Close your eyes ... and relax!
Wie in alten Zeiten – beim Auspacken des Violectric HPA V550 Kopfhörerverstärkers fühlte ich mich in alte High-End-Zeiten zurückversetzt. Von allem zu viel: zu viel Material, zu viel Gewicht, zu dicke Frontplatte, professionelle Buchsen, massive Schalter und eine aus dem Vollen gedrehte Fernbedienung.
Dabei reden wir von einem „simplen“ Kopfhörerverstärker. Wobei „simpel“ da nicht das passende Wort ist, denn Der V550 bietet auch echte Vorverstärkerfunktionen. Und wem der Hersteller Violectric kein Begriff ist: Der Hersteller gehört, ebenso wie Niimbus zu den Lake People. Seit 2009 ist „Violectric“ auch eher im HiFi-Bereich positioniert, was dem Einsatz im Studio aber keinen Abbruch tut. Das Brain hinter Violectric (und Lake People und Niimbus) ist Fried Reim, den man getrost als Kopfhörerverstärker-Papst bezeichnen kann. So hat er beispielsweise auch ein Kochbuch für Kopfhörerverstärker verfasst, das man über proaudio.de kostenlos herunterladen kann. Kurzum: Der Mann weiß, wovon er spricht!
Warum braucht man einen Kopfhörerverstärker?
Diesen Ball nehme ich auch gerne gleich auf und möchte zu dem Thema ein paar Worte verlieren. Da jedes Audiointerface, jeder Mixer und jeder Preamp heutzutage einen KH-Amplifier hat, ist die Frage durchaus berechtigt. Muss ich hier noch mal Geld ausgeben? Was bringt mir ein Kopfhörerverstärker klanglich und muss ich dafür wie hier beim Violectric HPA V550 wirklich 2.399,- Euro ausgeben?
Die Antwort lautet – wie so oft: Es kommt drauf an. Und zwar zunächst an die Ansprüche und an das Einsatzgebiet. Man kann klar sagen: Hochwertige Kopfhörer, sagen wir in der 500,- Euro plus Preisklasse, werden ihnen in der Regel schon mitteilen, dass sie sich an einem guten KH-Verstärker wohler fühlen als an der Miniklinke ihres Notebooks.
Das liegt an zwei Faktoren: dem komplexen Widerstand (Impedanz) und der Empfindlichkeit. Grob gesagt: Je geringer die Impedanz, desto empfindlicher der des Kopfhörers. Und so findet der Verstärker je nach angeschlossenem Kopfhörer immer eine andere Last vor, die er mit genügend Strom, bitte rauscharm und in bester Qualität bedienen muss.
Im Studiomonitor/HiFi-Lautsprecher-Bereich ist das anders. Wer hier einmal eine passende Speaker-Verstärker-Kombination gefunden hat, der wechselt diese nicht so schnell. Aber es ist durchaus üblich, zwei, drei oder mehr Kopfhörer zu besitzen und diese auch munter zu wechseln.
Kurzum: Ein Kopfhörerverstärker muss mit einem breiten Spektrum an Lasten zurechtkommen, und somit können interne Kopfhörerverstärker z. B. im Audiointerface nur ein Kompromiss sein. Das kann man vom Violectric HPA V550 weiß Gott nicht behaupten.
Welche Ausstattung bietet der Violectric HPA V550?
Ich möchte sagen: Alles, was das Herz begehrt, ist an Bord! Es stehen drei Eingänge zur Verfügung. Ein Pärchen symmetrischer XLR Buchsen und zwei Cinch- (RCA) Paare (unsymmetrisch). Die drei Inputs lassen sich auf der Frontplatte und der Fernbedienung mit einem satten Relais-Klick umschalten. Über die „Mäuseklaviere“ lässt sich der Pre-Gain anpassen und zwar auf -18 dB, -12 dB, -6 dB, 0 dB, +6 dB, +12 dB und +18 dB. Das Ganze sogar getrennt für beide Kanäle, wobei ich den Sinn dahinter nicht verstehe. Oder haben Sie, lieber Leser, einen Kopfhörer mit einem AKG Schale rechts und einer Sennheiser Schale links?
In Sachen Ausgänge haben wir symmetrische Line-Out (XLR) für links und rechts und unsymmetrische RCA-Buchsen. Die Ausgänge sowie ein Muting sind ebenfalls schaltbar, wobei Letzteres nur über die Fernbedienung geht. Auch der Line-Out-Gain ist über DIP-Schalter anpassbar in denselben Schritten wie bei den Inputs von -18 dB bis +18 dB in 6er-Schritten.
Auf der Front finden wir ein massives Motorpoti für die Lautstärke, einen Balance-Regler und ganze drei Kopfhörerausgänge (1x 4-pol XLR und 2x Stereoklinke 6,3 mm). Der Power-Schalter schließt die Ausstattung ab. Erfreulich finde ich noch das innenliegende 220 V Netzteil – so bleibt einem ein weiterer schwarzer Block auf der Steckerleiste erspart.
Bei der Frage, worin sich der noch mal 600,- Euro teurere HPA V550 PRO von der Standardversion unterscheidet – da musste ich auch erst mal eine Zeit lang suchen. Es ist tatsächlich „nur“ die Lautstärkeregelung, die bei der PRO-Version per Reed-Relais die Lautstärke in 256 Schritten (0,4 dB) regelt. In der getesteten Standardversion ist „nur“ das RK27 Poti von Alps verbaut.
Violectric HPA V550: Die Verarbeitung
Ich habe es eingangs erwähnt: Das ist reines High-End und so macht der Violectric HPA V550 auch unmissverständlich klar, wofür man das Geld ausgegeben hat. Eine dicke Frontplatte, extrem hochwertige Bedienelemente und ein stabiles, schweres Gehäuse mit sehr guten Buchsen. Ich habe beim Auspacken mehrfach mit der Zunge geschnalzt. Der kleine SPL Phonitor One (d) aus meinem Test war wirklich schon sehr gut gebaut, aber das hier ist eine andere Klasse. Da muss man schon den großen SPL Phonitor als Referenz heranholen und auch hier darf man sagen: Gleichstand! Wir reden hier von allerhöchster Ingenieurskunst und größter Fertigungstiefe. 3 bzw. 4 mm starke Aluminiumwände und maximaler Aufwand bei der Verstärkertechnik mit Operationsverstärkern tun das Übrige, um ein bestmögliches Klangerlebnis zu garantieren. Und das hören wir uns jetzt mal an!
Wie klingt der Kopfhörerverstärker?
Ich habe den Violectric mit drei verschiedenen Kopfhörern getestet: Dem Beyerdynamic Aventho (32 Ohm), dem Philips Fidelio X2 (30 Ohm) und dem Beyerdynamic DT 1990 Pro (250 Ohm). Zum Vergleich habe ich meinen Universal Audio TWIN X Quad und den formidablen SSL SiX Analogmixer herangezogen.
Wie auch schon im Test des Apple AirPods Max sei darauf hingewiesen, dass Kopfhörertests (und das angeschlossene Equipment) sehr komplex sind, denn man hat immer eine recht lange Umsteckphase – denn selbst ein hochwertiger Signalverteiler hätte bei diesen geringen Lasten einen großen Einfluss auf den Klang. Ein exaktes Einpegeln ist ebenfalls praktisch unmöglich. Diesen Unzulänglichkeiten im Mess-Equipment kann man nur viele Jahre praktischer Erfahrung entgegensetzen. Bei mir sind es 34 Jahre.
Dazu habe ich mir drei Referenzsongs herausgefischt – jeder mit speziellen Klängen, die die Eigenschaften der Verstärker herausarbeiten sollen. Diese Songs verwende ich gern und immer wieder und sind mir sowohl im Freifeld (Lautsprecher), als auch bei Kopfhörern bestens bekannt.
Nummer 1: The Weavers – Guantanamera
Dieser sehr alte Song liegt mir in einer tollen Qualität vor und bietet ein maximales Live-Erlebnis. Der Ping-Pong Stereo-Effekt und die Stimmen müssen sich kompletten von den Lautsprecherschalen der Kopfhörer lösen und die Bühne darf weit in die Tiefe reichen – gerade wenn der Sänger die Geschichte des kubanischen Nationalhelden José Martí erzählt und die Sängerin weit hinten einsetzt. Da muss der Raum atmen.
Nummer 2: Yello – The Expert
Hier habe ich eine unkomprimierte Version des Songs der mit geradezu brachialer Dynamik überrascht. Die komplexen Klanggebilde der Schweizer müssen hier stabil im Raum stehen – trotz immenser Membranauslenkung. Details, wie ein nach links wegwanderndes Echo müssen klar nachvollziehbar herausgearbeitet werden. Schwerstarbeit für Verstärker und Kopfhörer.
Nummer 3: Dire Straits – Ride across the river
OK, die Brothers in Arms gehört zum Standard-Repertoire eines jeden Testers. Ride across the River bietet neben einer sehr schönen Percussion auch eine weit hinten platzierte Trompete, die wie festgenagelt im Raum stehen muss. Der Bass muss klar, aber nicht fett kommen. Knopflers Gitarre hat Körper und die Singlecoils seiner Fender Strat dürfen schön dreckig singen.
Violectric HPA V550 im Vergleich
Nach wenigen Takten im Vergleich zwischen Apollo, SiX und Violectric wird klar: Das ist ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen dem SSL und dem HPA V550. Der Apollo hat einen ganz wunderbaren Kopfhörerverstärker, aber seine Stärken sind ganz klar in der Preamp-Sektion und dem Zusammenspiel mit der Software. Zu aufgebläht der Bass, zu wenig Definition und Räumlichkeit im Vergleich zu den beiden anderen. Absolut gesehen ist die Qualität gut, aber im direkten Vergleich fehlt es hier an Feinsinnigkeit.
Davon hat der SSL SiX mehr als genug. Sehr detailreich, räumlich und „Studio-like“ hört man jedes Kieksen von Knopflers Fender und eine sehr feine Percussion. Die Stimme klingt sonor und im Raum wie festgenagelt. Perfekt für das Studio: Selbst anspruchsvolle Kopfhörer-Abmischer werden den SiX lieben. Auch artifizielle Musik, wie das Dynamik-Monster von Yello, wird mit aller Explosivität und Brutalität in den Gehörgang gehämmert – genau so hat sich das Boris Blank vorgestellt, da bin ich ganz sicher.
Und der Violectric? Der braucht erstmal etwas Zuwendung. Der Gain muss über die DIP-Schalter schon sehr sorgsam auf den angeschlossenen Kopfhörer angepasst werden, sonst ist es entweder zu indirekt oder zu vordergründig. Aber hat man einmal den Sweetspot gefunden, dann ist der HPA V550 etwas für ganz lange Musikabende. Der Bass ist im Vergleich viel schlanker und genauso leicht zurückgenommen wie die Mitten. Man nimmt vielleicht die Stimmen der Weavers nicht so seziert wahr, wie es der SLL macht, sondern man fällt in das weiche Kissen einer gut abgestimmten (und ich bitte jetzt um Verzeihung) High-End-Stereoanlage. Sie befinden sich in der Musik, wunderbar musikalisch und farbenfroh, ohne dass einem irgendetwas fehlt. Eine tolle Räumlichkeit begeistert ebenso wie die Natürlichkeit der Wiedergabe.
Für den Mixing- und Mastering-Prozess ist das leider nichts, das muss ich an dieser Stelle ganz klar herausstellen. Da braucht es den SSL Six und im kleinen Rahmen auch den Apollo. Gerne möchte ich hier auch die kleinen SPL Phonitor one Geräte ins Spiel bringen, die für wenig Geld ganz hervorragende (Studio-) Arbeit leisten.
Der Violectric ist im positivsten Sinne ein Gerät zum Genießen, zum Musikhören. Über diese Gerätegattung hört man das, was man zuvor im Studio mit anderen Geräten mühsam produziert hat. Wenn Sie sich es leisten können, wenn Sie (so wie ich) ganz klar zwischen Studio und HiFi trennen, dann gönnen Sie sich den wunderbaren Violectric. Mit einem Whisky im Ledersessel den Feierabend ausklingen lassen – perfekt!
Im Reich der Goldöhrchen spielen Verstärker eben musikalisch. Man weiß zwar nicht so genau, mit was man die Musikalität eines Verstärkers misst, aber es geht wohl letztlich um Wohlklang.
Wer jetzt sagt „Und im Pro-Audio-Bereich geht es um Linearität, Treue und Analyse, genau da unterscheiden sich die High-End- und die Studio-Welt“, der muss sich fragen lassen, warum gerade die stark färbenden Röhrenvorverstärker so beliebt sind.
Insofern bleiben als Unterschied zwischen den Welten vielleicht doch nur die glänzenden runden Füßchen unter den Geräten :)
Und natürlich die Geschmacksirrungen und -Wirrungen bei den High End-Lautsprecherboxen. Eigentlich sollte die High End-Welt wohnzimmertauglich sein, weil die Pro-Audio-Welt zu dröge war. Aber ein furchterregendes Monster von Wilson Audio käme mir nicht mal dann ins Wohnzimmer, wenn ich sie umsonst bekäme.
@bluebell Hallo bluebell, jaja, die lieben Goldohren….:-). Was täten die immer richtigliegenden Studiomenschen wohl, wenn man ihnen dieses Wort wegnehmen würde?
Focal, KSD/Backes und Müller, … es gibt so viele Hersteller, die eine klare Linie zwischen Studio und Wohnzimmer ziehen, und zwar zu Recht! Es ist ein Unterschied, ob ein Lautsprecher für die Produktion von Musik, oder für das Anhören des Endergebnisses konzipiert wird. So auch für Elektronik.
Wann wird es der Welt da draußen endlich klar, dass dies keine konkurrierende Lager sind, sondern es den einen ohne den anderen nicht gäbe?
@Jörg Hoffmann RE: „…keine konkurrierenden Lager, …“
Sehr schön formuliert; und vieles ist weder Esoterik noch Voodoo, sondern läßt sich technisch zurückführen auf:
Frequenzabhängige / gehörrichtige Lautstärkeempfindung („Fletcher-Munson“)
(Berücksichtigung von) Aus- und Nebenwirkungen der Raumakustik und Umgebung
Beim Abmischen und Mastering geht’s primär um „analytisches (Ab-)Hören“ in einer akustisch optimierten (!) Studioumgebung.
Ein klares „Tick“ beim Anschlagen eines Triangels oder einer leise gespielten Hi-Hat soll eben präzise hörbar sein, weder überspitzt noch als schon leicht gefiltertes „schTicksch“ [ ;-)]. Genauso wie die technische Nachstellung der natürlichen Tiefenstaffelung eines Orchesters im Konzertsaal.
Verstärker und Lautsprecher ganz am Ende der Signalkette, deren Signale also auch nicht auf den Master [für die Veröffentlichung] gelangen, dürfen dann eben gerade nicht mehr als Effekte wirken.
Als Gegensatz dazu eine in den Höhen meist überdämpfte Wohnumgebung, die auf der anderen Seite aber vor allem bei hohen Lautstärken starke, ortsabhängige Bassanhebungen und Absenkungen mit sich bringt. Nicht jeder Hörer wird bei sich daheim Bassfallen aufstellen, und viele Leute wollen Musik auch bereits bei leise(re)n Lautstärken (aber vergleichbarer Wirkung) genießen. Hier sind entsprechende Korrekturen sinnvoll.
@bluebell @Bluebell,
ich denke, die Punkte wie in meinem Kommentar zu Jörg’s Antwort oben sind Dir durchaus geläufig; ich will es hier einfach nur für alle Leser (wieder) einmal präsenter machen.
Allerdings kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen, wenn allzu blumige Beschreibungen und vor allem Produktpräsentationen in teurem Luxus-Design Ambiente [im Artikel nicht der Fall ;-)] mit ganz offensichtlicher (ausschließlicher?) Ausrichtung auf die Zielgruppe „gut betuchter Kunden“ sagen wir mal gewisse Abneigungen erzeugen ;-).
Wir sollten diese individuelle Bewertung m.E. aber klar von der Technik trennen.
Der von Dir angerissene kreative Einsatz von Technik (z.B. „…stark färbender Röhrenverstärker…“), also um mit „Signalbearbeitungen“ ganz bewußt gewisse Effekte & Stimmungen zu erzeugen, steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt Papier.
@NDA Wenn man es zu Ende denkt, nicht.
Das Röhren- und Bandsättigungsplugin im Master-Bus des Klangschaffenden und der färbende Röhrenverstärker des Genusshörers finden sich zwar am jeweils anderen Ende der Kette, bewirken jedoch dasselbe.
Die platte Formel, dass Goldöhrchengeräte schmeicheln und Pro-Audio-Geräte unerbittlich sind, ist schon lange in der Realität verwässert worden.
@bluebell Letztlich läuft die Diskussion hier also auch darauf hinaus, wie jeder für sich den Begriff “Pro-Audio“ definiert oder auslegt.
Wenn’s um Kriterien wie „Linearität, Treue und Analyse“ geht, dann wäre für mich der treffendste Begriff „Meßinstrument“ [sprich so aber halt sicher nur Techniker an ;-)]. Da geht’s ja genau darum, die Meßgröße eben nicht durch das Meßgerät zu verfälschen. Deswegen auch mein entsprechender Kommentar „Verstärker und Lautsprecher am Ende der Signalkette“.
Sättigung z.B. am Master-Bus (egal ob HW oder SW, als „Pro-Audio-Tools“) oder eben erst beim Röhrenverstärker der Abhöranlage fallen unter die Kategorie „Klangbearbeitung“ – und ja, da geht’s natürlich schon gern mal bewußt in den nichtlinearen Bereich und ist Geschmackssache.
Das ist noch nicht das teuerste Modell der »Lake People«.
Es gibt da noch die Marke »NIIMBUS«, die für den »NIIMBUS US4+« 5000 Euro aufrufen.
Ich frage mich bei dieser Geräteklasse welcher Kopfhörer ist denn dafür gedacht? Ein HiFi Kopfhörer wie der »Sennheiser HD 800S« wäre wohl passend dazu?
Bevor ich das Geld dafür in die Hand nehme halte ich es für gegeben das eigene Hörvermögen auf Tauglichkeit/Kompatibilität zu prüfen.
@Franz Walsch Was für billigere Alternativen für diesen hpa v550 kannst du empfehlen?
@robert Hallo, schau Dich mal hier um:
https://spl.audio/de/spl-produkt/phonitor-se/
Gruß, Jörg