Mike Matthews Klassiker!
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Losgelöst, wie hoch das persönliche Alter nunmehr ist, wer sich jemals mit elektrischen Gitarren auseinandergesetzt hat, wird irgendwann in seinem Leben einmal den Namen Electro Harmonix vernommen haben. Selbst als der Schreiber dieses Artikels noch ein kleiner Scheißer war und sich an den damals noch „analogen“ Musikgeschäften in Köln die Nase plattdrückte, fiel das Augenmerk des Öfteren auf kleine silberne Pedale, welche so charakteristische Namen wie Phase 90, Electric Mistress oder natürlich den legendären Big Muff aufgedruckt hatten. Dass das Szene-Original und Inhaber Mike Matthews seinerzeit schon einen sehr guten Draht in die Sowjetunion hatte, wurde spätestens 1990 offensichtlich, als der Sovtek MIG-50 Verstärker unter Leitung von MM auf den Markt kam und vor russischen Wortspielen nur so strotzte. Da man aufgrund der aktuellen politischen Situation weder Produkte aus Russland beziehen kann, noch in irgendeiner Form mit russischen Attributen in Verbindung gebracht werden möchte, hat sich Mike Matthews entschlossen, den legendären Verstärker, welcher sowohl bei Gitarristen als auch bei Bassisten sehr beliebt war, nunmehr mit neuer Namensgebung und komplett Made in USA auf den Markt zu bringen. Uns liegt der neu aufgelegte Klassiker Electro Harmonix MIG-50 zum Test vor.
Die Konzeption des Electro Harmonix MIG-50
Nun, die Produktbezeichnung „Mikojan und Gurewitsch“ (MIG), welche für das führende Unternehmen bzgl. russischer Jagdflugzeuge steht, hat es noch in die Gegenwart geschafft, aber das Verwenden des früheren Firmennamens und seiner bekannten Röhren sind Geschichte, Letztere wurden durch Tung-Sol Röhren ersetzt. Der mit den Abmessungen von 610 x 356 x 356 mm (B x T x H) etwas kleiner gehaltene Head ist im klassischen Stil britischer Vintage-Verstärker nach Art eines Sound City oder Hiwatt gehalten, was sich unter anderem in einer spartanischen Schaltung, einer sehr hohen Lautstärke bei, wenn gewünscht, geringem Verzerrungsgrad und einer sehr massiven Bauweise, welche auch härte Handhabung weg stecken kann, widerspiegelt.
Der Amp wird als zweikanalig bezeichnet, was allerdings in heutigen Tagen etwas irreführend sein kann. Weder kann man die beiden Kanäle mit einem Fußschalter wechseln, noch gibt es sonst irgendeine Möglichkeit, selbige miteinander zu verbinden. Vielmehr muss man für das Wechseln des Sounds den Klinkenstecker in eine andere Klinkenbuchse auf der Vorderseite des Verstärkers stecken. Entsprechend dezent fällt auch der klangliche Unterschied der beiden Kanäle aus. Während der normale Eingang seinen Fokus auf Bässe und Tiefmitten setzt, ist der Bright-Eingang erwartungsgemäß mehr auf die Höhen fixiert. Die Möglichkeiten, wie man sie von zweikanaligen Vintage-Verstärkern mit vier Eingangsbuchsen her kennt, sind bei dem Elektro Harmonix MIG-50 nicht gegeben, sind aber auch nicht wirklich vonnöten.


In Sachen Konzeption könnte man den Verstärker kaum puristischer angehen, handelt es sich doch hierbei um einen klassischen Non-Master-Amp, im besten JTM-Style. Eine 4-Band-Klangregelung in Form von Höhen, Mitten, Bässen und Präsenzen, zuzüglich zweier Lautstärkeregler für jeweils einen Kanal, fertig! Wer Verzerrung möchte, bekommt Lautstärke. Ganz einfach, ganz simpel, ganz traditionell. Ich empfehle jetzt bereits im Budget darüber nachzudenken, bei der verstärkten Nutzung der Amp-Zerre sich einen oder vielleicht direkt den besten Lastwiderstand zuzulegen, den es aktuell gibt, die Fryette Power Station.
Bezüglich der Verarbeitung gibt es nichts, was man an dem Produkt kritisieren könnte. Sowohl was die Haptik der einzelnen Regler, der Buchsen als auch einfache Sachen wie das Aufbringen des Kunstleders angeht, ist handwerklich sehr hochwertig ausgeführt und gibt keinerlei Anlass zur Kritik. Interessant ist die vergleichsweise ungewöhnliche Auslegung des Power- respektive Standby-Schalters. Beide Schalter sind in Schwarz ausgeführt, was mir persönlich tatsächlich in meiner gesamten Laufbahn noch nicht untergekommen ist und die Schalter sind so ausgelegt, dass wenn man sie nach oben schaltet, sie ihre On-Funktion erfüllen. Auch dies kenne ich persönlich nur in der entgegengesetzten Direktion, sprich sowohl Power- als auch Standby-Schalter werden aktiviert, wenn man die Schalter nach unten drückt. Leider überzeugen mich die Schalter von der Haptik her nicht wirklich, beide Schaltvorgänge erzeugen nicht das charakteristische „Klack“, wie man sonst von klassischen Röhrenamps her kennt, sondern „drücken“ sich mehr in ihre Position, als ob sie in Kunststoff gelagert wären. Ein kleiner Downer.
Abschließend finden wir auf der rechten Seite eine kräftig rotleuchtende Statuslampe. Ich bin immer wieder überrascht, wie unglaublich weit man diese kleinen Lampen in einem dunklen Raum erkennen kann. Erst gestern war ich Gast auf einem Konzert in einer 5000er Halle. Ich stand komplett am hinteren Ende der Halle und konnte trotzdem perfekt sehen, welche Verstärker auf der Bühne eingeschaltet waren und welche nicht.
Die Rückseite des Electro Harmonix MIG-50
Kommen wir nun zur Rückseite des Elektro-Harmonix MIG-50. Das gelochte Blech auf der Rückseite des Verstärkers gibt den Blick auf die 5881 Endröhren und die traditionell gehaltenen 12AX7 Vorstufenröhren frei, von denen drei Stück verbaut wurden, von den Endröhren zwei Stück. Interessant ist, dass man sehr einfach den Ruhestrom am Verstärker auf der Rückseite des Gehäuses mittels zweier Messpunkte einstellen kann.
Ich gebe dennoch zu bedenken, dass dies eine Arbeit für Fachleute ist, die genau wissen, was sie tun. Sowohl zu kalte als auch zu heiße Röhren sorgen nicht nur für einen schlechteren Sound, sondern auch für einen deutlich höheren Verschleiß, der praktisch durch nichts zu rechtfertigen ist. Einen Einschleifweg sucht man bei dem Elektro Harmonix MIG-50 leider vergebens, beziehungsweise in der Tradition des Amps werden alle Effekte vor den Verstärker geschaltet.
An den Lautsprecherausgängen merkt man deutlich, dass der etwas kleiner gehaltene Verstärker für den Betrieb mit nur einem Kabinett ausgelegt ist. Es gibt jeweils eine Ausgangsbuchse für 16 Ohm, 8 Ohm und 4 Ohm. Auf der linken Seite gibt es noch die Kaltgerätebuchse nebst Feinsicherung. Alles sehr einfach, übersichtlich und selbsterklärend gehalten.
In der Praxis
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich persönlich habe das Gefühl, dass wir in letzter Zeit eine vermehrte Anzahl von Verstärkern vorfinden, welche ihre ureigenste Funktion, nämlich das Verstärken eines Signals in einer möglichst neutralen Wiedergabe erfüllen. Meistens handelt es sich dabei um Vollröhrenverstärker, welche zwar auch ab einer gewissen Lautstärke eine durchaus stärkere Sättigung an den Tag legen, bis zu einer vergleichsweise hohen Lautstärke jedoch einen mehr oder minder cleanen Sound erzeugen, welcher sich nicht nur mit einer hochwertigen Gitarre sehr gut ergänzt, sondern auch mit der mannigfaltigen Vielzahl von Pedalen harmoniert.
Insbesondere Pedale, die schon immer vor den Verstärker geschaltet wurden, wie sämtliche Formen von Overdrive-, Distortion-, Booster- oder Fuzzpedalen, aber auch Klassiker wie das Wah Wah Pedal oder die auch immer gerne verwendete Uni-Vibe Klone, die seinerzeit aufgrund des Vibratos und Modulationseffektes auch gerne im seriellen Effekt-Loop platziert werden, ihre Funktion auch vor einem cleanen bzw. leicht verzerrenden Verstärker finden.
Diesen Ansatz sollte man stets im Hinterkopf behalten, wenn man sich den Elektro Harmonix MIG-50 klanglich zu Gemüte führt. Der Verstärker hat in der Tat einen hervorragenden Grundsound, welcher einen unmittelbar in eine Zeitmaschine setzt und einen um mehrere Dekaden nach hinten katapultiert. Insbesondere im Zusammenspiel mit leicht vintage angehauchten Instrumenten, wie zum Beispiel Singlecoil-Gitarren mit vergleichsweise geringer Ausgangsleistung, beziehungsweise Les Paul artigen, die ebenfalls trotz Humbucker nicht die 10 Kiloohm Gleichstromwiderstand übersteigen, kann man den Amp hervorragend für cleane und dezente Crunch-Sounds verwenden, ohne dass unmittelbar der Putz von der Decke bröckelt.
Möchte man hingeben die Amp-Zerre abrufen, kommt man um eine gewisse Lautstärke nicht herum, es sei denn, man arbeitet wie oben bereits beschrieben mit einem sehr guten, regelbaren Lastwiderstand. Obwohl der Verstärker von seiner Konzeption her dezent an die Modelle 1959 bzw. aufgrund der Leistung noch mehr an das Modell 1987 von Marshall erinnert, macht der Verstärker klanglich ein ganz eigenes Fass auf. Die Mitten, wie man sie zum Beispiel von Marshall her kennt, nebst dessen Fixierung auf die typischen Marshall Höhen, sind bei dem Electro Harmonix MIG-50 deutlich moderater ausgeführt und gehen klanglich auch aufgrund der verwendeten Endröhren deutlich eher in die Richtung Hiwatt, sofern man den Hiwatt richtig in der Vorstufe kitzelt und sich mit dem Master-Regler dezent zurückhält. Ich persönlich glaube, dass bei diesem Amp ohnehin wahrscheinlich nur Kanal 2 zum Einsatz kommt, da Kanal 1 wirklich sehr stark höhenbedämpft wurde und wohl nur im Jazz seine Freunde finden wird, wie man auch an den Klangbeispielen erkennen kann.
Klanglich überzeugt der Verstärker ansonsten auf der ganzen Linie und ich bin mir sicher, dass viele User sich ggf. einen Fußschalter wünschen würden, mit dem sie zwischen den beiden Kanälen umschalten können. Vielleicht wird Mike Matthews dies einmal in einer der nächsten Versionen des Verstärkers in Erwägung ziehen. Im Moment ist dies leider nicht möglich.
Bleibt die Frage des Einsatzgebietes des Amps. Hervorragend wird dieser Verstärker natürlich im Studio funktionieren, da in einem professionellen Studio Lautstärke keine Relevanz besitzt. Insbesondere mit Lautsprechern der geringeren Leistungsklasse wie z. B. Vintage 30, vielmehr noch mit Greenbacks, erzielt man mit diesem Verstärker ein sehr gutes Ergebnis.
Im Live-Betrieb setzt dieser Verstärker schon eine Mindestgröße an Bühne bzw. Beschallungsraum voraus, es sei denn man möchte auf Nummer sicher gehen und sämtliche Verzerrungen aus guten Pedalen holen, was sicher eines der Haupteinsatzgebiete dieses Verstärkers ist. Möchte man hingegen den Amp kitzeln und letztendlich mit dem Volume-Regler der Gitarre über den Verzerrungsgrad entscheiden, ist davon auszugehen, dass man entweder jede Menge Diskussionen mit dem Front-of-House Mischer führen oder aber vielleicht zum Teil klanglich gar nicht auf der PA stattfinden wird.
Nicht so ganz klar, warum “Made in USA” ein Plus sein soll… wobei das eh eher ein “zusammengeschraubt in USA” ist. wie EHX auf der Produktseite auch ganz offen zugeben:
“ Now assembled by hand in our NYC factory from the highest quality, globally sourced components…”. Finde ich ja durchaus mal gut, wenn das jemand offen und ehrlich zu kommuniziert und nicht nur diese dezent verlogene “Made in…” Marketing-Masche fährt.
Schöner Artikel, aber mein oller EHX Phaser trägt den Namen Small Stone. Mein Phase 90 ist von MXR…..
@Hessenlöwe Oh Mann, ich bin echt eine Pfeife, du hast natürlich Recht!
Danke für den Hinweis.
Für das gebotene eigentlich zu teuer (IMHO wurde der mit 499$ angekündigt)
Schaltungstechnisch handelt es sich zu 99% um einen 50W Plexi (1987) ohne Möglichkeit einer Parallelschaltung der Eingänge, zumindest ohne externes Zubehör.
Wirft man einen Blick ins Innere erschreckt einen die mit Heißkleber eingesetzte Kaltgerätebuchse doch ziemlich…
Wer auf 30W verzichten kann, nimmt besser einen SV20😎
Guten Rutsch🚀
@harrymudd Konnte bei meinen MIG 50 keine Kaltgerätebuchse die mit Heißkleber eingesetzt wurde erkennen.
Bis auf die Plastikschalter und Buschen kann ich nicht meckern.
Klanglich ist er schon echt toll. Hat einen gesunden erwachsenen Klang.
Zu teuer ist das meiste mittlerweile….
@Jo S. 86 ich kenne nur einige Bilder vom MIG 50 aus dem Netz und da war der Kaltgerätebuchseneinsatz zusätzlich zu den Klips mit reichlich Heißkleber eingesetzt.
Wenn das bei dir nicht der Fall ist, dann hat EHX wohl gehandelt. Erfreulich. Ich hatte diesen Amp auch lange aufm Zettel gehabt, mich aber letztendlich für den Marshall SV20 entschieden.
Was die Teuerungsrate angeht, hast du recht😮