Waza Tube Amp - dein Vollröhrenamp als Preamp?
Eins muss man Boss lassen, Langeweile kommt bei einer der größten Trademarks im Instrumentensektor nicht auf. Wenn auch nicht alle neuen Produkte der letzten Zeit einen klanglichen Volltreffer darstellten, so kann man dem asiatischen Unternehmen wahrlich keinen Stillstand in Sachen Produktpolitik vorwerfen. Mit dem Boss Waza Tube Amp Expander wagt sich Boss in einen Bereich, der von tonalen Tretminen nur so strotzt! Man plant nichts Geringeres, als die komplette Lautstärken- und Soundverwaltung eines Vollröhrenamps Live und im Studio ohne die baulich bedingten klanglichen Verluste jenseits des klanglichen Peak. Kann man eine Ambition höher ansetzen? Ich glaube kaum!
Das Konzept des Boss Waza Tube Amp Expander
Durch die Neuauflagen verschiedener Boss Bodeneffekte unter dem Label „WAZA“ hat sich die nicht mit dänischem Knäckebrot zu verwechselnde Trademark einen guten Ruf unter Gitarristen erarbeitet. Sich dessen bewusst, hat Boss dieses Schlagwort auch seinem neuen Produkt verpasst, was sich als Schweizer Armeemesser in Sachen Röhrenverstärkerverwaltung präsentiert.
Das Hauptverkaufsargument ist eine neu konzipierte Load-Box, deren Funktionsumfang weit über die üblichen Load-Boxen hinaus geht und deren Hauptprobleme minimieren soll. Später mehr dazu. Des Weiteren offeriert das Produkt einen FX-Loop und eine Speaker-Simulation für Direkteinspeisung zzgl. Effekten wie Kompressor, EQ, Delay und Reverb. Auch die Mikrofontypensimulation und deren Abstand zum Lautsprecher können variiert werden und mittels einer App im Rechner in bis zu 10 Rigs verwaltet werden.
Die Load-Box des Waza Tube Amp Expander
Manchmal ist es sehr wichtig, einen einzelnen Satz einer Produktbeschreibung bis zum Ende zu lesen. Ich gebe zu, als ich das Wort „Load-Box vor einem Vintage-Amp“ hörte, fiel insgeheim bereits die interne Klappe bei mir. Wie oft habe ich in meinem Leben schon den vollmundigen Ankündigungen verschiedenster Hersteller gelauscht, welche immer mit dem Argument des „identischen Sounds bei Zimmerlautstärke“ geworben haben und wie oft sind diese allesamt kläglich gescheitert.
Die Lautstärke eines Vollröhrenamps herunterzusetzen, ist sehr einfach. Einfach ein paar Lastwiderstände in Reihe löten, für Kühlung sorgen, fertig. Was dabei aber komplett auf der Strecke bleibt, ist die Interaktion des Verstärkers mit dem Lautsprecher, der je nach Auslenkung, Größe, Wattzahl und Magneten chaotische Rückströme generiert, die im Zusammenspiel mit der Endstufe des Verstärkers eine Art Give-And-Take erzeugt. Jedes Bauteil interagiert mit jedem anderen Bauteil, was mit einem einfachen Lastwiderstand eine Kastration erfährt und mit einem ebenso „eierlosen“ Sound einhergeht. Was haben wir in den Achtzigern nicht alles für grauenhafte Sounds diesbzgl. erfahren müssen!
Sich dessen bewusst, offeriert Boss eine Schaltung mit dem Namen „Reactive Load“. Der Boss Waza Tube Amp Expander soll damit nicht nur die Ausgangslautstärke des Verstärkers bei Bedarf stufenlos minimieren können, sondern auch die Resonanz verschiedener Boxen und Lautsprecher über die Regler Resonance-Z und Presence-Z variieren können. Laut Handbuch lassen sich verschiedene 4×12“ Boxen mit Celestion Vintage 30, Greenbacks, G12T-75 oder auch Fender und Vox Combos mit entsprechenden 10“ Alnicos oder Jensen Speaker nachbauen. Die eingebaute 100 Watt Endstufe hebt das lautstärkenreduzierte Signal dann wieder auf die finale Bühnen- oder Proberaumlautstärke an.
Ich gebe zu, die Produktinformationen machen neugierig. Sollten sich die Ankündigungen bewahrheiten, wäre zumindest Live der Stein der Weisen gefunden. Ich sehe schon ganze Heerscharen von FOHs der Firma Boss auf den Knien dankend die Venues bevölkern, weil endlich das ewige Argument der Gitarristen „der klingt nur laut gut“ auf die Resterampe von vorgestern verbannt würde. In meinem Equipment Arsenal findet sich u. a. exakt ein Boss Preset (Marshall JCM 800 + Marshall 4×12“ Closed + Celestion G12T-75), von daher bin ich sehr gespannt, wie der Boss Waza Tube Amp Expander das Original im A/B-Vergleich abbildet. Sehr gespannt bin ich allerdings auch, wie ein G12T-75 klingt, wenn er einen Vintage 30 simulieren soll. Bei aller Euphorie, ein Hauch von Skepsis will einfach nicht verschwinden.
Im Übrigen kann man das Prinzip der Load-Box auch Reverse fahren. Ein knuffiger Fender Tweed Champ z. B. mit seinen 5 Watt Ausgangsleistung kann über dieses Prinzip auch auf 100 Watt aufgeblasen werden und somit einem dynamisch spielenden Drummer bei Bedarf Paroli bieten.
Die Vorderseite des Boss Waza Tube Amp Expander
Dass man die Ströme eines Vollröhrenamps nicht allein mit Digitaltechnik in den Griff bekommt, erklärt sich von selbst, womit sich auch das stramme Gewicht von 6,8 kg erklärt. Boss zeigt übrigens einmal mehr den Sinn für die Praxis, indem sie dem Boss Waza Tube Amp Expander extra hohe Gummifüße verpasst haben. Das Gerät wird wohl vornehmlich auf dem Gitarrentop Platz nehmen und schafft es durch die hohen Füße, oberhalb des Tragegriffs zu bleiben. Ich liebe praxisgerechte Details! Boss liefert allerdings auch zwei Rackflügel mit, so dass das Produkt auch ggf. in einem 2-HE-Rack seinen Platz finden kann.
Ganz links startet das Panel mit der Load-Box und seinen drei Reglern. Weiter rechts befindet sich der Wahlschalter für die 10 unterschiedlichen Rigs, die sich auch mit einem Fußschalter abrufen lassen. Zudem gibt es noch einen Reverb-Regler, der per Software zwischen 3 verschiedenen Räumen wählen kann. Über vier Druckknöpfe können der FX-Loop, die Effekte, eine Soloschaltung und der Amp an sich aktiviert oder deaktiviert werden. Ein Line-Out-Regler verwaltet den Ausgangslevel zum FOH/Studio-Mixing-Desk und ein Phones-Regler kümmert sich um die Lautstärke des Kopfhörerverstärkers. Dann noch der ON OFF-Schalter plus Betriebs-LED, fertig.
Die Rückseite des Boss Waza Tube Amp Expander
Sehr umfangreich gestaltet sich auch die Rückseite des Boss Waza Tube Amp Expander. Insbesondere die Line-Out-Sektion und der FX-Loop-Bereich wurde in jeder Hinsicht aufwändig aufgearbeitet, um jegliche Form von Bodenpedalen oder 19“ Technik im Signalweg unterzubringen. MIDI In/Out nebst 3 Fußschalter-Inputs verwalten sämtliche Schaltvorgänge, welche die unterschiedlichen Presets verwalten.
Der Boss Waza Tube Amp Expander in der Praxis
So, die Spannung ist hoch, als ich mein Setup für die Soundfiles zusammensetze, zumal Vorzeige YouTuber Tom Quayle in einem knapp 9-minütigen Boss Werbevideo keinen Superlativ auslässt, um den Boss Waza Tube Amp Expander als das heißeste Eisen seit der Etablierung des Kemper Algorithmus anzupreisen.
Nun denn, wir nehmen einen Original Marshall JCM 800, Modell 2204 und packen eine Marshall 4×12“ mit Celestion G12T-75 hinten dran, eben besagtes Preset, das Boss u. a. in seinen Werkseinstellungen emulieren möchte. Eine schöne durchschnittliche Klangeinstellung, Gain auf Anschlag, Master auf 12 Uhr. Mikrofoniert wird das Ganze mit 2 Stck. SM57 nach der Fredman Methode, also alles einmal die ganze Standard-Abteilung durch. Entsprechend ist der Sound. Mit einer Fame Ironfinger Forum IV als Signalgeber ist der Klang offen, druckvoll, hochdynamisch mit dem klassisch kehligen Grundsound, den diese Kombination ausmacht, faktisch die Blaupause des New-Wave-Of-British-Heavy-Metal. Iron Maiden, Saxon, Judas Priest, you name it. Nun die Frage, kann der Boss Waza Tube Amp Expander diesen Klang mit seiner DSP-Power authentisch nachbilden? Die kurze Antwort: nein.
Die lange Antwort: Im direkten Vergleich zu dem Original kämpft auch der Boss Waza Tube Amp Expander mit den gleichen Problemen, wie sie auch von allen anderen Reducern praktiziert werden. Der Klang ist undynamischer, undurchsichtiger und vor allem kraftloser. Was im Proberaum oder auf der Bühne im Bandkontext evtl. nicht ganz so stark wahrgenommen wird, zeigt sich im A/B-Vergleich im Studio umso mehr. Sobald der DSP seine Arbeit aufnimmt, verliert der Sound an Charakter.
Dies muss nicht heißen, dass der gelieferte Klang schlecht ist, er kann nur nicht an die Qualität des Originals anknüpfen. Und hier beißt sich meines Erachtens der Hund in den eigenen Schwanz. Wenn es darum geht, gut bis sehr gut klingende Amps auf die Bühne oder ins Studio zu bringen, gibt es eine ganze Armada von hervorragend klingenden Verstärkern, die auch auf kleinen Club-Bühnen in moderater Lautstärke den ganz großen Ton bieten. Boss hingegen hat als Zielgruppe die zugegebenermaßen schwierige Bande von Vintage-Amp-Nerds ins Visier genommen und da könnte es meines Erachtens Probleme geben.
Interessiert war ich natürlich auch am Klang der anderen Lautsprecher-Emulationen, was mich allerdings leider auch nicht wirklich umstimmte. Nimmt man als Beispiel die Emulation eines Celestion Greenbacks im „Classic Stack“ Preset und vergleicht es mit dem G12T-75 aus dem „Brit Stack“. Im Original liegen klangliche Welten zwischen den Lautsprechern, hier tönen die beiden Sounds annähernd gleich. Man kann halt aus einem G12T-75 nicht auf Knopfdruck einen Greenback machen. Um es noch mal klar zu stellen, der Boss Waza Tube Amp Expander produziert gute Sounds, die klanglich zumeist weit über dem liegen, was andere Hersteller als Emulation verkaufen.
Der Vollständigkeit halber habe ich auch noch 2 Presets aus den Werkseinstellungen der Rigs aufgenommen. Die klangliche Bewertung sollte jeder für sich selbst treffen.
Herzlichen Dank, für den ehrlichen Test!
Das Prinzip könnte die weitergedachte Entwicklung der Fryette Power Station PS2 und/oder des Fryette Valvulator GP/DI und der höhere Preis dem DSP geschuldet sein.
Hey Axel, klasse Test und ein ehrliches Fazit. Ich finde es immer wieder interessant zu lesen, dass trotz aller Rechenpower und DSP Algorithmen die „analoge“ Technik das meiste Feeling rüber bringt. Vielleicht liegt es daran, dass der Mensch auch einfach nur analog ist :-). Danke!
@Jörg Hoffmann Hi Jörg, danke für das Lob. Im Prinzip macht das BOSS nicht schlecht und das Ergebnis wird für viele Live Shows ausreichen, aber es schätze, es wird noch einige Zeit dauern, bis die perfekten Algorithmen gefunden wurden.
Oder aber der Zuhörer ist so lange mit emulierten Sounds versorgt worden, dass er die DSP Abteilung für die Basis hält und ihm die Originale klanglich ungewohnt erscheinen. Für die „Next Generation“ zählen ohnehin schon ganz andere Punkte, als was mir zu Beginn meiner Karriere wichtig war, mal sehen ob man sich in ein paar jahren überhaupt noch für die Original Sounds interessiert.
@Axel Ritt Ich habe mir deswegen noch einen VOX AC15 gesichert :-).
Musikgeschmack unterliegt Wellen und ich sehe es für uns ältere auch als Aufgabe, die „alten Werte“ zu vermitteln. Songwriting, Instrumentenbeherrschung, Mixing, Mastering. Was ist der unterschied zwischen einem Song, der aus echten Emotionen heraus entstanden ist und einem durchproduzierten „Plastikprodukt“? Meist hören einem auch jüngere Leute zu, wenn man die Entstehungsgeschichte von Tears in Heaven oder einem Album wie Back in Black erzählt.
Und deswegen ist es mir immer eine Freude zu lesen, wenn oldschool (noch) vorne liegt. Und das hat nichts mit „Opa erzählt vom Krieg“ zu tun. Die Wurzeln der Musik sind wichtig – darauf basiert alles. Auch Britney, Bieber & Co.
Das hört sich nach einem vernichtenden Kommentar an.
Hier wäre es jetzt wichtig . . Einmal den Vergleich zum OX Amp zu ziehen.
Schliesslich geht es am Ende ja um Kaufberatung im Hochpreissegment.
Allerdings war der Autor des Ox Amp Tests ein anderer ….
Hallo Rainer,
ein „vernichtender Kommentar“ ist der Test keineswegs, es geht lediglich darum, ob das Produkt das Original klanglich möglichst identisch abbildet. Der generelle Sound des Produktes ist nach wie vor gut. Außerdem muss man sich immer vor Augen halten, im cleanen oder Crunch Bereich arbeiten viele aktuelle Load Boxen sehr gut, sie versagen hingegen primär im Lead- und High Gain Bereich. Es hängt also sehr viel davon ab, welche Sounds eingespeist werden.
Bzgl. des Universal Audio OX, hierzu kann ich leider nichts sagen, ich hatte das Produkt noch nicht in meinen Händen. Bisher habe ich auch bei diesem Produkt nur cleane und crunchige Sounds gehört, welche recht ordentlich wirkten. Bzgl. High-Gain, keine Ahnung …
Letztendlich ist die Lösung doch eigentlich immer ganz einfach, man muss lediglich den Verstärker den Lokalitäten anpassen, wie man es ja auch mit dem passenden Instrument macht. B.C.Rich Beast für Jazz oder eine ES für High-Gain? Undenkbar.
Im Studio und auf großen Open Air Bühnen, gerne mal den Non Master Vintage Knüppel n 60 – 80 Watt Speakern in der 4×12″ Box ordentlich aufreissen und für den kleinen Club Gig entsprechend einen passenden 10 oder max. 20 Watt Lunchbox Amp mitnehmen, 25 – 30 Watt Speaker in die Box und als Sidefill aufbauen, alles perfekt.
@Axel Ritt Hallo Axel,
Danke für die sehr ausführliche Antwort.
So wie ich das sehe, kann man hier eigentlich nicht von einer analogen reaktive Load sprechen.
Wenn ich das Flussdiagramm richtig deute dann wird das analoge Signal analog runtergeregelt und durchläuft zwangsweise die Digitalsektion um auf den gewünschten Aushangslevel digital verstärkt zu werden.
Die Beigabe von Reverb, Delay etc. dient der preislichen Aufwertung, ändert aber im Kern – also an den digital-bedingten Abweichungen zwischen Original und Kopie – nix.
Aus meiner Sicht ist das technologisch keinesfalls besser als die Power Station oder der Ox Amp, mit dem ich in Verbindung mit meinem Jtm 45 vollends zufrieden bin.
Man muss halt gewisse Abstriche machen.