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Die Geschichte der VCFs in analogen Roland SH-Synthesizern

Zionggg, die VCFs Roland-Vintage SH-Synthesizer

21. April 2021
Die Geschichte der VCFs in analogen Roland SH-Synthesizern

Die Geschichte der VCFs in analogen Roland SH-Synthesizern

Vorwort

Aus unserer Kooperation mit dem SynMag haben wir wieder eine wunderbare Perle zur Veröffentlichung auf AMAZONA.de erhalten. Wir übergeben an Florian Anwander:

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Echte Soundperlen, die SH-Synthesizer aus der Früh-Ära von ROLAND

In den folgenden beiden Artikeln geht es um alle analogen Filter, die Roland in seine Synthesizer zwischen 1971 bis etwa 1987 gebaut hat. Oft wurden den Filtern mythische Eigenschaften zugesprochen – etwa dem vorgeblichen 18 dB/Oktave-Filter der TB-303. Und oft wurden Geschichten in die Welt gesetzt, die schlicht auf Fehlinformationen beruhten, so die angebliche Verletzung des Moogschen Filterpatents betrifft. Dieser Artikel versucht auch mit diesen Unstimmigkeiten aufzuräumen. Aber hauptsächlich ist das Ziel, eine Übersicht zu liefern und die Besonderheiten der jeweiligen Filter in den Roland Synthesizern herauszuarbeiten.

Kurze technische Einführung: Was ist ein Filter bzw. VCF?

Als Hintergrund benötigen wir zunächst ein gewisses Grundverständnis der Funktionsweise eines Filters. Fast alle Filter in Synthesizern (die Ausnahme lernen wir noch kennen) basieren auf dem Prinzip, dass ein Kondensator Wechselspannungen überträgt, Gleichspannungen aber nicht. Ein elektrisches Audiosignal ist eine Wechselspannung. Je tiefer die Frequenz eines Audiosignals bzw. einer Wechselspannung ist, umso langsamer ändert sich die Spannung. Der Extremfall ist dann, wenn sich die Spannung gar nicht mehr ändert; das wäre Gleichspannung. Sie ist sozusagen eine Wechselspannung mit der Frequenz null. Das bedeutet also, je niedriger die Frequenz eines Audiosignals ist, umso ähnlicher wird es einer Gleichspannung und umso schlechter wird es vom Kondensator übertragen.

Die Größe des Kondensators – seine Kapazität – ist dafür verantwortlich, wie gut ein Signal bestimmter Frequenz noch übertragen wird. Man könnte also ein regelbares Filter bauen, wenn man einen variablen Kondensator hätte. Das ist im Prinzip technisch möglich, doch sind regelbare Kondensatoren mechanisch sehr aufwendig und auch leider nicht sehr genau. Widerstände hingegen lassen sich sehr einfach regelbar gestalten. Grundsätzlich sind herkömmliche Filter immer eine Kombination aus einem Kondensator und einem Widerstand. Handelt es sich um eine Serienschaltung dieser beiden Komponenten, so erhält man einen Spannungsteiler. Dieser ist frequenzabhängig, d. h. höhere Frequenzen machen aus dem Kondensator einen kleinen Widerstand, niedrige Frequenzen einen großen. Das Verhältnis der Widerstände ändert sich – und somit seine Teilspannungen.

Beim Tiefpass verbindet der Kondensator das Signal mit Masse. Der Signalweg schließt also hohe Frequenzen kurz, während tiefe Frequenzen weitergeleitet werden. Beim Hochpass geht es andersherum: Die tiefen Frequenzen werden über den Widerstand nach Masse abgeleitet, die hohen werden weitergeleitet. Diese Beschreibung ist technisch etwas vereinfacht, aber sie macht das Prinzip ohne zu viel Physik-Unterricht verständlich. Für die nachfolgend abgebildeten Schaltung müssen Sie nur wissen, dass immer mehrere Kondensatoren im Spiel sind und irgendwelche Bauteile, die sich wie ein veränderlicher Widerstand verhalten.

Roland Filter in analogen Synthesizern

Im Großen und Ganzen hat Roland in der Zeit, in der sie analoge Synthesizer bauten, irgendwann alle bekannten Typen von Schaltungen für spannungsgesteuerte Filter verwendet. Es mag erstaunen, aber das sind nicht sehr viele:

  • 1.) Das Moog Kaskadenfilter
  • 2.) Das Dioden-Kaskadenfilter
  • 3.) Das vierpolige aktive OTA-Filter
  • 4.) Das zweipolige State-Variable-Filter

Es gibt in der Synthesizerwelt nur noch drei weitere Filterschaltung, die man aber bei Roland nicht verwendete. Die drei Typen sind das CMOS-Gattern basierende Filter des EDP Wasp, das „Switched Capacitor“-Filter der Akai Sampler und das Kuzmin-Filter des Polyvoks. Das Polyvoks Filter ist übrigens die oben erwähnte Ausnahme: Es arbeitet in der Kernschaltung ohne Kondensatoren. Stattdessen wird die Reaktionszeit eines Verstärkers über Steuerströme verändert.

Als Roland den ersten Synthesizer baute, gab es noch nicht viele Synthesizer-Hersteller. Neben Moog boten ARP, EMS und Buchla Synthesizer in Serienfertigung an. Das Buchla 100 System hatte kein spannungsgesteuertes Filter, ARP verwendete eine eigene Schaltung, die – wie die von Moog – zum Patent angemeldet war. EMS setzte eine leicht abgewandelte Schaltung ein, mit der das Patent von Moog umgangen werden konnte. Da es damals noch keine andere, einfache spannungsgesteuerte Filterschaltung gab, setzte auch Roland auf die Moog Schaltung und ihre Derivate.

Ab Mitte der siebziger Jahre wurden die bis dahin sehr teuren ICs (die sogenannten OTAs), die ARP bereits in ihrer Filterschaltung verwendet hatte, günstiger. Mit diesen ICs ließ sich auch ein spannungsgesteuertes Filter realisieren, das nicht nur die Patentprobleme mit Moog hinfällig machte, sondern auch gewisse technische Vorteile bot. Roland sattelte daher für lange Zeit auf diese Technik um. Erst 15 Jahre später kam nochmals ein Umschwung. Die seit dem Jupiter-6 eingesetzten State-Variable-Filter ermöglichen im Prinzip vier verschiedene Filtertypen mit einer einzigen Schaltung: Tiefpass, Bandpass, Hochpass und Kerbfilter. Die Filterschaltung selbst war allerdings längst bekannt. Sie wurde bereits im ARP 2500 und von Oberheim verwendet. Bis zum Jupiter-6 hatte Roland das State-Variable-Filter nur ein einziges Mal eingesetzt, nämlich als Modul im System 700. Ich vermute, dass Roland sich damit gegenüber der Konkurrenz absetzen wollte, die diese oder ähnliche Schaltungen doch recht häufig verwendete.

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Doch lassen Sie uns nun nach diesem groben Überblick die einzelnen Roland Synthesizer im Detail betrachten.

Roland SH-1000 Synthesizer

Diodenfilter des SH-1000, gelb ist das Nutzsignal, rot die Steuerspannung, blau der Resonanzpfad

Der erste Synthesizer aus dem Hause Roland (und der erste industriell gefertigte Synthesizer aus Japan überhaupt) war der SH-1000 aus dem Jahr 1973. Sein VCF ist ein sogenanntes Dioden-Kaskaden-Filter. Diese Schaltung ist eine Variation der Moog Schaltung. Sie wurde auch von EMS eingesetzt. Die Schaltung besteht beim SH-1000 aus fünf Stufen (im Gegensatz zu vier Stufen bei den EMS Synthesizern), die jeweils aus einem Kondensator und einem Dioden-Paar bestehen. An einem Ende der Kette sitzt ein Transistorpaar, das in Abhängigkeit von einer Spannung dafür sorgt, dass die Diodenpaare wie ein Widerstand wirken. Interessant ist, dass der Kondensator der fünften Stufe einen deutlich kleineren Wert als die anderen vier Stufen hatte. Diese fünfte Stufe hat allerdings keine nennenswerten Auswirkungen auf die Charakteristik des Filters (siehe Tim Stinchcomb: „Diode Ladder Filters“). Klanglich liegt das Filter des SH-1000 durchaus in der Nähe des Moogschen Transistor-Kaskaden-Filters. Allerdings fehlt ihm ein letztes Strahlen, wenn die Hüllkurve die Kennfrequenz ganz nach oben zieht. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sowohl der SH-1000 wie später der SH-2000 in Ihrer Klangerzeugung auch mit einfachen Festfiltern gearbeitet haben, die den Gesamtklang auch nochmals beeinflussten.

Roland SH-3, SH-2000, SH-3a Synthesizer

Beide Filterschaltungen des SH-2000

Im Jahr 1973 brachte Roland zwei neue Synthesizer heraus: den SH-3, bzw. SH-3a und den SH-2000. Während der SH-1000 noch ein Zwitter aus Preset-Instrument und frei einstellbarem Synthesizer war, wurden bei den Nachfolgern klare Trennungen etabliert: der SH-2000 wurde fast ausschließlich Preset-Gerät konzipiert, der SH-3 als „echter“ Synthesizer. Ein Blick auf die Filterschaltungen der Geräte zeigt deutlich deren zeitliche Abfolge: Der SH-3 verwendete noch das gleiche Dioden-Kaskaden-Filter wie der SH-1000. Der SH-3a und der SH-2000 hingegen verwenden eine ziemlich exakte Kopie der Moog Schaltung. Was ist da nun der Unterschied? Dazu werfen Sie bitte einen Blick auf die Abbildung X. Ganz links ist der Kern der originalen Moog Schaltung im Prinzip dargestellt. In der Mitte das Dioden-Filter des EMS bzw des SH-1000 (zur rechten Abbildung kommen wir gleich noch). Während beim Dioden-Filter jede Stufe des Filters mit jeder anderen Stufe interagiert, fungieren beim Moogfilter die einzelnen Transistorpaare auch als trennende Pufferstufen. Dafür sorgen die Ströme, welche die Widerstandskette links an die einzelnen Transistoren leitet. Dadurch haben die vier Stufen des Filters alle ganz eindeutig die gleiche Kennfrequenz.

Insbesondere der SH-3a kann daher mit dem unvergleichlichen Glanz prangen, den auch Minimoog und Konsorten auszeichnen. Aber auch der SH-2000 ist ein prächtig klingendes Instrument. Die dort gebotene Möglichkeit das Filter mit Aftertouch zu modulieren, machte ihn zum unauffälligen Begleiter vieler Star-Keyboarder.

Allerdings war Roland wohl mit der Verwendung des Moog Filters nicht glücklich. Im Servicemanual des SH-2000 finden sich zwei Filterschaltpläne: ein Moog Filter für alle Geräte bis zur Seriennummer 578049 und eine weitere Variante des Diodenfilters für die Seriennummern größer/gleich 578050. Dies ist die rechte Schaltung in der Abbildung X. Hier werden Transistoren wie Dioden verwendet. Dazu muss man wissen, dass ein Transistor im Prinzip aus zwei Dioden besteht. Verbindet man den Mittelanschluss (die sogenannte „Basis“) mit einem der beiden Seitenanschlüsse (in diesem Fall dem „Collector“), so arbeitet der Transistor ähnlich wie eine Diode. Die bei der Moog Schaltung gegebene Pufferfunktion des Transistors fällt wieder weg.

Klanglich ist dieses Filter folgerichtig anders als das Moog Filter, es geht klar wieder mehr in die Richtung des SH-1000, aber der Filterklang hat „eine breitere Brust“. Das Filter ist dominanter in der Gestaltung und die Klänge sind durchsetzungsfähiger als beim ursprünglichen Diodenfilter. Mit dieser Schaltung sollte Roland bei den nächsten Geräten sehr erfolgreich sein.

Warum aber hat Roland die Schaltung geändert? Seit Jahrzehnten kursiert im Internet und in der Literatur die Meinung, dass Moog Music gegen die Verwendung ihrer Schaltung Einspruch erhoben habe, und Roland daraufhin das Filter in späteren Serien in einer Version gebaut hat, die nicht mehr das Patent von Moog tangierte.

Moog-Filterschaltung: Von links nach rechts: das original Moog-Filter; Dioden-Kaskade mit Transistoren in Diodenschaltung

Betrachtet man die Entwicklung der Filterschaltungen in den Roland Geräten dieser Zeit, so zeigt sich aber ein anderes Bild: Warum wäre der SH-3a – also das neuere Modell – mit Moog-Filter gebaut worden, während der etwas ältere SH-3 noch mit der Diodenkaskade des SH-1000 daher kam? Offensichtlich war der SH-3 eine Fortentwicklung des SH-1000 (das kann man an vielen weiteren Details der Schaltungen nachvollziehen). Dann legte Roland den SH-2000 nach und polierte gleichzeitig den SH-3 als „a“-Variante mit dem Moog Filter auf. Die Änderung weg vom Moog Filter betraf dann eine neuere Serie des SH-2000 schätzungsweise im Jahr 1976, während der SH-3a bis ins Jahr 1978 mit Moog Filter produziert wurde. Hätte es hier einen Patentstreit gegeben, so hätte Roland sicher die Produktion des SH-3a wieder auf die alte Schaltung umgestellt. Ich vermute vielmehr, dass bei Roland einfach kaufmännische Überlegungen zu der Abwandlung führten.

Roland SH-5 Synthesizer

Filterschaltung des SH-5: Der grüne Pfeil beschreibt den Signalfluss im Bandpassbetrieb

Die Entscheidung für das „Nicht-Moog“-Filter war aber durchaus glücklich. Der nächste Synthesizer aus dem Hause Roland war der SH-5, den Roland ab 1975 verkaufte. Um es vorweg zunehmen: Die ziemlich einhellige Meinung aller Synthesizerfachleute ist, dass den Roland Ingenieuren mit dem SH-5 ihr bestklingendes Instrument der siebziger Jahre gelungen ist.

Technisch besehen wurde für das Tiefpassfilter eine leichte Abwandlung der Filterschaltung des späten SH-2000 verwendet. Die Schaltung wurde zudem um ein 6 dB Hochpassfilter ergänzt. Dieser Hochpass arbeitet erstmalig für Roland mit einer sogenannte OTA-Schaltung (wir gehen später darauf ein). Über einen Wahlschalter kann man zwischen dem Hochpass, dem Tiefpass und einem Bandpass unterscheiden. Dabei ist interessant, dass die reine Hochpasseinstellung zum Großteil nicht von dem 6 dB OTA-Filter stammt, sondern darauf basiert, dass das Originalsignal und das Tiefpasssignal phasenvertauscht gemischt werden. Nur die Bandpass-Einstellung ist eine Serienschaltung des 24 dB Transistor-Ladder-Tiefpass und des 6 dB OTA-Hochpass.

Mit dem SH-5 führte Roland zudem eine einfache aber wichtige Funktion ein: Wenn man die Resonanz des Filters erhöht, so wird auch der Pegel des Signals angehoben. Was steckt dahinter? Wenn eine Schaltung ein Signal klanglich verändert, so bleibt doch die Gesamtenergie des Signals zunächst gleich. Wenn man also an der Resonanzfrequenz den Pegel erhöht, dann muss der Pegel der restlichen Frequenzen abfallen. Das bewirkt beim Hörer den Eindruck, dass das Signal „dünner“ wird. Einen entsprechenden Ausgleich kann man eben einfach schaffen, indem man den Gesamtpegel des Signals gleichzeitig mit der Resonanz anhebt. Das hat Roland beim SH-5 erstmal getan. Dadurch hat der SH-5 ein äußerst „selbstbewusst“ auftretendes Filter.

Neben dem VCF hatte der SH-5 übrigens noch ein Festfilter zu bieten, quasi einen einbandingen vollparametrischen EQ. Das Detail der Schaltung soll hier nicht interessieren, doch ist die Grundidee bemerkenswert, da feste betonte Frequenzbereiche sehr charakteristisch für die Klanggestaltung sind. Nur der Polymoog kann mit seinem dreibandigen Resonator etwas ähnliches aufweisen.

Roland System-100 Synthesizer

Roland System-100 mit zwei Roland Effektgeräten, die nicht Teil des Systems waren

Mit dem System-100 wagte Roland sich dann 1976 erstmals in den Bereich der modularen Instrumente vor. Die Filtersektion der Module 101 und 102 bestand aus der vom späten SH-2000 bekannten 24 dB Transistor-Dioden-Kaskade und einem nicht spannungssteuerbaren 6 dB Hochpassfilter. Diese Kombination aus statischem 6 dB Hochpass und spannungssteuerbarem 24 dB Tiefpass sollte Roland dann im Prinzip für fast alle nachfolgenden analogen Synthesizer beibehalten; ja sogar einige digitale Geräte wurden noch in dieser Tradition gestaltet. Leider verzichtete Roland beim System-100 aber auf die flexiblen Kombinationsmöglichkeiten der Filtersektion des SH-5. Die Anpassung des Pegels an die Resonanzeinstellung findet man aber auch beim System 100. Klanglich ist das System 100 jedenfalls harte Konkurrenz für den SH-5. Es gibt nur wenige Synthesizer, deren Klang so eindeutig identifizierbar ist.

Roland System 700 Synthesizer

24 dB OTA-Filter des System 700

Mit den Filter-Modulen des ebenfalls 1976 erschienenen System 700 läutete Roland eine neue Ära ein, was die Schaltungstechnik betrifft. Erstmals baute man ein Filter komplett mit einem seit 1969 existenten Bausteintyp, dem sogenannten Operational Transconductance Amplifier, kurz OTA. Die Bezeichnung des ICs ist CA3080. Wir wollen hier nicht allzu tief in die Elektronik-Theorie einsteigen, doch so viel sei kurz erläutert: Ein OTA ist ein Baustein mit einem Signaleingang, einem Signalausgang und einem Steuerungseingang. Eine Signalspannung am Eingang wird zu einem Strom am Ausgang. Was da rauskommt, ist also letztlich das Gleiche, was aus dem Widerstand in der zu Anfang beschriebenen Basisschaltung für ein Filter herauskommt. Verkürzt gesagt: Ein OTA benimmt sich für ein elektrisches Signal wie ein elektronisch regelbarer Widerstand. Das ist ideal für den Entwurf von Filtern. Da der Strom, der aus einer Schaltung „herausfließt“ immer abhängig wäre vom Eingangswiderstand der nachfolgenden Schaltungen, muss man hinter den eigentlichen OTA noch eine Pufferstufe einfügen. Die Filter der Roland Geräte nach dem System 700 unterscheiden sich dann lange Zeit vor allem in der Ausformung dieser Pufferstufe.

Das System 700 selbst hat zwei unterschiedliche Filtermodule. Das Modul 703a ist ein spannungsgesteuertes 12 dB Multimode-Filter, auch bekannt unter der englischen Bezeichnung State-Variable-Filter. Das 703e ist ein 24 dB Tiefpassfilter. Es ist der Vorläufer des legendären Roland Filters, das bis weit in die achtziger Jahre verwendet wird.

Das 12 dB Multimode-Filter basiert auf einer Schaltung, die ursprünglich in einer nicht-spannungssteuerbaren Variante aus der analogen Rechentechnik stammt und dann von Dennis Colin für den ARP 2500 auf die OTA-Technik übertragen wurde. Colin hatte hierfür ein Patent. Die Schaltung wurde dann von Serge im ersten VCF-Modul verwendet und von Oberheim im SEM. Der große Reiz des Multimode-Filters ist die gleichzeitige Verfügbarkeit von Hochpass-, Tiefpass- und Bandpass-Funktion an verschiedenen Ausgängen der Schaltung. Leider hat Roland die Möglichkeit des gleichzeitigen Abgriffs nicht genutzt, sondern stattdessen nur einen Wahlschalter für die möglichen Funktionsarten eingesetzt. Die Intensität der Resonanz des Filters ist beim Modul 703a nur manuell regelbar, aber auch hier hat Roland eine parallele Anhebung des Signalpegels mit eingebaut. Dies ist insofern bemerkenswert, als dieser simple Trick von allen anderen Verwendern des SVF nicht benutzt wurde. Eine kleine Einschränkung gilt allerdings beim 12 dB Filter in Sachen Resonanz: Das Filter ist nicht selbstresonierend.

Das 24 dB Filter des Modul 703e besteht aus vier OTA-Stufen, an deren Ausgang eine invertierende Pufferstufe hängt, in deren Rückkoppelungskreis der Filterkondensator hängt. Das ist ein bisschen unkonventionell. Einen speziellen Klang kann man nach meiner Erfahrung daraus aber nicht ableiten. Die Resonanz ist hier spannungssteuerbar, allerdings fehlt die Anpassung des Pegels an die Resonanz. Das wäre vergleichsweise einfach machbar gewesen – später hat man es beim Jupiter-8, der eine recht ähnlichen Schaltung verwendet, gemacht. Allerdings hat Roland auch in fast allen nachfolgenden Modellen, in denen die Anpassung einfachst möglich gewesen wäre, darauf verzichtet. Warum, das wissen wohl nur die Entwickler selbst.

Klanglich sind die beiden Filter des System 700 sehr sauber. Das liegt sicher auch daran, dass das System 700 in der Standardanwendung nur schwer zu übersteuern ist. Das „Sägen und Singen“ des System-100 oder des SH-5 haben sie nicht.

Roland SH-1, System 100m, SH-7, GR-500 Synthesizer

 

24dB-Filter im Modul M-110 ohne Hochpass

Im Jahr 1978 brachte Roland gleich vier Synthesizer auf den Markt. Offensichtlich versuchte man, in allen Instrumentenkategorien eine komplett neuer Generation zu etablieren. Der Nachfolger für die einfachen Monosynthesizer SH-1000 / SH-2000 sollte offensichtlich der SH-1 werden. Dieser in vieler Hinsicht bemerkenswerte und oft unterschätzte 1-Oszillator-Synth arbeitet mit einem vierstufigen 24 dB OTA-Filter und dem schon bekannten statischen 6 dB Highpass. Als Puffer wurde eine einfach Transistor-Stufe mit einem sogenannten Feldeffekt-Transistor verwendet. Die Resonanz ist nicht spannungssteuerbar und es gibt – wie gerade erwähnt – keine Anpassung des Pegels an die Resonanz mehr. Theoretisch sollte der SH-1 also ein bisschen brav und eben nach „Roland“ klingen. Tatsächlich ist er aber eine Urgewalt. Mir ist kein analoger Roland Synthesizer untergekommen, der solche Welten erschütternden Bässe produzieren könnte und trotzdem in den Höhen lieblich und strahlend singt. Allerdings hängt dies wohl auch mit anderen Faktoren des Instruments zusammen, denn: Mit dem System 100m brachte Roland in diesem Jahr das Volks-Modularsystem schlechthin heraus. Dieses enorm erfolgreiche Modularsystem verwendete im Dual-Filtermodul M121 und im Single-Voice-Modul M110 de facto die gleichen Schaltung wie der SH-1; dabei hatte nur das Modul M112 pro Kanal einen 6 dB Highpass, allerdings nicht mit einem Fader für die Kennfrequenz, sondern mit einem Schiebeschalter für drei verschiedene Frequenzen und Bypass. Obgleich das System 100m in den Bässe nicht ganz mit dem SH-1 mithält, so kann es doch gerade bei hoher Resonanz bestechend schöne Klänge liefern. Legendär sind seine Kraftwerk’esken „Zonggg“-Percussions.

Filterschaltung SH-7

In der Oberklasse der Monosynths brachte Roland den SH-7. Hier handelt es sich um einen äußerst durchdachten und vielfältig einsetzbaren Leadsynthesizer, der für ein nicht-modulares Instrument erstaunlich umfangreiche Modulationsmöglichkeiten bot. Auch bei den Oszillatorschaltungen war der SH-7 an vorderster Front, was ihm eine sehr gute Oktave-Reinheit über einen sehr großen Bereich bescherte; im Prinzip legt Roland hier den Grundstein für ihre späteren DCOs. Doch ausgerechnet das Filter – das ja hier das eigentliche Thema ist – war und ist der schwächste Punkt des SH-7. Es handelt sich um ein leichte Abwandlung des vierstufigen 24 dB OTA-Filters. Die Änderung gegenüber dem SH-1 und dem System 100m besteht in einem zusätzlichen normalen Transistor nach dem FET in der Pufferstufe. Mit wenig Resonanz klingt das Filter durchaus schön und weich, aber bei hohen Resonanzwerten ist der Pegelverlust eklatant, die Klänge werden dünn und saftlos. Da die Fader für die Signalquellenmischung nicht weit vom Resonanzregler weg sind, haben sich die meisten damit geholfen, einfach die Pegel am bei etwa 60 % zu belassen, wenn die Resonanz niedrig eingestellt war. Zog man dann die Resonanz auf, fuhr man einfach die Pegel am Mischers auf 100 % hoch. Bei keinem anderen Roland Synthesizer vermisst man den Pegelausgleich mit der Resonanz mehr als beim SH-7.

Der Vollständigkeit halber sei hier der erste Gitarren-Synthesizer aus dem Haus Roland erwähnt: der GR-500. Dieser verwendet die gleiche Filterschaltung wie der SH-7.

Roland SH-2, SH-09 Synthesizer

Der Roland SH-2 war in Deutschland nur auf Bestellung zu haben

Ein Jahr später, also 1979, stellte Roland den SH-2 vor. De facto war er wohl als kompakterer Nachfolger des doch immer noch etwas voluminösen SH-1 gedacht. Mit zwei Oszillatoren entsprach er deutlich besser dem Zeitgeschmack. Sein Filter war wieder das nun schon bewährte 24 dB OTA-Filter, doch hatte sich Roland vom CA3080 verabschiedet und stattdessen das IC BA662 verwendet – ja, genau der Chip, der vielen Leuten in der TB-303 so wichtig ist. Tatsächlich handelt es sich aber um den gleichen OTA-Kern wie im CA3080, jedoch wurde gleich eine separate einfache Pufferstufe im IC mitgeliefert. Im SH-2 setzen die Roland Ingenieure aber weiterhin auf die direkte Pufferung durch den FET-Transistor und hängten erst dahinter den Puffer des ICs. Diese Kombination – eigentlich nur eine geringe Abweichung gegenüber dem SH-7 – bescherte nun dem SH-2 ein wunderbar kräftig klingendes Filter. Was man hier zu hören bekommt, wurde in den nachfolgenden Jahren zu „dem Roland Sound“.

1980 legte Roland dann noch mit dem SH-09 eine günstigere Variante des SH-2 vor, die um einen VCO und ein paar Detail-Funktionen abgespeckt war. Von der Filterschaltung ist er mit dem SH-2 quasi identisch; der SH-2 kann eine höhere Eckfrequenz erreichen, doch dürfte das nur Fledermäusen auffallen.

Zwischenbilanz VCF in Roland Analog-Synthesizern

Der Synthesizerhersteller Roland war Ende der siebziger Jahre definitiv bei „seinem Sound“ angekommen. Nach diversen Experimenten mit Filterschaltungen, aber sicherlich auch einigen kaufmännisch begründeten Entscheidungen, hatte die Firma es geschafft, sich unabhängig von den Entwicklungen anderer zu machen und aus technischer und klanglicher Sicht eine eigene Marke zu etablieren. Nun sollte es an der Zeit sein, entwicklungstechnische aber auch finanzielle Potential zu nutzen und eigene Chips für die Filterschaltungen herstellen zu lassen. Doch das soll Thema des zweiten Teils dieses Artikels sein.

Die Fortsetzung zu diesem Zweiteiler findet Ihr HIER.

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Forum
    • Profilbild
      Inductor

      @network-909 Boah, das ist eine echte Packung (an Knowhow).
      Toller Artikel. Wie ist denn der LadderFilter der TB-303 da einzuordnen? Oder ist das eine eigene Kategorie in der Zeit danach (also ab 1980)?

      • Profilbild
        Florian Anwander RED

        @Inductor Danke für das Lob!
        Die 303 kommt – wie Du richtig vermutest – wegen der zeitlichen Abfolge erst im zweiten Teil vor. Technisch gehört sie tatsächlich eher zu SH-2000, SH-5 und System 100. Warum Roland diesen Rückschritt nochmal gemacht hat, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Mehr dann eben im Folgeartikel…

  1. Profilbild
    Son of MooG AHU

    Mit dem 505 Dual VCF wurden die Filter des SH-5 für die Eurorack-User neu aufgelegt. In meinem System ist es jedenfalls der Favorit…

    • Profilbild
      Florian Anwander RED

      @Son of MooG Beim 505 sind die Leute sehr geteilter Meinung. Z.B. geht das 505 nicht in die Eigenresonanz und auch das overdrive-Verhalten des SH-5 Filters ist nicht gegeben. Und das zweite Filter, das eigentlich das parametrische statische Filter des SH-5 abbilden soll, hat wohl relativ wenig mit dem Klang des Originals gemeinsam,

      @Tyrell: lass doch mal @Moogulator das 505er-Filter mit seinem SH-5 vergleichen.

  2. Profilbild
    swissdoc RED

    Bei einem Freund habe ich den Sound des System 700 schätzen gelernt. Etwas später konnte ich einen SH-2 erwerben. Da war er, der Roland Sound.
     
    Ansonsten ein toller Artikel, natürlich schon vor langer Zeit im klingonischen Original gelesen. Danke für die Übersetzung ins Web.

  3. Profilbild
    Filterspiel AHU

    Aus der digitalen Schaltungstechnik und den „sauberen“ Filtern der Frequenzweichen kommend, dachte ich damals beim erstmaligen Betrachten des Leiterfilters: was ist das für ein Nonsense. Beim ersten hören desselbigen: genau mein Typ von Nonsense!

  4. Profilbild
    Full Bucket

    Toller Artikel, danke!
    Der Diodenfilter ist übrigens fast identisch zu dem in Helmuth Tünkers Franzis-Fachbuch „Electronic-Pianos und Synthesizer“. Kennt das noch jemand? ;-)

    • Profilbild
      Florian Anwander RED

      @Full Bucket Soweit ich weiß hatte Tünker das Filter bei EMS „abgekupfert“ (was – da für den Selbstbau – ja komplett legal war und ist).

    • Profilbild
      NDA

      @Full Bucket Schmunzel; mit der Frage läßt sich hier natürlich sehr schön der Kreis der „nicht mehr unter 30 (oder sogar 40) -jährigen“ herausfinden. Na egal, je oller, je doller; und „experience rules the show“, gell? ;-).

      Tja, H. Tünker und das von wegen „ein Synth mit nur einem VCO ist ein Ein-Finger-Quietscher“ hab‘ ich noch sehr gut in Erinnerung. Dazu dann die VCO-Schaltung mit dem µA726 als temperaturkompensierter Präzisions-Spannungs-/Stromwandler zum schlappen Preis von um die 25 – 30 ,-DM / Stück. Das ließ einem als Jugendlichen (und dem damaligen Taschengeld) den Selbstbau in nahezu unerreichbare Ferne rücken …

      • Profilbild
        Full Bucket

        @NDA Kannst ruhig auf 50 hochgehen! ;-)

        Ja, dieses „Einfingerquietscher“-Zitat hat mich für immer verfolgt – nur ein VCO ist bäh! Deshalb war wohl mein erster „echter“ Synth der Mono/Poly. :-D

        Trotzdem viel aus dem Buch gelernt… damals gab es ja noch kein Internetz, liebe Kinder…

  5. Profilbild
    kakagoo

    Was für ein geiler, technisch aber überhaupt nicht trockener Beitrag über ein eigentlich „trockenes“ Thema; hab den Artikel jetzt 3 mal gelesen (weil selber „Roland-affin“).
    Kurz gesagt: GROSSES KINO hier auf Amazon!

    • Profilbild
      kakagoo

      @kakagoo Sorry, wollte keine Werbung für einen Onlinedienst machen..
      Mein letztes Wort sollte -natürlich- Amazona heissen. Meine Autokorrektur war wohl dagegen… ;-))

      • Profilbild
        Florian Anwander RED

        @kakagoo Danke für das Lob!

        Und die URL Verwechslung passiert mir auch dauernd (obgleich ist ziemlich strikter Verweigerer in Bezug auf den Ex-Buchhändler bin).

        • Profilbild
          dilux AHU

          @Florian Anwander „…obgleich ist ziemlich strikter Verweigerer in Bezug…“ genau wegen solcher sätze haben autokorrektur und -vervollständigen bei mir keine chance…mich nerven auch die lags, die dadurch manchmal entstehen…

          …und warum herrn anwander noch keine professur von einer musikhochschule angetragen wurde, ist mir auch ein rätsel…oder wurde?

  6. Profilbild
    NDA

    Herzlichen Dank für diesen schönen & interessanten Artikel; da schlägt das Herz jedes Schaltungstechnikers gleich höher!

    Zum SH-5 Filter; RE: „…die reine Hochpaßeinstellung zum Großteil nicht von dem 6dB OTA-Filter stammt“. So wie ich die Schaltung verstehe, willst Du damit vor allem verdeutlichen, daß das Filterverhalten im Bereich der cut-off Frequenz durch den 24dB Tiefpaß zusätzlich oder sogar wesentlich mit beeinflußt wird. Zum einen auf jeden Fall der Resonanzpeak, der mit dem einfachen 6dB Filter sonst ja überhaupt nicht möglich wäre. Weiter die Übergangscharakteristik, die sowohl aus Flankensteilheiten und Phasendrehungen des 6dB-Filters und gleichzeitig denen des 24dB Tiefpaß geformt wird. Oder mach‘ ich hier einen Fehler? Die Schaltungsentwickler haben sich da auf alle Fälle sehr gute Gedanken gemacht.

    RE: „kaufmännische Überlegungen“. Möglich; gleich das erste Bild enthält dazu eine kleine, aber sehr wichtige Zauberformel: „all diodes are selected“. Dazu für die jüngeren Leser: früher waren die Fertigungsstreuungen bei Einzelbauteilen wie eben Dioden und Transistoren höher (und sind es bei Billigstbauteilen auch heute noch). „Selected“ heißt im Klartext: ausgemessen und ausgewählt aus einer großen Menge; und das kostet eben.

    • Profilbild
      Florian Anwander RED

      @NDA Was die SH-5 Schaltung angeht: ja, das sehe ich genauso. Ich konnte nie den Frequenzgang des SH-5 Filters messen, aber ich nehme an, dass der nicht so aussieht wie bei einem OTA-basierten Hochpass.

      Der Hinweis auf die damaligen Personenstundenkosten durch die Bauteilselektion ist gut. Heute wird das ja ggf automatisiert gemacht – vor allem bei größeren Stückzahlen. Aber damals saßen da viele Leute und haben stundenlang Dioden oder Transistoren in Meßschaltungen gesteckt, und dann in Sortierschälchen gelegt, und danach passende Sets pro zu bestückendem Gerät(!) in Tütchen zusammengestellt. Das sind locker 20 oder 30 Minuten Arbeitszeit pro Gerät. Bei 1000 Exemplaren 500 Personenstunden. Also ca 2 – 3 brutto Monatsgehälter nur um die Dioden des VCFs bereitzustellen.

  7. Profilbild
    Robert Langer

    Servus Florian! Der Artikel hat das Zeug, legendär zu werden; hab noch nie so eine umfassende History gelesen! Freu mich schon Teil 2 zu lesen! Viele Grüße, Robert

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