Klein, handlich, gut!
„Irgendwie kommt mir das Design bekannt vor.“ Dies waren die ersten Worte, die mir durch den Kopf schossen, als ich den AER Compact 60 IV aus seiner Verpackung schälte. Und in der Tat, der Vergleich war mit dem Hughes & Kettner Era 1 schnell gefunden, was auch nicht weiter verwundert, dass sich H&K die Dienste des Akustikspezialisten Michael Eisenmann, der seines Zeichens federführend beim AER war, für die Entwicklung des Era 1 gesichert hatte.
Da der Era 1 im Ladenpreis auch nur knapp 10,- Euro vom AER Compact 60 IV entfernt liegt und wie auch der AER in Deutschland gefertigt wird, bietet sich hier natürlich ein direkter Vergleich an, aber alles schön der Reihe nach.
Konstruktion und Aufbau des AER Compact 60 IV
Beim AER Compact 60 IV handelt es sich um einen zweikanaligen Akustikgitarrenverstärker, der aber aufgrund seiner Bauweise ebenso für andere akustische Instrumente, wie etwa Geige, Zither o. ä. sowie Gesang verwendet werden kann. Hierfür verfügt er über einen 8 Zoll Twin Cone Lautsprecher, der über eine Endstufe mit einer Maximalleistung von 60 Watt angetrieben wird. Mit den Maßen von 325 x 235 x 260 mm ist er angenehm handlich und lässt sich mit seinen 6,5 kg vergleichsweise bequem in der mitgelieferten gepolsterten Transporttasche leicht transportieren, wobei der auf der Oberseite platzierte sehr große Handgriff die einzige Tragemöglichkeit darstellt.
Um den Compact 60 IV auf Ohrhöhe zu bekommen, ist auf der Unterseite ein 3/8 Mikrofonklammergewinde eingearbeitet, bei dem ich allerdings meine Befürchtungen bzgl. der Standsicherheit habe. Zwar dürfte ein hochwertiges Mikrofonstativ der Qualitätsstufe K&M, Gravity oder auch Hercules dem Verstärker genügend Halt geben, allerdings glaube ich nicht, dass die Mikrofonklammerschraube einer mittleren seitlichen Krafteinwirkung standhält. Hier besteht die Gefahr des Abknickens, ein Standard 35-mm-Flansch wäre hier die deutlich bessere Lösung gewesen. Das Gehäuse ist sauber verarbeitet und mit einem kräftigen Strukturlack überzogen. Vier vergleichsweise harte Gummifüße sorgen für einen festen Stand des Combos.
Die Oberseite des AER Compact 60 IV
Die beiden Kanäle des Compact 60 IV sind in ihrer Verwendungsweise klar aufgeteilt. Kanal 1 besitzt einen Klinkeneingang und wendet sich primär an die akustische Gitarre nebst Pickup. Der Kanal besitzt eine 3-Wege-Klangregelung, einen Gain-Regler, einen Impedanzwahlschalter und einen Preset-Wahlschalter mit dem Namen Colour. Kanal 2 kann mit der XLR/Klinke-Kombibuchse auch ein Mikrofon bedienen, was über einen Druckschalter geregelt wird. Zusätzlich bietet der Kanal ebenfalls einen Gain-Regler und eine Zweiband-Klangregelung, das war’s auch schon.
Interessant und zugleich ungewöhnlich ist die Phantomspeisungsschaltung des AER Compact 60 IV, zumal sie auch ein paar Risiken beinhaltet. Der Verstärker bietet die Möglichkeit, auf Kanal 1 über einen auf der Rückseite des Gehäuses angebrachten Druckschalter eine 9 Volt Phantomspeisung für entsprechend vorbereitete Vorverstärker innerhalb des Instrumentes zu schalten, was eine Einsparung der 9-Volt-Batterie am Instrument bedeutet. Dies lässt sich nur über ein Stereokabel erreichen. So weit, so gut.
Folgende Gefahrenquelle besteht. Benutzt man ein Instrument, das ohne einen Vorverstärker betrieben wird, versehentlich mit einem Stereokabel und eingeschalteter Phantomspeisung, besteht die Gefahr eine Beschädigung der Elektronik. Um dies zu vermeiden, sollte ausschließlich ein Mono-Instrumentenkabel verwendet werden. Ähnliches gilt bei Vorverstärkern, die mit einer anderen Betriebsspannung als 9 Volt laufen, z. B. die Knopfzellen Vorverstärker einiger LAG-Gitarren. Auch hier kann die Phantomspeisung Schaden anrichten.
Noch bedenklicher finde ich persönlich hingegen die permanent aktivierte 48 Volt Phantomspannung auf Kanal 2, die nur durch das Umstecken einer intern verbauten Steckbrücke deaktiviert werden kann. Auch wenn die meisten dynamischen Mikrofone gegen anliegende Phantomspannung resistent sind, sollte man tunlichst keine Bändchenmikrofone an diesen Kanal anschließen. Ribbon-Mics, die nicht explizit für den Phantomspannungsbetrieb vorgesehen sind, werden binnen Sekunden von der anliegenden Spannung zerstört! Zwar werden solche Mikrofone nur selten in einem Setup verwendet, für das der AER Compact 60 IV konzipiert wurde, warum man aber nicht wie unzählige Male erprobt, einen On/Off-Schalter nebst Betriebs-LED für die Phantomspannung verwendet, erschließt sich mir überhaupt nicht.
Weiter rechts folgt die Verwaltung des internen Effektgerätes, wobei sich AER eine interessante Schaltung in Kombination mit einem externen Effektgerät, das über den rückseitig angebrachten Effektweg eingeschleift werden kann, hat einfallen lassen. Über einen mit „Pan“ bezeichneten Regler kann man folgende Mischverhältnisse generieren:
Linksanschlag: interner Effekt auf Kanal 1 – externer Effekt auf Kanal 2
Mittelstellung: interner Effekt auf Kanal 1 + 2 – externer Effekt auf Kanal 1 + 2
Rechtsanschlag: interner Effekt auf Kanal 2 – externer Effekt auf Kanal 1
Wie immer bei einem regelbaren Effektweg sollte dabei das externe Effektgerät auf 100 % Wet stehen. Das interne Effektgerät bietet 4 unterschiedliche Effekte, als da wären 1 = Reverb 1 (short), 2 = Reverb 2 (long), 3 = Delay (320 ms) und 4 = Chorus. Als Abschluss noch der Level-Regler, der das Mischverhältnis mit dem Originalsignal bestimmt. Ganz rechts auf dem oberen Panel sitzt erwartungsgemäß noch der Mastervolume-Regler für das System.
Die Rückseite des AER Compact 60 IV
Die Rückseite des Compact 60 IV zeigt sich sehr aufgeräumt und leicht verständlich. Neben einem regelbaren Aux-In im Miniklinkenformat verfügt das Gerät neben dem bereits erwähnten Effektweg zusätzlich noch über einen Line-Out, einen Kopfhöreranschluss, einen Tuner-Out sowie über einen Fußschalteranschluss, mit dem sich sowohl der interne als auch der externe Effekt schalten lassen.
Zwecks Recording- oder PA-Anschluss bietet der AER Compact 60 IV zudem noch einen D.I.-Out im XLR-Format an, dessen Abnahme wahlweise vor oder hinter den Effektweg geschaltet werden kann. Schließlich sind da noch der Netzschalter, der Kaltgerätestecker und die Hauptsicherung, fertig!
Der AER Compact 60 IV – in der Praxis
Um den Klang des Compact 60 IV zu beurteilen, kam einmal mehr meine Standard Testgitarre Framus Legacy FD 28 zum Einsatz, die ein gutes Mittelklasse-Niveau bietet und zusammen mit dem intern verbauten Fishman Pickup einen großen Teil der auf dem Markt befindlichen Akustikgitarren abbildet. Um den reinen Klang des Verstärkers zu beurteilen, standen alle Regler am Fishman Pickup auf 0 dB, der Ausgangspegelregler auf 12 Uhr.
Das erste Soundfile lässt alle Regler am Verstärker in der Mittelstellung, auch kam kein Effekt zum Einsatz. Der Verstärker klingt ein wenig belanglos, wenngleich alle Frequenzen vergleichsmäßig gut abgebildet werden. Es fehlt an Tiefe und Auflösung, aber wie gesagt, alle Regler befinden sich auf 12 Uhr. Im Zusammenspiel mit der Band lässt sich die Gitarre nur schwer ausmachen, obwohl sie in der Lautstärke angemessen berücksichtigt wurde.
Dies ändert sich in Klangbeispiel 2 bei gedrücktem Colour-Schalter deutlich. Dies ist vom Grundsound her das Frequenzbild, was die meisten von einer Akustikgitarre im Bandkontext her kennen, sprich, die Höhen werden angehoben, die Mitten abgesenkt, die Bässe etwas straffer angesetzt. Nun sitzen die Höhen über der Snare, teilweise sogar über den Becken und das Instrument ist bei gleicher Lautstärke deutlich besser im Bandkontext zu orten. Allerdings klingen die Höhen etwas harsch, die Auflösung könnte etwas feiner sein.
In Klangbeispiel 3 kommt erstmals etwas Hall ins Spiel, der sehr gut klingt, aber auch schnell den Grundsound verwäscht. Ich habe mit Absicht das Mischverhältnis etwas zu hoch angesetzt, um zu zeigen, wie das Instrument bei überhöhtem Effektpegel an Durchsetzungskraft verliert.
Klangbeispiel 4 besitzt einen etwas harten Grundcharakter, was jedoch dem Piezo-Pickup der Gitarre geschuldet ist. Die Hallfahne ist angenehm hoch aufgelöst, ob es gleich ein solches Achtziger-Angeber-Mischverhältnis sein soll, muss jeder selber entscheiden. Der Klang des Effekts hingegen ist sehr gut.
Klangbeispiel 5 bietet gleich noch einen Achtziger Soundklassiker, Akustikgitarre mit Chorus. Auch hier, der Effekt klingt tadellos und wurde von mir im Mischverhältnis mit Absicht ein wenig überladen.
Alles in allem hinterlässt der AER Compact 60 IV klanglich insbesondere in Anbetracht seiner Abmessungen einen guten Eindruck. Ob das Produkt allerdings kommerziell durchstartet, wage ich aufgrund mehrerer Punkte zu bezweifeln. Zum einen kommt die Endstufe mit ihren 60 Watt vergleichsweise schnell an ihre Leistungsgrenze. Was in einer Kneipe oder im Proberaum noch als ausreichend erscheint, könnte bereits in einem Club in Sachen Backline an seine Grenzen stoßen.
Zum anderen hat sich die Konkurrenz bei einem vergleichbaren Abgabepreis in einigen Bereichen besser aufgestellt, wobei sich besonders der direkte Konkurrent von H&K, der Era 1 mit mehr Kanälen, besser klingenden Hauptkanälen und einer Leistung von 250 Watt, ebenfalls bei deutscher Fertigung, deutlich besser platziert.