Die neue Speerspitze im Boss Lager!
Was sich die letzten Jahre angekündigt hat, ist nunmehr endgültig Realität geworden. Die Zunft der Gitarristen spaltet sich in zwei Lager. Die erste Fraktion frönt dem klassischen Verstärker – Box – Lautsprecher – Mikrofon Prinzip, wie es seit knapp 70 Jahren praktiziert wird. Das Ergebnis ist viel bewegte Luft, ein bei entsprechenden Komponenten hervorragender Sound, der allerdings mit allen Nachteilen wie hohem Gewicht und Aufbau/Abbau des Equipments erkauft wird. Die andere Fraktion huldigt, angespornt durch den immensen Erfolg des Kemper Amps Selbigem oder einem seiner Konkurrenten wie dem Axe FX oder dem Line 6 Helix, losgelöst von jeder Form des physikalischen Erlebnisses und befreit vom Schleppen der Komponenten. Für die zweite Fraktion hat Branchenriese Boss nunmehr den BOSS GT-1000 Effektprozessor am Start, der mit noch besserem Modeling der analogen Originale den Emulationsfans einen Konkurrenten mehr an die Hand geben möchte.
Modeling-Bibel …
Um eins vorneweg zu setzen, ich persönlich habe im Modeling-Bereich immer große Probleme mit der Aussage „klingt genauso wie“, da es schlicht und ergreifend nicht möglich ist. Diese Aussage hat NICHTS damit zu tun, ob ein Sound gut oder schlecht klingt, aber genauso wie selbst das beste Inear-System nicht den absolut gleichen Sound eines Lautsprechers, vor dem man sich gerade aufhält, wiedergeben kann, kann ein Modeling-Amp das Original in Form von Verstärker, Box etc. wiedergeben. Die Physik setzt hier einfach unumstößliche Grenzen.
Dies ist keine Wertung, sondern lediglich eine Feststellung. Ich werde es in diesem Test also tunlichst vermeiden, einen direkten Vergleich zwischen z. B. einem Black- oder Brownface, Plexi oder was auch immer als Messlatte zu nehmen, da es schlicht und ergreifend unfair gegenüber dem Modeler wäre. Gerne kokettieren die Hersteller bei ihren Presets mit Namensgebungen, die eine eindeutige Assoziation zum Original aufkommen lassen, was in meinen Augen aber ein Riesenfehler ist, da sie dabei nur verlieren können. Von daher, es geht bei diesen Produkten lediglich um ihren Klang an sich und ihre Konzeption, was wie wir sehen werden, mehr als nur beachtlich ist.
Das GT-1000 lässt sich auch als klassische Tretminensammlung vor bzw. in den FX-Return eines Amps schalten. Wir werden uns jedoch primär mit den D.I.-Sounds des Pedals beschäftigen, da sich auch hier der anvisierte Einsatzbereich des BOSS GT-1000 befindet.
Der Aufbau des BOSS GT-1000
Der erste Eindruck des BOSS GT-1000 ist vielversprechend. Viel Stahlblech, belastbarer Kunststoff an den Seitenteilen und ein großes Display sorgen mit den Abmessungen von 462 x 248 x 70 mm für ein Gewicht von 3,6 kg, was für einen Bodentreter schon ein stattliches Format darstellt. Mit einem Ladenpreis von 850,- Euro zählt das GT-1000 zu den Teureren seiner Art und muss entsprechend liefern, was aber schon anhand der umfangreichen Anschlussperipherie auf der Rückseite des Gehäuses auf einige Extras schließen lässt.
Insgesamt elf Klinkenbuchsen ermöglichen neben dem Input und Stereo-Out für den Amp FX-Loop auch das schaltbare Einschleifen zweier separater Effektgeräte, den Anschluss von zwei Expression-Pedalen, den Anschluss eines Kopfhörers und die Kanalschaltung eines angeschlossenen Amps. Dazu noch USB für den DAW-Betrieb, MIDI In Out und als Fokus zwei symmetrische XLR-Sub-Ausgänge, die das frequenzkorrigierte Modeler-Signal ausgeben. Sehr schön, schon mal wieder zwei D.I.-Boxen für den Live-Betrieb gespart.
Dazu noch ein ebenfalls aus Metall gefertigtes Expression-Pedal, das natürlich auch Wah-Wah Funktionen übernimmt, einstellbar in der Gängigkeit durch eine Rändelschraube an der Seite. Auch die Stufenbauweise der beiden Reihen mit insgesamt zehn Fußschaltern spricht für eine durchdachte Konstruktion. Erster Eindruck: sehr gut!
Die Signalverarbeitung des Boss GT-1000
Über sechs Drehregler, die allesamt auch Push-Funktionen beinhalten, kommen wir zur Menüführung des BOSS GT-1000. Erwartungsgemäß bietet das Gerät alles, was die aktuelle Boss-Produktpalette hergibt, was nach grobem Überschlag knapp 100 verschiedene Effekte ergab, die sich in den Standards wie Kompressor, Distortion, Modulation und Raumeffekte tummeln. Hinzu kommen noch sechzehn Verstärkersimulationen.
Die Signalkette ist frei konfigurierbar, d. h. man kann die Effekte beliebig in ihrer Reihenfolge verschieben. Auch die Belegung der einzelnen Taster ist frei konfigurierbar, was in der Praxis ein sehr großer Vorteil ist.
Bluetooth und mehr
Sehr schön wurde die Editierung mit der BOSS Tone Studio App gelöst, die sowohl vom heimischen Rechner als auch mobil über iOS-Geräte geregelt werden kann. Die Übersichtlichkeit nimmt hier nochmals massiv zu, wobei die iOS-Lösung noch mal einen Bonus für den Live-Betrieb parat hält.
Vorausgesetzt, man spielt direkt ins Pult und besitzt einen Sender oder ein entsprechend langes Kabel, kann man während des Soundchecks im Infield die Sounds am GT-1000 in Echtzeit über sein Smartphone editieren und den Sound den jeweiligen Raumverhältnissen anpassen, z. B. indem man nach Absprache mit dem FOH den Hall- oder Drive-Anteil zurücknimmt.
Das Boss GT-1000 in der Praxis
Die Editiermöglichkeiten des GT-1000 sind dermaßen umfangreich, dass man wahrlich nur einen sehr, sehr kleinen Ausschnitt an Sounds berücksichtigen kann. Wer über viel Zeit verfügt, kann sich wahrlich für jeden Song, den man interpretieren möchte, das ganz persönliche Setup zusammenstellen und abspeichern. Ob man nun für jeden Song mehrere Sounds, z. B. für Intro/Verse/Solo o. ä. pro Bank zusammensetzt oder aber jeden Song nur einen Sound zuweist, bleibt jedem Musiker selber überlassen.
Schon bei den ersten Tönen erkennt man eine deutliche Verbesserung des Ansprechverhaltens des Gerätes. Auch hängt der Prozessor für einen Modeler sehr schön am Volume-Regler der Gitarre und bindet den verminderten Pegel sehr ordentlich in den anvisierten Sound ein. In der Tat gibt die AIRD-Technik den einzelnen Sounds mehr Dynamik und eine bessere Abbildung der eigenen Stilistik, die Sounds an sich, insbesondere die High-Gain-Sounds, werden dadurch aber leider nicht besser, auch wenn das GT-1000 klanglich einen deutlichen Qualitätssprung gegenüber seinen Vorgängermodelle bietet.
Wie nahezu immer bei allen Modelern klingen auch bei dem BOSS GT-1000 nahezu alle verzerrten Sounds etwas „belegt“, will heißen, es fehlt auch hier die Offenheit und der unmittelbare Attack einer echten Verstärker – Box – Lautsprecherkonstellation. Auch wenn der DSP niemals das Gefühl vermittelt, im Grenzbereich zu arbeiten, so können die verzerrten Amp-Module nicht wirklich überzeugen. Der Sound an sich ist für die heimische Session oder auf die Schnelle ein Demo einzuspielen allemal ausreichend, in einer echten Bandkonstellation hingegen können sich komprimierte Sounds dieser Bauart nicht durchsetzen.
Auch die gerne angepriesene „All-for-one-Lösung“ in Sachen Studio, Bühne und Proberaum geht nur bis zu einem bestimmten Professionalitätslevel. Eine gut gebuchte Tanzband wird mit Sicherheit eine angemessene Qualität in dem Produkt finden, zumal der Fokus dort zumeist nicht auf High-Gain-Sounds liegt und man im Regelfall als maximale Verzerrung das Solo von „Walking by myself“ im Repertoire hat. Einem Kemper hingegen, wenn es denn schon ein D.I.-Verstärker sein muss, kann das GT-1000 hingegen nicht das Wasser reichen.
Auch im Studio muss sich Boss mit der Realität anfreunden. Für ambitioniertes Homerecording eine wirklich gute Lösung wird jede professionelle Plattenproduktion immer auf eine mikrofonierte Lösung setzen. Das soll nicht bedeuten, dass das BOSS GT-1000 auf irgendeine Art schlecht klingt. Im Gegenteil, in der Modeler Klasse nimmt er klanglich zweifelsohne einen der vorderen Plätze ein. Nur sollte man wissen, wo die Grenzen des GT-1000 liegen und sich nicht von den verschiedensten als Testberichte verpackten Werbevideos blenden lassen, auf dass man von nun an alle seine Verstärker und Boxen verkaufen könnte.
Die Samples wurden mit einer Les Paul Standard direkt ins Pult ohne zusätzliche Filterbearbeitung eingespielt.
850 Euro… das muss aber richtig was können!!
Also ich muss aus meiner persönlichen Wahrnehmung heraus diesem Review komplett zustimmen.
Ich hatte dieses Gerät vom Händler meines Vertrauens zwei mal zum mehrtägigen Test.
Immer wenn was Neues im Modeler Bereich kommt, denkt man hoffnungsvoll, dass MUSS es doch jetzt sein.
… ist es aber nach meiner Meinung auch dieses Mal wieder nicht.
Der „Digital-Charakter“ der Amp-Simulationen in Form von unerwünschten Artefakten ist für meinen Geschmack nicht wesentlich anders als beim Vorgänger – das ist KEIN Evolutionssprung für mich.
Ich war schon etwas enttäuscht, muss ich sagen.
Besser funktioniert das Gerät für meine Begriffe als reines Effektgerät vor dem Amp oder im Einschleifweg.
Aber dafür gibt man keine 1000 Euro aus.
Wie gesagt, meine persönliche Wahrnehmung …
Danke nochmal für den Bericht.
Ich habe ohnehin den Eindruck, dass AMAZONA so ziemlich das unabhängigste und damit verlässlichste Portal ist, was kritische Produktreviews angeht.
Beste Grüße
Rainer Junge
Mich würde interessieren wie es sich im Vergleich zum Line 6 Helix schlägt.
Besitze das Helix LT und habe nun alle meine Bodentreter und Verstärker verkauft. Das war für mich persönlich mein game changer!
Das Ding klingt einfach immer saugut und ist intuitiv zu bedienen.
@Dahausa Da kann ich ggf. etwas nelfen.
Ich habe einen Helix.
MEINE WAHRNEHMUNG: Amp Simus signifikant besser.
Vor allem kann man z.B. wählen zwischen reinen Amps mit Endstufe mit und ohne Cabinet und isolierten PreampModellen.
Ich betreibe den Helix zu Hause je nach Lust und Laune
A) über meinen Jvm 410 oder
B) mit zwei Power Station PS-2 und zwei Bogner 2×12 im Stereo Setup bei Verwendung der Preamp Simulationen.
Vergleiche ich jetzt z.B. den Helix JTM45 Normal mit dem CrunchGreen oder ChrunchYellow Kanal des JVM dann ist der Unterschied wirklich nicht erheblich.
Lediglich bei hohen Volumes an der Gitarre merkt man beim Helix eine merkliche „digitale“ Übersteuerung.
So ist zumindest mein Eindruck.
FAZIT: der Helix hat für mich mehr Röhrencharakter.
…. und zwei Loops mehr …
Danke für deine Einschätzung! :)
Rein von meinen bisherigen Erfahrungen mit Line6 und Boss sehe ich das auch so. Die Boss-Sachen waren mir immer etwas zu „clean“. Zwar durchsetzungsfähig im Sound, aber fühlten sich irgendwie nicht richtig an. Helix dagegen empfinde ich anders.
V.a. mit ner guten Auswahl an Impuls Responses geht da noch einiges.
Aber zu heiß anfahren darf man das Ding wirklich nicht. Das habe ich auch schon bemerkt…
Allgemein glaube ich, dass es das BOSS GT 1000 schwer haben wird gegen die Konkurrenz zu bestehen. Fängt schon beim Display an. :-/