Üben in der Stille: Digital-Pianos oder Silent-Systeme?
Vorwort der Redaktion zu
Lautlos Klavier üben, Silent Piano, Alle Möglichkeiten
Klavier üben, ohne die Nachbar zu nerven
Martin Andersson hat für uns eine fünfteilige Serie zu Klavieren und Flügeln verfasst, die sich vor allem an Einsteiger richtet und bis zur Kaufberatung, Wissenswertes rund ums Piano vermittelt.
Hier kurz aufgelistet, alle 7 Teile:
- Alles über Geschichte und Aufbau von Klavieren und Flügeln
- Flügel oder Klavier, wie groß sind die klanglichen Unterschiede?
- Kauft man ein Klavier am besten neu oder gebraucht?
- Marktübersicht: Die besten und bekanntesten Klavierbauer
- Die teuersten Konzertflügel und digitalen Klavier-Klone
- Klavier üben, ohne die Nachbarn zu nerven
- Wie stimmt man ein Klavier
Wir übergeben nun an Martin Andersson und wünschen viel Spaß beim Lesen, Hören und selber Spielen
Ihre AMAZONA.de-Redaktion
Inhaltsverzeichnis
Bei aller Schönheit von Klavieren und Flügeln bleibt ein Problem bestehen: Sie sind eher laute Instrumente und für manche Nachbarn eine Qual. Der Klang wird dabei nicht nur durch die Luft, sondern auch als Körperschall durch die Böden und Wände geleitet. Eine einfache Maßnahme ist, das Klavier auf ein Brett mit darunterliegendem Teppich oder Gummimatte zu stellen: Das Brett verteilt das Gewicht, und die Matte dämpft die Schwingungen. Damit kann man den Körperschall ein Stück weit reduzieren. Die Nachbarn werden’s einem danken, dennoch reicht dies noch nicht, um nachts um Eins in die Tasten zu greifen. Deshalb geht es heute um die einfache Frage: Wie übt man als Pianist im Stillen? Prinzipiell hat man vier Möglichkeiten …
1. Digitalpiano
Es gibt heute ein kaum überschaubares Angebot an elektronischen Pianos mit einer preislichen Spannweite von ein paar hundert Euro bis in den fünfstelligen Bereich. Dabei bieten sie alle mehr oder weniger dasselbe: Sie verfügen über 88 Tasten und versuchen, wie ein Flügel zu klingen. Intern arbeiten alle digital. Frühere Versuche, Pianos mit analogen Schaltungen zu simulieren, vermochten nie zu überzeugen, auch wenn sie klanglich bestimmt einen gewissen Charme ausstrahlen. Zu nennen wäre der Polymoog (1975), dessen Piano-Sound vollpolyphon und anschlagdynamisch spielbar war, den man klanglich aber nur mit viel Phantasie für ein Klavier halten konnte.
Die Klangerzeugung heutiger Digitalpianos basiert auf Samples und in seltenen Fällen auf Physical Modeling. Und da beides eine Kunst ist, reicht die klangliche Bandbreite heutiger Digital-Pianos von „gerade gut genug, um als Klavier erkannt zu werden“ bis „Das könnte fast ein Flügel sein!“
Prinzipiell unterscheidet man Stage- und Digitalpianos, wobei dies in erster Linie das Design betrifft. Erstere sind für die Bühne konzipiert und deshalb so weit wie möglich platz- und gewichtssparend gestaltet, so dass meistens auf interne Lautsprecher verzichtet wird, während Digitalpianos für den Heim- und Studiogebrauch gebaut sind, mit zugehörigem Holzständer sowie fest verbauten Pedalen und Monitoren. Ansonsten schenken sich Stage- und Digitalpianos nichts.
Wenn wir Digital-Pianos als Ersatz für akustische Klaviere und Flügel betrachten, können wir uns auf drei Aspekte konzentrieren: Klang, Spielgefühl sowie allenfalls das Gewicht, das vor allem für den Live-Betrieb relevant ist. Weitere Funktionen, wie andere Klänge, Metronome, Begleitautomaten und Sequencer können für den einen oder anderen entscheidende Kriterien sein. Ich würde sie nicht überbewerten, da man über MIDI und einen Rechner jedes Digital-Piano um die gewünschten Funktionen und Klänge erweitern kann. Was hingegen kein Rechner verbessern kann, ist die Klaviatur.
Gewichtete Tastaturen sind nicht alle gleich
Der Zusatz „gewichtet“ reicht nicht aus, um die Qualität einer Tastatur zu beurteilen. Allgemein gilt, dass mit der Gewichtung auch das Gewicht des Instrumentes zunimmt. Ein banaler Zusammenhang, der oft genug übersehen wird. Gut gemeinte Versuche, leichte Keyboards mit gewichteten Tasten zu bauen, mögen für Bandauftritte in Ordnung sein. Mehr ist davon aber nicht zu erwarten. Sie sind weit davon entfernt, ein natürliches Spielgefühl eines Flügels zu simulieren. Dazu zähle ich auch die HP-Klaviaturen von Nord.
Die „normalen“-gewichteten Tasten eines Nord Stage fühlen sich schon besser an, noch besser ist allerdings das kürzlich präsentierte Nord Grand Piano mit einer vereinfachten Hammermechanik von Kawai. Ähnliche Klaviaturen gibt es auch von Yamaha, Roland, Casio und Doepfer. In Verbindung mit einem Rechner oder Soundexpander ist ein PK88 ein passables Digitalpiano mit exzellenter Klaviatur.
Nicht zu verachten ist die Tastenoberfläche. Mit feuchten Händen kann man auf reinen Plastiktastaturen ins Rutschen geraten. Besser sind leicht poröse Oberflächen, die die Struktur von Elfenbein nachahmen.
Das zweifelsfrei natürlichste Flügel-Spielgefühl bieten sogenannte Hybrid-Pianos, die eine komplette Flügelmechanik mit einer elektronischen Klangerzeugung kombinieren. Verständlicherweise sind sie etwas schwerer gebaut und nichts für den schmalen Geldbeutel, wobei sie auf dem Gebrauchtmarkt stark unter Wert verkauft werden. Wichtige Hersteller sind Yamaha und Kawai, aber auch Blüthner aus Leipzig. Das preislich interessanteste Hybrid Piano wird von Casio gebaut, entwickelt in Zusammenarbeit mit Bechstein. Das GP-300 liegt unter 3000 Euro, trotz Flügelmechanik.
2. Silent-Systeme
sind elektronische Klangerzeuger, die nachträglich in ein Klavier oder einen Flügel eingebaut werden. Zusätzlich wird eine Stoppleiste montiert, die mechanisch aktiviert werden kann und die Hämmer kurz vor den Saiten abbremst. So hat man je nach Betriebsart ein akustisches Klavier oder ein Digitalpiano vor sich. Oder eine Kombination aus beidem: Da das Soundmodul auch ohne Stoppleiste funktioniert, kann man seinen Flügel auch mit externen Klängen layern.
Der Einbau eines Silentsystems kostet bei Klavieren 2000 bis 3000 Euro, bei Flügeln 3000 bis 4000 Euro. Die neuste Entwicklung sind Transducer-Systeme. Dabei wird mittels mehrerer mechanischer Schallwandler der Resonanzboden in Schwingung versetzt, um diesen als Lautsprecher für externe Klänge nutzen. Sicher eine interessante Spielerei, die mit etwa 6000 Euro teuer bezahlt werden muss.
Im direkten Vergleich zu Digital-Pianos sind Silent-Systeme deutlich lauter: Die mechanischen Geräusche des Flügels bleiben bestehen, was ziemlich klapprig klingen kann.
3. Akustik Boxen
Eine weitere Möglichkeit, im Stillen zu üben, sind Akustik-Boxen. Gemeint sind schallisolierte Kammern mit schwimmendem Boden, dicken Wänden, Fenstern und Lüftung. Steht das Klavier in einer solchen Kammer, ist von außen kaum mehr etwas zu hören. Die Akustik ist trocken und direkt. Mehrere Jahre übte ich in einer Akustik-Box, was sich so anfühlte, als säße ich im Instrument drin. Man ist konzentriert und fokussiert. Der Anschaffungspreis liegt zwar merklich höher als bei einem Digitalpiano, doch gibt es auch hier interessante Angebote auf dem Gebrauchtmarkt.
4. Übungsraum
Wieso denn kein normaler Bandübungsraum? Ich möchte niemanden davon abhalten, sein Klavier in einen Übungsraum zu stellen, doch gibt es einige Dinge zu bedenken. Erstens sollte dieser nicht zu feucht und konstant beheizt bzw. klimatisiert sein. Zweitens sollten keine lauten Nachbarn vorhanden sein. Neben einem Schlagzeuger oder E-Gitarristen Klavier zu üben, ist nichts für schwache Nerven. Die Nachbarschaftsproblematik stellt sich quasi mit umgekehrtem Vorzeichen.
Was hingegen eine interessante Alternative ist, das sind Klavierhäuser. Viele Klavierhändler vermieten Übungsräume mit Flügeln auf Stunden Basis.
Es stimmt, es ist nicht ganz einfach, wenn man in den Abendstunden üben muss oder spielen möchte. Doch auch tagsüber reagieren die Nachbarn vielleicht ohne Verständnis, wenn immer und immer wieder die gleiche Passage geübt wird. Bei mir ist das mittlerweile egal, aber trotzdem wünsche ich mir trotz fehlender Nachbarn manchmal eine Kopfhörerlösung, um einfach die Familie auch zu schonen. In der Regel steht so ein Klavier ja im Wohnzimmer und das möchte der Rest der Familie auch mal nutzen. Ich würde da eher zu einem E-Piano mit guter Tastatur tendieren. Über Kopfhörer gespielt klingen die meisten sehr gut, selbst die Casio-Instrumente der mittleren Preisklasse wie das hier vorgeschlagene Instrument. Nur die internen Lautsprecher kann man bei fast allen E-Pianos vergessen. Die erreichen einfach nicht die Klanggewalt selbst eines günstigen richtigen Klaviers.
@Markus Galla Ich denke auch als Musiker sollte man Verständnis aufbringen und auf sein Umfeld Rücksicht nehmen. Ich wohne in einem Altbau und spiele hier grundsätzlich mit Kopfhörern.
Die Mauern sind wie aus Pappe, wenn beispielsweise mein Nachbar irgendwo anruft – höre ich das Freizeichen.
@Larifari Genau das konnte und wollte ich als Berufsmusiker nicht und habe jahrelang nach Möglichkeiten gesucht, in Zukunft ohne diesem „Stress“ auszukommen. Ich habe dann vor 15 Jahren nach langer Suche eine Privatwohnung in einem Ärztehauses gefunden und konnte dort dann üben wann ich wollte. Tagsüber hat es eh niemand mitbekommen und abends/nachts war es auch egal, weil es keine direkten Nachbarn gab. Genau so etwas habe ich gesucht und gefunden. War anstrengend aber ich konnte sogar noch den Mietpreis aushandeln, weil das Haus einer Fondsgesellschaft gehörte und diese Einzelwohnung dort schon als unvermietbar galt wegen der Einsamkeit abends und nachts in diesem Haus.
Seit 4 Jahren aber wohnen wir nun in einem separatem Haus mit Garten für uns und die Hunde, da ist es eh egal.
Vielleicht hatte ich seit dieser Suche Glück in meinem Leben, aber auf Ärger hatte ich einfach keinen Bock mehr. Es gibt immer wieder mal (auch interessante und gute) Wohnungen in Gewebegebieten oder in Gewerbehäusern, die sind zwar nicht unbedingt attraktiv für „normale“ Menschen, aber für uns „Musiker“ wie gemacht.
Allerdings braucht man da viel Zeit zum Suchen.
In der Not wird das sicher schwierig.
An Martin Andersson zum Thema akustisches Klavier oder Digitalpiano
… danke, dass du das Klavier bzw. den Flügel bei uns im Forum einmal so ausführlich und kompetent beleuchtest.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man die Familie oder Nachbarn mit seinem Klavierspiel nerven kann.
Darum habe ich mir das Roland FP-30 zum Üben gekauft – und zum Ausprobieren der heutigen techn. Möglichkeiten wie BT-Midi, Steuerung per App, Anbindung an Computer, Aufnehmen etc..
Beim Vergleich mit meinem akustischen Klavier musste ich allerdings feststellen, dass ich das FP-30 nicht zum „Singen“ bringen kann, wie man das ganz automatisch schafft bei akustischen Instrumenten mit eigenem Resonanzkörper (z. B. Geige, Klavier, Flügel, Gitarre oder sogar Flöte und Okarina). Damit fehlt für mich die Seele der Musik. Bei Analogsynthesizern gelingt mir das auch!
Bei allen Vorteilen der Digitalpianos, ich würde auf mein akustisches Klavier nicht verzichten wollen – und mein siebenjähriger Sohn auch nicht. Ich lasse ihn ins offene Klavier schreien auf der Suche nach dem versteckten Echo, ich lasse ihn Elefanten tanzen, ich lasse ihn einen Bergsteiger hinauf und hinabklettern, ich lasse ihn ein frei improvisiertes Klavierkonzert geben u. v. a. Ein gutes Klavier hält das aus! Wir haben unglaublich viel Spaß dabei.
Fazit: Es ist gut, beides zu haben.