Granularchromatische Multidimensionalitäten
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte zum Dawesome Novum VST
Als der Entwickler von Dawesome Novum, Peter Vorländer, vor einigen Jahren ein Prisma betrachtete, traf ihn die Inspiration durch die sich ausbreitenden Farben; könnte man das nicht auch mit Audiosignalen machen? Sie sozusagen in ein natürliches Klang-Farbspektrum zerlegen?
Das war der Startschuss für die Entwicklung von Dawesome Novum. Die Entwicklung wird dabei über Tracktion Presents vertrieben, die wie ein Label für Software-Entwickler fungieren.
Der Granularsynth ist dabei bei Weitem nicht Peters erste Entwicklung, er zeichnet sich auch verantwortlich für das Plug-in Abyss (VA-Synth ) und ist ein Entwickler von Chop Suey (Kick Drum Creator). Alle Oberflächen seiner Kreationen bedienen sich Farbmetaphern. Und genauso eben auch Dawesome Novum. Aber schauen wir uns zunächst an, was der Granular-Synth an Ausstattung zu bieten hat und was ihn technisch von anderen Granular-Synths unterscheidet.
Technik des Dawesome Novum
Nun ja, die Granularsynthese ist ja jetzt auch nicht gerade gestern erfunden worden und im Prinzip schon recht alt. Schon die EMU-Sampler aus den 90ern nutzen Granularverfahren für das Time-Stretching bzw. Pitchbending. Und die Anfänge reichen sogar zurück bis 1972 und Curtis Roads.
Eine einfache Implementation ist die des Fensterns, aber nicht die der bayrischen Art. Die Audiodatei wird in gleichmäßige Schnipsel geteilt, die nur einige Millisekunden lang sind. Dann wird ein sogenanntes Fenster darübergelegt, was nichts anderes ist als ein Fade-In am Anfang und ein Fade-Out am Ende.
Es gibt viele verschiedene Arten der Fensterung, z. B. nach Blackmann-Harris, Hamming oder Hanning. Sie unterschieden sich hauptsächlich in ihrer Fade-Kurvenform. Manchmal werden auch (wie beim Hanning-Fenster) Schnipsel genommen, die sich überschneiden, so wird Artefakten entgegengewirkt. Danach kann man diese Schnipsel in die Luft werfen und sehen, wo sie auf dem Boden landen – voilà, ein neuer Sound ist entstanden.
Das reichte Peter Vorländer aber nicht und selbst der kurze Abschnitt „THE UNDERLYING TECHNOLOGY“ im PDF-Handbuch liest sich wie die Bedienungsanleitung eines Alcubierre Warp-Antriebs. Kostprobe gefällig?
Die Zerteilung des Audiofiles nutzt eine Machine-Learning-Technik mit dem Namen „Non-negative Matrix Factorisation (NMF)”. Diese arbeitet mit einer Short-Time-Fourier-Transformation (STFT), die das Signal in eine 2D-Repräsentation überführt (Frequenz und Amplitude, Anm. des Autors). Da aber die Phaseninformationen verloren gehen und die Transienten verschmieren, musste sich Peter eigene Lösungen dafür ausdenken.
Richtig gut wird es bei der Beschreibung der Funktion „SYNTIFY“:
SYNTIFY basiert auf der Idee, den Klang weder in der Zeit- noch in Frequenzdomäne darzustellen, sondern in einem sogenannten „nonlinear phase state”. Auf diese Weise wird der Klang zur Flugbahn eines Objektes, das durch einen hochdimensionalen abstrakten Raum fliegt. Und dann kann man die Physik des Raumes verändern, durch den sich das Sound-Objekt bewegt.
Allein dafür würde ich das Plug-in kaufen … und das ist wirklich kein Werbesprech, das bezeichnet tatsächlich die mathematische Vorgehensweise der Funktion von Dawesome Novum. Ansonsten ist die Anleitung sehr Hands-on und lädt zum Lesen und Nachvollziehen ein. Keine ellenlangen Textwüsten, sondern Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wie man mit Dawesome Novum umgeht.
- Dawesome Novum – Envelope Edit 1
- Dawesome Novum – Envelope Edit 2
Das Problem war, wie man eben den Klang sinnvoll editieren kann, denn ein Mensch kann sich höchstens eine handvoll Dimensionen vorstellen. Vor allem hat der RGB-Farbraum „nur“ 3 Dimensionen. Und das Plug-in hat eben die Farbdarstellung als Leitthema.
Die Aufteilung des VST Synthesizers
Wem, wie mir, von den ganzen Dimensionalen noch schwindlig ist, wird sich freuen, dass sich Dawesome Novum mit einem einfachen Challenge/Response-Verfahren installieren lässt. Zum Glück braucht man nicht den Bundle-Installer für alle Tracktion Plug-ins herunterzuladen. Sehr zu empfehlen ist aber der Download des Basic-Packs. Dieser 2,43 GB große ZIP-Ordner enthält ca. 300 Factory-Presets, deren Inhalt man nach Belieben für eigene Kreationen verwenden kann. Einfach den entpackten ZIP-Ordner auf die Plug-in-Oberfläche ziehen und die Library wird installiert.
Saubere Sache – Preset-Verwaltung
Dawesome Novum präsentiert sich mit einer aufgeräumten Oberfläche, die sich nicht nur in drei Größen darstellen lässt, sondern eine nahtlose Anpassung ermöglicht. Auf der linken Seite sind die Presets aufgelistet, die Aufgrund ihrer farblichen Spektralanzeige sogar andeuten, wie sie klingen.
Grau deutet z. B. auf geräuschhafte Anteile hin. Ein einfacher Klick auf ein Preset zeigt noch mehr Details wie z. B. die genutzten Hüllkurven und Timbres. Ein kleines Problem: Möchte man hier über einen Doppelklick das Preset laden, so klappt die Detailinfo irritierend auf und zu. Über Drag’n’Drop kann man zudem verschiedene Aspekte der Presets miteinander kombinieren, dazu später mehr. Wer es klassisch mag, findet über das Hauptmenü auch eine Listendarstellung der Presets. Es gibt sowohl eine Such-, als auch eine Favoritenfunktion.
Mehrdimensionaler Chromatismus
Die Engine von Dawesome Novum
In der Mitte befindet sich die Synthese-Sektion, die in mehrere Bereiche aufgeteilt ist. Das obere Drittel spiegelt die Mischung der sechs Schwingungsformen wider, die man zur Klangerzeugung heranziehen kann. Man zieht einfach ein Sample auf das entsprechende Timbre und schon wird dieses analysiert. Laut Hersteller ist der Algorithmus auf monophone Quellen spezialisiert. Ich hatte aber keine Probleme, auch polyphones oder geloooptes Material zu verwenden. Das eine Beispiel zeigt einen schrägen Band-Loop im Inital-Zustand, das Beispiel danach die Bearbeitung mit Dawesome Novum.
In der Schwingungsformdarstellung sieht man auch die Grains durchfliegen. Diese zeigen sogar durch ein Pulsieren an, ob sie moduliert werden. Wird das Gain des Timbres moduliert, reflektiert die Schwingungsformanzeige auch das. Es handelt sich also nicht um ein visuelles Gimmick, hier kann man den Klang des Dawesome Novum optisch nachvollziehen.
Als ich oben die SXchwingungsformen erwähnte, so war das nicht ganz korrekt. Der richtige Ausdruck lautet „Timbre“. Das ist die Bezeichnung für die Schwingungsform, nachdem sie transformiert wurde und mit den typischen Grain-Parametern versehen worden ist. Ewas winzig finde ich Punkt unter den Parametern SIZE, DENSITY und PAN JIT. Man kann zwar auf den Text selbst klicken, aber diese Darstellung ist schon etwas arg klein. Das kleine orangefarbene Kettensymbol neben jedem Parameter bedeutet, dass dieser auf alle sechs Timbres gleichzeitig wirkt. Deaktiviert man die Verknüpfung, können alle Parameter unabhängig voneinander eingestellt und moduliert werden.
Aktiviert man die Verknüpfung wieder, werden alle Parameter wieder darüber gesteuert; die individuellen Werte gehen dabei verloren. Eventuelle Modulationen werden aber gespeichert und bei einer erneuten Entkettung wieder aufgerufen. Dennoch muss man hier ein wenig achtgeben. Ich empfinde diese Reduktion als guten Kompromiss zwischen Klangestaltungstiefe und Nutzbarkeit. Sonst kommt man leicht in die Situation nicht zu wissen, woher jetzt diese oder jene Modulation nun eigentlich kommt und verliert die Übersicht.
Eine Rose ist eine Rose ist eine …
Der Elephant im Raum ist sicherlich dieses farbschöne Farbrad in der Mitte der TIMBRE-Sektion.
Im Handbuch wird das gar lieblich mit TIMBRE-Blume bezeichnet. Aber wie riecht sie nun und was macht sie eigentlich? Hier kann man einfach klangliche Variationen des aktiven Timbres abrufen. In der Mitte ist der Ausgangspunkt. Nach rechts wird der Klang geräuschhafter, nach oben hin wird er weicher und dunkler, nach unten hin wird er mehr Synth-artig. Diese Variationen werden kurz errechnet und stehen nicht als Echtzeitparameter zur Verfügung. Diese Variationen greifen nie richtig krass ins Klanggeschehen ein, aber dennoch genug, um das TIMBRE anzupassen. Die Einstellung HOMGENIZED sorgt für einen glatteren spektralen Verlauf. Möchte man mehr Brizzlen, sollte man diese ausschalten.
Die zweite Seite der Engine wird als ENV betitelt. Was zunächst lediglich wie die Einstellungen eines Start- und Loop-Punkt-Fensters für Samples samt Abspielrichtung aussieht, erweist sich als einfach zu bedienende Lautstärkenhüllkurve. Man zeichnet einfach die Hüllkurve mit der Maus ein, die Kurven werden automatisch geglättet. Außerdem befinden sich hier noch ein paar andere Grain-Parameter, wie z. B. SPEED.
Jetzt kann man auch die Drag’n’Drop-Funktion besser verstehen. Alle Einstellungen, die die Seiten TIMBRE und Hüllkurve betreffen, werden ausgetauscht, alle anderen Einstellungen bleiben erhalten. Man kann sogar einzelne Timbres aus der Preset-Ansicht austauschen.
FX und Modulation
Überspringen wir kurz die nächste Seite und klären schnell die FX- und die MOD-Sektion.
Die FX-Auswahl ist begrenzt, aber dem Klang sehr zuträglich. Der Reverb ist ok, das Shimmer-Verb kann überzeugen.
Ich finde die FX sind der Engine angemessen. Vor allem können hier nicht nur mehrere FX gleichzeitig genutzt werden, man kann sie auch auf zwei Ausgangsbusse verteilen und sogar FX-Ketten anlegen. Und zu guter Letzt lassen sich die FX-Parameter natürlich alle modulieren. Diese FX sind also wirklich Bestandteil der Klangerzeugung und nicht bloß eine nette Beigabe.
Die Auflistung der Modulation ist auf der rechten Seite von Dawesome Novum zu sehen. Zur Verfügung stehen die üblichen Verdächtigen und alle CCs sowie voller MIDI-MPE-Support inklusive Polyphonic-Aftertouch. Ich habe daher auch für die Beispiele ein LaunchpadX genutzt, denn die Kontrolle über den Polyphonic-Aftertouch bringt ein Menge an spielbarer und damit fühlbarer Dynamik.
Sind die Modulatoren ausgewählt, muss nur noch ein Parameter angeklickt werden und der Kreis neben dem Modulator bestimmt dann die +/- Intensität.
Klickt man die Modulatoren selbst an, gelangt man zu deren Einstellungen, wie z. B. LFO-Speed. Der LFO ist synchronisierbar und geht runter bis 0,002 Hz – schön für ganz leichte schwebende Veränderungen. Das Maximum mit 6,667 Hz ist vielleicht ein wenig zu niedrig angesetzt, im Sounddesign habe ich höhere Raten dennoch nicht vermisst.
Links neben den Mod-Einstellungen findet man auch alle Ziele der betreffenden Modulation – danke, endlich hat man eine komplette Übersicht und verliert nicht den Faden. Ach, ja – und die Modulationsparameter können selbstverständlich wieder durch andere Modulatoren gesteuert werden. Volle Punktzahl würde ich sagen. Denn so lassen sich endlos evolvierende Gebilde realisieren.
Von Multi-Dimensionen und Nicht-Linearitäten
Der SYNTIFY Effekt des Dawesome Novum
Ich hatte die Erklärung der Technik von SYNTIFY ja schon weiter oben zum Besten gegeben. Ich finde ja eher, dass die Funktion das macht, was sie beschreibt – sie „synthiefiziert“ den Basisklang.
Ob ich da jetzt an Multidimensionalitäten denken muss? Hauptsache, es klingt gut und ich finde, es verändert den Charakter des Klangs gehörig und kann ihm das gewisse filmische (gibt es kein Pendant zu ‚cinematic‘?) Etwas geben.
Granularsynthese neu durchdacht scheint das „Novum“ dieses Softwaresynthesizer zu sein. Was ein lustiges Wortspiel! Es ist vielleicht an den Haaren herbeigezogen, aber zuerst dachte man das dieser Synthesizer nahezu nur einen einzigen Klang bietet, bis ich dahintergestiegen bin, dass es immer und selbiger Ton ist bei den Klangbeispielen. Nur als Erwähnung. Dafür hört man natürlich die klanglichen Muster und Varianten schön. Mathematisch und programmiertechnisch ein wahres Meisterwerk eines Softwaresynthesizers und kostet gleich wie andere hochwertige Plugins. Ich dachte übrigens auch das Granularsynthese ein Ding der Neuzeit ist, aber das dies schon in den 70ern versucht wurde, sehr spannend!
Den Sound dieser Maschine finde ich ziemlich abgefahren.
Athmos- und sphärenartige Sounds – geile Sache 👍
Aber man muss sich schon einarbeiten.
Als Presetschleuder definitv nicht ausgelastet.
Ernüchterung, wenn man die Sounds mal dry, ohne FX, hört. Alles ziemlich effektlastig. Kann man positiv, aber auch negativ sehen. Je nach subjektiver Befindlichkeit.
Demo installieren, probieren.
„ Granularchromatische Multidimensionalitäten“
Was für ein geiler Titel 👍 da könnte sogar Stanislaw Lem neidisch werden 😵💫
Novum ist – im Bereich der Plugins – ein aussergewöhnliches Instrument. Wahnsinnig tiefgreifende Editierungen bestechen seine Stärken und das schlägt sich auf die Klangqualität nieder. Für Einsteiger nicht unbedingt geeignet, jedoch sollte man unbedingt die Demo laden. Wer Granular Synthese mag, kommt an diesem Synth nicht vorbei. Absolute Empfehlung
Liebe dieses Plugin und auch schon den ersten Synth, Abyss von dem selben Hersteller. Als Granular Synth momentan kaum zu überbieten, obwohl es auch schier endlose Alternativen gibt.