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Making of: Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness

25 Jahre Melancholie - das Pumpkins Jubiläum

18. Oktober 2020

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25th anniversary

In fünf Tagen – vor 25 Jahren, genaugenommen am 23. Oktober 1995, landete – und da zitiere ich den Rolling Stone – eine der wichtigsten Rockplatten der Neunziger Jahre in den Ladenregalen – die Smashing Pumpkins – Mellon Collie and the Infinite Sadness.

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Irgendwie hört man das ständig. „Das Referenzwerk der 90er“. „Die Platte, die alles veränderte.“ „Das Album, das den Grunge definierte“. Alles, was nach 1991, nach dem Urbeben der Nevermind erschien, stand im Schatten des sogenannten Referenzwerks des Grunge. Niemandem war das unangenehmer als Cobain selbst. Auch deshalb wuchs die In Utero zu dieser rohen, ungestümen Platte heran, der Gegenentwurf zum eigentlich vorgezeichneten Wege, Smells like Teen Spirit Part 2-10 zu schreiben – gebet dem Volke, was es will! Mitnichten. Nicht die Flanell-Hemden tragenden, nach Patchouli-Öl riechenden Nihil-Boys. Die taten, was sie wollen. Und die Geschichte des Grunge? Die überblickt sowieso kaum jemand. „Grunge begann mit Mudhoney.“ Ist dem so? Was ist mit all den Seattle Noiserock Bands der späten 80er, die kaum jemand mehr beim Namen nennen kann?

Was ist Grunge überhaupt?

Und wie passt Billy Corgans Größenwahn in das Ganze rein?

Größenwahn deshalb, weil es zig Interviews von ihm gibt, in denen er die Pumpkins „die beste Band der 90er“ nannte. In der er sich, schmunzelnd, ein bisschen drucksend, abfällig über Nirvana äußerste, als wäre er der einzige, der eine besonders gewichtige Pointe verstanden hätte. Billy Corgan ist – und das würde er selbst wahrscheinlich ein Stück weit unterschreiben – ein bisschen Arschloch.

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25. Jubiläum

By Graham Racher – Flickr, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2518783

Sind die Smashing Pumpkins Grunge? Wahrscheinlich nicht. Ist die Mellon Collie and the Infinite Sadness eine der besten Rockplatten der 90er? Wahrscheinlich ja. Leider. Und nein, hier schwingt keine persönliche Abneigung des Autors gegenüber dem Album oder der Band mit. Meine Mellon Collie Kopie hat seit 20 Jahren einen festen Platz im Regal. Leider, weil man bei Billy Corgans Genie gerne auf ein bisschen Bescheidenheit setzen würde, auf ein bisschen Zurückhaltung, was die Bewertung der eigenen Person angeht. Hat sich ja gebessert, der Gute, aber Narzissmus ist schon eher Veranlagung. Der Glaube an die eigene Grandiosität ist nichts, was man von heute auf morgen verlernt.

Aber wir reden hier von einem Vierteljahrhundert. Verrückt. Ein bisschen. Billy Corgan ist zahmer geworden. Als wäre es gestern gewesen: die interessanten Mädchen auf der Schule hörten alle die Pumpkins. Trugen die Mellon Collie Shirts, mit dem Souvenir-Gesicht des Jean-Baptiste Greuze darauf, schleppten sich mit abgetragenen Springern über den Schulhof. Dunkles Mascara und ja – irgendwas mit Flanell, was Kariertes, Dunkles. Einblicke, die niemanden interessieren, aber was zum Ausdruck gebracht werden will: als Kind der 90er war die Mellon Collie sicher nicht nur für mich der Inbegriff eines schmerzlichen Romantizismus. Billy hatte uns mit dieser Platte ordentlich was eingebrockt – Typen wie Gals – und ein Stück weit kann man verstehen, weshalb der Mann die Leistung dieser Platte als Anlass nahm, zu sagen: Lou Reed, Kurt Cobain, Me.

Smashing Pumpkins – das 25. Jubiläum der Mellon Collie

Man stellt sich vor, dass heute noch jemand versuchen würde, ein Doppelalbum mit 28 Songs rauszubringen und darauf setzen würde, dass das Ganze irgendwie erfolgreich sein könnte. Die Zeiten sind vorbei. Endgültig. Unwiederbringlich. Ich sage das bewusst, denn das Prinzip Album als geschichtenerzählendes Medium, mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, selbst steht auf der Kippe. Eine Erzählung wie Mellon Collie and the Infinite Sadness, mit 28 Songs, über zwei Alben verteilt, die den Anspruch hat, gehört und verstanden zu werden – wer will das heutzutage noch hören? Ich. Werden viele von euch sagen. Doch man hat das Gefühl: wir sind inzwischen in der Unterzahl.

Ist schon bisschen her, dass eine junge Band gesagt hat: ich hab‘ eine Geschichte zu erzählen, ein Album muss her. Ist eher den alten Progressive-Vätern vorbehalten. Typen wie Steven Wilson vielleicht. Oder Kollektiven wie Cult of Luna. Klar, es gibt Ausnahmen. Aber dass die Aufmerksamkeitsspanne durch die Digitalität eingebrochen ist, ist wahrscheinlich keine allzu kontroverse These. Dass wie vor 25 Jahren eine Grunge-Opera einen Siegeszug antreten würde, der in 10 Millionen verkauften Plattenträgern kulminieren würde, umreißt Dimensionen, die es nicht mehr geben wird. Aber ja, es wird gerne vergessen: die Mellon Collie and the Infinite Sadness von Smashing Pumpkins hat astronomische Zahlen produziert. Irgendwo, irgendwann, an einem gewissen Punkt der Musikgeschichte – nach den 60ern und 70ern – war es also möglich, mit einer nebulösen Doppel-CD-Erzählung Millionen Alben abzusetzen.

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Dabei war das 1995 bei weitem nicht selbstverständlich: Selbst für diese Zeiten war eine derartig pompöse, selbstbewusste und megalomanische Rock-Opera eher Anti-These als Szene-Statement. Wer den Respekt der Szene wollte, übte sich in Understatement. Dreck. Scham, über die Reagan-Ära, das Plastik und das Haarspray. Grunge und Erfolg, das passte nicht zusammen. In Utero hatte den Nerv getroffen – die Rückkehr zu den Noise-Wurzeln, zum Minimalismus, zum Punk. Billy hatte daran kein Interesse. Wer die Mellon Collie kennt, weiß: es ist ein von Streichern und Synthesizern übervölkertes, aufwendig arrangiertes Pandämonium mit unzähligen leisen und lauten Momenten – an jeder Ecke klimpert, knistert und echot es. Streicher-Arrangement in Stereo anstatt fuzzy Mono, der einen anspringt. Die 90er Jahre Version von The Wall“ – Pink Floyd traf auf ätherischen, verträumten Gitarren-Noise à la My Bloody Valentine. Billy hatte keine halben Sachen machen wollen. Mellon Collie and the Infinite Sadness sollte die Zeit überdauern. Und er würde Recht behalten.

Smashing Pumpkins – So entstand Mellon Collie and the Infinite Sadness im Studio

Was ich live sehe, wenn ich euch sehe, wird nicht eingefangen.“ Das waren Alan Moulders Worte zu einer Band, die gerade 13 Monate getourt hatte, um die hervorragende Siamese Dream zu promoten. Der Producer, der die Band bei ihrem irren Unterfangen unterstützen sollte, dieses gigantische Ding zu produzieren, verstand bei allen Luftschlössern, die Billy da ausheckte, dass ein Fundament her musste für „The Wall for Generation X“. D’Arcy am Bass, Jimmy Chamberlin am Schlagzeug – er steckte sie in den Aufnahme-Bereich des Pumpkinland-Studios und nahm sie live auf. Play it again. Play it again. Play it. Again. Bill und Alan gerieten einander, doch das, was im Pumpkinland aufgenommen, machte einen Großteil der (sträflich unterschätzten) Rhythmus-Sektion aus, die es letztendlich auf das Album schaffte.

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25. Jubiläum

By Gyang333 – Taken at Smashing Pumpkins concert at Chaifetz Arena in St. Louis MO on October 18, 2012, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37353283

D’Arcy. Oh D’Arcy. Mit der Bassistin, die (entgegen vieler Gerüchte) sämtliche Parts auf der Mellon Collie eingespielt hatte, pflegte Billy eine zutiefst komplizierte Beziehung – wie mit so ziemlich allen Musikern, die ihn umgaben. Die Dramen, die nach der Erscheinung von Mellon Collie and The Infinite Sadness erfolgen würden, waren zahlreich, aber dort, in Pumpkinland, zwischen April und August 1995 sowie den Studios in Chicago und Los Angeles, in diesen zutiefst kreativen, produktiven Zeiten – da schien noch alles möglich. Man hatte die rigide Studio-Atmosphäre von Siamese Dream aufgeweicht. Billy ließ mehr Einflüsse zu. Ließ mit sich reden. Es wurde simultan an mehreren Aspekten des Albums gleichzeitig gearbeitet, es wurde gejammt, Ideen wurden verbogen, verfremdet. Mark „Flood“ Ellis, Alan Moulder, Billy Corgan, James Iha, D’Arcy Wretzky und Jimmy Chamberlin – sie alle werkelten gemeinsam an Billys Songs. Ein Album, das seiner Vision von „The Wall for Generation X“ gerecht werden würde. Ein Epos, welches das Diamond-Zertifikant bekommen würde – 10 Millionen verkaufte Platten. Billy erinnert sich in Interviews an Rohrbruch. Wie sie sich zusammenkauerten, Equipment vor dem fließenden Wasser im Pumpkinland-Studio retteten. Er erinnert sich daran, dass ihm die dunklen Aspekte des Albums gar nicht so dunkel vorkamen. An Familie. Denn das waren die Pumpkins für ihn. Ein Stück weit. Es entstanden wütende 7-minütige Songs über Tod und Sex wie „XYU„, akustische Hymnen wie „33“ oder die Sonic Youth-Verneigung „1979„. Oder „Thru the eyes of Ruby“ – der Track, an dem die Band am längsten arbeitete. In Billys Worten:

It was a really beautiful time, because the band was in sync, the practice space sounded amazing, we had the best producer in the world in Flood, and we were just flying at 1,000 miles an hour; I couldn’t write songs fast enough to keep up with the passion of the band.“

Aufnahme der Smashing Pumpkins Mellon Collie: Equipment, Gitarren und Verstärker

Gleich vorweg: ich bin kein großer Fan des Sounds der Mellon Collie and the Infinite Sadness.

Nicht der Songs – ein großer Teil der Songs ist und bleibt einfach nur meisterhaft und wird den Test der Zeit überstehen. Aber speziell das Low End der Platte, die Tiefen und ein großer Teil der unteren Mitten sind seltsam verwaschen und die Platte selbst ist leise abgemischt. Sie ist zwar dennoch dynamisch im Gesamtbild, aber die explosiven Momente der Platte erschienen mir immer seltsam…gedämpft. Die massiven Gitarren, die den Sound flankieren und der Bass in der Mitte ergaben einen leicht muffigen Grundcharakter, kombiniert mit einer etwas pappigen Snare. Das ist die persönliche Meinung – Moulders und Floods Leistung in allen Ehren, die bei der reichhaltigen Instrumentierung sicher keine leichte Aufgabe hatten. Aber dass es 2012 eben auch einen Remaster gab, spricht dafür, dass Billy selbst nie 100% zufrieden war mit dem Sound. Wer es noch nicht kennt: die 666 Tapes zeigen die Pumpkins um 1995 herum, als die Songs der Mellon Collie noch frisch waren:

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Für den Gitarrensound als solchen gilt die Unzufriedenheit also nicht. Die Band doppelte und trippelte bei den Aufnahmen, was das Zeug hält. Wie Moulder angekündigt hatte: Der Live-Sound der Band sollte eingefangen werden. Der Mesa Boogie Strategy 500 Power Amp war der Power Amp, in den sich Billy nach der Siamese Dream verliebte – und der über große Teile auf dem Album vertreten ist. Er kombinierte den Sound mit einem Marshall JMP-1 Preamp und schaltete zusätzlich einen Alesis 3630 Kompressor dazwischen. Für die Clean Tones verwendete Billy Corgan über weite Teile einen 1964er Vox AC30 und auch sein modifizierter Marshall JCM800 kam bei den Aufnahmen des Albums zum Einsatz. Dass Billy den Big Muff liebte, ist wohl bekannt – der Electro-Harmonix Big Muff Pi, der 70s OP, kam bei vielen Parts der Siamese Dream zum Einsatz und fand auch auf der Mellon Collie Verwendung. In Sachen Gitarren setzte Billy auf seine Custom Reverend, eine Fender Jaguar, die er in New York gekauft hatte sowie eine Gibson 335 aus den 70ern. Die Aufnahmekonsolen, mit denen Moulder und Flood die Aufnahmen stemmten, waren die API, MCI und SSL Konsolen, mit denen Alan bislang hauptsächlich gearbeitet hatte. ProTools kam genauso zum Einsatz wie ein Tascam DA-88.

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25th anniversary

By Tiffany Bauer, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3160395

Über das Equipment von James Iha ist nicht ganz so viel bekannt – generell war der Gitarrist in Sachen Ego und Zurückhaltung nichts weniger als ein Gegenentwurf zu Billy. Doch es ist bekannt, dass James für die Mellon Collie eine 1984 Les Paul Custom, eine 80s Silverburst Les Paul oder eine 1991 SG benutzte. Die Idee war es stets, dem luftigen Strat Sound von Billy ein Gegengewicht zu geben – etwas, das Alan für die Platte festhalten wollte und von James live vielfach so handgehabt wurde. In Sachen Amps gaben er und Billy sich nicht viel. James nutzte für einige der härteren Parts einen Orange OD120 Overdrive Head und für die cleanen Passagen einen Silverface Fender Twin Reverb. D’Arcy setzte anfangs auf Musicman Stingray-Bässen, ehe die Dame zu Mellon Collie-Zeiten endgültig zu Fender Precision Bässen und Trace Elliot Amps wechselte.

Smashing Pumpkins – Billy Corgans Narzissmus und ein Vierteljahrhundert Mellon Collie and the Infinite Sadness

Billy Corgan sieht seine eigene Rolle für den Rock’n’Roll in einem etwas eigensinnigen Licht. Das Radio einzuschalten, Songs zu hören und sich selbst wiederzuerkennen im Einfluss, den man auf andere hat – Billy kommunizierte zu Genüge, dass er sich ein bisschen vergessen fühlt und nicht genug Wertschätzung erfahren hat, was seine Bedeutung eingeht. An eine Aussage erinnere ich mich besonders gerne: Dass Butch Vig seinen Sound der „Gish“ zu Nirvana gebracht hätte für die Nevermind. Dass die Nevermind niemals ohne die Pumpkins diesen Sound gehabt hätte. Und dass Cobains Sound maßgeblich mit seinem – Billy Corgans Sound – zusammenhing.

Interessante Theorie.

Das sind so Aussagen, wie man sie von Billy kennt. An anderer Stellte muss man ihm ein bisschen Recht geben – speziell „Emo Rock“ (Ruhe in Frieden – forever, please) ist auf fundamentale Weise von Billy Corgans Stimme, typische Kadenzen, Melodieführung und Ästhetik beeinflusst worden. Alles, was im Emo-Rock passiert ist, wurde von „1979“ innerhalb von vier Minuten vorweggenommen. Braucht man darüber nicht zu diskutieren. Und tatsächlich muss man ihm auch mit seiner Bestandsaufnahme hinsichtlich des Rocks generell ein wenig beipflichten. In einem Interview mit dem Rolling Stone 2012 sagte er:

„But it seems like that was the last era where it seemed like there was this bigger thing happening beyond the music. Rock in the mainstream culture has lost a lot of its mojo. It might have something to do with laptop rock. It might have something to do with people are no longer interested in bands trying to get on the charts.

Die Geschichte hinter Mellon Collie – the bigger things happening beyond the music – dieses Gefühl, das von der Ästhetik und dem Klangbild einer Rockband ausging und Millionen elektrisierte: die Pumpkins zu den Zeiten der Mellon Collie waren vielleicht das letzte Mal, dass so etwas passierte: Dass Nischenrock ein megalomanisches Wagnis einging und dafür mit vollen Stadien belohnt wurde (New Metal, Limp Bizkit und Korn sind eine andere Geschichte, die auf einem anderen Blatt steht).

Wer kam danach? Die Stripes. Seitdem jedoch ist das bigger thing weg. Ich weiß, ich wiederhole mich und habe es in anderen Artikeln bereits zum Ausdruck gebracht: der Rock macht eine existentielle Krise durch, der er noch nie gegenüberstand. Vielleicht nicht unbedingt Rock – aber das Prinzip Rockband – ist in den letzten Jahren gefährlich nahe an das Abstellgleis geraten. Die kreativen Explosionen der 60er und 70er, der sträfliche Narzissmus des Rocks in den 80ern und der beschämte, sich selbst geißelnde Nimbus der 90er sind eine in sich geschlossene Geschichte von subversiven Kräften, die den Rock nutzten, um sich Ausdruck zu verleihen. Doch danach – Trübwasser. Irgendwas erlahmte, der Rock kam den Hügel nicht mehr hoch. Wurde der Mainstream immun gegen subversive Kräfte? Die Geschichte des Rap zeigt: Nein. Aber die vitalisierende Kraft des Rock ist weg, er bewegt den Mainstream nicht mehr, er biedert sich ihm an. Und ich bin immer noch bemüht, zu verstehen, was da genau seit der Jahrtausendwende passiert ist – wer Leseempfehlungen hierzu hat: gerne in den Kommentaren hinterlassen.

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25. Jubiläum

By photo taken by flickr user krissikes – flickr, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1681323

Smashing Pumpkins – Making of Mellon Collie 25th anniversary

Zurück zu den Pumpkins. Wir schreiben das Jahr 1998. Und die Erlahmung des Rock ist für Billy spürbar geworden. Es ist die Zeit zur (braucht man darüber noch zu diskutieren?), schlechtesten Pumpkins-Platte, Adore. Billy Corgan gibt dem Rolling Interview ein bitteres Interview. Nur drei Jahre nach Mellon Collie, die innerhalb weniger Monate Platinum erreichte, sitzt er da und versucht zu erklären, weshalb es das Folgealbum Adore nicht mal schaffte, die Million zu knacken.

„There’s definitely the moment where you go, “What happened?” You have this feeling of desertion: Maybe they don’t love you anymore.“

Am Ende gab er sich selbst die Schuld – Adore hatte es einfach nicht geschafft, eine kinetische Verbindung zum Publikum aufzubauen wie es Mellon Collie gelungen war, und er war als Songwriter einzig und allein dafür verantwortlich. Oder vielleicht doch nicht? „Maybe Rock is dead. And if, does it even matter?“ Der Defätismus eines Narzissten ist hässlich mitanzusehen, aber Billy hatte nicht unrecht – wie erwähnt: irgendwas ging am Rock Ende der 90er kaputt.

Und für die Pumpkins selbst gab es die ersten Toten zu beklagen, ein Jahre nach dem Erscheinen der Mellon Collie – und zwar nicht nur in Billys wichtigsten Bezugsperson, seiner Mutter. 1996, während der Mellon Collie Tour, starb der Keyboarder der Band, Jonathan Melvoin an einer Heroin-Überdosis. Und plötzlich kippte es. Beziehungsweise – die Achse begann, sich zu neigen, und noch während die Platte Platinum einholte und man als Chicagoer Band zu einer der größten Gruppierungen der Welt aufstieg, zeichnete sich ab: Das Prinzip Smashing Pumpkins würde auf Dauer nicht funktionieren. Billy entglitten die Dinge. Jonathan und Jimmy Chamberlin versanken noch während der Tour im Drogensumpf (Jonathan hatte davor keine nennenswerte Drogengeschichte vorzuweisen). Der Keyboarder wäre beinahe bereits in Bangkok gestorben, Jimmy hatte seine erste Überdosis in Lissabon. Billy hielt an Jonathan fest – eben auch, weil er ihn so sehr mochte. Es endete damit, dass Drummer und Keyboarder vor einer Show im Madison Square Garden, New York, sich in einem Hotelzimmer die besonders potente Heroin-Sorte Redrum besorgt hatten. Beide Männer verloren das Bewusstsein. Und nur Jimmy wachte wieder auf.

Smashing Pumpkins, Mellon Collie and the Infinite Sadness 25th anniversary

By matthewf01 – Flickr: The new Smashing Pumpkins, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20148281

Es ist bezeichnend, dass keiner der Pumpkins zu seiner Beerdigung eingeladen wurde. Billys Zerwürfnis mit D’Arcy in den Folgejahren war eine Seifenoper sondergleichen. Seine Jahre mit Courtney Love ebenfalls. Es kursieren Geschichten über Tobsuchtsanfälle, Demütigungen und narzisstische Kapriolen seitens Bill, die – wenn sie denn stimmen – das Bild eines sehr traurigen, sehr wütenden Mannes zeichnen. Und der ist es auch ein Stück weit, der 1998 mit dem Rolling Stone zusammensitzt und trotzig sagt:

I don’t have any sentimental notion about how people are going to remember me. I’m prepared to spend the rest of my life playing clubs, if that means I’m playing music that I believe in. Don’t forget, I’ve tasted the top. There were great moments, and there were shitty moments. But I won’t go to my grave wondering what it was like. I hit a home run in the World Series. Even if they send me back to the minors. I did it.

You did it, Billy. Und jetzt? Wo stehen die Pumpkins und Billy im speziellen im Jahre 2020? An einem weitaus gesünderen Punkt, möchte man sagen. Im Januar 2020 kündigte Billy an, an neuen Songs für Pumpkins-Album zu arbeiten. Als Billy letztes Jahr im Joe Rogan Podcast zu Gast war, zeigte er sich als aufgeräumter, zur Ruhe gekommener Mann, eine mit bestechender Intelligenz ausgestattete Persönlichkeit, die mit vielem – nicht allem – aus der Vergangenheit aufgeräumt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=sb-mU6wgeF8

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Forum
  1. Profilbild
    Bodie

    Am 27.11.2020 gibt es kommt ein neues Doppelalbum der Pumpkins auf den Markt.
    Corgan erscheint in der Tat etwas altersmilde geworden zu sein. Bin gespannt.
    Vielen Dank für den schön launisch und kurzweiligen Bericht.

  2. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Was für eine Vorstellung, Mellon Collie und das Ende des Rock. Hätte Corgan wohl gerne so gehabt. Aber auch ich bin altersmilde geworden und höre nun diese Platte ohne kotzen zu müssen. Schöne Musik. Und nein, Rock ist nicht tot, es gibt verdammt viele gute Sachen an die man sich erinnern kann und nun wechsel ich doch lieber zu Queens Of The Stone Age. Das heute nix gescheites mehr kommt, liegt wohl daran das sehr viele sehr sprachlos sind und ihre Wut verloren haben. Ich nicht! Hier der Stinkefinger Billy! ;)
    https://www.youtube.com/watch?v=dOsmG-sufNc

  3. Profilbild
    [aˈtoːm] [aːl] [ˈa(ː)tonaːl] AHU

    „Irgendwas erlahmte, der Rock kam den Hügel nicht mehr hoch.“

    Das lag auch an den gefühlten Gazillionen von weinerlichen Heulerstimmen auf die sich nochmals gefühlt alle gestürzt haben, als wärs der ersehnte Endpunkt des Pop/Rock Erfolges. Dazu noch der immergleiche Produzentensound. Mit anderen Worten, alles Subversive, alles Konträre, alles Revolutionäre, alles sperrig unangenehme wurde einfach eingenordet und radiotauglich totproduziert/vermarktet. Mr. Mittelmäßig NeoBusinessmann führt Regie und befiehlt – hatte ja schon FZ frühzeitig erkannt. Rock- und Popmusik war endgültig marktgerecht affirmativ und perfekt geworden. Der Rest hat sich verkrochen. Oder aufgegeben. Daß für Musik kaum noch was bezahlt wurde, außer Live, hat allem den völligen Rest verpasst.

  4. Profilbild
    mbedres

    An den Autor: Siamese Dream heißt das Vorgängeralbum und nicht Siamese Twins wie mehrmals falsch im Artikel geschrieben.

  5. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Nicht weniges an aktueller Popmusik erinnert mich an dieses Milchschaum-Gräuel von Starbucks, euphemistisch Kaffee genannt. Ein an sich tadelloses Heißgetränk wird durch Zugabe von Schaum und Schmeckverstärkern zum Babyfläschchen 2.0 hochgejuxt, mit dem sich die Generation Fahrradhelm ihre Konsumfähigkeit erhält, und das weltweit.

    Die Popmusik in ihrem Lauf hält weder Curt noch Billy auf.

  6. Profilbild
    Adahmo

    Daß Butch Vig bei MC dabei war glaube ich nicht, es waren nur Flood und Moulder.
    Seit 25 Jahren bestell ich mir immer wieder in Abständen Zero-Shirts, die ich dann trage, bis sie mir nicht mehr passen, n Brandloch haben oder einfach zu oft gewaschen wurden. Ein Treubekenntnis für SP und MC.
    Natürlich Geschmacksache (gerade über Musikgeschmack läßt sich extrem oder gar nicht streiten), aber was Billy und seine Band in den 90ern gemacht haben, vor allem 93-95, ist für mich auch tatsächlich das I-Tüpfelchen der Rockmusik. Einfach unfaßbar geil und zeitlos!
    Ob man sie mag ist ein anderes Thema, aber ich finde übrigens schon, daß Linkin Park in den Nullerjahren rockmäßig ganz schön abgeräumt hat- im Bericht wurden ja die Nu Metal Bands der 90er angesprochen, Korn bringen ja bis heute regelmäßig Alben raus, dann muß man aber LP auch erwähnen….

    • Profilbild
      [aˈtoːm] [aːl] [ˈa(ː)tonaːl] AHU

      @Adahmo Im Gegensatz zu Bands wie LinkinPark, die imo auch schon nichts anderes als Ausverkauf darstellten, war Corgan fähig Songs zu schreiben und mit der Band live umzusetzen, so daß sie sich ins Hirn einmeisseln und nach x Jahren noch abrufbar sind. Bei Linkin Park und Konsorten,weiß ich nichtmal mehr wie die überhaupt geklungen haben. Ganz im Gegensatz zu Korn oder System of a Down…usw…da weiß immerhin DAS noch, obwohl nie ein Fan war oder irgendwas von denen großartig verfolgte.
      Ablesbar ist der ganze mediale Rechtsschwung und Konsumentenhype auch bei Musikern wie Pete Doherty. Da war das Gelaber über seine Eskapaden immer wichtiger wie die Tatsache, daß er ein exzellenter Musiker und Songwriter ist. Oder kennt hier jemand Fuck Forever oder Albion oder gar den Namen BabyShambles?

      • Profilbild
        Adahmo

        @[aˈtoːm] [aːl] [ˈa(ː)tonaːl] Bei Pete Doherty gebe ich dir absolut Recht. Und Billy Corgan schreibt auch heute noch zwischendurch unglaublich gute Musik (Ogilala 2018),hört nur keiner mehr.
        Aber ich bin schon der Meinung, daß die ersten beiden Linkin Park Alben originelle,starke Rockmusik waren,die man sogar komplett durchhören konnte. Danach ging es nur noch um Kommerz.

  7. Profilbild
    P-Nautilus

    Nicht gegen den Autor persönlich, wie bei Amazona üblich lese ich seine Gear-Tests durchaus gerne. Wenn Amazona jetzt aber vermehrt mit diesen Stories in Richtung Musikjournalismus gehen möchte, sollten vielleicht auch Musikjournalist*innen mitmischen. Von denen gibt es viele fähige, die in den letzten Jahren leider ihre Jobs verloren haben oder hart ums Überleben kämpfen müssen. Lasst mal so jemanden ran, bitte!
    Auf absehbare Zeit war das sonst der letzte derartige Artikel, den ich hier gelesen haben werde. Leider schlecht geschrieben und fehlerbehaftet („Die Smashing Pumpkins“, „Die Gish/Siamese Dream/ Die Mellon Collie“…..“). Ein kurzer Blick in Wikipedia liefert bessere und genauere Infos (Butch Vig war in das Album NICHT involviert, Jimmy Chamberlain hatte schon bei den Aufnahmen der Vorgängeralben massive Drogenprobleme, zusätzlich starb während der Mellon Collie Tour sein Vater etc pp).

  8. Profilbild
    BlechBach

    Geiler Artikel.
    Gute Platte, keine Frage, wobei ich die 1979 auch persönlich besser finde. Ich mag die Songs der Smashing Pumpkins sehr gerne, aber war nie ein Fan.
    Interessanter an dem Artikel ist eher die kulturhistorische Einschätzung des Rocks und warum es ihn eigentlich nicht mehr gibt, bzw. warum er nicht mehr sozial relevant ist. Genau wie der Autor sagt, zeigt Rap das es subversive Musik Kultur in den Mainstream schafft. Also liegt es natürlich zum einen an den Akteren selber, aber auch an dem viel zitierten Zeitgeist. Das Rap so erfolgreich ist, hat mit den sozialen Umständen in der Welt, mit der technischen Entwicklung (es ist eben bedeutend billiger und vom organisatorischen Aufwand wesentlich einfacher alleine etwas kreatives zu schaffen, als eine Band zu gründen, zu planen, zu führen, whatever) und damit auch mit der individuellen psychologischen Verfassung als Mensch zu tun. Wir sind nun mal in der „westlichen“ Welt eher eine Masse von vermeintlichen Individuen und jeder will sich verwirklichen.
    Aber wer weiß, die andauernde Heroinwelle in den USA und Europa lässt vielleicht auf eine Übermüdung der Gesellschaft und eine Rennesaince des Grunge schließen.

  9. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Merkwürdig, für mich waren die Smashing Pumpkins immer die kommerzielle Corporate-Rock-Variante von Indierock und deshalb extrem öde. Die dünne Fistelstimme von Corgan läßt mich noch heute das Radio ausschlaten, nix ist mit Altersmilde und so.

    • Profilbild
      Adahmo

      Erwähnte schon, daß sich über Musikgeschmack nicht streiten läßt, aber sorry- Pumpkins in den 90ern ist sicher die unkommerziellste Musik, die ich aus dieser Ära kenne.

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