Neumanns neuester Streich
Mit dem brandneuen Neumann V 402 stellt das Berliner Traditionsunternehmen nach vielen Jahrzehnten Pause wieder einen Mikrofonvorverstärker vor. Vorausgegangen war ein mysteriöses Video auf Facebook, das zu einer Vielzahl an Spekulationen führte, doch nun ist das Geheimnis gelüftet. Bereits in den letzten Jahren hat Neumann sein Produktportfolio stetig erweitert. Toningenieure, die bereits den Mikrofonen, Kopfhörern und Abhörmonitoren von Neumann vertrauen, bekommen mit diesem Preamp nun ein weiteres wichtiges Glied in der Klangkette. Mit einem Ladenpreis von 2.580,- Euro für zwei Kanäle reiht sich der Neumann V 402 direkt in der Oberliga neben Produkten von Rupert Neve Designs, API, Avalon, oder AMS Neve ein. Wir konnten eines der ersten Testmodelle ergattern und dem Jungspund auf den Zahn fühlen.
Flashback – Neumann Mikrofonvorverstärker
Neumann Preamps wurden in der Vergangenheit immer für Mischpulte gebaut und waren bisher nicht als Standalone-Geräte verfügbar. 1963 kam das erste Modell “TMV 60” auf den Markt und war sehr modern ausgerichtet. Statt die weitverbreitete Röhrentechnologie zu verwenden, kamen Germaniumtransistoren zum Einsatz, eine Vorverstärkung von 60 dB wurde erreicht und es gab drei Trittschallfilter bei 40 Hz, 80 Hz und 120 Hz. Ein nächster Meilenstein war der 1974 vorgestellte PMV 70 für das Danner B1 Kassettenformat. In diesem kamen Siliziumtransistoren zum Einsatz und die Gesamtverstärkung betrug 70 dB, Ein- und Ausgangsübertrager von Haufe kamen zu Einsatz. 1979 wurde dessen Nachfolger V 476 B vorgestellt, der bis Anfang der 90er Jahre produziert wurde. Insgesamt standen 80 dB Vorverstärkung zur Verfügung, der genaue Wert wurde mit einem Schalter (0-70 dB) und einem Poti (bis +10 dB) eingestellt. Auch bei diesem Modell wurden Ein- und Ausgangsübertrager von Haufe verwendet. Daneben gab es noch einige weitere Modelle wie den PV 76 für das Danner A1 Format oder den OV56 mit weniger Vorverstärkung und ohne Ausgangsübertrager.
Ein Preamp der Neuzeit – Neumann V 402
Mit all diesen Vorgängern hat der neue Neumann V 402 äußerlich wie innerlich redlich wenig gemeinsam. Es handelt sich dabei nicht um eine Reissue wie etwa beim U67 oder U47 FET, sondern um eine eigenständige Neuentwicklung auf der Höhe der Zeit. Auf Ein- und Ausgangsübertrager wurde beispielsweise komplett verzichtet. Das ermöglicht heutzutage in vielen Bereichen deutlich bessere Audiowerte, Übertrager sind ja rein technisch nicht mehr zwingend notwendig. Um den Anforderungen moderner Studioumgebungen gerecht zu werden, spendiert Neumann dem V 402 zwei zusätzliche Hi-Z Eingänge sowie einen Kopfhörerausgang mit eigener Mixing-Sektion, der eine Kontrolle des Mono- bzw. Stereosignals zulässt. Gefertigt wird der V 402 übrigens in Deutschland, ein erfreuliches Detail, denn der Trend in der Audiobranche geht klar zur Herstellung in asiatischen Billiglohnländern.
Technische Daten
Der zweikanalig aufgebaute Neumann V 402 deckt einen sehr weiten Frequenzbereich zwischen <10 Hz bis >100 kHz (-3 dB @ 40 dB Gain) ab.
Für Mikrofone bietet er eine Verstärkung bis zu 60 dB, bei den Hi-Z-Eingängen reduziert sich dieser Wert auf 40 dB. Die Eingangsimpedanzen sind mit 3 kOhm (Mikrofon) respektive 3,3 MOhm vergleichsweise hoch angesetzt. Ein -20 dB Pad ist für beide Eingänge schaltbar. Der maximal Eingangspegel steigt damit auf +28 dBu (!) und beim Hi-Z auf +21 dBu an, der Preamp besitzt also einen sehr großen Headroom, um “heiße” Signale verzerrungsfrei zu übertragen. Die Impedanz des Kopfhörerausgangs ist mit 2 Ohm erfreulich gering, damit lassen sich auch viele niederohmige Kopfhörer bestens betreiben, ohne Abstriche bei der Audioqualität machen zu müssen.
Bedienelemente
Den Anfang machen die Hi-Z-Eingänge auf der linken Seite der Frontplatte, gefolgt von einem großen Gain-Regler, der in 41 Stufen sehr leicht gesteppt ist. Daneben befinden sich pro Kanal fünf Druckschalter für die Eingangsumschaltung auf Hi-Z, die Aktivierung der 48 Volt Phantomspeisung, das angesprochene -20 dB Pad, ein Phasenumschalter sowie ein Hochpassfilter mit recht tief angesetzten 60 Hz bei 12 dB /Okt.
Eine Aussteuerungsanzeige mit zehn LEDs gibt Auskunft über den Grad der Verstärkung, die letzte LED ist eine Peak-Anzeige, die bei + 24dBu rund 3 Sekunden lang aufleuchtet, um zu signalisieren, dass das Ende der Fahnenstange jeden Moment erreicht ist. Nach der Anzeige folgt die eigenständige Kopfhörer-Monitoring-Sektion. Ein Volume-Regler pro Kanal, ein Master-Volume-Regler, ein Mono/Stereo-Umschalter und der dazugehörige Kopfhörerausgang im 6,3 mm Klinkenformat runden die Vorderseite ab. Auf der Rückseite befinden sich die XLR-Ein- und Ausgänge, ein Ground-Lift-Schalter, der Stromanschluss und der An/Ausschalter.
Der Neumann V402 im Studio
Nimmt man den V 402 ehrfürchtig aus der Verpackung, ist er im ersten Moment mit seinen 6 kg Lebendgewicht schwerer, als man vermuten würde. Der Einbau ins Rack funktioniert problemlos, einzig der rückseitige Netzschalter verdirbt mir etwas den Spaß. Bei einem 19″-Gerät lässt sich dieser nicht mehr bedienen, wenn das Gerät ins Rack eingebaut ist. Bitte liebe Hersteller, lasst uns Anwender die Geräte an der Vorderseite bedienen. Wenn ich ohnehin einen externen Schalter benutzen muss, kann man sich den internen gleich sparen.
Gefreut hätte ich mich über ein zweites Ausgangspaar, wie ihn viele Produkte der Konkurrenz, etwa von Lake People oder SPL, bieten. Das wäre technisch einfach zu realisieren und würde viele Optionen bei der Integration des Preamps in die Studioumgebung eröffnen. So könnte man ein Signal direkt in die Digitalwandler senden und ein zweites Ausgangssignal durch Kompressor, EQ, o .ä. anreichern. Beim V402 muss man sich für eins von beiden entscheiden.
In seiner ersten Session muss sich der V 402 an den Drums beweisen. Zusammen mit dem begnadeten Stöckchenschwinger Achim Färber (Automat, Tito & Tarantula, Ben Lukas Boysen etc.) mache ich mich ans Werk und teste den Preamp im Zusammenspiel mit einem Stereo-Bändchenmikrofon der englischen Edelschmiede Extinct Audio. Das “Valkyr” (ein absoluter Geheimtipp!) positioniere ich etwa 1 m mittig über den Drumset.
Unterschiedliche Preamps aufgrund von Klangbeispielen akkurat zu testen, ist ein schwieriges, kaum mögliches Unterfangen. Selbst hochwertige Splitter wie der hier verwendete Alphaton MPV-43P haben einen Einfluss auf den Klang und verändern u. a. die Impedanz. Daher werden wir dem V402 im weiteren Verlauf des Tests auch einigen Messungen unterziehen. Trotzdem habe ich ein paar Klangbeispiele angefertigt. Hier der Neumann V402 im Vergleich zum älteren V476 B:
Hier ein weiteres Klangbeispiel, bei dem ich das Mikrofon noch etwas höher positioniert habe, um mehr Rauminformation einzufangen:
Auch an dynamischen Mikros macht der V402 eine sehr guten und vor allem „frischen“ Eindruck mit einer angenehmen Lebendigkeit. Einem einfachen Shure SM58 vermag er zu ganz neuen Qualitäten zu verhelfen und verleiht dem Signal eine edle Wertigkeit. Der V402 verliert auch bei höheren Gain-Einstellung nichts von seiner Präsenz, eine seltene Tugend und ein Zeichen höchster Qualität. Hier eine Vergleichsmessung, wie sich höherer Gain-Einstellungen bei anderen Preamps im Vergleich zum V402 auswirken:
Anwender, die gerne dynamische Mikrofone und Bändchenmikrofone verwenden, wird das sehr entgegenkommen. Gerade bei diesen Mikrofontypen sind oft höhere Gain-Einstellungen nötig, der V402 verfärbt das Signal hier nicht zum Nachteil des Mikrofons.
Hier drei Klangbeispiele an der Akustikgitarre, für die ich das Neumann U87 Großmembranmikrofon sowie das Schoeps Mk4 Kleinmembranmikrofon verwendet habe:
Im Zusammenspiel mit dem Splitter klingen der neue und alte Neumann tatsächlich überraschend ähnlich. Hier noch ein Beispiel am Bass, aufgenommen mit dem U87:
Auch beim Hi-Z-Eingang kommt mir wieder das Wort „Frische“ in den Sinn. Kein Wunder bei einer Eingangsimpedanz von 3 MOhm. Gitarren und Bässe werden knackig und rauschfrei verstärkt. Rauschen ist übrigens selbst bei maximaler Aussteuerung kein Thema. 60 dB mögen auf den ersten Blick vergleichsweise gering erscheinen – sie lassen sich aber guten Gewissens bis zum letzten Quäntchen ausnutzen, ohne irgendwelche klanglichen Einbußen hinnehmen zu müssen.
In der Praxis zeigt sich übrigens, dass die Schalter gerne mit etwas Nachdruck bedient werden wollen, bis sie einrasten. Dahinter steckt vermutlich die Idee, dass Einstellungen nicht irrtümlich verstellt werden können. Neumann hat die Schalter im Bezug auf Langlebigkeit ausgewählt, da überstehende Kippschalter abbrechen könnten.
Der Kopfhörerausgang ist eine nette Zugabe, um das Signal direkt zu kontrollieren und eventuelle Fehlerquellen zu identifizieren. Durch einen fehlenden Aux-In wird er im Studioalltag sonst recht wenig zum Einsatz kommen. Der 6,3 mm Klinkenausgang ist recht kräftig und mit einer Impedanz von nur 2 Ohm eignet er sich auch sehr gut für niederohmige Kopfhörer, ohne den Klang zu verfälschen. Durch den Mono/Stereo-Umschalter lassen sich Phasenprobleme schnell erkennen und korrigieren. Verwegene Anwender können den V 402 durchaus als Highend-Kopfhörer-Preamp benutzen bzw. mit dessen Ausgang als zusätzlichen regelbaren Line-Out experimentieren.
Wo viel Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten und leider machen sich im Workflow einige Schwächen bemerkbar, die nicht hätten sein müssen. Die Beschriftung der jeweiligen Schalter ist bei dämmrigem Licht nur schwer ablesbar. Bei der kleinen, silberne Schrift auf rotem Untergrund muss man oft mehrmals hinsehen, um ablesen zu können, welche Funktion aktiviert wird. Im Zusammenspiel mit Bändchenmikros sollte man hier aufpassen, statt der Phasenumkehr nicht irrtümlich die Phantomspeisung zu aktivieren. Bei Tageslicht fällt es wiederum schwer zu erkennen, welcher Schalter aktiviert ist. Sowie man den V 402 einschaltet, leuchten nämlich alle Hintergrund-LEDs der einzelnen Schalter, drückt man einen Schalter, intensiviert sich dessen Leuchtstärke. Bei Kunstlicht ist das kein Problem, bei Tageslicht sieht man aber kaum einen Unterschied. Solch kleine Details machen die Arbeit etwas schwerfällig und können in hitzigen Sessions unangenehm sein.
Der Gain-Regler macht mir in der Arbeit unnötigerweise das Leben schwer.
Bei einem zweikanaligen Gerät, das sich besonders für die Stereoaufnahme prädestiniert, sollte es eine Möglichkeit geben, den Grad der Vorverstärkung bei beiden Kanälen exakt einzustellen. Beim V 402 ist das nur “so ungefähr” und “Pi mal Daumen” möglich, hier vermisse ich die Präzision, wie sie die Vorgänger geboten haben. Der Gain-Regler zeigt mit +20 bzw. +60 auch nur zwei Werte an, er dreht aber noch über bzw. unter diese Beschriftungen hinaus. Durch diese Ungenauigkeiten kommen einige Fragen auf: Kann man weniger als 20 dB einstellen? Liefert der Preamp sogar noch mehr als 60 dB? Kann man daraus schlussfolgern, dass sich in der Mitte 40 dB befinden? Wie kann ich die Werte bestmöglich dokumentieren?
Wie die Messungen im Anschluss zeigen werden, ist der Regelbereich der Verstärkung zwischen 20 und 60 dB limitiert, die Beschriftungen sind nur nicht besonders akkurat. In Mittelposition liefert der V402 +46 dB Gain, in der ersten Hälfte des Regelwegs werden dem Signal also 26 dB in der zweiten Hälfte die restlichen 14 dB hinzugefügt. Dass das Poti nicht linear ist, muss kein Nachteil sein, es wäre aber Vorteil, diesen Umstand mit den Anwendern zu kommunizieren – sei es als Beschriftung oder im Handbuch.
Der V 402 im Messlabor
Um die technischen Werte des Neumann V 402 zu messen, mache ich mich auf zu Thomas Funk von Funk Studiotechnik aus Berlin (siehe Link unten). Durch seine jahrzehntelange Erfahrung auf dem professionellen Audiosektor, durch seine eigenen Produkte, die mit besten technischen Daten aufwarten und immer an der Grenze der Machbarkeit kratzen, konnte er sich international einen exzellenten Ruf erarbeiten.
Beim Blick des Meisters durch das Mikroskop auf die verschiedenen Platinen im Inneren des V402 wird klar, dass Thomas Funk wirklich jedes Bauteil und jeden OpAmp-Chip wie aus seiner Westentasche kennt. Umso erfreulicher, als sein Urteil zur Verarbeitung und der Qualität der verwendeten Teile positiv ausfällt. Im anschließenden dreistündigen Testmarathon zeigt der V 402 keine Blöße und besticht durch sehr gute Messwerte. Bei der Verstärkungsleistung der beiden Kanäle gibt es nur geringe Abweichungen im Bereich von 0,01 und 0,07 dB. Bei hoher Aussteuerung gesellt sich zwar K3 und auch etwas K2 zum Signal, aber verschwindend gering – kaum über dem sehr niedrigen Grundrauschen.
Der gemessene Frequenzgang ist absolut geradlinig, bei 40 dB Gain liegt die Abweichung von der Idealkurve im Bereich von 20 kHz bei minimalen 0,16 dB. Selbst bei hoher Aussteuerung bleiben die Höhen erhalten – im Vergleich zu vielen anderen Preamps wird das Signal im oberen Grenzbereich nicht verfärbt. Bei vollen 60 dB und +10 dBU liegt die Verfärbung bei 20 kHz nur bei -0,7 dB!
Die Phantomspannung wurde mit 47,7 Volt gemessen. Die Abschirmung des linearen Netzteils ist sehr gut gelungen, Einstreuungen fallen beim V 402 nicht ins Gewicht. Messtechnisch erlaubt sich der V402 keinerlei Schwächen, sondern überzeugt durch gute Werte.
Vielen Dank an den Berliner Recording-Equipment-Verleih Echoschall für die Leihgabe des V476B sowie an Carsten Lohmann und Thomas Funk für ihre Zeit und Expertise (Links siehe unten).
Ein wirklich gelungener Testbericht. Vielen Dank an den Autor. Man merkt sofort, dass hier jemand mit Sachverstand schreibt. Der technische Teil hat mir auch sehr gefallen.
Was ich mir wünschen würde, wäre eine auf Projektstudios gerichtete Wiederbelebung der Konsolen von Neumann analog zu SSL oder API. Das wäre mal was neues!
Ich glaub die alten beruehmten Danner kassetten im API 500 format waeren da mal ein guter anfang.
Das würde mich auch sehr reizen! :)
Vielleicht koennte Amazona da ja mal anklopfen.
Ich hab den Wunsch schon bei Neumann beim Entwickler des V402 kund getan… Auch gegen eine Neuauflage des KM84 hätte ich nichts einzuwenden ;-)
Danke! Wenn Neumann einmal in drei Jahrzehnten einen Preamp veröffentlicht, muss man ihn schon genau unter die Lupe nehmen – das hat er sich verdient… Ich würde mich aber auch über eine Reissue im Bereich Preamp / Konsole / EQ / Kompressor freuen!