Mein Mikro vom Mars
Großmembran-Kondensatormikrofone mit Nierencharakteristik gibt es mittlerweile wie den sprichwörtlichen Sand am Meer, der Markt scheint gesättigt. Wer da noch in der Masse auffallen will, muss schon eigenwillige Wege gehen. Wie zum Beispiel Icon Pro Audio aus Hongkong, der seinen Mikrofonen aus der Space Serie ein wahrhaftig außerirdischen Look verlieh. Aber haben die auch noch mehr zu bieten als ein extrem auffälliges Design? Wie wirkt sich das auf den Klang aus? Wir haben uns das Icon Martian einmal genauer angeschaut: Extraterrestrisch gut oder Weltraumschrott?
Intermezzo 1: Icon Pro Audio
Icon wurde vor rund 20 Jahren gegründet und beschränkte sich ursprünglich auf den Vertrieb in China. Später weitete Firmengründer Joe Wong das Tätigkeitsfeld auf die Herstellung von Bühnen- und Studioprodukte aus. Die Fertigung findet in Guangzhou in China statt, die Technik des Icon Martian allerdings wird in Lettland zusammengebaut. Das Kernsortiment von Icon sind – wie der Name schon sagt („i control“) Controller, wie DAW-Controller (wie die QCon-Serie, die Platform-Serie oder Icontrols), DJ Controller (XDJ, iDJ) und MIDI-Controller-Keyboards (iKeyboard-Serie). Mittlerweile produziert Icon aber auch Interfaces (Duo-Serie, UPod, Live), Kopfhörer (HP-600, HP-430), Studio-Monitore (DT-Serie) und eben auch Mikrofone, ist also recht breit aufgestellt. Die Space Serie besteht (momentan) aus den beiden Modellen Cocoon und Martian; letzteres habe ich jetzt hier im Test.
Intermezzo 2: Die Namensgebung der Space-Reihe
Für Nicht-Cineasten: Sowohl Martian als auch Cocoon sind die Titel von SF-Filmen. „The Martian“ kam bei uns unter dem Titel „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ in die Kinos (2015, produziert von Ridley Scott, mit Matt Damon in der Hauptrolle). Dabei geht es um die Rettung eines auf dem Mars gestrandeten Astronauten. „Cocoon“ ist schon etwas älter (1985, Regie Ron Howard, unter anderem mit Steve Guttenberg). Dieser Film handelt von einer Gruppe von Rentnern in Florida, die feststellen, dass der Pool nebenan eine verjüngende Wirkung besitzt. Der aber wurde von Aliens angelegt, die nichts Gutes im Schilde führen. In keinem der beiden Filme kommen allerdings Figuren vor, die den beiden Mikros irgendwie ähneln würden.
Icon Martian Tech Specs
Das Icon Martian ist ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit Nierencharakteristik und einem elektrostatischem Golden Drop-Wandler aus reinem 999er Gold. Laut Hersteller ermöglicht die Golden Drop-Technologie eine schnellere Bewegung der 25mm großen Membran und sorgt so für Detailreichtum und Transparenz. Der Frequenzbereich wird mit den handelsüblichen 20 Hz bis 20 kHz angegeben, der maximale SPL (aka Grenzschalldruckpegel) mit guten 135 dB, die Dynamic Range mit 125 dB und der Rauschabstand bei 85 dB-A (äquivalenter Geräuschpegel DIN/IEC A gewichtet bei 8 dB-A), womit das Martian also Rauschen nur aus dem TV kennen dürfte. Die Empfindlichkeit liegt mit 21 mV/Pa im für Kondensatormikrofone üblichen Bereich (8 bis 32 mV/Pa).
Das Icon Martian ausgepackt
Wenn der Spruch stimmt, dass das Auge mit isst, dann wird man beim Icon Martian aber so richtig satt: Die innen gut gepolsterte Verpackung macht wirklich einiges her. Klappt man den stabilen, ansehnlichen Pappkarton mit dem großformatigen Spacelook-Foto auf, fällt der Blick auf einen massiven, zweiteiligen schwarzen Aluzylinder (der ansonsten zum Aufbewahren von radioaktiven Abfällen, als mit Erinnerungen gefüllte Zeitkapsel oder auch als Urne genutzt werden könnte), in dessen Inneren das Mikrofon selber für die Ewigkeit sicher aufbewahrt ist. Kein Stoffbeutel, keine Kunststoff- oder Holzbox, Metall muss es schon sein. Das macht Eindruck und lässt den Gedanken aufkommen, dass der Inhalt tatsächlich recht wertvoll sein muss, wenn er so gut geschützt wird. Und stabil ist auch der spezielle passgenaue Shockmount (den der Hersteller selber als „fortschrittlichen Ganzkörper-Stoßdämpfer“ bezeichnet) mit dem anschraubbaren, klappbaren Gitter, sind beide doch ebenfalls aus massivem Metall gefertigt. Nebenbei: Klappt man den Popschutz nach oben, sieht das aus wie ein Fallschirm springender kleiner Comic-Alien. Wer also kleine Kinder zu Hause hat, sollte denen vorab besser mal erklären, dass das Icon Martian nicht fliegen kann, auch wenn es einen Sturz angesichts der Massivbauweise vermutlich recht schadlos überstehen dürfte. Apropos Massivbauweise: Trotz der recht kompakten Abmessungen bringt es das Martian, zusammen mit Shockmount und Popfilter, auf ein Gewicht von gut 950 Gramm (Mikrofon alleine: 770 Gramm). Wer das Icon Martian also auf einen Schwenkarm montieren möchte, sollte da keinen Billigheimer verwenden, sondern einen echten Lastträger. In einer kleinen Kunststoffdose schließlich finde ich noch zwei Schrauben zur Befestigung des Popfilters am Shockmount und zwei Ersatz-Gummihülsen (dazu gleich mehr).
Auf ein Manual verzichtet Icon; im Pappschuber befindet sich lediglich ein Blatt mit den Techspecs sowie ein QR-Code, der die Webseite für die Registrierung des Martians aufruft. Für die Erledigung werden 6 Monate Extra-Garantie versprochen. Nun denn. Was fehlt, ist eine Reduzierhülse (5/8 auf 3/8) für das Shockmount; ist nur eine Kleinigkeit und die meisten werden die eh vorrätig haben, aber angesichts der sonstigen Ausstattung ist das Fehlen ein wenig unverständlich.
Fun Fact am Rande: Icon selber spricht beim Martian ausdrücklich von „er“: „The Martian large diaphragm condenser microphone sounds as warm and friendly as he looks. (Yes. We call the Martian microphone „he“)”. Ich werde aber trotzdem beim “es” (für “das Mikrofon”) bleiben, wenn es recht ist.
Das ICON Martian näher angeschaut
Würde man Unbeteiligte bitten, das Aussehen des Martian zu beschreiben, kämen vermutlich Sachen wie „wie ein Alien mit großen Augen und Kopfhörern“, „wie ein Pokal mit einem großen Sockel“ oder „wie ein Globus auf einem großen Fuß“. Auf jeden Fall aber gibt es kein anderes Mikrofon, das dem Icon Martian auch nur annähernd ähnelt.
Der untere Teil besteht aus einem massiven, kreisrunden Stahlsockel, ca. 6 cm hoch und 6,5 cm im Durchmesser – mattschwarz lackiert, jedoch mit silbrigen kleinen Einsprengseln, was mich auf Anhieb an Star Trek und die unendlichen Weiten denken lässt. Bodenplatte (wo auch die XLR-Buchse untergebracht ist) und Deckel sind mattsilbern gehalten, vorne aufgesetzt das Icon-Logo in Gold. Das sieht schon ziemlich edel aus. An den Seiten zwei mattsilberne, nach außen Geknickte Metallbügel, die jeweils in einem Kreis enden: Die Aufhängung für das kugelförmige Mikrofon, über die es 360 Grad gedreht werden. Es ist also lediglich an den Seiten befestigt, nicht aber unten; dort gibt es lediglich einen Zapfen, der verhindern soll, dass man die Kugel mehrmals im Kreis dreht (oder einen 1080 macht, um den Skater-Jargon zu nutzen). Vermutlich würde das die Kabelverbindung vom Sockel zur Kugel – die durch die Streben läuft – nicht überleben.
Die Kugel mit der Mikrofonkapsel hat einen Durchmesser von etwa 7,5 cm, ist von einem stabilen Metallgitter umschlossen, über dem sich mittig ein ca. 2 cm breiter Metallring spannt. Auf der Vorderseite befinden sich zwei Metallringe (ca. 4 cm Durchmesser), die wie Augen wirken und der Kugel damit den Look eines Gesichtes geben. Was wohl auch der einzige Zweck dieser Ringe ist, einen wirklich praktischen Nutzen für Handhabung oder Klang haben sie nicht (sieht man davon ab, dass ich so immer weiß, wo vorne ist – „Schau mir in die Augen, Kleines“). So wirken die kreisrunden Aufhängungen an den Seiten dann – zusammen mit dem Kugelgesicht – wie Kopfhörer oder besser: wie Arme, die das „kleine Wesen“ da hochreißt, um sich die Ohren zuzuhalten – was das Martian insgesamt wie ein futuristisches Spielzeug oder ein nerdiges Gimmick erscheinen lässt. Das findet man dann entweder abgefahren und cool oder eben völlig daneben, dazwischen dürfte es keine Meinung geben; das Design des Marsianers polarisiert in jedem Fall.
Ähnlich ausgefallen ist auch die Konstruktion des Shockmounts, der speziell für die ungewöhnlichen Maße des Martians angefertigt ist. Die gusseiserne, mattschwarze Konstruktion besteht aus zwei großen Ringen, die über drei Streben miteinander verbunden sind. An denen wiederum ist an sieben kurzen, dicken Gummiringen die Innenkonstruktion aufgehängt, ein verkleinertes Abbild der Außenkonstruktion (also zwei Ringe mit drei Streben). Die Ringe sind aber nicht durchgehend, sondern nach vorne hin geöffnet, so dass ich den Sockel des Mikrofons in die locker aufgehängte Innenkonstruktion zwängen kann, wo das Martian dann bombenfest sitzt. Dazu muss die Verriegelung des Bügels an der Außenkonstruktion geöffnet werden, so dass dieser aufgeklappt werden kann. Ich gebe zu, dass ich einige Minuten gebraucht habe, bis ich hinter den Mechanismus gekommen bin („wie soll dieser Sockel denn jetzt da rein passen?“), da das PDF-Manual da wenig Hilfe angeboten hat. Auf der Innenseite des Bügels befindet sich ein Metallstift mit einem Gummiüberzug (dafür also die beiden Ersatzgummis), der sich bei geschlossenem Bügel gegen den Sockel presst und so das Icon Martian gegen ein eventuelles Herausfallen nach vorn absichert. Wobei das – so fest, wie das Mikrofon in der Innenkonstruktion sitzt – eigentlich ausgeschlossen sein dürfte. Aber wer seinem Mikrofon einen massiven Alubehälter spendiert, geht auch hier auf Nummer sicher.
Der in Material und Farbe zum Shockmount passende Popschutz wird mit zwei Rändelschrauben am oberen äußeren Ring befestigt und kann über zwei Scharniere ebenfalls geschwenkt werden und so der Stellung der Mikrofonkugel folgen. So muss ich nicht zwangsläufig das Mikrofon von vorne besprechen, sondern kann die Kugel so drehen, dass zum Beispiel auch ein Besprechen von oben möglich ist, wenn ich Kugel und Popschutz passend positioniert habe. Der metallene Popschutz selber besteht aus zwei engmaschigen Metallnetzen, die mit einigen Millimetern Abstand montiert sind; vorne ist das Icon-Logo eingestanzt. Sieht auf jeden Fall gut aus; ob das aber nun auch tatsächlich Plosivlaute fernhält oder ob hier Design über dem Nutzen steht (eine Frage, die auch für die Klangqualität des Mikrofons an sich gilt), das will ich jetzt mal ausprobieren.
Praxistest: Wie klingt das Icon Martian?
Stabil, ausgefallenes Design – alles gut und schön, aber wie klingt der Marsianer denn nun? Schreiten wir also zum Praxistest. Dafür habe ich wie gewohnt – aus unterschiedlichen Entfernungen – ein paar Zeilen einer unserer News eingelesen. Zum Vergleich dazu dann dieselben Zeilen noch einmal mit einem „Wald & Wiesen“ Großmembran-Kondensatormikrofon, dem Rode Broadcaster und meinem alten AKG C-3000 (das alte Modell, noch mit umschaltbarer Charakteristik). Das soll aber weiß Gott kein „Wer ist besser“- Vergleich sein, sondern nur einen klanglichen Anhaltspunkt liefern.
Zudem ist das Rode mit einem aktuellen Verkaufspreis von 389 Euro und das (neue) AKG mit 169 Euro um einiges günstiger als das Icon Martian (759 Euro), doch – hört man diesen Preisunterschied am Ende denn tatsächlich? Probieren wir es aus. Das Setup: Die Mikrofone hängen an meinem unverwüstlichen Mackie 802-VLZ3 mit seinen bewährten Onyx-Preamps, der wiederum über ein MOTU M4 in einen Windows PC mündet, wo ich die Takes mit Sound Forge aufgezeichnet habe. Was mir direkt auffällt: Für die Aufnahme mit dem Icon Martian muss ich die Regler am Mackie gegenüber dem Broadcaster deutlich zurückdrehen, der Marsianer reagiert wesentlich empfindlicher als die anderen Mikros.
Der Frequenzgang des Icon Martian ist annähernd flach und gleichmäßig, ohne erwähnenswerte größere Boosts:
Zum Vergleich, wie das bei einem „klanglich vorkonfigurierten Mikrofon aussiegt: Das Broadcaster verzeichnet deutliche Anhebungen zwischen 5 und 15 kHz und im Bereich von 100 Hz.
Das AKG hat es dagegen nicht so mit den Bässen.
Starten wir im absoluten Nahbereich, also ca. 5 cm vom Popschutz entfernt, der selber wieder recht dicht vor dem Mikrofon angebracht ist. In diesem Bereich macht sich bei Mikrofonen dieser Bauart ja bekanntlich der Nahbesprechungseffekt (also Überbetonung der Bässe) deutlich bemerkbar.
Zum einen: Ja, die Bässe sind hier deutlich angehoben. Zum anderen aber klingt das für mich schon etwas zu dumpf (oder meinetwegen auch „dunkel“) und nicht ganz so neutral und ausgewogen, wie ich es mir anhand des Frequenzganges versprochen hatte. Schon klar, lineare Frequenzgänge sind im Studio beliebt, kann man die ja mit EQs und anderen Geräten nachträglich schön formen, aber ich hätte mir trotzdem schon vom Grundsound her hier etwas mehr von der versprochenen Klarheit gewünscht. Hier mal zum Vergleich das Broadcaster aus identischer Entfernung und (natürlich) mit identischen EQ-Einstellungen, das ja keinen linearen Frequenzgang hat.
Und hier das AKG C-3000. Das hat es nicht ganz so mit den Bässen, hat aber eine schöne Transparenz.
Im direkten Vergleich hört es sich beim Martian ja schon ein wenig so an, als läge eine kleine Wolldecke über dem Mikrofon. Ob das leicht Dumpfe eventuell am ungewöhnlichen Popschutz liegt? Ich klappe den mal hoch:
Nun, ein klein wenig klarer klingt es schon, wenn nun auch nicht gleich übermäßig viel. Was noch auffällt: Auch ohne den Popschutz verkraftet das Martian die Plosiv- und Zischlaute eigentlich recht gut. Und – Rauschen ist tatsächlich kein Thema. Aber habe ich am Ende die falsche Seite der Kugel besprochen? Kann eigentlich nicht sein, die Vorderseite ist ja mit den „Augen“ deutlich gekennzeichnet. Aber sicher ist sicher, also drehe ich die Kugel mal um:
Nein, definitiv nicht. Wobei der Unterschied gar nicht mal übermäßig groß ist. Wie sieht es nun aus, wenn ich die Distanz zur Mikrofonkapsel auf 10 cm vergrößere? Was macht das mit dem Nahbesprechungseffekt? Und – klingt das Martian dann immer noch etwas dumpf?
Es wird besser, die Sprachverständlichkeit steigt, der Klang ist transparenter und ausgewogener. Weder Höhen noch Tiefen gibt das Icon Martian hier den Vorzug, ganz, wie es der Frequenzgang schon angedeutet hat – neutral eben. Das Broadcaster dagegen favorisiert auch hier eher die Höhen, das AKG bleibt weiter transparent und ausgewogen.
Effekte, die in der 20 cm-Distanz bei den drei Mikrofonen noch deutlicher werden:
Bis hierher waren sämtliche Beispiele mit ganz neutralem 3-Band-EQ-Einstellungen am Pult gelaufen. In der Studiopraxis wird aber – wie gesagt – gerade bei Mikrofonen mit linearem Frequenzgang am Pult nachgeregelt, um den Klang den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen anzupassen. Ich versuche es gleich mal extrem und drehe den Hi-EQ voll auf. Hier die Ergebnisse aus 5, 10 und 20 cm Entfernung:
Gut, das klingt jetzt zwar (wegen des EQ-Extrems am Pult) eine Spur zu harsch, aber das ursprünglich leicht Dumpfe ist raus und durch Transparenz und Klarheit ersetzt, ohne das es aber nun nüchtern oder gar kalt wirkt. Wenn man da noch etwas nachjustiert, kommt man der Sache sicher noch näher.
Hören wir noch mal kurz rein, wie sich das Martian mit einem Instrument schlägt. Hier zwei Aufnahmen mit einer Ukulele, einmal ohne und einmal mit einer fetten Portion Extra-EQ, aus etwa 15-20 cm Entfernung zum Mikrofon.
Hier – bei der ohnehin schon etwas höhenlastigen Ukulele – ist ein übermäßiger EQ-Einsatz gar nicht mehr so notwendig, aber ein wenig mehr könnte die schon vertragen.
Man sollte sich also darüber im Klaren sein, dass Nachjustierungen am Pult hier Pflicht sind, um den Klang des Martian in die gewünschte Richtung zu bekommen.
eigenwilliges Design ein Minuspunkt? o_O
Ich mein: der könnte auch aus dem Disney Star Wars Merch-Shop sein. Aber solange er funktioniert…
@dAS hEIKO Ein Minuspunkt und ein Pluspunkt gleichzeitig: Die einen wird es abschrecken, die anderen noch mehr dafür begeistern.