Ein Powerball für die Hosentasche?
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Wer heutzutage ein neues Verzerrerpedal auf den Markt bringt, braucht wirklich Eier aus Stahl. Allein das Musikhaus Thomann listet weit über 700 Verzerrerpedale der unterschiedlichsten Kategorien in seinem Portfolio auf, wobei ein Großteil der im Direktvertrieb verfügbaren Boutique-Pedale überhaupt nicht aufgeführt sind. Wohl dem, der es bereits geschafft hat, sich mit anderen Produkten im Gitarrensektor einen Namen gemacht zu haben. So geschehen bei der deutschen Firma Engl aus Tittmoning, welche bereits seit Dekaden national und international einen sehr hohen Stellenwert im Hard- und Heavy-Sektor genießt und als einer der letzten Vertreter in der deutschen Verstärkerfertigung auf konsequente Fertigung in Deutschland setzen. Manchmal kann es einem regelrecht leid tun, dass die Engl Produkte jenseits des Metals zum Teil gar nicht wahrgenommen werden, wie zum Beispiel seiner Zeit der hervorragende Akustik-Amp der Firma. Dennoch sollte man sich glücklich schätzen, heutzutage als Alleinstellungsmerkmal mit einem klassischen Sound in Verbindung gebracht zu werden. Der neuste Sproß aus hauseigener Fertigung ist jedoch aus dem Pedalbereich und hört auf den Namen Engl Powerball Distortion.
Das Konzept des Engl Powerball Distortion
Bei Engl dreht sich vieles um Bälle. Ob Fireball, Powerball oder Ironball, ein Großteil des Verstärkerportfolios der Firma trägt den Ball im Namen, so auch das neue Distortion-Pedal. Um noch mal auf das Alleinstellungsmerkmal eines Verzerrerpedals zurückzukommen, der Traum eines jeden Gitarristen ist es natürlich, den Sound eines ca. 1600,- Euro teuren Topteils mit einem Gewicht von über 20 kg in eine kleine, handliche, metallene Kiste zu packen, welche sich in der Hosentasche transportieren lässt und klanglich eine 1 zu 1 Abbildung des großen Vorbilds darstellt. Man muss kein ausgebildeter Elektrotechniker sein, um bereits im Vorfeld feststellen zu können, dass dies absolut nicht möglich ist. Ebenso könnte man sich darüber wundern, dass ein Aufsitzrasenmäher nicht die Beschleunigungswerte eines Teslas hat.
Was aber, wenn es gelingt, die Kern- und Eckpunkte des typischen Engl Powerball Sounds so weit wie möglich in eine kompakte Version zu packen und im Zusammenspiel mit anderen Komponenten wie zum Beispiel Lautsprechersimulation, separaten Endstufen oder andere Heads/Combos dem Sound so nah wie möglich zu kommen. Eben dies ist der Ansatz dieses Pedals, was zum Beispiel in Verbindung mit dem Engl Cabloader eine sehr platzsparende und interessante Lösung darstellen dürfte. Generell ist der Engl Powerball Distortion aber zunächst einmal als ein ganz reguläres Distortion-Pedal zu betrachten, welches mit ein paar Besonderheiten ausgestattet wurde.
Die Konstruktion des Engl Powerball Distortion
Von den Abmessungen 11,8 x 6,3 x 4 cm passt das Engl Powerball Distortion auf jedes noch so kleine Floorboard, selbst die Nano-Abteilung sollte selbst hochkant dem Pedal genügend Platz bieten. Das anthrazit/schwarz gefärbte Metallgehäuse ist äußerst robust und sollte auch massiven Fußtritten problemlos standhalten können. Vier kräftige Gummifüße, welche allerdings auf einer glatten Oberfläche nicht allzu viel Halt bieten können, tragen das Pedal problemlos.
Fünf angenehm schwergängig laufende Regler mit der Bezeichnung Volume, Gain, Bass, Middle und Treble befinden sich auf der Oberseite des Gehäuses. Als Besonderheit ist zu vermerken, dass die Klangregelung mit jeweils ±7,5 dB auf allen drei Bändern als aktive Klangregelung äußerst intensiv zur Sache geht. Auf diese Art und Weise lassen sich zuweilen klanglich drastische Einstellungen erzielen. Die Optik der Regler ist mit einem weißen Strich auf schwarzem Untergrund äußerst einfach gehalten. Sehr angenehm ist auch, dass, obwohl die drei Klangregler recht beengt auf dem Paneel nebeneinander stehen, sich die einzelnen Regler aufgrund der nach oben spitz zulaufenden Gehäuseform gut drehen lassen, ohne dass man in den Wirkungsbereich der anderen Bänder kommt.
Die Statusanzeige des Engl Powerball Distortion wird über eine gut sichtbare rote LED optisch wiedergegeben. Ein True-Bypass-Fußschalter sorgt dafür, dass das Signal bei Deaktivierung das Pedal durchläuft, ohne dass es durch die Elektronik geschickt wird. Manchmal sind es nur kleine Detaillösungen, welche mir persönlich immer eine große Freude bereiten, da man an solchen Kleinigkeiten erkennt, dass die Ingenieure bei der Konstruktion des Produktes nachgedacht und sich mit der Praxis auseinandergesetzt haben. Das Pedal besitzt auf der Stirnseite zwei Eingangsbuchsen respektive Ausgangsbuchsen für die 9 V Betriebsspannung. Man kann das Pedal also so nutzen, wie es auch bei einigen Tunern bereits angeboten wird, sprich, man speist mit einem Netzteil die Betriebsspannung in das Produkt und leitet es mittels Daisy-Chain-Verfahren in ein weiteres Produkt weiter.
Wer mit Multinetzteilen arbeitet, weiß, wie nervig es ist, für jedes Pedal auf seinem Pedalboard ein separates Kabel ziehen zu müssen. Wer sich jetzt fragt, ob das Netzteil von seiner Ausgangsspannung reicht, um zwei oder vielleicht sogar mehrere Pedale im Daisy-Chain-Verfahren zu versorgen, kann sich getrost nach hinten lehnen. Das Pedal hat eine extrem niedrige Leistungsaufnahme von gerade einmal 18 mA, was meines Erachtens ganz weit vorne in der Rangliste ist, wenn es darum geht, das aktuelle Pedal zu krönen, welches die geringste Leistungsaufnahme hat. Laut Engl hat die Firma mit Absicht aus ökologischen Gründen auf die mögliche Verwendung einer Batterie für die Betriebsspannung verzichtet. Wer dennoch ohne Stromkabel spielen möchte, kann sich ja ggf. für die Verwendung eines Akku-betriebenen Netzteils entscheiden, welche übrigens auch in Ländern mit schlechteren Betriebsspannungen durchaus Vorteile haben.
Das Engl Powerball Distortion-Pedal in der Praxis
Es gibt ein paar Punkte, die einem bei der Erstbenutzung des Engl Powerball Distortion-Pedals unmittelbar ins Ohr springen. Zum einen ist das Pedal sehr, sehr nebengeräuscharm. Selbst bei maximalem Gain-Level ist der Pegel an Rauschen oder Brummen, welches ein Distortion-Pedal zwangsweise produziert, fast nicht wahrnehmbar, was zum einen für die sehr gute Konstruktion des Pedals und zum anderen für die verwendeten Bauteile spricht.
Zum anderen hat das Pedal faktisch keine Boost-Funktion. Während die aktive Klangregelung massiv die Frequenzen nach oben anhebt oder nach unten absenkt, wirkt der Volume-Regler letztendlich wie der Volume-Regler einer Gitarre, der auf 10 gedreht ist, sprich, wenn man den Volume-Regler voll aufdreht, hat man exakt die gleiche Lautstärke, wie wenn das Pedal nicht aktiviert ist. Das Pedal als Booster zu verwenden, um einen Amp etwas heißer anzufahren, ist somit nicht möglich.
Was ebenfalls sehr angenehm auffällt, ist die Tatsache, dass das Pedal sehr gut am Volume-Regler der Gitarre hängt, soll heißen, dass man durch das Herunterregeln des Volume-Reglers den gleichen Trick wie Jeff Beck anwenden kann, welcher ebenfalls seinen Amp auf volle Gain-Stufe gedreht hat und sämtliche Verzerrungsstufen über den Volume-Regler seiner Gitarre getätigt hat. Dies ist in diesem Fall über das Pedal möglich, sodass man tatsächlich den Gain-Regler bis zum Anschlag dreht, wohlgemerkt, das Pedal rauscht so gut wie gar nicht und mit dem Volume-Regler selbst vergleichsweise dezente Crunch-Einstellungen gut abrufen kann.
Bezüglich der 3-Band-Klangregelung hat man eine geschmackvolle Abstufung getroffen, wobei der Bass- und der Treble-Regler vergleichsweise dezent zu Werke gehen, während der Mitten-Regler einen deutlich größeren Einfluss auf den Gesamtklang hinterlässt. Wer nun Sorge hat, die Klangregelung könnte nicht effektiv genug sein, kann sich entspannt zurücklehnen. Vielmehr hat Engl einmal mehr in die Praxis gesehen und die Klangregelung so ausgelegt, dass sie nicht am Musiker bzw. seinen Klangvorstellungen vorbei arbeitet.
Wie oft haben wir es bereits wahrgenommen, dass die Höhenregler ab einem bestimmten Punkt nur noch kratzen, beißen und in den Ohren wehtun, während der Bassregler bei Vollanschlag nichts anderes als ein tieffrequentes Rumpeln erzeugt, was bei jeder Tonaufnahme ohnehin durch ein Highpass-Filter wieder abgeschnitten werden muss. Mit der Engl Auslegung kann man beruhigt die Regler bis zum Anschlag fahren, ohne dass man sich später den Unmut von Tontechnikern oder Front-of-House-Mischern zuzieht.
Interessant finde ich ebenfalls, dass das Pedal zwar schon über sehr kräftige Gain-Reserven verfügt, allerdings für mich persönlich primär im sehr kräftigen Lead-Bereich zu Hause ist und seine „echten“ High-Gain-Reserven erst bei einer ordentlichen Scoop-Einstellung frei gibt. Dies ist nicht als Wertung zu sehen, sondern hat vielmehr den Vorteil, dass dieses Pedal auch vor einem leicht angezerrten Amp immer noch sehr gut zu benutzen ist, abhängig davon, welcher Amp, welche Gitarre, welcher Lautsprecher, welche Box und so weiter.
Die Klangbeispiele wurden mit einem clean eingestellten SoundCity Master One Hundred erstellt, welcher sehr gut mit externen Pedalen zusammenarbeitet. Als Cabinet kam ein Marshall 412 mit Celestion G75 T Speakern zum Einsatz.
Zusammenfassend muss ich sagen, bekommt man ein sehr gutes, flexibles Distortion-Pedal? Ja! Bekommt man den Lead-Kanal eines Engel Powerball Heads für 189,- Euro? Nein! Diese Aussage mag nicht wirklich verwundern, aber ich finde es ist trotzdem wichtig, einem noch mal kurz vor Augen zu führen, dass egal wie gut dieses Pedal in der Tat ist, es natürlich nicht die Komplexität eines großen Vollröhren-Amps übernehmen kann. Nichtsdestotrotz, nur weil sich die beiden denselben Namen teilen, ist das Powerball Pedal für mich ein sehr guter Verzerrer mit einigen Features, die ihn positiv von der großen Konkurrenz unterscheiden.
😂 Hmm… „aus ökologischen Gründen“ aufs Netzteil zu verzichten, klingt für mich, als würde ENGL sich galant aus einer immer brisanter werdenenden Thematik eher „ausklinken“.🙄
Woher soll die Energie denn kommen?
Letztendlich ist es dann egal, ob die Energie aus einem selbstgebastetlten 9V-Akku-Block-Adapter oder durch die ca. 50% erhöhten Atomstrom-Importe eingespeist wird.🤯 Ob dadurch ökologisch etwas durch ENGL gewonnen wäre.🤔
Die Herstellung, eine notwendigkeit der Nutzung und Logistikfragen würden mit so einem Satz die tatsächliche Ökobilanz der gesamten Herstellungsprozesse wohl kaum verbessern.😜
Wenn das Thema „Ökologie“ in den Fokus gezogen wird, darf dann die Frage gestellt werden, ob wir überhaupt so ein „Luxusprodukt“ benötigen?🤐
Und mit dieser Frage bin auch ich vom eigentlichen Thema abgekommen.😲
Vom Musikmachen..
@CDRowell Naja es geht doch darum, dass jeder Gitarrist mittlerweile entweder ein gutes Multinetzteil oder eine Unmenge von 9V Netzteilen zu Hause herumliegen hat. Wenn mir bei jedem Pedal ein Netzteil mitgeliefert werden würde, würde mich das gewaltig nerven. Wirkt sich auch alles auf den Preis aus und was soll ich mit dem ganzen Krempel anfangen?
Boss und Co. liefern doch auch ohne Netzteil. Es ist mir unverständlich, wie das jemanden stören kann. Vermeidet auf jeden Fall Plastik und jede Menge CO2 für den Import.
@Chris48N Danke für deine gedanklichen Anregungen! Was du mitteilst verstehe ich. LG 😀
Ich hatte mal von AMT den Diezel-Treter. Hat richtig Spaß gemacht und klang nicht so kratzig wie dieses Teil – wahrscheinlich darf der Engl-Bodentreter nicht so gut klingen, dass er den großen Brüdern Konkurrenz macht?
Ansonsten schöner Test – und die Idee mit dem durchgeschleiften Netzteil-Anschluss gefällt mir.