Ein außergewöhnliches "Finnisch"
In den Höhlen von Moria wischt sich Telchar, der größte Schmied, den es bei den Zwergen je gab, den Schweiß von der Stirn und hebt mit einem zufriedenen Grunzen das massive Aluminiumgehäuse der Genelec 8020 RAW aus der grünen Flamme seiner Esse …
So oder so ähnlich stellt man sich den Herstellungsprozess der „RAW“-Version des kleinen Studio-Monitors 8020D der finnischen Traditionsschmiede Genelec vor. Wobei das Wort „Schmiede“ natürlich nicht korrekt ist, denn es wird hier nicht Pi mal Daumen auf ein Stück Eisen gehauen, sondern hier wird nach neuesten technischen Erkenntnissen gefertigt.
Im Falle der hier getesteten 8020 RAW wurde das Gehäuse aus recyceltem (!) Aluminium erstellt – in Zusammenarbeit mit dem Industrie Designer Harri Koskinen. Das Ergebnis überzeugt mich sehr, denn die 8020 RAW wirken überaus cool und interessant. Sie mögen vielleicht nicht in ein bayerisches Bauernstüberl passen, aber in einem modernen Wohnzimmer oder im Technolook eines Studios sehen sie sehr gut aus. Mit den Schlieren und farblichen Unterschieden im Aluminium, den beiden vergitterten Chassis und dem organischen Gehäusedesign sollten Sie sich die kleinen Monitore wirklich mal ansehen (und anfühlen).
Verarbeitung und Technik
Schon beim Auspacken gibt es mehrere Aha-Erlebnisse:
- Mensch, sind die klein! Mit 230 x 151 x 142 mm (HxBxT) liegen sie in der Dimension der zuvor von mir getesteten Behringer Media 40USB (224 x 196 x 157) – aber sie sind bei Paarpreis etwa 10-mal teurer.
- Durch das kühle Aluminium und den kompakten Aufbau wirken sie schwerer als sie sind. (3,2 kg pro Stück)
- Der wirklich praktische Iso-Pod-Stand ist fest mit dem Lautsprecher verbunden – kann aber entfernt werden, denn ein Kit für die Wandmontage ist im Lieferumfang enthalten.
- Es gibt eine überaus professionelle Dokumentation mit Aufstellungshinweisen und ein Mäuseklavier, um den Klang der Genelec 8020 RAW an die Aufstellungssituation anzupassen.
Die Verarbeitung ist superb – alles ist massiv, professionell und hochwertig ausgeführt. Die Integration der Chassis, der Sitz der XLR-Buchsen – alles hier entspricht höchsten Standards.
Frontseitig findet man die beiden Chassis (19 mm Tweeter, Metallkalotte) und ein 4“ Tieftöner. Eine grüne LED zeigt den Betriebszustand. Sehr erfreulich: Durch die ISS Technologie schalten sich die 8020 RAW automatisch ein und aus.
Auf der Rückseite geht es schon ziemlich eng zu: oben der aus dem Vollen gefertigte Reflexport, dann der Power-Switch, das Mäuseklavier zur Anpassung des Klanges und die Einstellung des ISS-Systems in Sachen Empfindlichkeit. Darunter befinden sich – in einer Art Mulde – die Anschlüsse für das Netzkabel und der Eingang mit XLR-Buchse, wobei diese beiden horizontal ausgeführt wurden – wohl auch um Platz zu schaffen. Das ist zwar beim Anschließen ein bisschen frickelig, aber es bietet eine gute Kabelführung und ermöglicht eine wandnahe Platzierung.
Die Klanganpassung ist für alle gängigen Szenarien bereit:
- Desktop 200 Hz reduziert den Pegel bei 200 Hz, um den Peak auszugleichen, der bei einer Platzierung auf dem Studiotisch häufig vorkommt.
- Treble Tilt und Bass Tilt sind eine Pegelanpassung oberhalb von 5 kHz um -2 dB und unterhalb von 2 kHz um -2, -4 oder -6 dB.
- Bass Roll-off ist ein Filter, um das Signal unterhalb von 65 Hz abzuschneiden und so mehr Pegel und Definition bei bassstarker Musik zu erreichen.
Schönheitsfehler: Ein Peak bei 850 Hz und eine darauffolgende Senke.
Ein sehr homogenes Abstrahlverhalten
Bedingt durch die Kleinheit des Lautsprechers und der Tatsache, dass man diese Switches meist nur einmal benötigt, ist das Mäuseklavier hier eine gute Wahl, um viel Flexibilität zu erreichen.
Abgerundet wird dieses Kapitel mit den Kenndaten:
- maximaler Schalldruck SPL: 107 dB (Peak) 93 dB (Long term max)
- Frequenzganz: 62 Hz bis 20 kHz (+/-2,5 dB)
- pro Chassis arbeitet ein 50 Watt Class-D-Verstärker
- Übergangsfrequenz: 3 kHz
Übrigens ist die RAW-Version, bis auf das tolle Gehäuse, identisch mit der 8020D Variante.
8020 RAW in der Praxis
Wenn Sie jetzt auf einen Vergleich mit der zuvor getesteten Behringer MEDIA 40USB hoffen – vergessen sie es. Selbst ein wenig geschulter Hörer wird nach wenigen Sekunden feststellen, dass dazwischen Welten liegen. Mahnte ich bei der Behringer noch an, dass der Basslauf bei „Feel“ von Robbie Williams praktisch unhörbar ist, so bläst die 8020 hier ein Volumen in mein 30 qm Studio, dass man unwillkürlich nach einem Subwoofer sucht. Kaum zu glauben, was man in Finnland aus einem 4“ Chassis herauszaubern kann. Auch in Sachen Höhenwiedergabe, Dynamik, Plastizität und dem Herausarbeiten von Transienten – hier spielen zwei Kontrahenten aus völlig unterschiedlichen Gewichtsklassen.
Andererseits: Gegen meine KS Digital C88 Reference, die etwa das Dreifache (Listenpreis) kosten, kommt die hübsche Finnin dann auch wieder nicht an. Zu holografisch und höchstpräzise spielt die in nüchternem Schwarz gehaltene Saarländerin die Genelec dann auch wieder „an die Wand“ – auch wenn man in diesem unfairen Vergleich das Bassvolumen nicht berücksichtigt.
Wenn Sie aber auf der Suche nach einem platzsparenden Monitor für ein kleineres Studio sind, wenn Sie ihrem Fernseher mit optisch sehr ansprechenden Lautsprechern auf die Sprünge helfen wollen und wenn Sie Musik in wirklich toller Qualität hören möchten, dann sollten Sie die fast 1.000,- Euro pro Paar unbedingt aus dem Sparstrumpf holen.
Studioanwendung
Einmal richtig positioniert und mit den DIP-Schaltern in der besten Position, haben Sie mit der Genelec 8020 RAW nicht nur einen überaus schicken Monitor in Ihrem Studio. Sie haben dann vor allem ein höchstprofessionelles Arbeitsgerät zur Beurteilung des Mixes, des Masterings, der Mikrofonierung und der Effekte. Dabei fällt die Leichtigkeit auf, mit der sich das Geschehen von der Box löst und wie die Genelecs gerade feindynamisch auf sehr hohem Niveau spielen. Die Beurteilung von Transienten, Sustain, Kompressionsgrad oder Färbung durch Effektkomponenten fällt mit der 8020 wirklich leicht. Auch als Zweitmonitor – zum Beispiel zusätzlich zu den Midfield Speakern – bieten die Aluminium-Schallwandler viel Mehrwert und helfen bei der Beurteilung des Raumklanges, wenn die Luft einmal nicht durch 10“ oder größere Basstreiber angeregt wird.
Zu kritisieren ist der nicht ganz verfärbungsfreie Mittenbereich, der aber nur im direkten Vergleich zu den KSD auffällt. In den mittleren Lagen klingen die Oberwellen einer Frauenstimme nicht so frei und etwas verhalten. Die leichte Delle im Frequenzgang könnte dafür verantwortlich sein, wobei der Effekt wirklich minimal ist und man ja bei der Beurteilung des Lausprecherklanges anhand von Frequenzschrieben nicht immer auf dem besten Weg ist.
Übrigens kann ich die 8020 auch ausdrücklich als Lautsprecher für ein Digitalpiano, einer Orgel oder Synthesizer verwenden. Auch meine akustische Gitarre oder Klänge aus der B&G Little Sister werden sehr präzise, dynamisch und komplett abgebildet, wenn man auf die untersten Lagen verzichten kann.
Musikwiedergabe
Wenn Sie die Genelec 8020 RAW für die Wiedergabe Ihrer Lieblingssongs verwenden, werden Sie auch mit sehr hohen Ansprüchen zugeben müssen: Diese Lautsprecher sind nicht nur nüchterne Monitore zur Beurteilung von Mix & Co. – nein, sie bieten eine tolle Spielfreude und eine sehr plastische und farbenfrohe Wiedergabe.
Farbenfroh? Wieder so ein esoterischer High-End Begriff? Nein. Farbenfroh bedeutet, dass der Lautsprecher die Klangfarben von Instrumenten (also letztlich die Oberwellen) auch in einem dichteren Klangteppich sauber herausarbeitet. Es gibt keinen Zweifel, ob es sich um eine Oboe oder Klarinette handelt, wie die Snare gespielt wird, ob der Pianist das Sostenuto-Pedal tritt.
Ein farbenfroh spielender Lautsprecher macht klar, warum der Tenor Juan Diego Flórez so gut ist, wie behauptet wird und warum man bei Suzanne Vegas „Luca“ Gänsehaut bekommt.
Zudem spielt die Genelec 8020 RAW auch hier überaus neutral und verfärbungsarm.
Genelec 8020 RAW und Subwoofer
Subwoofer – wer meine Tests kennt, weiß, dass ich da kein großer Freund bin. In kurzen Worten: Die Positionierung eines Subwoofers ist so komplex, dass man in den wenigsten Fällen kaum mehr Qualität hat – wenn man von flatternden Hosenbeinen mal absieht. Auch wenn jetzt viele wieder schreiben: „Bei mir klingt es aber gut“ – Sie dürfen (bis auf wenige Ausnahmen) davon ausgehen, dass ein entsprechend bassstarker Full-Range-Monitor das besser hinbekommt. Und falls Ihnen die Optik unserer Alu-Finnin gut gefällt, sie aber mehr Bass wünschen: Die größeren Geschwister 8030 und 8040 gibt es auch in diesem großartigen Design.
Würde auf Hochglanz polieren :D
…oder vielleicht gleich aus Mithril geschmiedet. Dann leuchten sie auf, wenn Bands wie Slipknot oder Dimmu Borgir ins Studio kommen. :-)
Das nächste Mal bitte in kryptonitgrün – dann kommt Superman nicht mehr so oft vorbei, um mir auf den Sack zu gehen.
Nett umschrieben.
Ich werde die Designvorschläge nach Finnland weiterleiten!!!!
Danke!
Gruß, Jörg
Bei Programminstallationen muss ich auch immer auf Finisch klicken, obwohl ich das gar nicht kann;).
Der Herr hat auch eine tolle Büchersammlung :-)
Hab ja nichts gegen saftige Preise und suche spaßeshalber schon länger ein gut erhaltenes Blue Sky 2.1 System für den Gaming-PC aber hier drängt sich mir der Vergleich mit den iLoud MTM von IK-Multimedia auf. Die sind günstiger und und haben sogar Einmessmikro und DSP. Das rohe „Design“ der Genelec finde ich gut vermarktet. Sollten Autohersteller mal einführen. Gut für Umwelt und die Produktionskosten.
Danke für den Test. Wie schafft es Genelec eigentlich immer, soviel Basswiedergabe in so kleine Gehäusegrößen zu packen?
„ Es gibt keinen Zweifel, ob es sich um eine Oboe oder Klarinette handelt, wie die Snare gespielt wird, ob der Pianist das Sostenuto-Pedal tritt.“
Die meisten Klaviere -auch viele Flügel- haben gar kein Sostenuto-Pedal (mittleres Pedal). Hier war sicher das Dämpferpedal (oder Fortepedal) gemeint?
Hallo, da der Autor schon seit Kindesbeinen an Klavieren gesessen ist: ich meinte tatsächlich das Sostenuto Pedal.