Wie werde ich als Musiker produktiver?
Kennt ihr das? Ihr sitzt mit eurer akustischen Gitarre auf der Couch. Ihr klimpert. Ziellos, aber immerhin – und plötzlich habt ihr eine Idee. Eine bestimmte Akkordfolge oder Melodie, die euch gelingt, hat es euch angetan. Ihr steht auf. Merkt euch das Motiv, schleppt euch in euer kleines, privates Studio, nehmt die E-Gitarre in die Hand, fahrt alles hoch, und …
Nix.
Rein gar nichts passiert. Ihr spielt das Motiv erneut, aber diesmal fühlt es sich anders an. Irgendwie nicht richtig. Ihr nehmt es auf, aber es scheint, dass das gesamte kreative Momentum euch abhanden gekommen ist vom Weg von der Couch und bis alles hochgefahren und ready to go ist. Es gibt wenig, was als Musiker mehr frustriert als das: einen Impuls zu haben, ihm sogar im ersten Augenblick zu folgen – nur um ihn im nächsten Moment wieder zu verlieren. Ich habe in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht, warum das so ist. Denn tatsächlich war ich in meinem Homestudio umgeben von Pedals, Gitarren und Synthies – bis ich vor ein paar Wochen eine Umstellung wagte. Es dämmerte mir nämlich langsam, dass hier ein Zusammenhang besteht: zwischen dem Instrumentarium und der Ideenfindung, der Inspiration und der Ideenumsetzung. Warum fühle ich, obwohl ich ein Arsenal an Tools und durchaus auch Ideen habe, so oft ohnmächtig, wenn es an die Umsetzung besagter Ideen geht? Ich stellte mir die einfache Frage: Wie werde ich als Musiker nicht kreativer, sondern produktiver?
Inhaltsverzeichnis
Produktivität bei Kunst – und das Gear Aquisition Syndrome
Nun stellt sich natürlich die Frage: Muss ein Künstler/Musiker produktiv sein? Das kommt natürlich immer auf den eigenen Anspruch an. Aber ich wage mal zu behaupten: Die meisten sind nicht so produktiv, wie sie es gerne wären. Woran liegt das? Einer der Hauptpunkte meiner Meinung nach: die Auswahl.
Egal, wo wir hingehen, werden wir von einer Auswahl an Produkten regelrecht erschlagen. Sei es die Auswahl an Shampoos, an Cornflakes, an Hosen oder Klamotten überhaupt, Tiefkühlpizzen oder Rasiercremes. Der Journalist Richard Reeves hat beim Guardian 2019 einen tollen Artikel namens „Starbucks v Dunkin‘: how capitalism gives us the illusion of choice“ rausgehauen, den ich zu dem Thema nur jedem empfehlen kann. Was das mit dem Musizieren zu tun hat? Nun – auch der Markt für Musikequipment ist erschlagend. Egal, in welche Ecke du blickst – Kopien von Kopien von Kopien umgeben uns. Das ist per se nichts Schlechtes – es treibt Innovation an. Wettbewerb brachte den Kemper und Chase Bliss Audio hervor. Aber es gibt so viele Overdrive-Pedale, Fuzz-Maschinen, Jazzmaster-Neuauflagen, Modeling-Hyperspeed-Boards und Grooveboxen, die einen Riss ins Zeit-Raum-Kontinuum leisten können, dass man manchmal nicht weiß, wo einem der Kopf steht.
Vor Kurzem geriet ich in einer Facebook-Gruppe einer recht bekannten Pedalfirma in einen kleinen Shitstorm. Ich bin seit Jahren in der Gruppe und stellte fest, dass die Boards immer größer, die MIDI-Verkabelungen immer komplexer und die Pedalauswahl immer obskurer wurde. Monat auf Monat auf Monat folgten neue Boards. Doch in all der Zeit teilte fast niemand Musik, die er oder sie mit diesen Schlachtschiffen produzierte. Also fragte ich: „Leute, wo ist die Musik? Wir bauen hier Boards zum Preis eines Kleinwagens, aber zu hören bekommen wir nichts von niemandem.“ Dafür wurde ich angegangen – verständlicherweise. Immerhin ist das eine Pedalgruppe, keine Share-your-music-Clique.
Doch in meinen Jahren als semiprofessioneller Musiker ist mir dieser Zusammenhang immer wieder aufgefallen: Musiker, die sehr, sehr viel Equipment um sich anhäufen, produzieren vergleichsweise wenig Musik. Und einer der produktivsten Musiker, die ich persönlich kenne, besitzt eine abgegriffene Telecaster, einen Fender Blues Junior und einen Roland TR-08. Viel mehr hat der Gute nicht. Viel mehr braucht er nicht. Also – was geht hier vor sich?
Wie du als Musiker professioneller & produktiver wirst
Unser Mann Simon Schneid hat hier einen hervorragenden Beitrag zum Thema Gear Aquisition Syndrome geschrieben. Und erst Anfang des Jahres machte diese Fresh News die Runde, die aufzeigte, welche hässlichen finanziellen Folgen G.A.S. so haben kann. Doch mir geht es hier nicht um das Syndrom per se – die Kaufsucht von Equipment ist ein eigenes Thema. Mir geht es um das Verhältnis von Equipment und Produktivität – und die Tatsache, dass beides zum Teil in einem negativen Verhältnis steht.
Denn auf dem Papier sollten uns diese Tools eigentlich entfesseln. Das, was heutzutage in einem Hobby-Studio steht, wäre für einen Produzenten in den 70ern unvorstellbar gewesen. Was man mit ein paar Behringer, einem Harley Benton Bass und ein paar Volcas theoretisch produzieren kann, ist eigentlich unermesslich. Und trotzdem befinden sich in meinem Umkreis Musiker, die seit Jahren nichts mehr Vernünftiges produzieren oder aufnehmen, obwohl sie sich allwöchentlich mit neuem Equipment zudecken. Sie schwadronieren über die neuen Features, Soundkapazitäten und -fähigkeiten ihres Synthies, aber sobald die Sprache auf Musik kommt, wird ausgewichen.
Nun muss der Vollständigkeit halber gesagt werden: Ich kenne Musiker, die trotz vielen Equipments irre produktiv sind. Doch ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und wage zu behaupten: Die sind in der Minderheit. Tatsache ist: Unsere Zeit ist begrenzt. Die Woche hat nur sieben Tage, ein Tag hat vierundzwanzig Stunden, und jeder hat eine Menge zu tun. Wenn man gerade nicht zu 100 % von Musik lebt, frisst es natürlich wesentliche Zeit, wenn man nichts weiter tut als Gebrauchsanleitungen zu lesen. Das mag arg reduktionistisch anmuten, aber es entspricht meiner eigenen Erfahrung: Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich damit zubrachte, MIDI-Boards zusammen- und wieder auseinanderzubauen, ohne einen Track mit ihnen aufgenommen zu haben. Eben weil ich mir den Kopf darüber zerbrach, warum dieser CC-Befehl bei Pedal X einen Bypass triggerte, obwohl die Kanäle getrennt waren. Kreativer wurde ich so nicht. Produktiver mit Sicherheit auch nicht. So habe ich mit der Zeit realisiert: Die Tools, die meine Kreativität eigentlich entfesseln sollten, erstickten sie im Keim.
Tipps & Tricks für mehr Produktivität als Künstler und Musiker
Es wäre mir jetzt ein leichtes, euch herkömmliche „Produktivitätstipps“ an dieser Stelle zu geben. Und die sind per se nicht verkehrt – es gibt ein paar grundlegende Gedanken, die man sich zu seinem eigenen Schaffensprozess machen sollte:
Disziplin & Zeitmanagement – oder warten auf die Muse?
Ein großes Thema ist und bleibt hierbei die liebe Muse. Ganz ehrlich? Ich glaube nicht an die Muse. Ich persönlich sehe mich inzwischen (!!!) als relativ produktiven Künstler, aber das auch erst, seit ich mich von der Idee verabschiedet habe, auf Inspiration warten zu müssen. Setzt euch feste Zeiten – und auch wenn es widersprüchlich klingt: Nehmt die Emotionen erstmal raus.
Ich bin nämlich davon überzeugt – auch wenn wir es nicht realisieren, wir stecken bis zum Hals voll mit Ideen. Jede und jeder einzelne von uns trägt so viele in sich, dass es einen selbst erstaunen kann. Doch die Aktivierung dieser Ideen ist das Schwierige. Und zu warten, bis einen die Muse küsst, eure Künstlerlibido euch in einem gewaltigen Sturm überkommt und abholt – das passiert selten. Ihr solltet euch lieber auf Tennis mit der Künstlerlibido einstellen – macht Termine aus, und schlagt die Bälle so lange hin und her, bis sich etwas entzündet.
Das richtige Projekt aussuchen – und alte Ideen ruhen lassen
Ernest Hemingway sagte mal: In order to grow, you have to kill your darlings. Wir alle haben diesen einen Song – oder Songs – dieses eine Projekt bei uns in der Library, an dem wir seit Jahren arbeiten, ohne dass es fertig wird. Ich plädiere nicht dafür, die Arbeit an einem solchen Ding in die Tonne zu kippen. Doch oft ist die Arbeit an diesen Mammutprojekten vordergründig eins: ein Lernprozess. Und der Output dieses Lernprozesses ist oft per se nicht sonderlich großartig. Aber ihr habt was gelernt – und das war der wirkliche Gewinn. Jetzt muss man nur ehrlich zu sich selbst sein: Ist es diese Idee wert, auf eigenen Füßen zu stehen? Oder war sie viel mehr ein Vehikel, um zu lernen, wie man verzerrte Gitarren angemessen mixt oder die Vangelis Atmosphäre einfängt?
Als Musiker Prioritäten setzen – und sich nicht in Details verlieren!
Wenn du nur wenig Zeit hast, musst du eine Entscheidung treffen: Was ist wichtig, was nicht? Die richtige Fokussierung spielt hier eine Rolle – und ein Blick auf die 80/20-Regel, die davon ausgeht, dass 80 % aller Ergebnisse durch 20 % der Maßnahmen erzielt werden. Entscheidet euch für das Richtige. Wichtig hierbei: Blockiert euch nicht durch die zu starke Fokussierung auf Details – vor allem zu Beginn!
Man kann Tage auf der Stelle treten, weil man einen perfekten Crunch-Sound sucht, die perfekte Kick oder Snare und landet in einem Tunnel. Lasst das! Findet Platzhalter, die taugen, die euch von A nach B bringen und vertagt die Perfektionierung auf einen späteren Tag, wenn das Projekt fortgeschritten ist.
Produktivität als Musiker – welche Rolle spielt das Gear?
Eine große, zweifelsohne. Das hier ist nicht zwangsläufig ein Appell dafür, sich weniger Gear zu kaufen oder das, was man hat aus dem Fenster zu schmeißen. Nein – viel mehr geht es darum, sich für das richtige Gear zu entscheiden, das einem im Prozess wirklich zuarbeitet und hilfreich ist. Da muss man ehrlich mit sich selbst sein: Fördert dieses Glitch-Pedal meine Kreativität oder habe ich es mir wegen G.A.S. gekauft? Bin ich kreativer und arbeite ich an Ideen dank dieser Box mehr und fleißiger – oder verliere ich mich einfach in Soundscapes und gut ist? Nichts gegen Soundscapes. Ich selbst liebe es, meinen Count to Five durch ein paar Meris-Pedale zu jagen und so Zeit zu verbringen. Aber wer wirklich produktiver sein will, muss sich ehrlich fragen: Reicht mir das? Ist das wirklich die beste Verwendung meiner Zeit?
Deshalb möchte ich an dieser Stelle nochmal auf meine eigene Erfahrungen eingehen. Mein eigenes kleines Studio bestand aus einem Kemper, zahlreichen Plug-ins, Amp-Abnahme für Vintage-Fuzz-Sounds sowie ein paar Moog Desktop-Synthies. Immer und immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht: Bis ich alles hochgefahren habe, bis ich mich für den Amp entschieden habe, die richtigen Plug-ins geladen habe, mir darüber im Klaren werden muss, an welcher Passage der Laney samt Beetronics Fuzz zum Einsatz kommt, vergehen manchmal Stunden – und mein Drive ist zum Erliegen gekommen. Was dann oft folgte, waren frustrierende Stunden, bei denen ich nicht so richtig wusste, wohin ich eigentlich kreativ treibe. Man probiert sich aus, nichts zündet, nichts funktioniert. Ich hatte doch gerade eine ziemlich gute Idee, die sich in meinem Kopf hervorragend anhörte. Also, wo ist das hin?
Der Aha-Effekt kam mir, als ich eines Abends in meinem Bett lag und durch meine Fotos und Videos scrollte. Dabei fiel mir auf, dass ich unzählige Clips von mir beim Riffen aufgenommen habe: Einfach nur mit meiner Charvel, an meinem Yamaha THR Übungsamp, aufgenommen mit Handy. Ganze Songs waren da hinterlegt, Riffs, Schnipseln und Ideen – eine kleine Bibliothek. Mir war das Ausmaß gar nicht bewusst. Ich konnte also produktiv sein! Tatsache ist: Ich war mit Gitarre + Übungsamp wesentlich produktiver als mit Kemper und Heimstudio. Das waren eine ordentliche Erkenntnis, die umgehend dazu führte, dass ich meinen eigenen Prozess überdachte.
Ich nahm die Dichte raus, die Überfrachtung an erschlagenden Optionen, an Variablen, die mich vom Pfad abbringen könnten. Ich senkte meinen Anspruch auf Perfektion herab. Wichtiger wurde es, die Ideen rauszukriegen, anstatt mich ständig zu bewerten, zu überprüfen und meine Ideen damit im Keim zu ersticken. Ich verkaufte Equipment, kaufte anderes neu, verschlankte das Ganze, mit einem einfachen Ziel: den Weg vom Impuls bis zur Aufnahme so kurz und gering wie möglich zu halten. Mein aktuelles Setup? Gitarre -> Quad Cortex -> DAW. Und fertig. Pedale werden zur Hand genommen, wenn die Lust da ist. Oder wenn es an das Garnieren von Ideen geht. Aber ich will verdammt sein, wenn ich nochmal Jahre damit zubringe, mich in Equipment reinzuarbeiten, mit dem ich am Ende maximal fünf bis zehn Minuten Musik insgesamt produziere.
An dieser Stelle ein Schlusswort von Trent Reznor, aus einem Interview mit dem Fader Magazin im Jahre 2013:
When I see what’s accessible today, just on a laptop, even in just GarageBand or on your iPad, the scope of sound design and compositional tools—fuckin kids are spoiled today! There’s a limitless amount of shit you can do with that stuff. But back then, you didn’t look at it like, I can only make one sound at a time. When you invested in that piece of gear, you—or at least I—spent years learning every trick you could learn with that thing and exploring it to its fullest. Today, it’s kinda like the consumption of music: you have access to so much, and I think people rarely spend as much time as they used to getting what they can out of it.
Muss ein Künstler produktiv sein? Nicht unbedingt. Aber es macht mehr Spaß. In diesem Sinne also:
Sure, buy cool shit.
But make sure to make cool shit with it.
Yes.
Wieder mal einer der Artikel, wegen denen ich AMAZONA oft besuche.
Ich habe vor 50 Jahren mit akustischer Gitarre angefangen, Musik zu machen – jetzt habe ich Gerätschaften im Wert von mehreren 10.000€ um mich versammelt, die ich zu 95% eher verwalte als benutze. Aber das geht jetzt eher in die GAS – Diskussion.
Zur Produktivität: da frage ich mich in letzter Zeit eher, was das eigentlich bedeutet. Besonders für mich als Hobbymusiker. Was will/soll ich denn da produzieren? Ganz am Anfang war es doch so, dass ich mir die Gitarre geschnappt habe, geübt oder gespielt habe (wenn noch ein Kumpel (m/w/d) dazukam – umso besser) und dann war es auch mal gut. Mit dem Öffnen der Pandorabox in Form von Fachzeitschriften und später dann dem Internet wurden plötzlich Bedürfnisse geweckt, die ich vorher gar nicht hatte: da musste dann aufgenommen werden: erst Kassettenrecorder, dann 4, 8, 16 Spuren. Noch ein Keyboard dazu und ein Drumcomputer und Effekte. Und dann konnte man den Krempel auch noch im Internet kaufen und liefern lassen. Von DAWs und VSTs ganz zu schweigen. Und die Resultate (zumindest bei mir)? Naja, eher nicht so doll…
Richtig happy bin ich, wenn ich völlig unproduktiv mit meiner alten Tele am MicroCube (1. Generation) zu irgendwelchen YT Backingtracks rumnudel…
Es gibt da den Spruch „over-sexed and under-fucked“ – das lässt sich meiner Meinung nach übertragen.
Schöner Artikel.
Mir geht es leider genauso: hunderte von Aufnahmen mit Ukulele, Westerngitarre oder Tele am 1W-Amp auf dem Handy, hunderte von angefangenen Tracks, Sessions mit Rumgedudel und Ausprobiererei von neuen Plugins/Vis,
Gefühlt 10000 Kemper-Profiles. Totale Optionsparalyse.
Aber seit Jahren nicht ansatzzweise den kreativen Output, den ich mir wünsche, Und mit jeder neuen Anschaffung sogar bremse.
Es gibt ein tolles Intervieew mit Robert Babicz, wo er sagt, dass er Tracks, die er nicht in einem Rutsch – also von Morgen bis in die Nacht – fertigbekommt, am nächsten Tag löscht.
Es geht um den kreativen Flow, und den erreicht man nur, wenn man seinen Kram kennt, Entscheidungen trifft, seiner Intuition folgt und auf Regeln scheisst, statt erstmal die Gitarren neu besaiten und das Pedalboard umverkabeln zu zu müssen.
@mofateam Optionsparalyse – so sieht’s aus. Ich gebe mir zugegebenermaßen mehr Zeit als nur einen Tag, wenn es um Ideen/Songs geht. Aber nicht viel mehr.
@mofateam …und Robert Babicz ist beim Thema „Produktivität“ die absolute Referenz. Sein Output an „heißem Scheiß“ ist unglaublich!!
Wunderbarer Artikel. Den habe ich mir gleich zwei mal durchgelesen. Mir geht es fast genau so wie Healfix. Es wird an den Songs immer fleißig optimiert, es werden die Manuals studiert um das Beste aus den Geräten herauszuholen und natürlich die Kabelverbindungen geändert. Das Fertigstellen der eigentlichen Songs gestaltet sich somit langwierig und zäh. Nun habe ich mich kürzlich entspannten Tastendrückern und Knöpfedrehern angeschlossen. Was soll ich sagen, ist schon befreiend live, ohne DAW, mit wenig Geräten gemeinsam zu musizieren, ohne dem Optimierungwahn zu verfallen
Auch wenn ich es als (Freizeit-)Musiker mit viel Gear lange nicht wahrhaben wollte: an der These des Artikels ist wahres dran. Viel Equipment korrelierte mit wenig Output. Dagegen im Urlaub nur mit Rebirth (also 2 x TB 303-Klone und Drumcomputer) auf dem Tablet entstanden ganze Tracks. Jetzt überlege ich seit einem Jahr, welche Synth ich wirklich nutze.
Das holt mich voll ab. Bei mir haben sich in den Jahren auch immer mehr Geräte angesammelt. Produktiver wurde ich dadurch aber nicht wirklich. Im Gegenteil, das viele Equipment kann man ja gar nicht mehr so ausschöpfen, wie die ersten Synths, die man in- und auswendig kannte.
Dazu kommt bei immer mehr Equipment auch eine gewisse Fehlerquote. Wenn ich etwa einen Synth nach längerer Zeit nutzen will, aber erstmal alle Verbindungen checken muss, weil irgendwo wieder ein Wackler ist, dann ist das eine kreative Vollbremse.
Insgesamt wurde bei mir durch zu viel Equipment die Freude am Produzieren getrübt.
Jetzt habe ich einen Großteil der Geräte einfach abgebaut und nur die für mich Wichtigsten stehen gelassen. Seit dem rollt alles viel besser 🙂
Mega guter Beitrag. :)
Mir ging es genau so, hab auch begonnen Hardware zu verkaufen, da ich einfach zu viele Möglichkeiten hatte und es hatte aufjedenfall eine positive Auswirkung auf meinen Output. Bei mir wirkt es aufjeden Fall das ich mit weniger Möglichkeiten kreativer bin :p
Befreie Dich(!),
viele wahre Worte und Gedanken, die ich so ähnlich auch schon hatte. Für mich fasse ich es mal so zusammen: Beschränke Dich auf das Instrument/Equipment, was du ohne Nachdenken beherrschst. Alles andere belästigt dein Gehirn nur mit neuen Problemen. Und wenn es mit dem Instrument noch nicht klappt, dann sing, summ, klatsch halt die Idee in dein Handy.
Vielen Dank für Deinen tollen Beitrag!
Interessante Reflektionen. Hat mich dazu gebracht, eine Rückschau zu halten. Ich fing Ende der Siebziger mit Musik an. Ich hatte einen Korg MS 20, einen Crumar Performer und einen Cassettenrecorder. Und viele Vorbilder denen ich nacheifern wollte. Später dann Oberheim OB-SX und Moog Source. Mit einem Tascam 4-Spur Recorder und einer Drummachine konnte ich endlich meine ersten Demosongs aufnehmen.
Lange Rede, kurzer Sinn, Ende der Achziger hatte ich dann einen 32-Kanal Mitec Mixer, Fostex-Bandmaschine, das Sequentiel Studio 440, noch mehr Synthies und jede Menge 19 Zoll Effekt-Equipment. Ich hatte mir trotzdem nie Gedanken um den musikalischen Output gemacht.
Meine wichtigste Regel war: Mache mit einer Idee nur weiter, wenn du dich am nächsten Tag wieder ohne Probleme daran erinnern kannst. Und höre erst auf, wenn dir nichts mehr dazu einfällt. Und dabei ist es egal, ob man das ganze Equipment nutzt, oder nur ein paar Spuren aufnimmt. Alles was dem Song dient ist erlaubt. Und ja, weniger war schon immer mehr!
Ich habe immer die besten Songs gemacht, wenn ich mir von vornherein gewisse Beschränkungen auferlegt habe. Das fördert immer die Kreativität.
Und jetzt, am Ende meines musikalischen Lebens, gehe ich wieder back to the roots und spiele einfach mit den Analogsynths herum. Ich mache Sounds ohne irgend ein bestimmtes Ziel zu haben. Hauptsache die Dinger haben jede Menge Knöpfe und keinen Speicher. Und es gibt ja noch Logic.
Ich glaube mit der GAS Problematik haben sich hier schon fast alle rumgeärgert
bei mir kommt deswegen schon seit ein paar Jahren kein Modul mehr in die Hütte und das kleine rest-modular-rack wird nur seltenst eingeschaltet um samples zu bauen wofür ich aber nur selten Lust habe
(fast) alle anderen Instrumente haben etwa ein Jahr Zeit ihren Platz im live-setup zu finden und wenn das nicht klappt darf die Kiste sich bei jemand anderem wohl fühlen oder kommt ins Regal wenn die Sounds mal interessant werden könnten wie der korg odyssey
ansonsten versuche ich mich bei meinem techno an klassischen Band Strukturen zu orientieren – ich hab zwar mindestens vier Kisten die tolle bässe machen können und auch recht verschieden klingen aber das ein Stück mit mehr als einem Bassisten funktioniert ist doch eher selten und es haben schon viele rockbands gelernt das mehr gitarren nicht mehr geil sind sonst gibt’s Konkurrenz im Sound und die frequenzfenster um den Instrumenten klangraum zu geben werden sehr klein insofern weniger ist mehr und es lohnt sich mit einer konzeptidee an das musikmachen ran zu gehen
Sehr schöner Artikel.
Es gilt aber auch umgekehrt!
Ich hatte mehrere Jahre einen 150% Job und Familie, und darum Null Zeit um Musik zu machen. Darum habe ich mir – immer mal wieder – Gear gekauft, um wenigstens das Gefühl zu haben, etwas für mein Hobby zu tun.
Damit hatte ich natürlich NOCH mehr Equipment und trotzdem keine Zeit.
Immerhin konnte ich bei den vielen Dienstreisen im Flugzeug die Handbücher lesen. Das hab mir wenigstens ein gutes Gefühl… 😀
@hunsitho In dieser Phase befinde ich mich gerade, habe aber nicht einmal die Zeit, die Handbücher zu lesen. 😅
@d_eric 😀 Das kommt wieder!!!
Ich arbeite nun nur noch 120% und melne Tochter ist nun 15 und ständig unterwegs.
Hätte ich nicht vor ein paar Monaten angefangen Gitarre zu spielen, hätte ich nun tatsächlich wieder Zeit, meine Synthies zu nutzen. 😀
Grundsätzlich würde ich dem zustimmen, dass zu viel Equipment die Kreativität erdrückt. ABER das grundsätzliche Problem sehe ich noch woanders, insbesondere in der Situation, die Du beschreibst:
Du sitzt auf der Couch und klimperst ziellos: Kreativität kommt
Du stehst auf und willst mit dem anderen Equipment produktiv was machen: Kreativität geht.
Das liegt in erster Linie am Umschalten von ziellosem SPIELEN zu zielorientiertem PRODUZIEREN.
Alle Formen von Kunst sind in ihrem Ursprung aus der Freude am Tun entstanden. Singen, weil man Singen will, Trommeln, weil man Trommeln will, Tanzen, weil man Tanzen will, Malen, weil man Malen will.
Dann kamen die Zuschauer, Zuhörer und der Beifall und ab da wurde aus ziellosem Tun immer mehr ein zielorientiertes Erschaffen, um noch mehr Beifall zu bekommen. Heutzutage wird geübt und produziert, anstatt zu spielen, wie die Kinder es tun – einfach nur aus der Freude an der eigenen Stimme, am Instrument und an den Tönen heraus.
Nichts gegens Erschaffen. Ich bin Entwickler und erschaffe den ganzen Tag Software. Aber vom psychischen Muster her ist es etwas vollkommen anderes, ob man ziellos spielt oder zielgerichtet übt und produziert.
Produzieren erschafft eine Perfektion und damit auch einen Perfektionsanspruch, der rein spielerisch nie erreicht wird. Dadurch erscheint das ziellos Spielerische immer wertloser, denn es wird dem hohem Perfektionsanspruch nie gerecht. Viele halten sich deshalb für untalentiert oder fangen gar nicht erst an, ein Instrument zu lernen, denn wer wird schon jemals so spielen wie Tim Henson (nichts dagegen, bin ein großer Fan).
@LostSongs Ich glaube zu ahnen, worauf Du hinaus willst. Ein Instrument zu lernen hat natürlich mit Ausdauer und Disziplin zu tun. Es ist eine Voraussetzung für jede spätere kreative Arbeit.
Zwischen dem ziellosen Improvisieren (was sehr viel Spaß macht) und dem zielgerichteten Produzieren kommt noch ein für mich entscheidender Schritt: Die zielgerichtete Komposition und das Arrangieren der Idee. Wenn man hier ein sicheres Fundament geschaffen hat, ist die Produktion nur noch Handwerk, sprich Routine. Wobei es hier einen fließenden Übergang geben kann, je nach Art der Musik die man macht.
Allerdings gibt es eine Musik, bei der die spielerische Improvisation geradezu Bedingung ist und zur Perfektion reifen kann: Jazz. 😉
@LostSongs Zitat: „Dann kamen die Zuschauer, Zuhörer und der Beifall und ab da wurde aus ziellosem Tun immer mehr ein zielorientiertes Erschaffen, um noch mehr Beifall zu bekommen.“
Du hast das Finanzamt vergessen, das aus dem produktiven Schaffen ebenfalls seinen Nutzen ziehen will. Und die Gemeinde, die Gewerbesteuern von Dir haben will. Oder die Behörden, die irgendwas von Dir wollen, die GEMA und die GVL und sowieso und überhaupt.
Spätestens ab dem Punkt, wo finanzielle Aspekte in die Sache hineingrätschen und Produzieren zum Muß wird, bleibt der Spaß auf der Strecke.
Nicht auf einen Schlag, aber nach und nach.
Was mir bei allen Beiträgen zu kurz kommt, ist der riesengroße unterschied, ob ich mit meiner Musik darauf angewiesen, Geld zu generieren, ob ich quasi Profi bin oder ein reiner Hobby Musiker. Als Hobby Musiker kann ich mir den Luxus erlauben, genau das zu machen, was mir Freude macht.…. Und ob das jetzt zielloses rumgedudel am Feierabend ist oder das in Eigenregie aufgenommen und produzierte Alben mit eigenen Songs ist – das ist Letzlich egal, Hauptsache, ich hab Freude dran…
Im Grunde ist die im Artikel beschriebene Problematik und Vorgehensweise schon seit Jahrhunderten bekannt. Die klassischen Komponisten hatten in der Regel auch nicht das ganze Orchester während des Komponierens dabei, ein Klavier und ein Notenblatt waren wohl häufig erst einmal ausreichend…
Wirklich guter Artikel, in dem ich mich leider auch teilweise wiederfinde. Allerdings sollte man sich auch immer fragen worum es einem überhaupt geht. Es ist genauso ok, Spaß daran zu haben einfach nur Musik zu machen und nicht Ergebnisse zu produzieren.
In Zeiten völliger Musiküberflutung durch Streaming und KI kann es viel befriedigender sein mit anderen Menschen zu musizieren und zu interagieren, als irgendeinen, noch so super produzierten Track zu veröffentlichen, den sich am Ende sowieso niemand anhört, weil der mangels Marketing sowieso untergeht.