Kleine Module groß in Form
Erica Synths Pico System III – was ist das denn? Ein komplettes analoges Mini-Modularsystem vor dem Weihnachtsfest für 539,- Euro (Desktop) bzw. 479,- Euro (Eurorack-Modul) von den Spezialisten aus Lettland? Ja, meine Damen und Herren, so sieht es aus! Aber kann das kleine Kistchen, dessen Einzelmodule mehr als das Doppelte kosten würden, auch wirklich analogen Druck aufbauen?
Erica Synths Pico System III Übersicht
OK, zunächst einmal sind die verwendeten Module im Erica Synths Pico System III nicht vollständig identisch mit den einzelnen Pico-Modulen. Es gibt hier und da kleine Abweichungen. Welche Komponenten beherbergt denn nun das 6 cm x 23 cm x 12,5 cm leicht abgeschrägte Pultgehäuse? Das sind der Reihe nach von links nach rechts:
- SEQ
- VCO1
- VCO CTRL
- VCO2
- MIX1
- VC EG1
- VC EG2
- LPG1
- LPG2
- BBD
- MIX2
- MIX3
MIX 3 ist dabei der Master-Out, an den auch direkt ein Kopfhörer angeschlossen werden kann (Dual-Mono). Dieser Ausgang ist auf der Rückseite noch mal vorhanden, leider auch hier nur als 3,5 mm Buchse, da wäre doch reichlich Platz für eine 6,3 mm Buchse gewesen. Dort befindet sich ebenfalls der Netzteileingang (12 V, 1 A, DC, mitgeliefert) und sogar ein On/Off-Schalter. Alle Buchsen und Schalter sind mit dem Gehäuse verschraubt. Die Potis sind aufgrund des Platzmangels und der „Picozität“ des Erica Synths Pico System III natürlich nur als kleine Schäfte ausgeführt, die zwangsläufig mit Fingerspitzengefühl bedient werden müssen. Sie haben aber genug Drehwiderstand, um auch feine Einstellungen machen zu können.
Wie gesagt, es gibt zwei Versionen des Systems. Die hier getestete Version ist die Standalone-Variante, dessen Gehäuse und Stromversorgung eben die 50 Euro Aufpreis ergeben – fair finde ich. Dann gibt es da eben noch die Eurorack-Variante. Aber Vorsicht: Die Standalone-Version kann eben nicht einfach (auch nicht kompliziert) in ein Eurorack geschraubt werden. Denn die Frontplatte aus Metall ist um die untere Wanne herum gebogen. Die Pegel sind aber kompatibel mit dem Eurorack-System (±10 V).
Wiederbelebung der Steckkarte
Erinnert sich einer noch an die grausigen Pentium3-Prozessoren, die man ins Mainboard stecken musste und die notorisch unzuverlässig waren, da ein kleiner Transport schon für Kontaktprobleme sorgen konnte? Oder besser noch, an den User-Port des C64? Na gut, PCI-Express muss man heute auch noch stecken, aber was macht hier so ein Steckkarteneinschub auf dem Erica Synths Pico System III?
Es wird eine handvoll kleiner Steckkarten, die sog. Voicecards, mitgeliefert. Die einen beschriftet, die anderen blank. Der Sinn: Man kann hier Patches speichern, auf die ganz altmodische Hardware-Art: löten. Die fünf Preset-Voicecards sind dabei schon verdrahtet, die fünf leeren Karten kann man mit kleinen Kabeln an den Lötpunkten, die als Ösen ausgeführt sind, selber verbinden. Auch wenn es für mich persönlich keinen Sinn ergibt, komplette Patches so festzuhalten (was natürlich geht), sehe ich den Sinn eher im Vorhalten bestimmter Funktionsblöcke. Also z. B. eine Vorverdrahtung des LFO-Pulse-Ausgangs mit einer Hüllkurve und dem Sequencer und diesem mit dem VCO. Die gelöteten Verbindungen kann man dabei jederzeit am Patchfeld überbrücken. So kann man aus dem modularen einen semimodularen Synth bauen, dessen Patch-Struktur jederzeit unterbrochen werden kann. So spart man sich Platz und Kabel am Gerät. Ach ja, es werden übrigens 20 unterschiedlich lange Patch-Kabel mitgeliefert – wenn komplett, dann komplett!
Apropos komplett, es liegt eine komplette gedruckte Anleitung auf dickem Papier in einem Flyer-Format vor. Jedes Modul wird kurz beschrieben und im hinteren Teil findet man eben Pappkarten, die man auf das Gerät legen kann, um so Patches zu notieren und die Reglereinstellungen zu markieren; fünf für die Preset-Voicecards und sechs für eigene Kreationen.
Die Synthesizer Module
Die meisten Module bedürfen keiner Erklärung. Einige sollen aber genauer betrachtet werden.VCO1 bietet einen exponentiellen FM-Eingang an, VCO2 einen linearen. Gesteuert wird die FM über das Modul VCO CTRL, das ebenfalls als VCA agieren kann, um den Anteil der FM zu regulieren. Es kann aber auch als regulärer VCA eingesetzt werden, so dass man so mit den beiden LPG (Low Pass Gate) im VCA-Modus gleich drei Stück davon hätte.
VCO2 hat neben einer einfachen Dreieckschwingung auch eine sogenannte SHAPE-Schwingung. Wie es aussieht, wenn man diese über den SHAPE-Regler langsam reindreht, zeigt die Abbildung.
Stück für Stück werden Teile der Dreieckschwingung durch eine Rechteckschwingung ersetzt. Harmonisch hat man so eine gute Kontrolle über geradzahlige und ungeradzahlige Obertöne im Oszillator. Dreht man weiter, so verschwindet der Dreiecksanteil völlig und man bekommt ein reine Pulsschwingung, deren Pulsbreite variabel ist. Das geht auch bis zur völligen Auslöschung derselbigen.
Die VCOs bieten solide Standardkost, scheinen aber nicht wie der hellste Stern am Himmel. Reicht einem die Brillanz nicht aus, kann man einfach einen LPG „opfern“ und ihn sozusagen als High-Range-Enhancer nutzen, indem man die Resonanz mit Bedacht wählt und das LPF entsprechend aufdreht und dann statisch lässt.
Das LPG unterscheidet sich von der Einzelversion des Pico-Moduls, indem es keinen Trigger-Eingang besitzt. Stattdessen wird es über die beiden CV-Eingänge angesteuert. Die FM des Filters klingt ordentlich, ist aber nicht das Beste, was ich bisher gehört habe, aber durchaus gut einsetzbar. Das LPG ist dabei sehr resonanzfreudig und geht locker in die Selbstoszillation. Dabei übersteuert es mitunter heftig und man bekommt richtig aggressiv kreischende Töne. Die Resonanz ist übrigens immer ein wenig aktiv, auch bei Nullstellung des Potis. Der LPG packt ordentlich zu und gibt sich keine Blöße, als High-End würde ich ihn aber nicht bezeichnen.
Wichtig sind die drei Mixer-Module, da sie gleichspannungsgekoppelt sind und so als CV-Mixer dienen können. Allerdings habe ich im Konzept des Erica Synths Pico System III ein oder zwei Multis schmerzlich vermisst. Diese muss man sich dann eben über die Voicecards organisieren.
Der BBD ist klassisch analog aufgebaut und rauscht deswegen deutlich – normal, aber das hochfrequente Pfeifen bei hohen Feedback-Werten ist es nicht. Deswegen wurde dem BBD des Erica Synths Pico System III eine Art BBD-Dompteur mitgegeben. Mit ihm kann man die hochfrequenten Anteile in zwei Stufen der Feedback-Schleife vorenthalten. Ergebnis – weniger Rauschen und kein Fiepen, dafür eben auch weniger Hi-End.
Der Sequencer besitzt maximal vier notenquantisierte Steps, es können aber per Schalter auch Zwei- oder Drei-Step-Sequenzen genutzt werden.
Bedienung des Erica Synths Pico System III
Bei der Bedienung gibt es keine bösen Überraschungen. Auch eine „falsche“ Patch-Verbindung macht dem Gerät nichts aus. Die kleinen Potis, die ja eigentlich nur Achsen sind lassen sich durch ihren fühlbaren Widerstand doch recht feinfühlig einstellen. Das ist besonders notwendig, wenn man z .B. LFO oder EG auf das Filter legen möchte. Denn das muss beinahe zwangsläufig über einen der DC-Mixer geschehen. Ohne diese Möglichkeit der Abschwächung hat man keine Chance, die Modulatoren hier sinnvoll einzusetzen. Deswegen hätte ich mir, und sei es auch nur bei den LPGs, ein zusätzliches Poti zum Abschwächen gewünscht.
Einige Module wie das LPG oder der 4-Step-Sequencer finde ich ganz interessant, aber ein komplettes Pico-System ist mir zu dicht gedrängt. So ordne ich meine Pico-Module möglichst neben größeren Modulen an, um zu vermeiden, dass zu viele Buchsen und Potis zu nahe beieinander sitzen.