Jazz trifft auf Surf!
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Es gibt Modellbeschreibungen, bei denen die zugrunde liegende Absicht und das letztendliche Einsatzgebiet diametraler nicht sein könnten. So geschehen bei der Fender Jazzmaster, welche im Jahr 1958 das Licht der Welt erblickte, um im Zusammenspiel mit den bis dato bereits sehr erfolgreichen Tele- und Stratocaster Modellen auch „weichere“ Töne im Stil der Gibson Modelle anschlagen zu können. Das Anliegen scheiterte kolossal, weder die Form, noch die letztendliche Tonausbeute überzeugte seiner Zeit ambitionierte Jazz-Player. Dies änderte aber nichts an der Tatsache, dass das neue Fender Flaggschiff einmal mehr mit dem asymmetrischen Korpus eine ikonische Korpusform entwickelt hatte und sein Haupteinsatzgebiet zuerst im Surf Style, später dann in der aufstrebenden Indie- und Alternative-Rock Gemeinde der Neunziger fand, welche das Instrument zwar teilweise mit anderen Pickups und Brückenkonstruktionen kernsanierten, jedoch die gewünschte Abkehr vom Mainstream in diesem Instrument fanden. Auch der Fakt, dass die kommerzielle Überflieger Band Nirvana mit Sänger/Gitarrist Kurt Cobain einen Fender Jaguar Spieler hatte, welche vom Modell Typ her nicht sehr weit von der Jazzmaster entfernt war, sorgte für einen ungemeinen Popularitätsschub, kombiniert mit entsprechenden Absatzzahlen des Instruments. In Reminiszenz an die goldenen Sechziger liegt uns heute eine Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR zum Test vor.
Das Konzept der Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR
Was macht eine Jazzmaster so speziell? Nun, um die ganze Tragweiter der Konzeption zu erkennen, muss man sich vor allem den 50er/60er Kampf der E-Gitarren Protagonisten Fender und Gibson vor Augen halten. Zwar flopten die 1958 vorgestellten Modelle Explorer und Flying V wie kein anderes Modell in der Gibson-History, allerdings konnte die semi-akustische ES-Serie große Erfolge verbuchen, insbesondere da diese auch noch teilweise mit brummfreien Humbucker-Pickups bestückt waren. In der Jazzmaster versucht Fender nun die eigenen Trademarks zu konservieren, sich aber dennoch einigen Punkten der Gibson Konkurrenz zu öffnen, insbesondere wenn es um optische Details geht. Man darf nie vergessen, dass Leo Fenders Maxime, „alles so billig wie möglich produzieren“, stets wie ein Damoklesschwert über jedem Mitarbeiter hing und jede optische oder akustische Veränderung hart erstritten werden musste.
In Sachen Hölzern gab es kein Vertun, nach wie vor musste das verbaut werden, was vor der Haustür wuchs, sprich zu Anfang einen Korpus aus Esche, später Erle, kombiniert mit einem 4-fach verschraubten (schrauben kann jeder, leimen muss man lernen …) Ahornhals. Allerdings merkt man bereits bei dem Halsbinding, den Block-Inlays und auch dem Palisander-Griffbrett das dezente Schielen in Richtung Gibson, auf dass die Kalamazoo/Nashville Kunden auch einen Blick Richtung Fullerton riskierten.
Um die Assoziation zum Original der Sechziger möglichst stark zu halten, hat man bei der Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR gleich mehrere Register gezogen, welche ein fabrikneues Instrument in eine Zeitmaschine schicken und knapp 6 Dekaden in die Vergangenheit transportieren sollen. Zum einen betont Fender, dass viele Teile des Instruments, wie zum Beispiel die Tuner, auf den gleichen Maschinen gefertigt werden, wie es schon vor sechzig Jahren der Fall war. Des Weiteren werden Finishs verwendet, welche in Atemzug mit Fender genannt werden, wie zum Beispiel in diesem Fall das legendäre Dakota Red, wobei bei der Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR nicht nur der Korpus, sondern auch die Kopfplatte passend lackiert wurde. Das Instrument wurde mit Nitrolack versiegelt und sollte binnen relativ kurzer Zeit die so beliebte Patina eines Vintage Instruments annehmen.
Die Pickups der Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR
Obwohl der Begriff „Soapbar“ eigentlich fest mit dem P-90 Pickup von Gibson verbunden ist, neigen einige Zeitgenossen dazu, auch die Jazzmaster Pickups mit diesem Spitznamen zu versehen. In der Tat sind die beiden Protagonisten klanglich nicht so weit auseinander, wenngleich natürlich einige Unterschiede im Detail vorliegen. Jedoch gerade im Bezug auf die Fender Produktlinie unterscheiden sich die beiden „Pure Vintage ’66 Jazzmaster Singlecoils“ doch gehörig zu den beiden Vorgänger „Caster“ Modellen. Obwohl es sich auch beiden Jazzmaster Pickups um Singlecoils handelt, verfügen selbige gerade im A/B-Vergleich zu Strat und Tele über einen deutlich weicheren und wärmeren Grundsound. Geblieben sind jedoch die Einstreuungen im Einzelbetrieb der Spulen, aber zumindest im Parallelbetrieb ergibt sich aufgrund der Reverse-Polung ein Humbucker-Effekt, welcher die Nebengeräusche deutlich absenkt. Geschaltet werden beide Pickups mit einem traditionellen 3-Wege-Schalter nebst eines Mastervolume- und Mastertone-Reglers.
Dies alles hingegen reichte natürlich bei Weitem nicht aus, den überzeugten Super 400 oder L-5 Spieler aus dem Gibson Händen in die Fender Arme zu treiben. Optik und vor allem der latent „muffige“ Grundsound der „dicken Bertas“ waren im Band/Orchester-Setup fest verankert und wollte sich so schnell nicht austauschen lassen. Sich dessen bewusst, wollte Fender zumindest soundlich eine Alternative an den Start bringen und bietet einen zweiten Schaltkreis an, welcher eindeutig Richtung „Jazz“ getrimmt ist. Zwar regelte, wie auch in dem ersten Schaltkreis, ein höhenfreundliches 1-Mega-Ohm-Poti das Volume, aber für den Tone-Regler wählte man einen Widerstand von 50 kOhm aus, welcher für eine starke Bedämpfung der Höhen sorgt und nur auf den Halstonabnehmer wirkt. Neben einem On/Off-Schieberegler lassen sich Volume und Höhenbedämpfung mittels zwei Rollpotis einstellen. So kann man mittels eines einfachen Schiebevorgangs in Sekundenbruchteilen von einem dumpfen Rhythmussound zu einem schneidenden Leadsound wechseln.
Das Vibratosystem
Eine weitere Besonderheit findet sich im Vibratosystem der Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR. Das von der Arbeitsweise dezent an ein Bigsby System erinnernde System ist 1:1 von seinem Original übernommen, inkl. der Vor- und Nachteile des Selbigen. Gemäß der Arbeitsweise lassen sich mit dem Free-Floating-System herrlich „schimmernde“ Verstimmungen erzeugen, wobei die Arbeitsweise deutlich dezenter ist als bei dem deutlich direkter arbeitenden Strat Vibratosystem.
Jedoch hat Fender auch das große Problem in Form des nur sehr moderat ausgefallenen Anpressdrucks der Saiten auf der Brücke übernommen. Aufgrund des sehr flachen Winkels, mit dem die Saiten über die geriffelten Reiter zum Aufnahmepunkt des Vibratosystems laufen, ist der Anpressdruck so gering, dass man die Saiten locker mit einem Finger aus den Verankerungen heben kann. Dies hat zum Folge, dass die einzelnen Saiten bei einem harten Anschlag gerne auch einmal aus ihrer Verankerung hüpfen können, zumindest bei dem vom Werk aufgezogenen 010er Satz. Versieht man das Instrument mit einem „echten“ Jazz-Satz von 012-054 oder mehr, ergeben viele Details innerhalb des Instruments deutlich mehr Sinn.
Dass Leo Fender auch bei der Jazzmaster einmal mehr auf die Wünsche der Musiker gehört hat, merkt man zum Beispiel an der Vibratoverriegelung in Form eines metallischen Knopfes, welcher in der „Blockade Position“ die Vibratoeinheit nach oben abriegelt. So kann man bei einem Free-Floating-System im Notfall den Song mit einer gerissenen Saite noch zu Ende spielen, ohne dass einem das Tuning komplett aus dem Ruder läuft.
Die Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR in der Praxis
Nimmt man die Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR das erste Mal in die Hand, spürt man umgehend, wie bequem das Instrument im Sitzen zu spielen ist. Logisch, die meisten Jazz-Spieler bieten ihr Handwerk zumindest in einem Orchester im Sitzen dar, welches bei der Formgebung berücksichtigt wurde. Das Instrument liegt sehr bequem auf den Oberschenkeln, egal welche Sitzposition man einnimmt. Die Verarbeitung ist tadellos, das Spielgefühl klassisch, die Haptik traditionell und sehr angenehm.
Klanglich bietet die Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR in der Tat das gesamte Fender Universum in einer dezent entschärften Version gegenüber der Caster-Linie, wenngleich der Grundklang die kalifornische Klangästhetik auf den Punkt trifft. Mit einem Slapback-Echo oder einem Spring-Reverb im cleanen Modus, mit dezenten Crunch im Bereich des Rock’n’Roll oder mit krachigen Alternative-Attitüden mit einem Fuzz-Pedal in der ersten Position, die Fender AV II 66 JAZZMASTER RW DKR ist in der Tat ein herausragendes Stück Gitarrengeschichte, welche Fender sehr geschmackvoll in die Gegenwart überführt. Ach ja, Jazz kann man in der Tat auch mit dem Instrument generieren, aber man nenne mir bitte einen Player, der eine Jazzmaster für ihren ursprünglich geplanten Einsatzbereich verwendet.
„Das ‘Runter pielen‘ des Instruments muss der User hier selber übernehmen …“ Pellen oder spielen. Das ist hier die Frage. 🙂
Für mich bleibt die Jazzmaster davon abgesehen eine der hässlichsten Gitarren – wenn ich mal diesen völlig unqualifizierten Kommentar anbringen darf (ich setze mich jetzt auch in die Ecke und schäme mich 🙄).
@uelef Die Schönheit liegt ja bekanntermaßen im Auge des Betrachters 🙂. Ich finde die Offset-Waist-Korpusform und die restliche Gestaltung besonders schön 😁. Hässlich (in meinen Augen) ist so was wie die Gretsch Bo Diddley 😎.
@lambik Haha, die Rechteckige von Meister Bo, den ich bis heute sehr verehre (nein, muss niemand nachvollziehen: Ich bin glücklich damit, zumal ich noch auf andere stehe), fand ich seit je super – muss aber gestehen, dass ich sowas selbst nicht spielen wollte. Die Korpusform Jazzmaster gefällt mir z.B. grundsätzlich besser als die einer Tele, die mir dafür klanglich und haptisch fast konkurrenzlos liegt (weit mehr als die Jazzmaster, wobei ich beide spiele).
Paula ist mir so altvertraut, dass ich mir überlegen muss, ob oder wie mir die Form zusagt (haptisch weniger), Stratform ist mir die Schönste (wenn nicht grad in Gähn-Sunburst), spitzige Ibanez-Superstrat-Äxte find ich optisch superspitze (könnte ich aber musikalisch zu wenig ausreizen, ich bin kein Metalhead, und wenn es mal härter rocken soll, reicht mir meine olle Gibson Paula).
Jeweiliges Finish und Farbgebung etc. kann bei allen Formen viel ausmachen und genannte Neigungen aufweichen (Tortoise-Glimmer ist mir 1 Graus). SG lässt mich kalt, Ich hatte in jungen Jahren eine. Flying V ist nie mein Ding, obwohl ich schon hübsche sah. Und viele Mischformen oder Designvarianten sonstiger Korpüsse 🙂 erscheinen mir nicht konsequent genug, nicht vollendet genug durchgezogen. Je teurer eine ist, desto kritischer bin ich auch mit der Optik. Geschmaxsachn!
Im Zweifelsfall sind mir Haptik und Sound wichtiger als der Look.