Für eine Handvoll Reverb
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Das Chase Bliss Audio CXM 1978 soll den sagenumwobenen Klang digitaler Reverbs der ersten Stunde portieren und wartet noch mit extra Features auf – das klingt vielversprechend.
Chase Bliss Audio CXM 1978: Historisches Vorbild
Es ist schon erstaunlich, wie manche Geräte, obwohl technisch gesehen veraltet, immer noch sehr begehrt sind. Das trifft vor allem für Geräte zu, mit denen oder durch die Musik gemacht wird. Offensichtliches Beispiel sind Röhrenverstärker. Aber eine Digitaltechnologie aus dem Jahr 1978? Wie soll das denn klingen?
Tatsächlich handelt es sich beim digitalen Reverb 224 der damals noch unbekannten Firma Lexicon um genau so ein Gerät. Das Lexicon 224 bestand dabei aus einer Rack-Einheit und einem Steuergerät. Wer dieses Monstrum an Reverb im Studio hat, gibt es nicht mehr her. Obwohl, vergleicht man es mit dem ersten digitalen Reverb der deutschen Firma EMT von 1972, dem EMT 144, das eher wie ein Schrank daher kam, ist es noch relativ klein.
Die Firmen Chase Bliss Audio und Meris haben sich zusammengetan, um den Klang dieser Ära wiederaufleben zu lassen. Das Gerät ist eines der Automatone-Serie und hört auf den schönen Namen CXM 1978.
Die Hardware des Chase Bliss Audio CXM 1978
Dank 40 Jahre des Fortschritts in der Halbleitertechnik ist die Größe des Geräts im Wesentlichen auf die der Bedieneinheit geschrumpft. Da hier allerdings die Preset-Verwaltung anders gestaltet ist, fehlen einige Taster. Auch die Pegelanzeige wurde nicht übernommen. Das hat den Grund, dass sich das Pedal sowohl an die Studio- als auch an die Gitarrenfraktion richten soll. Deswegen werden die Presets auch mit Fußschaltern eingestellt, die sich aber auch wunderbar mit der Hand bedienen lassen. Sie benötigen nämlich keinen kräftigen Druck zum Schalten, es handelt sich um Momentary-Switches.
Bleiben wir zunächst bei den Presets. Es gibt drei Bänke zu je 10 Presets, wobei die Bank über die Farbe der assoziierten LED angezeigt wird. In der ersten Bank befinden sich bereits (überschreibbare) Presets, die anderen Bänke sind dagegen leer. Hier hätte ich mir etwas mehr Liebe gewünscht. Untypisch ist, dass die Presets nur in eine Richtung geschaltet werden können, nach Preset 9, kommt dann wieder Preset 0. Um nicht ständig drücken zu müssen, kann man mit dem darüberliegenden Jump-Button (einem beleuchteten Arcade-Typ, den ich wirklich toll finde) einstellen, ob der nächste Klick sofort zu Preset 0 oder Preset 5 springen soll. Ein schnelles „Vorspulen“ der Presets durch Halten des Tasters ist beim Chase Bliss Audio CXM 1978 nicht vorgesehen, denn so wechselt man schon die Bänke.
Dieses System überzeugt mich leider nicht wirklich, vor allem wenn ich an den Einsatz auf einem Pedalboard denke. Dort kann man den kleinen, aber robusten Arcade Knopf nicht bedienen. Und man ist dadurch gezwungen, seine Presets sorgfältig anzulegen, denn man kommt einfach nicht schnell genug von Preset 0 zu Preset 9.
Der zweite Fußschalter ist übrigens für den Bypass zuständig. Es gibt aber auch Kombinationen, um Sonderfunktionen zu erreichen, dazu gleich mehr.
Markant sind natürlich die sechs großen Fader des Chase Bliss Audio CXM 1978, bei denen es sich um – Obacht – Motorfader handelt. Ich finde die Fader OK, wenn auch ein bisschen auf der leichtgängigen Seite. Außerdem haben sie ein wenig Spiel zu den Seiten. Aber es ist immer herrlich, wenn man beim Umschalten der Presets die Fader-Action sieht.
Eine Sache aber finde ich einfach unbegreiflich: Denn obwohl man über die DIN-MIDI-Verbindung den Chase Bliss Audio CXM 1978 komplett fernsteuern kann, können die Fader nicht dafür eingesetzt werden, etwas in der DAW oder einem angeschlossenem Gerät zu steuern – es gibt nämlich einfach keinen MIDI-Ausgang! Diese Entscheidung lässt mich etwas ratlos zurück, denn der Mehrwert dadurch wäre enorm.
Welche Anschlüsse bietet das CXM 1978?
Generell gibt es hier keinerlei Überraschungen. Es gibt wie gesagt MIDI-In und MIDI-Thru. Dann bietet der Chase Bliss Audio CXM 1978 insgesamt vier Buchsen in 6,3 mm für Stereo-In/Out, die symmetrisch wie auch unsymmetrisch betrieben werden können. Dann bleibt da noch der Expression-Pedal/CV-Eingang und der mit AUX bezeichnete Eingang für einen Preset-Schalter der Partnerfirma Meris.
Der Netzeingang ist angepasst an das Gitarren-Ökosystem, das heißt: 2,1 mm Hohlstecker, 9 V, Minuspol innen. Das Gerät benötigt 500 mA, ich konnte es aber auch an 300 mA betreiben. Intern werden die notwendigen analogen Komponenten übrigens mit +/-15 V betrieben. Bei dem aufgerufenen Preis wäre ein gutes mitgeliefertes Netzteil Pflicht gewesen – dem ist aber leider nicht so.
Die Bedienung des Chase Bliss Audio CXM 1978
Die Bedienung könnte einfacher nicht sein. Über die Arcade-Buttons stellt man verschiedene Grundparameter ein. Dabei wurden auch Hifi- und Lofi-Modes integriert, die es so im Vorbild nicht gab. Durch die klare Beschriftung und die wechselnde Beleuchtung (dunkel/blau/rot), weiß man schnell, wo man sich befindet, obwohl die Schrift für einen Bodenbetrieb ein wenig dünn ausfällt.
Die verschiedenen schaltbaren Parameter sind:
- Type: Room, Plate Hall
- Diffusion: Low, Med, High
- Tank Mod: Low, Med, High
- Clock: Hifi, Standard, Lofi
Über die Regler Bass, Mids und Treble stellt man die Decay-Time der einzelnen Frequenzbereiche ein. Über den Cross-Regler wird die Frequenz des Split-Points der Bass- und Mittenregion eingestellt. Mix ist der Dry-Wet-Regler und ein Pre-Delay-Regler rundet das Ganze ab. Der CXM 1978 wurde dabei so konzipiert, dass man jederzeit Änderungen an den Einstellungen der Regler vornehmen kann, ohne dass es störende Artefakte oder ähnliches gibt. Man kann also durchaus während eines Songs verschiedene Frequenzbereiche betonen und ein wenig mit den Einstellungen spielen.
Der spielbare Hardware Reverb
Auf diesen Faktor habe Chase Bliss Audio besonderen Wert gelegt. Denn genau dafür ist der Expressionpedal-Eingang gedacht. Jedes Preset hat seine eigene Expression-Einstellung und es gibt zusätzlich noch eine globale Einstellung, die auf alle Presets identisch wirkt.
Mit einem Klick auf Preset und Bypass gleichzeitig kommt man in das Expression-Setup. Hier gibt es drei Ebenen: Expression für einen der Fader aktivieren, die Fersen-Position festlegen und die Zeh-Position festlegen. Begibt man sich wieder in den Performance-Modus, kann man jetzt alle Fader in Echtzeit mit einem Expressionpedal steuern. Damit kann man wirklich tolle Sachen machen, zumal der des CXM 1978 Pre-Delay auch schön beschleunigt und abbremst. Möchte man den Eingang über ein CV-Signal steuern, muss man einen TRS-Stecker nutzen, bei dem der Ring nicht angeschlossen (floating) ist. Auch über MIDI (CC 100) kann die Expression-Funktion genutzt werden.
Wie klingt der Chase Bliss Audio CXM 1978?
Also rein von der Performance aus macht das Gerät schon mal eine gute Figur. Ich bin mittlerweile dennoch geneigt zu sagen, dass die Hauptzielgruppe eher Gitarristen sind. Andererseits stellen die 32 Bit Wandler, die mit einer Sample-Frequenz von 48 kHz laufen (im HiFi-Mode) und die symmetrischen I/Os auch Studioanwender zufrieden. Vom Handling finde ich es aber eben eher auf einem Pedal-Board passender.
Da ich das Original nicht kenne, habe ich es einfach mit einigen Reverbs in Form von Plug-ins, aber auch Hardware verglichen. Was beim CXM 1978 zunächst auffällt, ist die starke Interaktion der Regler untereinander, bei anderen Reverbs ist das nicht so ausgeprägt. Hier jedoch haben die Frequenzbänder untereinander eine gewisse Wechselwirkung, die man erst einmal erkunden und verinnerlichen muss. Positiver Aspekt: Es stecken viel mehr Variationen in dem Gerät, als man zunächst vermuten mag.
Der LoFi-Mode ist besonders ergiebig, röchelnde und zerbitterte Hallfahnen zu kreieren. Aber auch Slapback-Delays und einfache Flange-Effekte sind möglich. Mir persönlich haben vor allem die Room- und Plate-Programme und Variationen gefallen. Mit Hall konnte ich mich nicht so recht anfreunden, da es doch sehr speziell auf die Fader-Einstellungen reagiert. Oft konnte ich dem scheppernden First-Reflections nichts abgewinnen.
Direkt verglichen habe ich es mit einem MIDIVerb 4 und einem Softube TSAR-1R, einem sehr einfachen, günstigen, aber ebenfalls algorithmischen Reverb. Hier konnte das MIDIVerb 4 nicht mithalten. Zu meinem Erstaunen musste ich jedoch feststellen, dass das TSAR-1R im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten durchaus dem Chase Bliss Audio CXM 1978 das Wasser reichen konnte.
Trotzdem, das Chase Bliss Audio CXM 1978 klingt sehr gut und die Räume haben Tiefe und es sind eben auch ganz ungewöhnliche Sachen möglich. Und tatsächlich trifft das viel strapazierte Wort „charaktervoll“ hier zu. Wer einfache Brot und Butter Reverbs sucht, wird auch anders fündig oder stellt sich selber eine Kombination aus anderen Reverbs zusammen.
Wer einige gute Beispiele mit Gitarre hören will, sollte hier nachhören (Youtube Link).
Hier die Einstellungen zu den Klangbeispielen der Kapelle. Wer sich fragt, wo Bsp 6 geblieben ist – es ist einfach unter den Tisch gefallen.
Vielen Dank für die schönen Klangbeispiele. Leider hat Nr.2 Kapelle Bsp 4 ein gemeines Pfeifen drinnen. Zum EMT 144 gibt es online wenig Info: Limitiert, nicht erfolgreich, Rack-mounted, etc. Hast Du noch mehr dazu ausgegraben? Immer her mit der Info.
@swissdoc Hey. Wenn Du das „bittige“ Pfeifen meinst – das ist Absicht und eine Folge des LoFi-Modus. Ich wollte auch mal die abseitigeren Einstellungen zeigen.
@t.goldschmitz Ich meine so eine Resonanz, kein Artefakt der Bitraten-Reduktion.
@swissdoc Ahh, das. Das ist eine Aufschaukelung vom CXM1978 und hat mit der Tank-Mod-Einstellung zu tun.
Puh hab das tsar Lite plugin der Vergleich ist schon ziemlich vernichtend..
Für mein Hobby ist das Ding viel zu teuer, aber ich muss sagen wie sich die fader in dem Video zur octatrack sequence bewegen ia schon ziemlich Future: https://youtu.be/TZjMZ1pRV-c (ab 21min)
Das Pedal ist bei seit knapp einem Jahr im Dauereinsatz, bin mega zufrieden damit, darauf ist mein big Sky verkauft worden “ノ. Top Qualität und super Sound.
@shapemodulator Es ist in der Tat ein gutes Pedal und eben was anderes als das schon sehr strapazierte BigSky. Freut mich, dass es so gut zu deinem Setup passt!
Danke fuer den Testbericht! Soll des Geraet tatsaechlich eine Emulation des Lexicon 224 sein oder nur einen “Sound in der Art von …” produzieren? Wenn ersteres der Fall ist (und nicht nur dann), faende ich es toll, wenn den Test mal jemand komplettieren koennte, der auch einen direkten Vergleich mit dem 224er (und entsprechenden Plug Ins) anstellen kann, incl. aussagekraeftiger Soundvergleiche.
@Lewis Es gibt einen Vergleich zum UAD 224 hier:
https://www.youtube.com/watch?v=ZRHYvQfEXLE
Dort klingt es recht gut getroffen. Die meisten Demos zum CXM 1978 klingen für mich aber nicht so recht nach 224. Als Vergleich mal hier hören:
https://www.youtube.com/watch?v=5cbjUZhDyXs
@swissdoc Hey Swissdoc, ich könnte Dir ja mal das Wav-File aus dem Kapellenbeispiel schicken? Ich meine vernommen zu haben, Du besitzt so ein Originalschätzchen?
@t.goldschmitz Ein 224 steht hier. Kannst das .wav ja mal schicken und die Settings in Deinen Beispielen. Ich kann aber nichts versprechen. Hast Du nun noch Info zum EMT 144, die es nicht online gibt?
@swissdoc Ich gestehe, meine Recherchentiefe ist da eher Watttief (oh, neue Rechtschreibung, hab‘ dich lieb). Hab leider keine weiteren Infos.
Heftiger Preis. Das mit dem Midi-Out ist übel oder kann man per Software den Thru später noch umkonfigurieren? Das ist wie am Ziel angekommen ohne über die Ziellinie zu gehen. Es macht dennoch immer wieder Spaß sich solche Tests zu lesen und Videos zu gucken. Kann es auch Blade Runner? Dazu finde ich leider nichts. ;) Ich persönlich würde wahrscheinlich eher ein TipTop Z-DSP mit Valhalla DSP-Card nehmen oder direkt bei der Software bleiben. Dennoch schönes Teil!