Der Klang
Ich habe das Sennheiser MK4 zunächst an einem True Systems 2 Vorverstärker ausprobiert. Der P2 gehört zu der Kategorie von Vorverstärkern, die man als „Wire with gain“ bezeichnet: Er hat keine spürbare Klangfärbung und klingt sehr transparent, zuweilen auch „schonungslos“. Dabei ist er sehr rauscharm.
Das Mikrofon liefert tiefe, akzentuierte Bässe, feste Mitten und transparente Höhen ohne Schärfe. Sprach- und Gesangsaufnahmen gelingen ohne De-Esser, da das Mikrofon nicht zum Zischeln neigt. Dadurch klingen die Aufnahmen schlussendlich noch transparenter. Ein merklicher, aber nicht übertriebener Präsenskick in der Feinabstimmung des Mikrofonfrequenzganges ermöglicht es, Vocals auch ohne den Einsatz eines Equalizers ganz vorne im Mix zu platzieren. Dadurch ist das MK4 ideal für die Aufnahme von Leadvocals moderner Pop-Produktionen. Sprachaufnahmen von Frauen und Männern klingen besonders verständlich und zum Greifen nah.
Das MK4 macht „kleine Stimmen groß“, weniger aber „dünne Stimmen dick“. Richtig „flauschig“ und „jazzy“ wird es mit dem MK4 garantiert nie, die gängigen Klassiker sind für diese Zwecke besser geeignet. Bei der Aufnahme von Backgroundgesang oder Streichinstrumenten mit dem MK4 empfiehlt sich eine Dämpfung der Frequenzen im Bereich von 2-3kHz.
Der akustische Hotspot ist nicht sonderlich breit, jedoch verändert das Mikrofon in einem vergleichsweise großen Winkel kaum seinen Klangcharakter und wird nur ein wenig leiser. Erfahrene Studiosänger nutzen diesen Effekt gezielt zur Dynamikreduktion. Zur Verminderung von Popp- und anderen Nebengeräuschen genügt es, minimal über die Kapsel hinweg oder daran vorbei zu singen. Das MK4 ist überraschend unempfindlich gegenüber Explosivlauten, nur bei lauter Rumgerapperei und sehr naher Mikrofonierung empfiehlt es sich, ein Poppfilter benutzen.
Das MK4 klingt mitunter derart direkt, dass man sich beim Einsingen gelegentlich über die eigene Stimme im Kopfhörer erschrecken mag: Die Kombination mit dem True Systems ist eher was für Hartgesottene. Etwas zahmer: Der SPL Goldmike 2. Beeindruckend: Das MK4 am Presonus ADL600. Stimmen und Gitarren tönen direkt, plastisch und zugleich wirklich sehr groß. Für die angedachte Zielgruppe aber wichtiger: Das MK4 klingt gut an „ganz normalen“ Kompaktmischpulten (in meinem Falle war es ein Allen&Heath WZ3 14:4:2) und Audiointerfaces (RME Fireface 800).
Sennheiser gibt für das MK4 eine Nominalimpedanz von 50 Ohm an. Das MK4 ist, wie alle guten, elektronisch symmetrierten Mikrofone elektrisch wenig heikel und verändert seinen Klangcharakter auch bei geringen Eingangsimpedanzen kaum. Dennoch gilt: Bei Vorverstärkern mit Impedanz-Umschaltung sollte immer der Maximalwert eingestellt werden.
Ein Neumann TLM103 klingt im Präsenzbereich neutraler und in den oberen Höhen weniger gutmütig. Oder etwas „seriöser“ und „realistischer“. Vor allem Akustikgitarren profitieren davon und klingen runder und freundlicher als mit dem MK4. Vor allem nahe des Schall-Loches wird es mit beiden Mikrofonen oft zu viel des Guten, und die Bässe müssen reduziert werden.
Für Gesangsaufnahmen sind beide Mikrofone gleichermaßen gut geeignet, wenn die Aufnahme direkt, mitunter hart oder aber und zum Greifen nah klingen soll. Liebhaber eines mittigen Vintage-Sounds werden nicht befriedigt. Das MK4 klingt noch etwas aggressiver und „poppt“ noch weniger als das TLM103. Die Qual der Wahl bleibt all jenen erspart, die sich aus finanziellen Gründen für das MK4 entscheiden müssen.
Ein ebenfalls sehr beliebtes Aufnahmemittel für vor allem männlich-dominanten Popgesang: Das Brauner Phantom AE klingt noch deutlich heller, aber auch dünner. Auch auf Grund seines kleinen Korbes ist es frappierend Popp-empfindlicher als das MK4.

Die Matrix für Neumann Mikrofone. Das MK4 liegt irgendwo zwischen dem TLM 103 und dem TLM49, wobei letzteres anders klingt. Quelle: Neumann
Das Neumann U89 war einst als Kronprinz des U87 gedacht. Es besitzt die ebenfalls randpolarisierte Doppelmembran-Kapsel K89, ansonsten hat es nicht viel mit ihm gemein: Es ist ein „echtes Neumann“: hoch flexibel, schlank, leicht, trafosymmetriert, neutral abgestimmt, eher leise, weniger rauscharm und – teuer. Die „Niere“ scheint etwas breiter, was sich durch mehr Bewegungsfreiheit beim Einsingen positiv bemerkbar machen kann. In Wahrheit wird das U89 eher selten für Gesangsaufnahmen verwendet. Im Vergleich zu den „jungen Wilden“ dieses Vergleiches klingt es ausgewogen, sympathisch zurückhaltend und – einfach angenehm. Vielleicht zu wenig für den täglichen Kampf um Aufmerksamkeit in der multimedial überversorgten Gesellschaft von heute.
Spitzen Test! Kompetent, informativ, gut zu lesen.
LOL:“Ein LEBENDER Mensch in einem schalldichten Aufnahmeraum verursacht in jedem Falle mehr Geräusche als diese beiden Mikrofone.“
….Untote bekommen da also ein Problem mit dem Rauschen! ;-)
Untote standen mir während des Testzeitraumes nicht zur Verfügung. Vor Gesangsaufnahmen in Vollmondnächten sollten Knoblauchbrote verzehrt werden.
Außerordentlich gut geschriebenes Review, schöne Vergleiche herangezogen, bodenständig aber mit professionellem Überblick.
Ein paar A/B Vergleichsklangbeispiele hätten sich hier aber noch sehr gut gemacht, z.B. Akustikgitarre, Sprache, Overhead, und mit jeweils anderen typischen Mikros in dem groben Preisrahmen wie AT 4040, NT 1000, TLM 102, Bluebird, um mal so die derzeit wohl populärsten Konkurrenten abzudecken.
Preisähnliche Alternativen für den A/B-Vergleich im Geschäft oder, noch besser, zu Hause:
Etwas teurer: Das Audio Technica AT4040;
Bereits in der Charakteristik umschaltbar und noch preiswerter: Das Rode NT2;
Umschaltbar und etwas teurer: Rode NT2000 und AKG C4000B;
Sehr innovativ und kompakt, mit neutralem Klangcharakter, aber vom „Look&Feel“ und der akustischen Abstimmung weniger „Einsteiger-Gesangsmikros“: AKG C214 und Neumann TLM102.
Als „kräftige“ und „direkt klingende Niere“ kann sich das Mk4 auch gegen deutliche teuere Mikrofone behaupten.
Dennoch: Ich rate jedem Mikrofonkäufer mit einem Budget von unter 500 Euro, in Ruhe ein paar preisähnliche Konkurrenten auszuprobieren und diese auch zu kaufen, wenn sie rein subjektiv „besser passen“.
Beim Ausprobieren sollte man unbedingt auf identische Pegelverhältnisse achten. Das MK4 ist recht laut, und klingt allein deshalb schnell einmal „besser“.
Würde man das MK4 auch für Aufnahmen von Akustikgitarren und Chören verwenden?
Für Akustikgitarre: Ja.
Für Chöre: Weniger. Ein ordentliches Paar Kleinmembranmikrofone mit Kondensatorkapsel ist besser geeignet und auch für 300 Euro schon zu haben, z.B. von Rode, MBHO, beyerdynamic etc. Mit diesen Mikrofonen kann man fast alles sehr gut aufnehmen, auch Gitarren.
Eine der besten und lesenswerteste mic-reviews, die man hier je gelesen hat.
Allein schon die grundsätzlichen vorbehalte zur laufenden qualitätskontrolle chinesischer fertigung verdienten es, auf jedes mic-gehäuse funkenerodiert zu werden. Das dilemma, das Sennheiser sich mit der einverleibung von Neumann hinsichtlich neuer produktentwicklungen eingehandelt hat, ist auch perfekt analysiert.
Das „Dilemmas“ wurde recht weise und überaus kundenfreundlich gelöst. Durch den niedrigen Preis vermeidet man die Konkurrenz mit Neumann-Produkten und erschliesst der Marke Sennheiser einen völlig neuen Kundenkreis: Den der Produzenten, „Homerecorder“ und Projektstudios.
Ich vermute, dass ein Grossmembran-Erstling aus dem Hause Sennheiser OHNE die Liaison mit Neumann höher eingepreist wäre, nämlich ähnlich wie die Produkte von AKG, beyerdynamic, Gefell, Brauner etc.
Wenn es ihn überhaupt gegeben hätte.
Vielen Dank für das tolle Review und die anschaulichen Erklärungen. Top!
Hallo,
sehr guter Test mit vielen Hintergrundinformationen/ Details!
Das mit der besseren Körperschallentkopplung durch eine „Mini-Spinne“ wage ich aber zu bezweifeln. Die besteht ja aus mehreren Teilen die selber wieder Geräusche machen können. Beim Automobilbau z.B. wird ein Cockpit am besten aus einem Stück gefertigt, da jedes weitere Teil fixiert werden muss und mit der Zeit anfängt zu „arbeiten“.
Die aufwändigerer Lösung ist also nicht immer die bessere ;)
Guter Job, falconi
Vielen Dank für diesen hervorragenden Test, der technische Sachverhalte fundiert erläutert und interessante Hintergrundinformationen bietet!
Mir gefällt das MK4 auch sehr gut. Es ist trotz fehlender technischer Flexibilität universell einsetzbar und klingt toll!
Hi für Broadcast bzw Voie overs oder gelegentliche lets plays, ist das Mikrofon empfehlenswert? Wie ist es im Vergleich zum m88tg? Oder kannst du noch andere empfehlen? Vielen Dank im Voraus!