Do it like Larry
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Larry Carlton ist einer dieser Gitarristen, die quasi automatisch mit einem bestimmten Gitarrenmodell assoziiert werden. Bei ihm ist es, obwohl er immer wieder Ausflüge zu anderen Modellen und Herstellern gemacht hat, wohl fraglos die Gibson ES-335, jenes halbakustische Arbeitspferd mit dem leicht holzigen Klang, mit dem er schon als Gastmusiker bei Steely Dan für Aufsehen sorgte. Das Gitarrensolo von Kid Charlemagne dürfte eins der meistanalysierten Solos aller Zeiten sein. Nicht ohne Grund wird er aufgrund seiner Liebe zu diesem Instrument auch „Mr. 335“ genannt und sein Studio und einer seiner größten Hits heißen „Room 335“. Die Firma Sire Guitars aus Kalifornien, die bereits durch ihre Kooperation mit Marcus Miller von sich reden machte, hat auch Larry Carlton mit ins Boot geholt und mit ihm zusammen eine Serie elektrischer und halbakustischer Gitarren entworfen, darunter auch die Sire Guitars Larry Carlton H7V VS Semi Hollow, die zum Test auf meinem Schoß Platz genommen hat.
Sire Guitars Larry Carlton H7V VS – Facts & Features
Das erste Gefühl, das die Sire Guitars Larry Carlton H7V in mir auslöst, ist ungläubiges Staunen. Was ich hier in der Hand halte, ist ein auf den ersten Blick exzellent verarbeitetes Instrument, das mit einem Verkaufspreis von 599,- Euro auch direkt ein paar Fragezeichen in mein Gesicht zimmert. Solche Kampfpreise gehen, wenn man ein ausgezeichnet verarbeitetes und hochwertiges Gitarrenmodell anbieten will, immer zu Lasten der Personalkosten und der Produktion, die zu diesem Zweck gern nach Fernost verlagert wird. Und so auch hier. Obwohl die Firma in Kalifornien ansässig ist, stammen die Instrumente aus einer Fertigung in Indonesien. Das ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, aber es ist auch kein Geheimnis, dass Instrumente aus fernöstlicher Produktion einen wirklich hohen Qualitätsstandard bieten, wie andere Firmen wie Ibanez oder Harley Benton quasi ausnahmslos beweisen. „Handmade in the U.S.“ oder „Made in Germany“ gefertigte Instrumente sind eben leider auch meist preislich auf hohem Niveau.
Die hier auf ihre Bewertung wartende Sire Guitars Larry Carlton H7V unterscheidet sich äußerlich in nichts von einer originalen ES-335, auch wenn Modelle mit P90-Tonabnehmern eher seltener zu finden sind. Das Sire-Pendant mit herkömmlichen Humbuckern kommt ohne die Modellbezeichnung „V“ aus, welche für „Vintage“ steht. Der Zusatz „VS“ bezeichnet dann die Farbgebung, in diesem Fall „Vintage Sunburst“. Die schön und gleichmäßig gemaserte Decke des Testinstruments besteht aus zwei Teilen Riegelahorn, der Rest des zur Hälfte hohlen Korpus aus optisch weniger spektakulärem Ahorn. Wie bei Modellen dieser Bauart üblich, ist der Hals in einen massiven Tonblock eingeleimt und besteht, wie auch beim bekannten Vorbild, aus Mahagoni. Als Griffbrett findet Ebenholz Verwendung, dieses trägt die 22 Medium-Jumbo-Bünde und ist orientierend verziert mit Blockeinlagen. Korpus und Hals sind mit einem cremefarbenen Binding umrandet. Bei genauem Hinschauen fällt eine kleine Verarbeitungsmacke am oberen Übergang von Hals und Korpus auf, hier wurde beim Binding ein bisschen geschlampt. In einem Custom-Shop wäre das nicht durchgegangen, angesichts der Serienfertigung und des Preises ist das absolut zu verschmerzen und hat auch keinerlei Auswirkungen auf den Klang. Der Korpus wurde übrigens, darüber gibt die Website des Herstellers Auskunft, der originalen Gibson Larry Carlton Signature nachgebildet. Da ich die leider noch nicht in der Hand hatte, will und muss ich das gern glauben.
Eine signifikante Änderung gegenüber dem Original gibt es allerdings. Die will ich nicht vorenthalten, weil sie der Gitarre eine wunderbare Ergonomie verleiht. Die Rede ist vom Halsprofil, das in Richtung des Griffbretts abgerundet wurde. Das Ganze nennt sich „Edgeless“ und das Ergebnis ist eine quasi nicht mehr wahrnehmbare Griffbrettkante. Selbstverständlich wurden die Bundstäbchen auch extremst verrundet, was bei inexaktem Spiel und überdurchschnittlichem Krafteinsatz natürlich auch dazu führen kann, dass man mit einer der beiden E-Saiten vom Griffbrett rutscht und ein eher unschönes Geräusch erzeugt. Kleiner Tipp am Rande: Wenn das mal passiert, einfach immer den Keyboarder strafend angucken und weitermachen!
Die Kopfplatte des Sire Guitars Larry Carlton Modells ist wie zu erwarten leicht nach hinten geneigt, einen stärkenden Holzkragen zur Sicherung der bruchgefährdeten Stelle gibt es leider nicht. Der Knochensattel führt die .010 – .046 Werksbesaitung zu den Sire-Mechaniken. Korpusseitig werden die Saiten von einem Tune-O-Matic-Style Steg mit Aluminium-Stop-Tail-Piece auf Spannung gehalten. Die Hardware scheint also komplett im eigenen Haus gefertigt zu werden, die Homepage schweigt sich darüber jedoch aus. Die Tuner laufen leichtgängig und die Brückenkonstruktion wirkt wertig und solide.
Die Elektrik der Sire Guitars Larry Carlton H7V
Das Herz der Vintage-Version der Sire Guitars Larry Carlton bilden, wie schon erwähnt, zwei Tonabnehmer der beliebten P90-Typen. P90-Pickups sind Einspuler, die eine etwas vergrößerte Bauform aufweisen als herkömmliche Singlecoils und auch etwas voluminöser klingen. Vor allem im Jazzrock und Blues ist diese Art der Tonabnehmer sehr beliebt. Die von Sire Guitars verwendeten P90-Pickups scheinen auch aus eigene Produktion zu stammen und haben die charakteristischen Dog-Ears, also die „Montage-Ohren“. Die Schaltung ist unspektakulär und erfolgt über einen 3-Wege-Toggle-Switch, jeder Pickup verfügt über je einen Volume- und einen Tone-Regler. Die Klinkenbuchse befindet sich recht weit hinten am Korpus, sodass das Kabel auch bei Verwendung eines geraden Steckers nicht im Weg ist und im Live-Betrieb die Fixierung des Kabels mit dem Gurt problemlos möglich ist. Wie bei Gitarren dieser Bauart üblich, gibt es kein Elektronikfach, sondern im Servicefall muss mit Spezialwerkzeug im unteren F-Loch geangelt werden.
Die Sire Guitars Larry Carlton H7V in der Praxis
Auf dem Schoß fühlt sich die Larry Carlton Signature sofort vertraut an. Das überrascht mich jetzt nicht wirklich, das Design dieser Gitarre ist älter als ich, also müsste ich wohl eher fragen, wie sich die Lady auf meinem Schoß fühlt, das gebietet die Höflichkeit. Von Kopflastigkeit keine Spur, ganz im Gegenteil, so große Gitarren neigen dann schon eher zur Hecklastigkeit. Der Hals fühlt sich, wie ich oben schon andeutete, wundervoll „fluffig“ an. Im oberen Bereich stört tatsächlich der hinter dem Neckjoint angebrachte Gurtpin, dieser drückt sich vernehmlich in die Handfläche, wenn man ab dem 15. Bund unterwegs ist. Ein angebrachter Gurt macht das Problem nicht besser. Nun gut, bei einer hohlen Konstruktion ist es auch nicht wirklich ratsam, eine Schraube in das obere Korpushorn zu würgen. Es sei denn, man verschafft der Schraube im Inneren etwas Halt in Form eines eingeleimten Holzklötzchens. Auf geht’s, Sire Guitars, ein bisschen Innovation hat noch nie geschadet. Das Handling in den oberen Lagen würde massiv profitieren.
Die Werkseinstellung der Sire Guitars Larry Carlton ist vorbildlich. Wer briefmarkenflache Saitenlagen gewöhnt ist, sollte sich aber erstmal im Fitnessstudio anmelden. Die Tonansprache im Trockentest ist schnell, perkussiv und im besten Sinne „holzig“, die Semi-Hollow-Konstruktion macht die Gitarre auch bereits jetzt schön hörbar. Ich liebe solche Konstruktionen tatsächlich beim trockenen Üben, denn hier hört man Unsauberkeiten schnell heraus.
So klingt die Sire Guitars Larry Carlton H7V VS Semi-Hollow
Bis auf Ted Nugent kenne ich niemanden, der eine Hollowbody bei voller Aussteuerung des Amps benutzt, aber der Typ hat ja sowieso einen an der Waffel. Also lassen wir die Ultrazerre heute mal weg und widmen uns den sanften Tönen. Für die Klangbeispiele spiele ich die Sire Guitars Larry Carlton H7V in meinen Kemper und dann direkt via Audiointerface in Logic Pro. Das Profile ist ein Dumble aus der Rig Exchange. Wenn schon Carlito, dann richtig :)
Klangbeispiel Nr. 1 nutzt die Kombi aus beiden Pickups als Rhythmussound, der Halspickup macht ein paar Solotönchen. Im Klangbeispiel Nr. 2 macht der Steg-Pickup den Rhythmus, das leicht angezerrte Solo kommt aus beiden Pickups. Die Gitarre ist extrem satt im Bass, vor allem, wenn der Hals-Pickup im Spiel ist. Wenn ich jetzt aber den Bass am Verstärker reduziere oder einen EQ in der DAW benutze, fehlt dem Sound die Wärme, die ich bei der ES-335 so liebe. Alles in allem ist das aber jammern auf ganz hohem Niveau, die Gitarre hat grundsätzlich ein wunderbares Klangpotential, das diesem Modell mehr als gerecht wird. Eine Epiphone ES-335, die ich vor langer Zeit gespielt habe, hatte nicht annähernd diese Ausgewogenheit im Sound und meine Ibanez Artist kann schon gleich gar nicht mithalten.
Für Freunde der etwas angekratzten Sounds, hier noch ein Klangbeispiel, bei dem ich mich mit einem Morgan AC 20 Profile verbinde und alle drei Pickup-Kombinationen der Reihe nach ausprobiere. Und hier spielen die P90-Pickups ihre wahre Stärke aus. Unglaublich dynamisch, in allen Positionen charakterstark und sehr ausgewogen. Das feiere ich hart! Nebengeräusche werden bei verzerrten Sounds langsam Thema, sind aber gut im Zaum zu halten.
Wow! Sehr hübsche Gitarre. Danke für den ausführlichen, sehr lesenswerten, fairen und sehr objektiven Test und natürlich die gelungenen Soundbeispiele.
Bzgl. Hardware und PUs aus eigener Fertigung: das wird sicherlich alles nur irgendwelches OEM-Zeug sein, wenn’s hochkommt vom Hersteller der Gitarren selber (vielleicht das indonesische Cor-Tek-Werk?). Die Firmeninfos auf der Sire-Homepage sind so extrem dürftig, dass es fast nicht inhaltsloser geht. Da wird nur von einer Brand gesprochen, es gibt keine Historie, von irgendwelchen Standort-Infos mal ganz abgesehen. Und da dort nichts dergleichen angegeben ist, muss ich auch davon ausgehen, dass es nichts dergleichen gibt. Als Kontakt nur eine Mailadresse und eine US-Telefonnummer. Für mich ist das kein Hersteller, sondern ein weiteres unter den vielen Luftlabels, wo einfach nur Gitarren gespect und bei einem ostasiatischen Lohnfertiger in Auftrag gegeben werden.
@OscSync Neh, die Firma gibt es schon länger, und die haben auch anfangs noch selber Instrumente in Korea gebaut.
https://m-sire–korea-com.translate.goog/shopinfo/sireStory.html?_x_tr_sch=http&_x_tr_sl=de&_x_tr_tl=en&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp
Die offizielle Sire-US seite ist wirklich nur übles Marketing-Blah…
@janschneider Interessant, danke. Dann macht deren Marketing wirklich einen ganz schlechten Job, diese Infos auf der internationalen Seite alle komplett auszusparen.
danke für diesen ausführlichen Test. Ich habe die Sire seit einer Woche und kann alle Aussagen, auch die der minimalen Lackfehler bestätigen. wieder hergeben werde ich dieses fantastische Instrument allerdings nimmer mehr.
Warum es Merkwürdigkeiten mit der Homepage gibt kann ich allerdings nicht nachvollziehen, siehe Sire-revolution.com. Ich persönlich finde die Werbung nicht besser oder schlechter als die von anderen Konkurrenten.