese Gitarre nun aber bei mir weilt und auch des Öfteren zum Einsatz kommt, spielt uns beim Vergleichstest Tesla Pickups vs. Roswell Pickups wunderbar in die Hände. Der Kollege Stephan Güte hat das im Rahmen des 25. Firmenjubiläum erschienene Sondermodell Harley Benton Fusion-T 25th Firemist in die Finger bekommen und mir nach erfolgreichem Test direkt zum Vergleich zugeschickt.
Beide Instrumente sind absolut identisch, was Materialauswahl und Design angeht, das 25th Anniversary-Modell hat lediglich, neben der anderen Farbe, ein schwarzes Binding rund um den Korpus und – deshalb der ganze Spuk hier – andere Pickups verbaut. Zum Einsatz kommen hier die Tesla VR-3B AlNiCo-5 (Steg) und Tesla VR-3N AlNiCo-5 (Hals) Humbucker, während beim Vergleichsmodell Roswell HAF-B AlNiCo-5 (Steg) und HAF-N AlNiCo-5 (Hals) Humbucker verbaut sind. Da es sich bei allen verbauten Tonwandlern um AlNiCo-5 Pickups handelt, erwarte ich tatsächlich keinen großen Unterschied. Aber hier erstmal noch die sonstigen Specs der Testkandidatinnen:
- Korpus: Nyatoh
- Hals: geröstetes kanadisches Ahorn
- Griffbrett: geröstetes Ahorn
- Halsprofil: Modern C
- Mensur: 648 mm (25,5″)
- Griffbrettradius: 305 mm (12″)
- Sattelbreite: 42 mm (1,65″)
- Graph Tech TUSQ XL Sattel
- 22 Medium Jumbo Blacksmith Edelstahl-Bünde
- Master-Volume-Regler
- Master-Tone-Regler mit Push/Pull-Funktion für Coil-Split
- 3-Wege-Schalter
- Wilkinson 50IIK 2-Punkt Tremolo
- WSC Staggered Locking DieCast Mechaniken
Tesla Pickups vs. Roswell – Der Vergleich
Um einen ersten Vergleich zu wagen, muss ich natürlich einen absolut identischen Versuchsaufbau benutzen. Dies ist kein Problem, mein Setup ist ja sowieso immer fertig verkabelt am Tisch: Ein Kemper Stage, direkt verbunden mit dem Audiointerface, die Aufzeichnung erfolgt in Logic ohne weitere Bearbeitung. Das verwendete Profile ist ein von mir selbst erstelltes, zum Einsatz kam damals mein Bogner Alchemist im Gold Channel, die Abnahme erfolgte über ein Two Notes Torpedo Captor X. Beide Gitarren werden im Wechsel gespielt. Die ersten beiden Aufnahmen lassen schon einiges erkennen, bereits bei der Aufnahme wird klar, dass die Roswell Pickups meiner mintgrünen Lady deutlich mehr Output haben und somit den Eingang des Amps mehr kitzeln. Der Lautstärkeausgleich erfolgt in der DAW, damit beide Signale unverfälscht auf die gleiche Lautstärke gebracht werden. Im Humbucker-Betrieb klingt der Tesla Pickup aus der 25th Anniversary-Klampfe offener, ausgeglichener, irgendwie runder. Im Split-Mode dagegen verschenkt der Tesla da ein paar Punkte im Bassbereich, der Gesamteindruck ist trotzdem auch hier stimmiger. Die erste Runde im Vergleich Tesla Pickups vs. Roswell Pickups geht an Tesla.
Die Vermutung liegt ja nun nahe, dass sich das beim Steg-Humbucker ähnlich darstellt. Hören wir mal rein:
Hier sind die Unterschiede aber in der Praxis deutlich weniger hörbar, was mich schon doch ein bisschen überrascht. Der Humbucker der Roswell-Tele klingt etwas fetter, während auch hier der Tesla etwas harmonischer rüberkommt. Im Split-Betrieb dagegen hat für mich der Roswell diesmal die Nase ein bisschen weiter vorn, der Kollege von Tesla klingt etwas drahtiger, aber nicht unbedingt im positiven Sinne. Alles in allem sind das Nuancen, die man, wenn man nicht beide Instrumente gleichzeitig da hat, wahrscheinlich gar nicht bemerken würde. Für mich bleibt zu diesem Zeitpunkt hängen, dass beide Billo-Pickups einen wirklich guten Job machen, nebengeräuscharm und durchaus praktikabel sind und tatsächlich auch, trotz der Massenfertigung, alles andere als charakterlos sind. Aber wie sieht’s aus, wenn Onkel Janni jetzt mal den Lötkolben anheizt und ein paar gängige Tonabnehmer der Mittelklasse in seine eigene Klampfe steckt?
Tesla Pickups vs. Roswell – lohnt der Austausch?
Wie es der Zufall so will, liegen hier noch zwei Tonabnehmer der passenden Baugröße rum. Und weil einer der wenigen Kritikpunkte beim Test meiner Harley Benton Fusion-T damals die wegen ihrer geradezu strahlend weißen Optik billig erscheinenden Pickups waren, kommt jetzt noch etwas Farbe ins Spiel. Zwei beiden Seymour Duncan Pickups warten auf ihren Einsatz, am Hals will das ’59 Model (SH1N) punkten, am Steg darf der legendäre Jeff Beck-Pickup SH-4 JB zeigen, ob sich der Umbau lohnt. Das Ding mit Jeff Beck ist irgendwie auch nur ein hartnäckiger Legendenfehler, „JB“ steht nämlich eigentlich für „Jazz/Blues“. Rund 270,- Euro kosten die beiden Pickups zusammen, also tatsächlich annähernd so viel, wie eine Neuanschaffung der Gitarre zum aktuellen Ladenpreis. Beim Einbau zu beachten ist, dass der SH1N eine deutlich größere Einbautiefe aufweist als der Roswell Pickup, deshalb muss hier ein bisschen Holz weggenommen werden. In der Stegposition passt alles. Die Farbcodierungen der Kabel sind identisch, sodass ein Austausch schnell und unproblematisch vonstatten geht. Und jetzt wird’s tatsächlich spannend. Lohnt sich der Einbau teurer Pickups in eine solch günstige Gitarre? Oder können die beiden Hausmarken von Harley Benton vielleicht doch mehr, als man ihnen gemeinhin zutraut?
So klingt die Harley Benton Fusion-T mit Seymour Duncan Pickups
Ein erster Check mit den neuen Tonabnehmern macht direkt klar, wer im Bereich des Outputs die Nase vorn hat. Die beiden Seymour Duncan Pickups drücken deutlich mehr in den Kemper hinein, sodass ich die Eingangsempfindlichkeit reduzieren muss, um keine Übersteuerungen zu provozieren. Beginnen wir mit dem Hals-Pickup.
Im Humbucker-Betrieb ist der Seymour Duncan SH1N den beiden Testkandidaten in puncto Obertonreichtum und Fülle ganz klar überlegen, der Sound ist wesentlich glockiger, offener. Gleiches gilt für den Split-Betrieb, hier ist aber vor allem der rundere Bassbereich deutlich angenehmer für die Ohren. Eine Überraschung wäre es jetzt, wenn der legendäre Seymour Duncan SH-4, der wohl einen der beliebtesten Austausch-Pickups verkörpert, eine schlechtere Figur machen würde als die günstigen Werks-Pickups der Harley Bentons. Und richtig, auch hier zeigt der teurere Tonabnehmer in beiden Modi, wo der Frosch die Locken hat. Allerdings ist der Unterschied nicht so signifikant, dass ich behaupten könnte, ein Austausch würde die Qualität der Gitarre ins Unermessliche steigern. Das Nebengeräuschverhalten ist übrigens bei allen Pickups absolut unproblematisch und somit in keinem Fall kaufentscheidend.
Insgesamt kann ich bestätigen dass die Roswell Pickups inzwischen verdammt gut sind. Möchte man jedoch etwas spezielles haben, dann lohnt erst der Griff zum Markenprodukt.
Die Unterschiede sind jedoch marginal und der gute Freund wird meist verdutzt zuschauen wenn er den Unterschied hören soll und es nicht hört. Ja aber das Gefühl während den Spielen kann man ja nicht so gut hören…. und darauf kommt es auch noch an. Philosophie!