ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

The Jimi Hendrix Book (13) – Die Gitarren-Spieltechniken, Teil 2

Jimi on Sunday 13: Hendrix’ Slides, Chords & Riffs

11. Dezember 2022

Hier Teil 2 über Jimi Hendrix‘ Gitarren-Spieltechniken, die den Einsatz der E-Gitarre in Rock, Blues, Jazz und anderen Musikstilen revolutionierten. Den ersten Teil über die Spieltechniken findest du in Folge 11.

ANZEIGE

Slide & Retuning

Slide-Effekte werden normalerweise mit sogenannten Bottlenecks, die ursprünglich aus Glasflaschenhälsen angefertigt wurden erzeugt. Heute wird hierfür eine spezielle Glas- oder Metallhülse verwendet, die über einen Finger der Greifhand gestülpt wird und durch Gleiten über eine angeschlagene Saite einen Glissando-Effekt ermöglicht. Sitzt der oder das Bottleneck auf dem vierten Finger, kann mit den übrigen Fingern auch noch in herkömmlicher Grifftechnik gespielt werden. Diese Art des Gitarrenspiels stammt aus dem Blues und ist von Musikern wie Robert Johnson und Muddy Waters bekannt.

Jimi Hendrix benutzte diese herkömmlichen Glas- oder Metallhülsen so gut wie nie. Er erzeugte den gleichen Effekt mit Hilfe eines Metallrings, den er am kleinen Finger trug. Als Alternative hierzu setzte er gelegentlich den Ständer seines Gesangsmikrofons ein, den er an den Saiten der Gitarre entlangführte, so zu hören auf einigen Live-Aufnahmen von ,All Along The Watchtower‘. Einen ähnlichen, jedoch wesentlich raueren Klang erzeugte er durch Reiben des Unterarmes über die Saiten (,Wild Thing‘, LP: Monterey); noch härtere Sounds kamen zustande, wenn er die Gitarre an den mit Kunstleder überzogenen Verstärker- und Boxengehäusen entlang rieb. Slide- oder Glissando-ähnliche Sounds sind natürlich auch durch entsprechenden Einsatz der Greifhand zu erzeugen. Solche Slide-Bewegungen der Finger der Greifhand, von einem gegriffenen und angeschlagenen Ton zu einem höher oder tiefer liegenden, hat Hendrix in seinen Soli häufig eingesetzt.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Die im Blues verbreiteten offenen Stimmungen der Gitarre, die die harmonischen Möglichkeiten beim Slide-Spiel um einiges erweitern, hat Hendrix, zumindest nach seinem kommerziellen Durchbruch, nicht verwendet. Für die Zeit vorher sind diese sogenannten „Open Tunings“ nur belegt durch den Bassisten Chuck Rainey, der in der Band von King Curtis um 1965/66 mit ihm zusammenspielte: „Jimi used to tune to an open chord“, zitiert ihn Don Menn in seinem grundlegenden Artikel „Jimi’s favorite guitar technique“ im GuitarPlayer vom September 1975. Menn könnte diese Aussage fehlinterpretiert haben. Eventuell wollte Rainey nur die auch auf einigen Live-Aufnahmen zu hörende Art des Nachstimmens der Gitarre beschreiben, bei der Hendrix einen „offenen“ Akkord der ersten Lage griff (also z.B. den klassischen E-Dur-Wander-Akkord mit drei gegriffenen und drei leeren Saiten), und dann die Saiten nach Gehör auf die betreffende Harmonie einstimmte. Die Verwendung der offenen Stimmung ist allein schon aus dem Grund unwahrscheinlich, da nicht bekannt ist, dass Hendrix mal ganze Songs mit einem Bottleneck gespielt hat, und die veränderte Stimmung an sich ergibt ansonsten eigentlich kaum einen Sinn.

Hendrix wird immer wieder als geradezu pedantischer Wächter über eine möglichst exakte Stimmung der Gitarre beschrieben, als „fanatischer Saubermann des Stimmens.“ In Hinblick auf seine Studioarbeit ist diese Einschätzung vielleicht nicht falsch, hört man sich aber Live-Aufnahmen an, dann zeigte sich Herr Saubermann oft von einer ganz anderen Saite: Die in manchen Fällen wirklich erhebliche Verstimmung der Gitarre ist überwiegend auf Hendrix‘ exzessiven Einsatz des Vibratohebels und des Saitenziehens zurückzuführen. Während er z.B. bei der schon mehrfach erwähnten Aufnahme von ,Star Spangled Banner‘ (LP: Woodstock), gegen Ende der Improvisation versucht die Verstimmung der Gitarre wieder zu korrigieren, hat er gelegentlich während des Spiels einzelne Saiten in ihrer Tonhöhe verändert. Neben dem schon in Zusammenhang mit den Vibratohebel-Effekten beschriebenen Entspannen der Saite zur Erzeugung von verschiedenen Geräuschen, nennt Menn noch „wobbly on-off pitch variations“, also das „Spiel mit dem Verstimmen der Gitarre“ als weitere Möglichkeit.

ANZEIGE

Alle hier aufgeführten Tricks, Techniken, Effekte etc. wurden, wie schon anfangs betont, in den Ablauf eines Stücks integriert, also als musikalische Gestaltungsmittel eingesetzt. Bedenkt man die Möglichkeiten der Kombination, allein der bisher aufgezählten Gestaltungsmittel, so ist man der Erklärung des kreativen Gitarristen und Sound-Schöpfers Jimi Hendrix schon wesentlich näher. Eine weitere charakteristische Eigenart dieses Gitarristen ist seine Grifftechnik, die einerseits natürlich Bezüge zur harmonischen Gestaltung seiner Kompositionen aufweist, die aber genauso mit dem Phänomen „Gitarren-Sound im weiteren Sinne“ in Verbindung steht. Einige typische Beispiele für von Hendrix häufig verwendete Akkorde werden jetzt vorgestellt.

Hendrix‘ Chords

„No doubt Hendrix‘ unique chord thinking came from the unusual way that he held the guitar: upside down and backwards!“ schrieb Autor Steve Tarshis in seinem Buch „Original Hendrix“ (London 1982, S.16.)

Eine nette und für Nicht-Gitarristen vielleicht noch akzeptable Erklärung, die jedoch vollkommen aus der Luft gegriffen ist und symptomatisch ist für die Legendenbildung zum Thema Hendrix. (Steve Tarshis‘ Buch ist ansonsten nicht schlecht!) Für einen Linkshänder ändert die umgekehrt besaitete und gespielte Rechtshändergitarre, etwa in Bezug auf Hals und Griffbrett des Instruments, nichts an den normalen Bespielmöglichkeiten, außer, dass die Strat-Ergonomie das ganze etwas unbequem macht. Wenn Tarshis mit „backwards“ Hendrix‘ Show-Effekt mit der hinter dem Kopf gespielten Gitarre meint, so war diese relativ seltene Stellung mit Sicherheit nicht die Pose, in der er seine Akkorde lernte oder sogar entwickelte. Für die Tatsache, dass er nicht die einfachen Standardakkorde verwendete, gibt es andere Gründe; auch hier standen ganz sicher konkrete musikalische Vorstellungen im Vordergrund.

Rein grifftechnisch sind die meisten Chords, die Hendrix in seinem Spiel verwendete, sogenannte offene Akkorde, d.h., nicht alle Saiten der Gitarre werden gegriffen oder abgedämpft, sondern einige schwingen immer leer mit. Diese Griffweise ist beim Spiel akustischer Gitarren gebräuchlicher. Ihr Effekt besteht darin, dass die nicht gegriffenen Saiten länger und obertonreicher schwingen und dadurch auch minimale Schwebungen entstehen bzw. besser hörbar werden. Der Klang wird auf diese Art offener oder weiter, was gerade dem vergleichsweise mittenbetonten E-Gitarren-Grund-Sound sehr entgegen kommt. Bedingt durch den Aufbau dieser Akkorde lassen sich auf der Gitarre nicht nur neue klangliche Effekte erzielen, sondern durch die Verschiebung eines feststehenden Griffs gegenüber den freischwingenden Saiten auch strukturell interessante und für die Gitarre im Rock-Bereich relativ unübliche Harmonien entwickeln:

Einfach mal den berühmten Wander-E-Dur in der ersten Lage greifen und ihn dann Bund für Bund hochschieben und die entstehenden Klänge checken! Haben die offenen Saiten beim Grundakkord etwa Terz- und Quintbedeutung, so können sie durch die genannte Verschiebung in einen neuen harmonischen Zusammenhang geraten und so als fast jede denkbare konsonante oder dissonante Erweiterung der gegriffenen Harmonie fungieren. Je nach Spielweise kann hier aber auch der klangliche den harmonisch funktionalen Effekt teilweise aufweichen oder überdecken, so z.B. wenn die Akkordverschiebung über einem oder mehreren feststehenden Basstönen stattfindet, oder wenn die drei offenen Diskantsaiten einen schwebenden, der indischen Tamboura ähnlichen Sound erzeugen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Beispiele für die Verwendung solcher offenen Akkorde sind u.a. ,Love Or Confusion‘, ,3rd Stone From The Sun‘ und ,All Along The Watchtower‘. Die herkömmlichen, in der ersten Lage gegriffenen Akkorde, die ja ebenfalls freischwingende Saiten beinhalten, verwendet Hendrix z.B. bei ,Like A Rolling Stone‘ (LP: ,Jimi plays Monterey‘), bereichert sie aber durch die schon beschriebenen Hammer-on/Pull-off- und Glissando-Effekte. In den Videoaufnahmen vom Monterey Festival 1967, speziell bei ,Like A Rolling Stone‘, ist Hendrix‘ Akkordspiel gut zu beobachten. Halbbarré-Akkorde setzt Hendrix ein, um die Harmoniebegleitung mit kurzen melodischen Einwürfen, sogenannten Fills, anzureichern. Bei der oben erwähnten Version von ,Like A Rolling Stone‘ ist zu hören, wie an vielen Stellen der angeschlagene Akkord weiterklingt, während hierüber kurze melodische Single-Note-Einwürfe gespielt werden. Technisch ist das dadurch möglich, dass nur ein Finger der Greifhand, meist der Zeigefinger, gebraucht wird um den Akkord (teilweise) weiterklingen zu lassen; mit den übrigen drei Fingern können dann hierüber verschiedene andere Töne gespielt werden. Diese Halbbarree Griffweise setzt Hendrix aber auch als Ausgangsbasis für lineare Soloimprovisationen ein, wobei dann immer die Möglichkeit besteht, eine Harmonie in den melodischen Verlauf einzuflechten. Auf diese Art sind z.B. zwei pentatonische Skalen ohne Umgreifen oder Lagenwechsel spielbar, die, auf einen Blues angewendet, dann oft nur mit Hilfe des Saitenziehens erweitert werden.

Hendrix‘ bekanntester Akkordtyp ist mit Sicherheit der sogenannte „Sharp Ninth Chord“, oft auch einfach als „Neun plus“ bezeichnet, häufig war es der E7#9. Er setzt auch diese Harmonie reduziert ein: sie besteht aus Grundton, großer Terz, kleiner Sept und der hochalterierten None; hier fehlt also die Quint. Dieser Akkord war in den sechziger Jahren zumindest in der weißen Pop- und Rock-Musik kaum zu finden, da er aufgrund seiner Klangschärfe in diesem Bereich etwas aus dem Rahmen fiel. Im Jazz und Soul hingegen ist er, meist als Dominante eingesetzt, schon seit der BeBop-Zeit bekannt. Hendrix setzte diesen Akkordtyp oft zur Akzentuierung von Riffs, wie z.B. bei ,Foxey Lady‘ oder ,Purple Haze‘ ein. Während der Akkord bei diesen Stücken quasi Tonika-Funktion hat (I. Stufe), wird er im Blues von Hendrix meist nur als Dominante (V. Stufe), relativ selten auch noch als Subdominante (IV. Stufe) eingesetzt. Die bevorzugte Tonart ist in diesem Zusammenhang entweder A-Dur oder E-Dur, da hier auch leere Saiten mit einbezogen werden können, also z.B. dem Grundton des gegriffenen Akkords noch die Unteroktav hinzugefügt werden kann.

Der Major-Ninth-Akkord besteht aus einem Dur-Dreiklang mit hinzugefügter großer None (Bsp.: E9, Eadd9) und wurde von Hendrix in zwei Varianten eingesetzt. Einmal als Erweiterung des Dur-Halbbarrée-Griffs, der aufgrund des verwendeten Fingersatzes die melodische Verzierung Oktav-None-Oktav ermöglicht, und der im Gitarrensolo von ,All Along The Watchtower‘ in dieser Funktion auftritt. Eine Abwandlung hiervon ist der nur aus Grundton, Quint und None bestehende Akkord, der einerseits aufgrund seiner Doppeldeutigkeit interessant ist (er kann als terzlose Tonika mit None genauso eingesetzt bzw. gedeutet werden, wie als Subdominante mit Quartvorhalt); andererseits besteht hier aber auch wieder die Möglichkeit ihn als offenen Akkord, also mit freischwingenden Saiten und den hieraus resultierenden o.g. Möglichkeiten zu verwenden. Typische Beispiele für den Einsatz dieses Major-Ninth-Typs sind das schon genannte ,All Along The Watchtower‘ (LP: ,Electric Ladyland‘) sowie die Ballade ,Little Wing‘ (LP:‘ Axis: Bold As Love‘).

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Alle diese hier aufgeführten Akkorde und Griffe haben natürlich isoliert betrachtet genau so wenig Bedeutung wie die Anschlagtechniken oder andere Einzelaspekte von Hendrix‘ Gitarrenspiel. Genau wie diese müssen sie unter mehreren Gesichtspunkten gesehen werden. So sind sie eindeutig gitarrenspezifisch angelegt, ihr Aufbau resultiert also in erster Linie aus der Stimmung des Instruments oder aus grifftechnischen Eigenarten, wie eben der Möglichkeit Akkorde auf dem Griffbrett zu verschieben. Weiter dominiert ihre rein klangliche Funktion, also etwa entstehende Schwebungen durch verdoppelte oder oktavierte Töne etc., vor der, durch eine Analyse zu klärenden, funktionalen Bedeutung. Im Zusammenhang eines auf Platte vorliegenden Stücks betrachtet, erscheinen auch diese Harmonien fast nie in einer gewissen Reinform, also als herkömmlich notierbares musikalisches Phänomen, sondern sind, wie andere Spielmerkmale auch, immer mit verschiedensten Techniken und Effekten kombiniert: So werden offene Akkorde als Arpeggios gespielt und durch Hammer-on/Pull-off-Effekte in ihrer melodischen Funktion erweitert, oder mit Slide-Effekten variiert. Halbbarrée-Griffe werden mit offenen Bass-Saiten unterlegt und durch Single-Note-Linien scheinbar aufgelöst. Root-Akkorde werden, ähnlich wie Oktavgriffe, als Mittel zur melodischen Gestaltung oder für Riffs eingesetzt, usw.

Im Gesamtzusammenhang von Hendrix‘ Musik sind diese Akkorde in ihren speziellen Erscheinungsformen genauso musikalische Gestaltungsmittel wie der Gitarren-Sound oder seine Art des Anschlags. Sie sind nicht das musikalische Material einer Komposition, sondern nur ein Aspekt unter anderen. So sind die vielseitige Riff-Spielweise oder die Integration von Lautstärke und Sound in die Gestaltung mindestens so entscheidend für das musikalische Endergebnis – diese Punkte müssen in jedem Fall noch untersucht werden, um eine umfassende Aussage zum Instrumentalisten und Komponisten Hendrix machen zu können.

Jimi Hendrix Riffs

Unter Riff versteht man im Allgemeinen eine ostinate (also wiederkehrende), melodische Figur, die zur Begleitung eines Solisten gespielt wird, andererseits aber auch die Funktion eines Themas übernehmen kann. Dem entsprechend kann es sich hierbei genauso um ein kurzes, ständig wiederholtes Motiv wie um eine mehrtaktige, eigenständige Melodie handeln. Hendrix‘ Riff-Technik, das sei schon vorweggenommen, hat eindeutige Bezüge zur schwarzen Blues-Musik, wie auch zu deren Ablegern Rhythm ‘n‘ Blues (R&B) und Rock & Roll (R&R). Sein Ansatz ist jedoch keinesfalls traditionalistisch, er zeigt eher eine sehr individuelle Reflexion dieser Strömungen der afroamerikanischen Musik.

In seiner Musik kann man zwei grundlegende Typen von Riffs unterscheiden, einmal die akkordisch angelegten und andererseits die melodisch angelegten Riffs. Erscheint die Bezeichnung „akkordisch angelegtes Riff“ vielleicht auf den ersten Blick fast paradox, so geht es hier um folgendes: Riffs sind in der Rock-Musik fast ausschließlich auf E-Bassfiguren basierende, lineare Begleit-Ostinati, die von anderen Instrumenten wie Gitarren und Keyboards, meist oktaviert gedoppelt werden. Der harmonische Zusammenhang dieser Begleitfiguren kann natürlich auch mitinterpretiert werden, im einfachsten Fall durch den Einsatz von Root-Akkorden; ein klassisches Beispiel hierfür ist der Titel ,Smoke On The Water‘ von Deep Purple. Eine sehr einfacher Form einer derartigen Begleitfigur spielt Hendrix bei ,All Along The Watchtower‘, in der das im Intro vorgestellte Riff in den nachfolgenden Rhythmus- und Lead-Gitarrenpassagen jedoch an Prägnanz verliert; hat es anfangs noch deutlichen Themencharakter, so wird es im Verlauf des Stücks von der Lead-Gitarre immer weiter verarbeitet und variiert. Nur die sehr im Hintergrund spielende akustische Rhythmusgitarre hält das ursprüngliche Riff im wesentlichen durch. Ein, in Bezug auf die Verarbeitung des Riff-Themas ergiebigeres Beispiel, ist Hendrix‘ Version von ,Sunshine Of Your Love‘ (LP: Experience). Während in der Originalversion des legendären Trios Cream das zugrunde liegende Riff in einfachem Oktav-Unisono zum Bass oder mit den o.g. Root-Akkorden gedoppelt wird, setzt Hendrix hier anders an: Er interpretiert nicht den Song als komplettes Musikstück, sondern nimmt nur das Riff als Basis und Material für eine reine Instrumentalimprovisation, in der er das Thema auf verschiedenste Art und Weise variiert, um dann zu einem Single-Note-Solo überzugehen. In jedem Fall bleibt der ursprüngliche Riff-Charakter erhalten; Hendrix hat seine Interpretation als eine Art Hommage an Cream verstanden, die vom Band-Konzept ähnlich orientiert waren wie die Experience.

Die sogenannten Low-Note-Riffs bestehen im wesentlichen aus auf den Bass-Saiten der Gitarre gespielten Single-Note-Linien. Hier können in Hendrix‘ Musik mehrere Typen unterschieden werden. Am bekanntesten sind wohl seine Kombinationen von linearen Bassverläufen mit Akkordakzentuierungen, die schon in Zusammenhang mit dem #9-Akkord angesprochen wurden. Ein Beispiel hierfür ist ,Foxey Lady‘ (LP: Are You Experienced).

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

 

Ähnliche Figuren wendet er auch im Blues-Zusammenhang an, etwa zur Betonung der V.-Stufe bei ,Johnny B.Goode‘ (LP: In The West), oder bei ,Purple Haze‘ (LP: Smash Hits) während der Gesangsbegleitung.

Ein weiteres Beispiel für die Verbindung von harmonischer und melodischer Bewegung findet sich bei ,Freedom‘ (LP: Cry Of Love); hier tritt die melodische Linie aber schon stärker in den Vordergrund. Ähnlich wie bei ,All Along The Watchtower‘ wird das Riff im Intro von der Gitarre vorgestellt und dann, nachdem es vom Bass übernommen wurde, von je einer Akkorde spielenden und einer Fills einwerfenden Gitarre ergänzt. Interessant ist die Verlegung des eigentlichen Zieltons c, dieses Riffs in die Oktav; hierdurch wird der harmonische Effekt der gespielten Quart erst deutlich. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei um einen reduzierten Root-Akkord.

Die klassischen Low-Note-Riffs, die, wie schon beschrieben, nur aus einer tiefgelegten melodischen Linie bestehen, kommen aus dem R&B und R&R. Standardisierte Blues-Riff-Klischees hat Hendrix jedoch kaum verwendet, und wenn, dann wieder nur durchsetzt mit erweiterten Akkorden, die keine typischen Harmonien für diese Stilrichtungen waren. Bei ,Blue Suede Shoes‘ (LP: In The West), einem R&R-Klassiker von Carl Perkins, finden sich die beschriebenen #9-Akkorde auf allen drei Blues-Stufen: Das Stück wirkt hierdurch wie zersägt – man hat den Eindruck, es könnte fast jederzeit abbrechen, wenn nicht der Text, als offensichtlich zusammenhängende Struktur, den harmonischen Ablauf des Blues-Schemas erzwingen würde. Im schon erwähnten Chuck-Berry-Titel ,Johnny B.Goode‘ von der gleichen LP, spielt Hendrix eine typische R&R-Begleitformel, relativiert ihre traditionelle Wirkung jedoch bei der B7/9#-Dominant-Funktion; spätestens in seinem Solo hat er sich dann wieder ganz von sämtlichen R&R-Klischees gelöst.

Eine Verwandtschaft mit bekannten Riffs dieser Art findet sich auch bei anderen Titeln. Der Musikwissenschaftler Tibor Kneif beschreibt ,I Don’t Live Today‘ (LP: Are You Experienced) als „verwandelten, verunstalteten, zerfetzten Blues“ (in Rock-Musik, Reinbek bei Hamburg 1982, S.143.) Das passt! Obwohl das Stück beim ersten Hinhören nur auf einer harmonischen Stufe zu verharren scheint, ist bei Hendrix‘ Gesangsstimme deutlich der für den Blues typische Wechsel zwischen I.-, IV.- und V.-Stufe (quasi Tonika, Subdominante und Dominante) zu hören. Auch das zugrunde liegende Riff wird während des Gesangs leicht variiert. In den Takten 6 und 10 verändern sich jeweils die Zieltöne des Riffs, in Takt 12 entsteht durch den Wechsel in die höhere Oktav zusätzlich noch der Eindruck eines Fills. Das Riff wirkt von seiner Anlage her wie eine Antwort auf die konventionellen R&R-Begleitklischees. Anstatt sich ständig zu wiederholen und den Gesang zu unterlegen, wird es hier in Art eines Fills eingesetzt, sodass nur der ausklingende Zielton (plus eine zweite Sound-Gitarre auf der Studioaufnahme) wirkliche Begleitfunktion hat. Zudem steht der abwärts gerichtete Verlauf der Melodie im Gegensatz zu den üblichen steigenden oder arpeggioartigen R&R-Riffs.

Auch die beiden Riffs von ,Fire‘ (LP: Are You Experienced), zeigen Parallelen zum R&B, obwohl das Stück in seiner Gesamtanlage ganz und gar nicht in diese Richtung tendiert. Spielt man das Strophen-Riff in ungefähr der Hälfte des Originaltempos, erinnert es an typische Begleitphrasen im Stil von Muddy Waters.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Bei ,Manic Depression‘, ebenfalls von Hendrix‘ erster LP, ist auch ein deutlicher R&B-Bezug vorhanden; der 3/4-Takt lässt hier keine Walzeratmosphäre aufkommen, er ergibt sich aus dem ternären Grundgefühl der afroamerikanischen Musik, das z.B. ein Phänomen wie den Swing mit hervorgebracht hat. (Im allgemeinen müsste Musik dieser Art durchgehend triolisch notiert werden, um von europäischen Musikhörenden und -lesenden richtig aufgefasst zu werden). Das Hauptmotiv der Begleitung dieses Stücks, das also mit ternärem Achtel-Feeling ausgeführt wird, erinnert an einen swingenden Blues. Ebenso basieren die hieran angehängten Überleitungen wieder an die o.g., klassischen R&R Arpeggio-Riffs. Der harmonische Ablauf des Stücks ist hier nicht über feststehende Akkorde, sondern über die linearen Bass-Riffs definiert. Auch bei anderen Beispielen zeigt sich dieses Eigenleben; die Riffs dienen nicht der Verzierung oder Ausgestaltung eines zugrunde liegenden, etwa durch die Rhythmusgitarre gespielten Harmoniegerüsts, sondern sind durchaus eigenständig und haben aufgrund ihrer melodischen Qualitäten und ihres Wiedererkennungswerts schon fast Themencharakter. Während das Riff-Motiv von ,In From The Storm‘ (LP: Cry Of Love) als Intro und auch im Sinne eines Fills eingesetzt wird (ähnlich wie bei ,I Don’t Live Today‘), und dadurch ständig präsent bleibt, hat bei ,Who knows‘ (LP: Band Of Gypsys) das wirklich permanent durchlaufende Riff ganz eindeutige Themenfunktion: Es wird auch im Verlauf des Stücks sowohl vom Sänger als auch vom Gitarristen als Material für Improvisationen verwendet.

Die von Hendrix verwendeten Riffs zeichnen sich demnach durch ihre Verbindung von melodischen und harmonischen Elementen genauso aus, wie durch ihr Aufgreifen und Weiterverarbeiten der afroamerikanischen Tradition. Elemente aus Rhythm & Blues und Rock & Roll finden sich in formal Blues-untypischen Stücken wieder, der Einsatz von ungewöhnlichen Harmonien sprengt in anderen Fällen wieder den traditionellen Blues-Rahmen. Fazit: Wie bei den anderen untersuchten Spielmerkmalen auch, liegt das eigentlich Ungewöhnliche an Hendrix‘ Riff-Technik in seiner Kombination verschiedenster Ausdrucksformen, sowie in ihrer sehr individuellen Ausgestaltung und Einbeziehung in eigene Kompositionen.

Statement: Marcus Deml

Marcus Deml wurde am 9. August 1967 in Prag geboren – neun Tage, bvor Jimi Hendrix in Monterey auf die Bühne ging um auch in den USA Popstar zu werden. Demls Karriere begann auch in den USA, denn er studierte am Musicians Institute in Los Angeles Gitarre, genau gesagt am G.I.T., und er war bis zum Jahr 1993 als Live- und Studiogitarrist in den Vereinigten Staaten tätig. Nach seiner seiner Rückkehr nach Deutschland war er an über 300 Studioproduktionen beteiligt, darunter Acts wie Snap!, Bobby Kimball, Kingdom Come, das Rödelheim Hartreim Projekt, Lotto King Karl, Michael Sadler und Victor Smolski. Mit seiner eigenen Electro-Rock-Band-Errorhead veröffentlichte er sechs Alben, und vom US-Magazin Guitar Player wurde er unter die Top 3 der „Guitar Heroes 2005“ gewählt. Zuletzt war Marcus mit seinen Bands Electric Outlet und The Blue Poets aktiv, und 2021 erschien mit ,Healing Hands‘ sein erstes Solo-Album beim eigenen Label Triple Coil Music.

The Jimi Hendrix Book (13) Gitarren-Spieltechnik

Zu seinen Haupteinflüssen zählt Marcus Deml neben Gary Moore, Allan Holdsworth, Steve Lukather, Larry Carlton, Dann Huff und Michael Landau – aber auch Jimi Hendrix und Stevie Ray Vaughan. Marcus‘ Lieblings-Album von Jimi Hendrix ist ,Band Of Gypsys‘, seine Song-Favoriten sind ,Who Knows‘ und ,Crosstown Traffic‘ (von ,Electric Ladyland‘).

„Meine erste Begegnung mit Jimi Hendrix war als 8-jähriger im Kino bei einem Film über das Monterey Pop Festival“, erzählt Marcus. „Natürlich wurde nur ,Wild Thing‘ und die brennende Stratocaster gezeigt, und ich war, um es vorsichtig auszudrücken, etwas erstaunt über dieses Gitarrenopfer: Es machte für mich überhaupt keinen Sinn, ein tolles Instrument anzuzünden. Und damit war das Thema Hendrix für mich erst mal erledigt. Ich hörte stattdessen weiterhin, Queen, Rory Gallager, Ritchie Blackmore und Johnny Winter. Aber irgendwann bekam ich eine Kassette mit dem ,Band Of Gypsys‘-Album in die Finger, und das wurde zu dem Soundtrack eines ganzen Sommers. Ich hatte als Jugendlicher immer diese Angewohnheit, ein Album mehrere Wochen lang täglich zu inhalieren: Kopfhörer auf, Augen zu, guten Flug!“

Und dieses Album hat Deml nicht losgelassen, wie er weiter erzählt: „Ich habe dieses Album in den letzten 40 Jahren gehört, gelebt, studiert. Es begeistert mich bis heute mehr als jedes andere Hendrix-Album, auch wenn ich ,Electric Ladyland‘ großartig finde. Ich habe über die Jahre viele Hendrix-Songs selbst gespielt und sogar mal ein Hendrix-Konzert gegeben, bei dem ich auch gesungen habe. Und es war nicht leicht sich von diesem übermächtigen Innovator zu lösen – das ist mir wahrscheinlich erst mit meinem Solo-Album ,Healing Hands‘ gelungen. Dennoch bleibt Jimi für mich eine Jahrhunderterscheinung, wie Miles Davis, Thelonious Monk oder Django Reinhardt. Diese Künstler zelebrierten die größtmögliche musikalische und persönliche Freiheit. Eine solche Kompromisslosigkeit wird heutzutage zumeist dem kommerziellen Erfolg  zuliebe geopfert wird, was wiederum einen Künstler wie Hendrix umso bedeutungsvoller macht.“

The Jimi Hendrix Book (13) Gitarren-Spieltechnik

Marcus Deml                    Foto: Cristina Arrigoni

Auf die Frage, wen Marcus Deml als Hendrix-Nachfolger sieht, meint er: „Niemanden! Hendrix war ein Freigeist wie Miles Davis oder John Mclaughlin. Und diese künstlerische Freiheit wird heute, wie gesagt, sehr selten von den Künstlern und schon gar nicht von den Business-Leuten zugelassen…. Am ehesten finde ich den Spirit von Jimi in der Musik von Eivind Aarset: Ein eher introvertierter Klangmaler, der aber einen ähnlich radikalen Sound-Ansatz verfolgt. Trotz Strat und Marshall hört man bei Aarset zwei Stunden keinen bekannten Gitarren-Sound.“Marcus weiter: „Ich denke um einen neuen Hendrix zulassen zu können, bedarf es einer Gesellschaft und einer Musik-Kultur, welche offen für Innovation ist. Beides ist zu meinem Bedauern nicht gegeben und wird auch gerne durch harsche Kritik im Keime erstickt.“

Mehr über Marcus Deml und seine Arbeit findet man unter www.marcusdeml.com/de

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

 

Nächsten Sonntag, 17 Uhr …

geht es weiter mit JIMI ON SUNDAY 14 und dem Thema DER GRENZGÄNGER: JIMI HENDRIX UND DER BLUES

Danke fürs Lesen und bis demnächst!

 

ANZEIGE
ANZEIGE
Forum
  1. Profilbild
    Codeman1965 AHU

    Lieber Lothar,

    ich muss hier einfach mal etwas loswerden.
    Deine Abhandlungen über Jimi Hendrix gehören zum absolut Besten, was ich (persönlich!) hier auf Amazona bisher zu lesen bekam…!

    Deine Art, ihn mit allen seinen Facetten geradezu zu sezieren, bietet mit dermaßen viel Input, daß ich viele Sachen mehrmals lesen muss, um das alles zu verinnerlichen (und ich halte mich nicht für dämlich).
    Aber es ist die Mühe wert. Auch, wenn mein Köpfchen und meine Finger auch in 100 Jahren nicht in der Lage sein werden, auch nur annäherd in die Nähe seines Levels zu gelangen, so ist es doch sehr inspirierend, sich Deine Artikel einzuverleiben… :-)

    Ich bin der Meinung, daß es Niemand dermaßen drauf hat(te), Kopf,Herz und untere Bauchregion so zusammen zu bringen wie Hendrix. Und das wird in Deinen Artikeln mehr als deutlich.
    Ist ein klasse Thema, und Du bringst das mir/dem geneigten Leser/wemauchimmer sehr nahe.

    Dafür mal ein großes DANKESCHÖN…! :-)

  2. Profilbild
    RainerJTM

    Ich hatte es schonmal geschrieben.

    „Bildungsfernsehen“ von der feinsten Sorte.

    Was da für Arbeit drin steckt….

    … bin also absolut der gleichen Meinung.

Kommentar erstellen

Die AMAZONA.de-Kommentarfunktion ist Ihr Forum, um sich persönlich zu den Inhalten der Artikel auszutauschen. Sich daraus ergebende Diskussionen sollten höflich und sachlich geführt werden. Politische Inhalte und Statements werden durch die Redaktion gelöscht.

Haben Sie eigene Erfahrungen mit einem Produkt gemacht, stellen Sie diese bitte über die Funktion Leser-Story erstellen ein. Für persönliche Nachrichten verwenden Sie bitte die Nachrichtenfunktion im Profil.

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
X
ANZEIGE X