Harley Benton Dynamic-HSH FMT – in der Praxis
Erinnert sich noch jemand an DIE Kinderkrankheit vieler Instrumente der 70er Jahre? Damals hatten viele Gitarren und Bässe ein mehr oder minder stark ausgeprägtes Problem mit der Kopflastigkeit und ich kann mich noch gut an Musiker erinnern, die kurzerhand ein Bleigewicht am unteren Ende des Gurts fixierten, um der Sache Herr zu werden. Von diesem Phänomen ist auch unsere Harley Benton Dynamic-HSH FMT betroffen, die beim Spielen mit ihr auf dem Schoß deutlich nach links bzw. unten zieht. Das mit den sechs wuchtigen Locking-Mechaniken ist gut gemeint, nur sollte man auf der gegenüberliegenden Seite dann auch für einen entsprechenden Ausgleich sorgen.
Der akustische Grundsound ist recht mittenbetont, was schon mal gute Voraussetzungen für einen durchsetzungsfähigen Klang bietet. Punktabzüge gibt es hingegen in Sachen Sustain, hier dürfte es doch gerne etwas mehr sein. Das schlanke Halsprofil liegt dagegen sehr gut in der Hand, davon dürften vor allem Einsteiger profitieren, zusammen mit der griffigen Halsrückseite und der schmalen Sattelbreite von 42 mm ergibt sich nämlich eine sehr komfortable Bespielbarkeit. Zudem war unser Testinstrument ab Werk sehr gut eingestellt und überzeugte mit einer angenehm flachen und trotzdem „schnarrfreien“ Saitenlage.
Nun aber ran an den Speck bzw. die Klangbeispiele, für die ich folgendes Equipment verwendet habe: Orange Micro Dark Verstärker mit 1×12″ Celestion V-30 Box, AKG C3000 Mikro davor platziert, in Logic Audio wurden nur noch die Pegel angeglichen. Effekte wurden keine benutzt.
Im ersten Klangbeispiel hören wir einen unverzerrten Sound, eingespielt mit der Kombination Front-Humbucker im Singlecoil-Modus und mittlerer Singlecoil (Schalterposition 2). Abgesehen von einem Grundbrummen ist dieser Cleansound durchaus zu gebrauchen, auch wenn er nicht unbedingt vor Charakter strotzt.
In Klangbeispiel 2 ist ebenfalls ein unverzerrter Sound zu hören, diesmal die Kombination des mittleren Singlecoils zusammen mit dem gesplitteten Steg-Humbucker. Auch hier brummt es deutlich, was aber einen brauchbaren Cleansound nicht verhindert.
Wir erhöhen die Zerrung und hören im dritten Beispiel einen Crunchsound, eingespielt mit dem mittleren Singlecoil. Gab es bei den Cleansounds nur das Brummen zu bemängeln, so zeigen sich bei den Overdrive-Sounds Schwächen in der Auflösung des Signals – um nicht zu sagen, dass es doch ziemlich matscht.
Besser wird es leider auch bei den High-Gain-Sounds nicht, das Problem des undifferenzierten Klangs betrifft sowohl Hals- als auch Steg-Humbucker. Zudem ist hier die nur mäßige Dynamik der Konstruktion zu bemerken, es wirkt alles etwas zäh. In Klangbeispiel 4 jetzt ein Leadsound, eingespielt mit dem Roswell-Humbucker am Steg.
Abschließend noch ein Beispiel für den Sound des Humbuckers am Hals.
249€ sind für eine Harley das preislich höchste was die Thömänner im Prögramm haben. Dafür erwartet man natürlich auch, dass alle sonst üblichen Billigheimer Schwächen ausgebügelt wurden, und das ist wohl hier der Fall. Wer sich also nicht schämt mit einer Harley auf einer Bühne zu erscheinen der kann hier getrost zuschlagen. Ich sag ja immer bevor ich mir was extrem geiles kaufe besorge lerne ich erst mal zu spielen, und das kostet bekanntlich Zeit. Bis man das Level dieser Gitarre überstiegen hat, das kann also dauern. Hätte ich jetzt Bedarf, käme die Harley sicher in die engere Wahl.
Word! Zumal sie optisch wirklich was hergibt – was für Einsteiger durchaus relevant sein kann…
@jeffvienna Zu den Einsteigern zählen sehr viele Menschen im Jugendlichen Alter, und da ist das Aussehen bekanntlich oft mal zuerst das wichtigste.
@jeffvienna Also für so ne Klampfe hätte ich damals zu Beginn meiner Zeit (vorm Krieg …) 2 Wochen aufs Mittagessen verzichtet. Schwachpunkt sind wie gesagt die Pickups, aber bei der guten Substanz lohnt sich ein Austausch 100%!
Ich hab die Gitarre bestellt und am selben Nachmittag zurückgesendet, so schockiert war ich, wie schlecht sie klang. Und ich finde, dass du diesen Umstand bei dieser und auch der „Fusion“ Gitarre nicht richtig einordnest. Ja, das Finish, der Hals, die Einstellung etc ist gut. Aber das eine entscheidende Kriterium muss doch bleiben: Ist das ein schön klingendes Musikinstrument, oder nicht? Den Hinweis darauf, dass man ja neue Tonabnehmer einbauen könne, finde ich nicht so hilfreich, denn was denn genau für welche? Soll man da endlos probieren? So, wie du diese Gitarre bewertest, ist der Umstand, dass sie ganz grauenhaft klingt, nur eine Beobachtung unter vielen – dabei ist es die eine, auf die es ankommt. Es gibt von HB Gitarren, die viel billiger sind und sparsam ausgestattet; ich besitze z.B. die T70- und die Cabronita-Tele, und die klingen saugut, trotz Wilkinson Pickups. Aber diese neuen Luxus-HBs sind klanglich eine Enttäuschung, und ich finde, das muss in einer Rezension, die dem potentiellen Käufer helfen soll, auch balkendick rauskommen.
@chr1stoph Hi chr1stoph,
bei den Bewertungen der Testinstrumente muss man immer auch das Preis-Leistungs-Verhältnis sehen. Ich finde, dass die Gitarre da gut abschneidet, ein wirklich „schön klingendes Instrument“ wirst Du in dieser Preisklasse niemals finden. Und ich bleibe dabei – die Substanz ist gut und hier kann es sich lohnen, mit Pickups zu experimentieren, halt mit den üblichen Verdächtigen von SD und DiMarzio, die es auf dem Gebrauchtmarkt immer sehr günstig gibt.
Gruß :)