Dynamisches Großmembranmikrofon mit Retro-Flair
Retro ist in – weltweit erleben wir eine große Retrowelle. Die Preise für alles, was irgendwie alt wirkt, sind geradezu explodiert. In Sachen Musik sind es die Schallplatte, analoges Equipment, Mikrofone, die Bandmaschine und sogar der Kassettenrecorder. Manchmal ist es auch einfach die Optik, die es uns angetan hat. Gitarristen können davon ein Lied singen. Bei Bühnenmikrofonen gibt es wenig Abwechslung. Während im Studio schon länger ein Retrotrend zu beobachten ist und Hersteller gerne das Design alter Klassiker kopieren, geht es auf der Bühne deutlich langweiliger zu. Dabei gab es auch hier einige interessante Designs. Eines davon ist das Astatic 77, das nun als CAD Audio A77 wieder das Licht der Welt erblickt.
Inhaltsverzeichnis
CAD Audio
1931 wurde die Astatic Corporation gegründet. Diese entwickelte das auf dem Piezomikrofonverfahren basierende Radiomikrofon D-104 und in den Folgejahren Tonabnehmer für Schallplattenspieler sowie Aufnahmeköpfe. Weitere Mikrofone kamen im Laufe der Jahre hinzu und insbesondere Mikrofone mit umschaltbarer Richtcharakteristik erfreuten sich großer Beliebtheit. 1988 wurde mit CAD (Conneaut Audio Devices) Professional Microphones eine Pro Audio-Abteilung gegründet. Bis heute werden unter dem CAD Audio Label Mikrofone gefertigt.

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CAD Audio A77
Das CAD Audio A77 beruht auf dem Design des originalen Astatic 77, das wiederum an das Design des Shure 55S angelehnt ist. Letzteres ist auch als Elvis-Mikrofon bekannt geworden, obwohl auch viele andere bekannte Künstler der damaligen Zeit dieses Mikrofon auf der Bühne genutzt haben. Auch bei Reden von Politikern und bei Radiosendern wurde das Shure 55S oft eingesetzt. Das Astatic 77 aus dem Jahr 1957 sah ähnlich aus. Es wurde ebenfalls seitlich besprochen. Zum 90-jährigen Bestehen der Firma wurde das Astatic 77 als CAD Audio A77 neu aufgelegt. Trotz moderner Fertigungsmethoden und aktueller Bauteile orientiert sich das Mikrofon am Sound des Astatic 77.
Bestückt ist das CAD Audio A77 mit einer Großmembran. Als dynamisches Mikrofon beruht die Schallwandlung auf dem Induktionsprinzip, bei dem ein Leiter in einem Magnetfeld bewegt wird. Die Updates des klassischen Designs umfassen die moderne TrueFlex-Membran und den PowerGap Neodymium Magnet für eine höhere Ausgangsleistung.
Das CAD Audio A77 Mikrofon besitzt eine Supernierencharakteristik. Sein Frequenzgang reicht von tiefen 30 Hz bis circa 15 kHz. Die Empfindlichkeit wird vom Hersteller mit -48 dBV bei 1 Pascal angegeben, die Impedanz mit 500 Ohm. Das Mikrofon verträgt sehr hohe Schalldrücke von über 150 dB SPL. Das Gehäuse besteht aus Messing. Neben dem klassischen Design mit „Gold Finish“ ist auch unter der Bezeichnung CAD Audio A77Bk eine schwarze Variante erhältlich.
Das Mikrofon sitzt auf einer Halterung, die zugleich die Stativaufnahme beherbergt sowie den Anschluss für das XLR-Mikrofonkabel. Das Mikrofon lässt sich auf dieser Halterung nach vorne und hinten kippen. Auf diese Weise lässt es sich gut auf den Mund ausrichten.
Lieferumfang des Großmembranmikros
Ausgeliefert wird das CAD Audio A77 Mikrofon in einer Pappschachtel. Während diese in einem Retrodesign gehalten ist, ist die Produktverpackung des CAD Audio A77BK eher nüchtern.
Im Karton befindet sich jeweils das Mikrofon und ein Faltblatt mit einigen wenigen technischen Daten sowie eines Abdrucks des Polar Patterns für die Richtcharakteristik. Beim A77 liegt ein weiteres großes Faltblatt bei, das mit der originalen Konstruktionszeichnung des Astatic 77 bedruckt ist. Im Karton des A77BK ist eine um die Hälfte verkleinerte Version in den Deckel eingeklebt. Das war’s auch schon, mehr gibt es hier nicht zu berichten.

Während dem CAD Audio A77 eine Kopie der originalen Produktionsskizze aus den 50er-Jahren beiliegt, ist diese im Produktkarton des A77Bk verkleinert im Deckel abgedruckt
Was fehlt
Die fest montierte Halterung mit der Stativaufnahme besitzt ein 5/8“ Gewinde. Das ist alles gut und schön, doch die meisten Mikrofonstative sind für 3/8“ Gewinde ausgelegt. Es wird also ein entsprechender Adapter benötigt. Dieser liegt leider nicht bei und sollte dementsprechend beim Kauf des Mikrofons nicht vergessen werden. Was mir außerdem fehlt, sind genauere technische Daten. So fehlt zum Beispiel eine genaue Angabe zur Membrangröße. Angegeben wird, dass es sich um ein Großmembranmikrofon handeln soll. Als Großmembran sind Membranen definiert, die einen Membrandurchmesser von 1“ oder größer besitzen. Auch ein Messdiagramm für den Frequenzgang liegt nicht bei. Das mag alles sekundär wirken, aber das gehört für mich einfach mit dazu. Fehlerhaft ist die Angabe des Gewichts. Hier wird auf dem „Beipackzettel“ ein Gewicht von 790 g angegeben, was sich allerdings beim eigenen Nachwiegen als falsch erweist. Richtig sind 448 g.

Auf ein Stativ montiert bleibt für einen XLR-Stecker nur wenig Platz. Das Mikrofon lässt sich kippen und somit gut auf den Mund ausrichten.
Anwendungsgebiete
Als dynamisches Mikrofon bietet das CAD Audio A77 ein weites Anwendungsfeld. Durch die hohen Schalldrücke kann es genauso vor Blechbläsern verwendet werden wie im Prinzip auch an einem Schlagzeug. Bei Letzterem verhindert allerdings das Design eine vernünftige Positionierung. Anders sieht es hingegen bei Percussion aus, zum Beispiel an Bongos oder Congas. Der Haupteinsatzbereichs dieses Mikrofons dürfte allerdings bei Vocals liegen. Egal ob im Studio, auf der Bühne oder für die Produktion von Social Media-Beiträgen, das Mikrofon macht dort auch optisch eine gute Figur.
Das Mikrofon ist mit 448 g kein Leichtgewicht. Es ist jedoch leichter als das legendäre ElectroVoice RE20 oder das Shure SM7B. Das spielt auch keine große Rolle, denn man hält es ja schließlich nicht in der Hand. Es sollte dennoch auf einen stabilen Mikrofonständer montiert werden. Auf der Bühne sieht man Mikrofone wie das CAD Audio A77 in der Regel auf Mikrofonstativen ohne Schwenkarm. Das ist auch optisch die beste Variante.
CAD Audio A77 in der Praxis
Wie immer bei meinen Mikrofontests, habe ich das Mikro der üblichen Testprozedur unterzogen. Dazu gehört zunächst einmal die Montage auf einem Stativ, das Verkabeln, das Einpegeln und schließlich der Hörtest mit der parallelen Aufnahme, um das Signal auch im Nachhinein noch einmal in Ruhe beurteilen zu können.
Zunächst einmal musste ich ein Reduziergewinde einsetzen, um das Mikrofon auf einem meiner K&M-Mikrofonstative zu montieren. Nach dem Aufschrauben auf das Stativ wurde schnell klar, dass nur noch wenig Platz verbleibt, um den XLR-Stecker des Mikrofonkabels einzustecken. Glücklicherweise hat der Hersteller daran gedacht, den Anschluss um 90 Grad zu drehen, sodass die Verriegelung seitlich sitzt und nicht bei 0° oder 180°, wie es sonst bei Mikrofonen üblich ist. So gelingt es dann trotz des geringen zur Verfügung stehenden Platzes noch, das Kabel einzustecken und zu entfernen.
Das Mikrofon hat einen ausreichend hohen Ausgangspegel für ein dynamisches Mikrofon, sodass auch Vorverstärker mit bis zu 60 dB Gain damit klarkommen.
Beim ersten Einrichten fällt gleich ein Punkt sehr negativ auf: Körperschall wird vom Mikrofon leider sehr gut übertragen. Schon leichte Berührungen am Kabel sind deutlich zu hören und erst recht jede Berührung des Stativs. Was im Studio vielleicht nicht ganz so stark ins Gewicht fällt, ist auf der Bühne ein großes Problem. Wer sich ein Mikrofon wie das CAD Audio A77 als Bühnenmikrofon zulegt, nutzt dieses meistens auch für Musik im Stil der 50er- und 60er-Jahre, also R’n’B, Rock’n’Roll und andere. Dazu gehört dann auch die entsprechende Bühnen-Show und diese Stile sind nicht dafür bekannt, dass ein Sänger oder eine Sängerin still hinter dem Mikrofonstativ steht. Auch Schall über den Bühnenboden überträgt sich trotz der Entkoppelung durch das Stativ auf das Mikrofon. Da hilft auch kein Lowcut-Filter.
Ansonsten klingt das Mikrofon sehr präsent und durchsetzungsfähig. Es gibt einen deutlichen Nahbesprechungseffekt, wenn man sehr nah an das Mikrofon herangeht. Bei einem Abstand von 5 bis 7 cm hält sich dieser aber in Grenzen. Hier reicht das Begrenzen von Frequenzen unter 100 Hz bei Männerstimmen und unter 120 Hz bei Frauenstimmen mit einer geringeren Flankensteilheit vollkommen aus. Bei sehr naher Besprechung ist ein Lowcut bei 80 Hz oder 100 Hz mit höherer Flankensteilheit dennoch sinnvoll. Außerdem sollte man dann vorsichtig mit Plosiven sein.
Das Mikrofon klingt ab einem Besprechungsabstand von > 5 cm recht aufgeräumt in den Tiefmitten. Unterschreitet man diesen Abstand, sollte hier etwas aufgeräumt werden. Das hört man gut in meiner Sprachaufnahme während der Passage mit sehr geringem Abstand zum Mikrofon.
Die sehr ausgeprägte Supernierencharakteristik sorgt für eine gute Dämpfung abseits der 0°-Hauptaufsprechrichtung, sodass Rückkopplungen kein Problem darstellen sollten. Auch im Podcast-Studio oder Tonstudio ist das von Vorteil. So hört man den lauten Lüfter meines Synology RS819 Rack-NAS auf der Demoaufnahme kaum, obwohl das Mikrofon kaum weiter als 40 cm entfernt davon aufgestellt war.
Warum nur muss ich bei dem »CAD Audio A77« sofort an die Serie »Twin Peaks« von David Lynch denken? Vielleicht weil in einer Episode der Charakter James Jurley (James Marshall) zusammen mit Donna Hayward (Lara Flynn Boyl) und Madylin Ferguson (Sheryl Lee) das Lied »Just You And I« singen und so ein Mikro dabei prominent zu sehen ist:
https://www.youtube.com/watch?v=XEn-mmFiYDs
(leider keine gute Qualität)
Vielleicht auch einfach, weil ich mir gerade mal wieder die komplette Serie (dieses mal mit der 3. Staffel) ansehe. 😀
PS: Für mich bis heute einer der großartigsten Serien, die ich je gesehen habe. Kann man immer wieder sehen.