Workshop: Akkorde - Umkehrungen, interessante Optionstöne und Orientierung auf dem Griffbrett
Inhaltsverzeichnis
Die Welt der Akkorde und Voicings ist schier endlos. Vielen Gitarristen bereitet dieses Thema immer wieder regelrecht Kopfschmerzen – ist die Gitarre doch ein (für Musiktheorie) recht unübersichtliches Instrument. Glücklicherweise gibt es ein paar, mit etwas Übung recht einfach zu erlernende und anzuwendende Tricks, die es einem erleichtern Akkorde und deren Umkehrungen auf dem Griffbrett in verschiedenen Lagen und auf unterschiedlichen Saiten-Sets zu „sehen“, zu finden und diese durch „färbende“ Options-Töne wie unter anderem 9, 11 oder 13 zu variieren.
Umkehrungen von Triads / Dreiklängen
Erster Ausgangspunkt hierfür wären die Umkehrungen der Triads oder Dreiklänge. Diese zu lernen inklusive der Funktionen ihrer Bestandteile, ist die „Vorarbeit“, die man leisten muss. Dreiklänge bestehen, wie der Name schon sagt, als drei Tönen. In der Regel sind das Grundton (1), Terz (3) und Quinte (5). Jeder dieser Töne lässt sich aber ersetzen, dann entsteht ein „anderer“ Dreiklang. Ersetzt man z.B. die Terz (3) durch die Quarte (4) so erhält man einen „sus“-Akkord (engl. „suspended“, zu Deutsch „schwebend“). Dieser besteht dann aus den Funktionen Grundton (1) – Quartvorhalt (4) – Quinte (5). In C also beispielsweise C – F – G. Quartvorhalt, was’n das? Spielt man diesen Akkord „zieht“ die Quart akustisch Richtung Terz. Sie vorenthält dem Gehör die Terz.
1. Exkurs in die Musiktheorie
Man unterscheidet (vorerst) vier Arten von Dreiklängen:
Dur Dreiklang: GT – 3 – 5 (GT – große Terz – reine Quinte) z. B. C – E – G
Moll Dreiklang: GT – b3 – 5 (GT – kleine Terz – reine Quinte) z. B. C – Eb – G
Übermäßiger Dreiklang: GT – 3 – #5 (GT – große Terz – übermäßige Quinte) z. B. C – E – G#
Verminderter Dreiklang: GT – b3 – b5 (GT – kleine Terz – verminderte Quinte) z. B. C – Eb – Gb
Abb.: Dur-, Moll-, Übermäßiger und Verminderter Dreiklang in C
Zurück zu den Umkehrungen:
In der Tonart C-Dur gedacht, erhält man also auf der ersten Stufe den Dreiklang C-Dur, bestehend aus den Tönen C (1) – E (große 3) – G (reine 5).
Ändert man das E einen Halbton tiefer zum Eb, wird der C-Dur Akkord zum C-Moll Dreiklang. Dur und Moll Griffbilder unterscheiden sich also „nur“ in einen Bund (Solange keine Töne doppelt vorkommen, was in „Lagerfeuer“ Griffbildern oft der Fall ist).
Der „faule“ – oder sagen wir effizient denkende – Lernende wird sich also denken „Wieso verschiedene Griffe lernen, wenn ich auch ein Griffbild lernen kann, das ich dann variiere?“.
Genau, das ist der Weg (The Mandalorian lässt grüßen, haha).
Ähnlich wie die fünf Standard Fingersätze der Pentatonik gibt es auch „Wege“ Dreiklangsumkehrungen auf dem Griffbrett zu spielen.
Es gibt drei diagonale „Wege“ für Dreiklänge in so genannter enger Lage. (Enge Lage bedeutet, dass zwischen zwei Akkordtönen, kein weiterer Akkordton Platz hat).
Die drei diagonalen „Wege“ der Umkehrungen in Dur (v.l.n.r.):
Spielt man sich diese Umkehrungen immer wieder durch erkennt man irgendwann die (meist) bekannten Barre-Akkorde darin oder ein paar andere Griffbilder von „Lagerfeuer“ Akkorden. Damit lässt sich auch das CAGED System verknüpft (Link zum AMAZONA.de Workshop „CAGED System“).
Wichtig ist beim Lernen und Memorieren dieser Griffbilder, dass man sich die Funktionen der Töne innerhalb des Akkordes merkt. Wo liegt der Grundton, wo die Terz und wo die Quinte? In den gezeigten Beispielen sind alle Grundtöne rot markiert, die Terzen türkis und Quinten weiß.
Interessant sind die auffallenden optischen „Muster“. Oft liegt die Quinte (weiß) direkt „unterhalb“ des Grundtons (rot) auf demselben Bund. Das liegt an der Stimmung der Gitarre. Die Quinte G vom Grundton C, ist auch eine Quarte tiefer zu finden. Dieses Phänomen nennt man Komplementär-Intervall. Man findet also den gleichnamigen Ton auch in der darunter liegenden Oktave, allerdings ändert sich der Intervallsprung dorthin. Den Ton, den man steigend an 5. Stelle findet (C-D-E-F-G => Quinte steigend), findet man fallend schon an vierter Position (C-B-A-G => Quarte fallend). Super simple und praktisch für Akkorde.
2. Exkurs in die Theoriewelt
C -> G steigend = Quinte steigend
C -> G fallend = Quarte fallend
Wichtig: Funktionsharmonisch bleibt das G aber immer die Quinte von C, egal ob es höher oder tiefer als der Grundton im Akkord verwendet wird!!
Die Komplimentärintervalle lauten:
reine Quinte <-> reine Quarte (z.B. C <-> G)
große Terz <-> kleine Sexte (z.B. C <-> E)
kleine Terz <-> große Sexte (z.B. C <-> A)
große Sekunde <-> kleine Septime (z.B. C <-> D)
kleine Sekunde <-> große Septime (z.B. C <-> B)
Und erneut zurück zu den Voicings
Sind die Dur „Shapes“ memoriert, kann man zum Beispiel alle großen Terzen einen Halbton / Bund nach unten „schieben“ und erhält alle Moll Umkehrungen / Shakes in enger Lage. Man muss sie also nicht komplett neu, von null, lernen, sondern kennt bestimmt Muster bereits und transferiert „nur“ die Terzen von groß nach klein (also einen Bund nach links).
Die drei diagonalen „Wege“ der Umkehrungen in Moll:
Auch hier fallen einem früher oder später Verbindungen zu den bereits bekannten Griffbildern von Wald-und-Wiese oder Barre-Akkorden auf …
Wie geht’s weiter?
Hat man sowohl die Dur als auch die Moll Umkehrungen verinnerlicht, die Funktionen der Töne innerhalb der Griffbilder und das Konzept dahinter verstanden, so kann man mit Optionstönen weiterarbeiten um „neue“ Sounds zu entdecken.
Geht man von den nun bekannten Umkehrungen aus, kann man in jedem Akkordgriffbild Töne „austauschen“. Spielt der Bassist der Band den Grundton des Akkords, so kann man beispielsweise im Griffbild den Grundton durch die große Sekunde (= große None) ersetzen. Diese liegt immer zwei Bünde „über“ dem Grundton.
Was erstmal nach super viel Arbeit aussieht, ist, wenn man das Konzert verstanden hat richtig simple. Der Vorteil der Gitarre kommt hier zum Tragen. Egal auf welcher Saite, in welcher Lange und welcher Tonart man sich befindet, das Verhältnis der Töne zueinander ist immer das gleiche. Die große None liegt immer zwei Bünde über dem Grundton aus derselben Saite, die reine Quarte immer einen Bund über, die kleine Terz immer einen Bund unter der großen Terz auf derselben Saite usw.
Sieht man und denkt man in diesen Shapes, so stehen einem plötzlich sehr viele Kombinationen von Akkorden offen. (Und wir bewegen uns hier gerade nur in Dreiklängen in enger Lage. Ergänzt man das durch Vierklänge plus deren Umkehrungen oder weite Lagen, ergeben noch mehr Möglichkeiten. Das schöne ist: Das hier genannte Konzept der Orientierung gilt auch dort).
Was bringt mir das?
Der ein oder andere wird sich denken „und was hab ich davon?“. Nun ja, in erster Linie kann man nun zwischen den verschiedensten Klangfarben wählen um Akkorde dem „Vibe“ des Songs, den man spielt oder schreibt, anzupassen. Außerdem gewinnt man in Sachen Griffbrettorientierung enorm. Neue Orientierung und ungewohnte Wege auf dem Instrument führen oft auch zu neuen Idee, man schöpft also Kreativität aus neuem Wissen. Naja, und Kreativität führt – im besten Fall – zu neuen Songs. Für alle, die nicht selber Songs schreiben, ist der Benefit aber klar, die Möglichkeit Akkorde farbenreicher gestalten zu können, mehr Auswahl zu haben, wenn der Sänger oder die Produzentin meint, „kannst du den Akkord mal höher spielen, des mulmt so“ und und und …
Und wie trainiere ich das?
Im Endeffekt gilt auch hier das gleiche Konzept wie immer: Step by step. Man nehme sich einen der drei „diagonalen“ Wege vor, stelle sich das ganze auf dem Griffbrett vor und spiele die Voicings auf- und absteigend durch. Dann durcheinander. Immer auch die Funktionen der Töne sehend/wissend. Wo ist der Grundton? Wo die Terz und die Quinte? Hilfreich ist hier auch die Connection zu den bereits bekannten „Lagerfeuer“-Akkorden / Griffbildern. Klappt das mit dem ersten „Weg“ gut, kann man sich den zweiten vornehmen und zu letzt den dritten. Anschließend beginnt das experimentieren mit Optionstönen. Man spiele also alle Triads mit großer None statt dem Grundton oder als sus4 Akkord mit der reinen Quarte statt der Terz. Die Möglichkeiten sind schier endlich, aber jetzt weiß man, was man tut und wohin man greifen muss.
Gibt’s das auch mit mehr Tönen?
Klar, auch Vierklänge lassen sich derart realisieren. Da in enger Lage dann oft die Spannweite der Finger nicht ausreicht, macht es Sinn sich mit Drop2 oder Drop3 Voicings vertraut zu machen (Man dropt, als oktavwert, den zweiten Ton von oben eine Oktave nach unten).
Dadurch werden die Griffe wieder leichter spielbar. Auch hiervon kann man wiederum Umkehrungen lernen (immer wissend, wo ist GT, Terz, Quinte UND Septime). Anschließend kann man wieder Töne „ersetzen“ und Akkorde generieren wie sus4/7 (Terz wird durch Quarte ersetzt) oder Dur6 (Septime wird zur Sexte).
Aber dazu vielleicht ein andermal mehr, viel Spaß beim Üben und schreibt eure Fragen gerne in die Kommentare.
Hey Simon,
danke für die Workshops – i like wie man so jugendlich frisch heute sagt ;)
Grüße
Daniel
Hallo Simon,
besten Dank für die schöne Aufbereitung!
Das ist jetzt prinzipiell für einen alten Gitarrenhasen wie mich nicht alles neu, aber die Visualisierung ist sehr gelungen. Die Akkordformen im Shapes-Diagramm lassen insbesondere auch Variationen zu, über die ich vorher noch nie nachgedacht hatte.
Beim letzten Diagramm könnte man auch noch den Grundton auf anderen Saiten als der dritten und sechsten betrachten. Dann ergäben sich (1 + 2 + 3 + 3 + 2 + 1) = 12 Bilder, aber man hätte den kompletten Bereich des Gitarrenhalses abgedeckt.
Fairerweise muss man sagen, dass da einige Bilder ziemlich gleich aussehen würden, weil es ja nur eine Unstetigkeit bei der h-Saite gibt, ansonsten sind die Saitenabstände ja immer Quarten.
Auf jeden Fall ein prima Erkenntnisgewinn für mich!
Gruß
Fredi