Historische Filmaufnahme aus dem Siemens-Studio für elektronische Musik
Die Geschichte der Studios für elektronsiche Musik ist mittlerweile gut dokumentiert, doch ich fand es immer sehr schade, dass es kaum Bild und Filmaufnahmen aus der damaligen Zeit gibt. Durch die Popularität der elektronischen Musik in der Gegenwart traten auch die Studios wieder in den Blickwinkel des Interesses. Daher gibt es sehr viele aktuelle Filmaufnahmen, welche die erhaltenen Studios für elektronische Musik sehr gut beschreiben.
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Doch nun hat das Internet ein Video zugänglich gemacht, das die Arbeit im Siemens Studio für elektronische Musik in München in den 1960ern dokumentiert. In diesem Film wird eine elektroakustische Komposition von Josef Anton Riedl (1927 – 2016) produziert. Anscheinend wurde der Film für ein interessiertes Fachpublikum hergestellt, denn der Kommentar verzichtet auf einfache Erklärungen. Vielmehr stellt er detailliert die technischen notwendigen Einstellungen vor, die es auch heute noch ermöglichen könnten, diese Komposition nachzustellen. Damals war das Erstellen von elektronischer Musik ein sehr aufwendiger Prozess. Ich zähle mindestens drei Assistenten, die Josef Anton Riedl bei der Fertigstellung der Komposition behilflich sind.
Doch es ist auch überraschend, mit was für Technologien und Ideen gearbeitet wurde. Selbstverständlich ist der Lochstreifen Sequencer faszinierend. Es ist überraschend, dass damals schon ein Vocoder zur Verfügung stand. Man lies es sich nicht nehmen, Experimente mit der menschlichen Stimme durchzuführen, wie es manche Künstler und Künstlerinnen auch heute noch gerne machen. Es ist immer beeindruckend, wenn in historischen Aufnahmen Tonbandschnitte zu sehen sind, aber es ist eher selten, diese in der Flinkheit und Routine vorgeführt zu bekommen, wie es die unbekannte Assistentin erledigt. Natürlich gibt es Tapeloops zu sehen und Synchronisationen mussten per Stoppuhr durchgeführt werden.
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Diese historische Aufnahme ist auch deswegen interessant, weil der Kommentator fast nur deutsche Fachbegriffe nutzt, während sich heutzutage die englischen Bezeichnungen für die Elemente der elektronischen Klangerzeugung durchgesetzt haben. Ebenfalls empfehlenswert ist das Interview von 2013 mit Josef Anton Riedl anzusehen, in dem er seine Geschichte, Arbeitsweise, Methoden und die Gründe erzählt, warum Siemens sich ein Studio für elektronische Musik leistete. Dieses hat er von seiner Entstehung 1959 bis zu seiner Schließung 1966 geleitet. Das Siemens-Studio für elektronische Musik kann im Deutschen Museum in München besichtet werden.
Ich habe es mir angesehen und mit 14 Minuten ist es auch keine übermäßige Zeitstrapazierung. Das es sehr technisch erklärt ist kann man bestätigen. Aber im Grunde genommen: wenn man Begriffe wie Vocoder, Modulation oder Sinus kennt, komme man schon gut zurecht. Spannend wie sich die Zeiten durch den PC geändert haben. Das was im Video noch mit großer Gerätschaft gemacht wird, nämlich Sinustöne erzeugen und diese Spuren mit akustischen Elementen miteinander zu neuen Tönen vermischen, macht heutzutage jede DAW um ein vielfaches. Ein kurzes und empfehlenswertes Zeitdokument deutscher musikelektronischer Geschichte.
Ich hab’s mir auch angesehen, und ich als alter Computer-Freak (»Freak« als Bezeichnung aus einer Zeit, als das Wort »Nerd« noch nicht gebräuchlich war) habe die 14 Minuten am Bildschirm GEKLEBT!
Absolut faszinierend, was die damals auf die Beine gestellt haben.
Lochstreifen als MIDI-Sequencer vorweg genommen, erweitert um das, was wir heute in Sequencern als »Modulation Lanes« bezeichnen würden.
Das Morphen von Wellenformen kennen wir heute auch als Fast-Schon-Standard in Synthesizern. Damals halt »nur« Sinus zu Rechteck.
Filtern eines Sägezahns mit Hilde von Bandpassfiltern. Auch das kennen wir heute (Low-Pass-Filter sowieso). Später kam dann die Additive Synthese, also zusammensetzen aus harmonischen Sinus-Schwingungen.
Und dann, mein Liebling: Erschaffen von neuen Klangfarben, indem man arpeggioartig verschiedene Sounds schnell hintereinander abspielt (hier mit 1/64tel Sekunde). Auf dem C64 hat – glaube ich – unser deutscher Chris Hülsbeck das Verfahren als erster für Spiele-Musiken eingesetzt, um so mit nur einem Soundkanals Akkorde spielen zu können.
Schade, dass Siemens das Potential für Musiker nicht erkannt und selber einen Synthesizer gebaut hat. Vielleicht hätte es sonst eine Art »Schrank-Synthesizer« von Siemens gegeben.
Aber trotzdem und noch einmal: Absolut erstaunlich, was die damals gemacht haben. Großartig! Und Danke an Sven für das tolle Fundstück! 🙂👍
@Flowwater Wer ist Hilde…?
🤣🤣🤣
@THo65 Kennst Du etwa nicht die berühmte Hilde von Bandpassfilter, jene Adlige, die anno dazumal auf die Idee kam einen Hochpassfilter und einen Tiefpassfilter zusammen zu schalten? Die ist ähnlich berühmt wie »Ada Lovelace« in der IT. Also wirklich … die ist übrigens eine Cousine von »Melitta Bentz«, die später dann das Kaffefilter erfunden hat.
( und, nein, das stammt nicht von ChatGPT, so einen Schwachsinn kann ich mir gut selber ausdenken 😁 )
@Flowwater Siemens kaufte ja dann Nixdorf (ehem. deutscher Computerhersteller) auf und in dem Verbund hätte man das sich richtig gut vorstellen können.
@Filterpad Jepp! 👍
@Flowwater Danke schön,
auf Grund von einer kurzen Sommerfrische kam ich jetzt erst zum Antworten:-) Leider gibnt es nicht so viele Filme.
Sehr informative Reise in die 60er Jahre, wo sehr ernsthaft und präzise im Anzug und Krawatte mit elektronischer Musik experimentiert wurde.
Lächeln scheint verboten zu sein. Frauen ist der Platz am Tonband vorbehalten. Das ist alles noch nicht so lange her.
@Stratosphere > […] sehr ernsthaft und präzise im Anzug und Krawatte […]
> […] Lächeln scheint verboten zu sein. Frauen ist der Platz am Tonband vorbehalten. […]
Das schoss mir auch durch den Kopf. Und das war vermutlich genau der Grund, warum Siemens aus diesen Erkenntnissen kein marktfähiges Produkt für Musiker entwickelt hat. Spaßige Kreativität scheint verpönt zu sein. Die haben sich damals genau deswegen vermutlich selber im Weg gestanden, um einen oder mehrere Schritte weiter zu denken. Und dann kamen Onkel Don (Buchla), Onkel Bob (Moog), Onkel Alan Robert (Pearlman, ARP) und Onkel Tom (Oberheim) und haben die Musikwelt revolutioniert.
Die Ernsthaftigkeit kann aber natürlich auch den Filmaufnahmen geschuldet sein. Das was man dort an Gerätschaften sieht, hat damals vermutlich mehrere 100.000 DM gekostet. Das kann schon einschüchtern. Und dann noch ein Filmteam um sich herum haben, das ähnlich ernsthaft zu Werke geht … da kommt dann schon so etwas bei raus.
Und ganz ehrlich: Einen Siemans-Manager im Gespräch mit Pete Townshend, der damals vorwiegend dadurch auffiel, dass er mit seiner Band auf der Bühne die Instrumente zertrümmert hat … hmm … das kann ich mir auch schlecht vorstellen. 😁
@Stratosphere Die Doku finde ich jetzt nicht so spannend. Aber die Frauen waren damals echt stilvoll, Wahnsinn 😍
Mit der Enstehung der elektronischen Musik sahen viele Künstler die Emanzipation der Musik vorraus – als eine Art Befreiung vom eigentlich klassischen Instrument. Endlich konnte der Musiker selbst entscheiden, in welchen Tönen sein Musikstück erklingen soll und war nicht eingeschränkt von den Vorgaben eines Instruments. Das war damals revolutionär, ähnlich wie in der modernen Malerei die Abkehr, die Natur auf die Leinwand wiederzugeben.
Viele Künstler machten sich die neue Technik zu Nutzen. Da kam viel Skuriles heraus, was man nicht unbedingt alles verstehen muss – eine Abfolge von Klängen, Geräusche oder einfach nur Krach.
Nach der Befreiung des Klanges, kamen dann einige Künstler auf die Idee die Musik auch vom Ort und Zeit zu befreien. 12 Stunden lange Aufführungen oder Konzerte die mitten in der Aufführung abbrachen, um dann 2 km entfernt weiter aufgeführt zu werden – und das Publikum wanderte mit…
Es war eine Zeit des Aufbruchs „in die Moderne“. Für uns nun ein Blick in die Vergangenheit.
@Phoenix > […] Viele Künstler machten sich die neue Technik zu Nutzen. Da kam viel Skuriles heraus […]
Zum Glück gibt es auch heute immer noch Künstler, die auf Konventionen pfeifen und ihr eigenes Ding durchziehen. Und damit sogar mehr oder minder bekannt wurden. Ich denke da an Gas (Wolfgang Voigt), Alva Noto (Carsten Nicolai), monolake (Robert Henke), Vladislav Delay (Sasu Ripatti) und Autechre.
Ich habe mir sogar den 3stündigen Opus »Trilogie de la Mort« von Éliane Radigue gekauft, das im Wesentichen aus einem einzigen sich stetig verändernden Ton besteht (gibt’s bei Bandcamp, empfohlen übrigens von Oora auf YouTube).
Sehr viel davon läuft bei mir zuhause, wenn ich mal Musik höre. »Normale« Musik – am besten noch die aktuellen Charts – kann ich beim besten Willen nicht mehr ertragen. Bei mir muss Musik auch immer ein bischen »weh tun«. Das macht den Kopf frei, bringt einen auf Ideen.
@Sven
Vielen Dank, dass du diese beiden Zeitdokumente aufgestöbert hast. Das eindrucksvolle Interview mit Josef Anton Riedl ist sehr interessant und persönlich.
Seine „Notationen” der musikalischen Ideen und Klänge und der gewollten persönlichen Interpretation fand ich sehr spannend und nachvollziehbar; ohne dass man seine Ideen hört, entstehen sie dennoch sofort im Kopf.
@herw Danke,
ich war in Sommerfische, daher mein späte Antwort. Eine Sprache zu entwickeln, die man lesen kann, ist gar nicht so einfach. Ruckzuck kann man es nicht mehr entziffern und im Fall von Musik, kann man vieles hören, aber nicht verstehen. Jarre meinte mal, dass Exemplare von Oxygene zurück geschickt wurden, weil das Rauschen am Anfang als Herstellungsfeher interpreriert wurde. Bei Klaus Schulze haben die Leute noch geredet, obwohl das Konzert schon angefangen haben und sie dachten er stellt was ein. Interresant fand ich, dass Adorno gar nicht verstanden hat, was Riedl da macht und ich kenne auch noch viele Musikerkollegen, die es bis heute untereichen würden, dass sie nicht mehr auf der Suche nach einem Thema sind. SO Modern!
Interessante Doku, wie man damals versucht hat, neue Wege zu gehen.
Aber auch typisch deutsch, nüchtern präsentiert wie der Wetterbericht…
@THo65 Wenn du es lieber etwas unterhaltsamer hättest such mal nach Heinz Funk (kein Witz) … da wird auch mal gelacht.
Danke Sven! Solche Berichte samt Links sind einfach Gold wert!
@Findus Danke,
ich war in Sommerfische, daher mein späte Antwort. Genau deswegen teile ich sie mit euch :-)
… ich kann mich den vorherigen Kommentaren nur anschliessen. Es ist wirklich erstaunlich was damals technisch schon möglich war, wenn auch mit großem Aufwand. Musikalisch hat mich das Ganze aber ein wenig an „Hurz! Der Wolf, das Lamm“ erinnert, aber das ist ja subjektiv. :-)
mit welch ernsten Gesichtern man vor einem Frequency-shifter saß, 🧐
man muss schon schmunzeln 😁
Hier gibt es was auf die Ohren (53 Minuten, mp3):
»Speicher – Tonspuren aus dem Siemens-Studio für elektronische Musik von Michaela Melián«
https://www.br.de/mediathek/podcast/hoerspiel-pool/michaela-meli-n-speicher/30889
Meckelreiter:
„Moderne Kompositionen erfordern geistige Mitarbeit. Das Verständnis für zeitgenössische Musik ist außerdem eine Gewohnheitsfrage. Das geht natürlich nicht so glatt ins Ohr wie Peter Alexander!“
die „granulare wolke“ am Anfang ist eigentlich nett,
leider haben sie es dann mangels technischer Möglichkeiten mit frequencyshifter versaut. nach dem ich daß gesehen haben wundere ich mich überhaupt nicht mehr warum „neue Musik“ so bescheiden klingt, wenn die das alle gemacht haben. 😆
Frage an die Experten:
was ist das für ein interessantes Hallgerät bei 5:44? Sieht aus, wie direkt aus der Enterprise gestohlen (TOS…gleiche Zeit…60er). Faszinierend!
Und zur Ernsthaftigkeit:
mein Vater war zu der Zeit dieses Films in seinen 40ern, Lehrer und ebenfalls immer in Anzug und Krawatte.
Als er 18 war und Klavier, Klarinette und Komposition studiert hat um Berufsmusiker zu werden, hat man ihm eines Tages ein Gewehr in die Hand gedrückt und in den Krieg geschickt. Und was er dort erlebt und gesehen hat, darüber wollte er nie reden…
Meine Mutter (ein Jahr jünger ) hat in der Zwischenzeit über Monate fast jeden Tag im Luftschutzkeller um ihr Leben gezittert.
Beide hatten nach dem Krieg kein Kriseninterventionsteam oder irgendeine Therapie zur Verfügung. PTSD war auch noch kein Begriff (zumindest nicht hierzulande)… Und vielen dieser Generation ist das bis zuletzt in den Knochen gesteckt…
Diese Generation ist nicht im Spaß und mit TikTok-Challenges aufgewachsen. Kein Wunder, dass die alle irgendwie „ernsthaft“ waren.
(Weil Dirk Matten oben Loriot zitiert hat: es gibt eine brillante Analyse von Patrick Süßkind, der Loriots absurden Humor genau aus diesen Kriegserfahrungen heraus erklärt.)
Just my 2cc… 🤔
PS: hab mir gerade das Interview mit J.A.Riedl angesehen (gleicher Jahrgang wie mein Vater). Interessant: als er über seine Kriegserlebnisse erzählt, fällt gleIch das Wort „ernsthaft“…