Sustain wohin das Ohr hört!
Wenn es ein Name in den seligen Spandex-Zeiten der Achtziger von 0 auf 100 geschafft hat, dann die Firma Schecter. 1976 als reiner Ersatzteillieferant von den Big Names wie Gibson und Fender von David Schecter in den USA gegründet, schoss der Hersteller ab 1979 mit erstmals komplett gefertigten Instrumenten, welche sich zumeist im Lager der Powerstrats ansiedelten, durch die Decke, verfügten die Instrumente doch für diese Zeit z. B. über intensiv gemaserte Hölzer, ausgefallene Lackierungen und konnten dank des Custom Shop Prinzips auch noch individuell auf die Wünsche des Käufers eingehen. Mittlerweile ist die Firma seit über 30 Jahren in der Massenfertigung, vornehmlich in Korea angekommen und hat mit der Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK ein Instrument am Start, welches mit ein paar ungewöhnlichen Details aus dem schier unübersichtlichen Powerstrat Angebot heraussticht.
Das Konzept der Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK
Die Asiaten können es einfach nicht lassen. Die Modellbezeichnungen der Instrumente mögen von der Buchführung für jeden Controller eine hehre Freude darstellen, für den geneigten Rock’n’Roller ist es ein verbaler Schlag ins Gesicht. Stell dir vor, dein Freund fragt dich, welche Gitarre du spielst und du startest deine Litanei. Spätestens beim ersten „S“ der Modellbezeichnung hat der schon lange abgeschaltet und checkt seinen Whatsapp Account. Es hat wohl seinen Grund, warum der Rock’n’Roll nicht in Asien erfunden wurde.
Wie dem auch sei, hat man sich erst einmal von der Modellbezeichnung erholt, kann man sich den reichhaltigen Höhepunkten des Instrumentes widmen. Um es vorneweg klarzustellen, dieses Instrument hat eine Zielgruppe, wie sie ausgeprägter in der Selbstdarstellung nicht sein könnte. Es handelt sich um den klassischen Shredder, stets stark an den großen Nudelkönigen des Mike Varney Labels Shrapnel Records angelehnt, welche seiner Zeit wie heute handwerklich neue Horizonte definierten, jedoch mangels Songwriter-Fähigkeiten zu einem großen Teil von der aufgeblasenen Grunge-Welle verschlungen wurden und sich heutzutage meistens als „The Musicians Musician“ über Wasser halten.
Das intensive Training am Instrument, welches von der nachwachsenden Kemper-Presets / Backingtracks Jugend („dafür gibt es doch bestimmt eine App“) zumeist als sinnlose Zeitverschwendung abgetan wird („10 Jahre lang üben, so viel Zeit habe ich nicht“), steht im direkten Gegensatz zum Kassenschlager, daher muss sich die Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK, einiges einfallen lassen, um nicht nur mit virtuosem Kampfgenudel zu glänzen. Um dieser Zielgruppenlimitierung zu trotzen, verwendet das Instrument gleich mehrere Bedienungselemente, welche auch Randgruppen als Käuferschichten interessant macht.
Die Konstruktion
Einmal mehr entpuppt sich der durchgehende Hals der in Südkorea gefertigten Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK als zentrales Element der gesamten Konstruktion. Der fünfteilige Hals aus Ahorn, Walnuss und Padauk wird zusätzlich mittels zweier Glasfieberstäbe verstärkt. Um den Korpus formen zu können, wurden seitlich zwei Teile Sumpfesche angeleimt, welche anschließend in der typischen Powerstrat Form gefräst wurden. Nimmt man jetzt noch das Ebenholzgriffbrett mit auf die Liste, kommt eine stattliche Anzahl von verbauten Hölzern zusammen. Rückseitig ist das Instrument in einem dunklen, transparenten Grün gehalten, von vorne gesehen in der Farbe Mattschwarz. Eine noble, nebenbei bemerkt tadellos aufgetragene Lackierung, welche allerdings wie alle Lackierungen dieser Art binnen Sekunden mit Fingerabdrücken übersät ist. Also sich entweder von der noblen Optik verabschieden oder immer ein Putztuch im Gitarrenkoffer mitführen.
Wie im Powerstratbereich gerne gesehen, verfügt auch die Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK über 24 Bünde, welche in Jumbo-Ausführung daher kommen. Dadurch sitzt der Halstonabnehmer zwar nicht in seiner charkterstärksten Form unter dem 24. Bund, in diesem Fall übernimmt der Hals-Pickup aber ohnehin eine Sonderfunktion, zu der wir später noch kommen. Das Shaping des Halses wird als „Ultra Thin C“ bezeichnet und trifft den realen Eindruck sehr gut. Es wird die lange Mensur mit 648 mm mit einem 12”-16” Compound Radius am Griffbrett verwendet. Zur besseren Orientierung auf dem Griffbrett wurden römische Zahlen im Griffbrett eingelassen und grau scheinende, phosphoreszierende Dot Marker, welche im Dunklen grün leuchten. Ein bisschen Borg Kubus, aber sehr hübsch.
Optisch nicht immer jedermanns Liebling, aber von der Handhabung her vorbildlich ist der Zugang zum 2-Way Adjustable Trussrod, welcher unterhalb des 24. Bundes offen liegt und mit einem kleinen Metallstab, zum Beispiel einem Inbus-Schlüssel bewegt werden kann. Wer wie ich extrem genervt von den jeweiligen proprietären Insellösungen einiger Hersteller bzgl. des Trussrod-Schlüssel ist, wird diese Lösung lieben! Die Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK verfügt über ein Floyd Rose 1500 Serie Vibratosystem mit entsprechenden Sattelklemmen und Finetunern. Leider laufen die Rändelschrauben für ein Instrument dieser Preisklasse recht schwergängig, um nicht zu sagen bockig, hier hätte ich etwas mehr „Smoothness“ erwartet. Ansonsten erfüllt die Hardware alle Ansprüche, zumal mit Grover Rotomatic 18:1 auch hochwertige Tuner zum Einsatz kommen.
Die Pickups der Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK
Eine Besonderheit stellt die verbaute Pickup-Kombination der Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK dar. Mit dem Fishman Fluence Modern (Ceramic Magnet) Humbucker in der Bridge-Position trifft man einmal mehr den bei Schecter gerne verwendeten Vertreter moderner Aktivtonabnehmer an, zumal er mit der Push/Pull-Funktion der Höhenblende in zwei unterschiedlichen Klang-Charakteristika (modern/vintage) umgeschaltet werden kann. Die Besonderheit ist vielmehr im Halstonabnehmer zu suchen, der von der Firma Sustainiac geliefert wird. Die Älteren unter den Lesern werden das Konstrukt kennen, für den interessierten Nachwuchs hier eine Kurzfassung der Wirkungsweise.
Früher … (wie ich dieses Einleitungswort hasse…), als im Durchschnitt eine deutlich höhere Bühnenlautstärke gefahren wurde als heutzutage, kam es gelegentlich je nach Winkel zum Verstärker/Bühnenmonitor und der verwendeten Lautstärke zu einem Feedback, bei der ein angeschlagener Soloton immer weiter schwang und entweder den Grundton hielt oder aber in einen Ober-/Unterton umkippte. Seiner Zeit die ganz große Kunst der Tonformung und z. B. ein wichtiges Element der Stilistik von Großmeister Gary Moore. Um diesen Effekt auch in Zimmerlautstärke erzeugen zu können, baute die Firma Sustainiac einen Tonabnehmer im Humbucker-Format, bei dem eine Spule einen klassischen Singlecoil-Pickup liefert und die zweite Spule ein elektromagnetisches Wechselspannungsfeld erzeugt, welches den besagten Effekt nachstellt.
Zwei Miniswitches entscheiden über den Einsatz des Sustainiac und ob er den angeschlagenen Ton einen Oberton oder einen Unterton zum Schwingen anregen soll. Das elektromagnetische Feld benötigt natürlich auch eine Spannungsquelle, womit sich auch die 2 (!) 9 V Block-Fräsungen (einmal Fishman Pickup, einmal Sustainiac) auf der Korpusrückseite erklären. Leider laufen die Fräsungen nicht ganz parallel, so dass eine Kunststoffabdeckung ein wenig schief steht, macht aber in der Praxis keinen wirklichen Unterschied.
In der Praxis
Ich muss es zugeben, ich habe mich im Laufe meiner Karriere zu einem echten „Durchgehenden-Hals-Fan“ entwickelt, wobei mich auch in diesem Test einmal mehr in meiner Meinung bestätigt sehe. Das Schwingungsverhalten der Schecter C-1 FR S SLS Evil Twin SBK ist in der Tat vorbildlich, das Sustain umwerfend. Trotz des baulich bedingten Absorbtionsverhaltens des Floyd Rose Vibratos schwingen die Saiten unglaublich lange und ausgewogen, eine echter Ohrenschmaus, insbesondere wenn man den direkten Vergleich zu einigen Vertretern der geschraubten Hälse sucht.
Insofern stellt sich der eine oder andere die Frage, ob es bei dem Instrument tatsächlich eines Bauteils wie dem Sustainiac bedarf. Um es kurz zu machen, vom Schwingungsverhalten her nein, aber der Sustainiac ist ja auch nicht konzipiert, einer minderwertigen Konstruktion ein besseres Schwingungsverhalten zu ermöglichen, sondern um eine spezielle Spieltechnik in einer geringeren Bühnenlautstärke zu ermöglichen.
Womit wir auch gleich bei der Sinnhaftigkeit dieses Bauteils angekommen sind. Meine Skepsis gegenüber dererlei Hilfsmittel ist tatsächlich binnen Sekunden gewichen, wenn man sich das System in der Praxis ansieht. Der Sustainic arbeitet nicht nur im High-Gain-Bereich sehr gut, er ermöglicht sogar David Gimour artigen cleanen Sounds ein großartiges Eigenleben fernab jeder Kompressoreinstellung, zumal der Sustainiac eine Art Noise-Gate verbaut hat, was das System deaktiviert, sobald man die Saitenspannung z. B. per Hand abdämpft. Das Ergebnis ist ein sehr organisches Feedback, was im Solospiel insbesondere bei getragenen Passagen dem persönlichen Stil einen zusätzlichen Entertainmentfaktor verpasst. Soviel zur Haben-Seite.
Auf der Soll-Seite steht leider ein sehr klinisch klingender Singlecoil-Pickup, welcher wirklich mehr als Dreingabe zu verstehen ist und die hohe Qualität des Fishman Pickups nicht wirklich halten kann. Wer viel mit parallel geschalteten Pickups spielt, findet hier bestimmt bessere Alternativen, die eigentliche Funktion des Sustainiac hingegen überzeugt auf ganzer Linie.
Shredding und viel Sustain? Ist das nicht eigentlich ein Widerspruch?
Nicht wenn man sein Handwerk beherrscht ;-)
Der Effekt, der durch „Sustainiac“ entsteht, mag gut klingen, wenn man langsame, tragende Stücke spielt (z.B. winds of change). Bei schnellen Tonwechseln wird es leider grauslig und schwammig. Das liegt einfach daran, dass ein kurzer und prägnanter Attack dem Sustain geopfert werden muss.
Die denken auch mal an Linkshänder.
Sehr sympathisch.