Preiswert - aber auch gut?
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Das the t.bone RETRO TUBE II können Sie unbedenklich kaufen. Warum dem so ist, das erzähle ich Ihnen später. Ich kann Ihnen aber jetzt schon versprechen, dass es sehr spannend war, dieses Großmembran-Röhrenmikrofon zu testen, denn Erwartung, Realität und Ergebnis bei diesem Test sind auf jeden Fall anders, als der Preis erwarten lässt. Also lesen Sie diesen Artikel und bestellen Sie dieses Mikrofon. Neugierig?
the t.bone RETRO TUBE II: Erwartung
Fangen wir mit dem Hersteller an. „the t.bone“ ist eine der Hausmarken des Musikhauses Thomann, bei dem es um Produkte für den Live-Auftritt oder das Tonstudio geht, also Mikrofone, In Ear Systeme, Kopfhörer und Zubehör. Ebenso wie Swissonic werden diese Produkte meist in denselben Hallen gefertigt wie sehr viele Markenprodukte und so fallen einem nicht selten diverse „Ähnlichkeiten“ auf. Meist aber der Preis, denn manchmal mag man gar nicht glauben, dass man solch überzeugende Qualität zu so einem Preis herstellen kann. Dass dies nicht in Europa möglich ist, liegt auf der Hand. Somit ist der klassische Käufer für eine Thomann Eigenmarke ein Musiker (im weitesten Sinne), der mit wenig Budget auf ein bestmögliches Preis-Leistungs-Verhältnis hofft. Unsere AMAZONA.de Tests zu den Thomann Eigenmarken fallen deswegen meist sehr positiv aus, aber stellen trotzdem klar, in welcher „Liga“ (in Sachen Qualität) man sich befindet. Meine Tests von Swissonic Aktivmonitoren waren durchweg positiv, denn man bekommt sehr gute Qualität für sein Geld.
Und das waren auch die Erwartungen, als ich auf das Paket für meinen the t.bone RETRO TUBE II wartete. Interessanterweise kam ein großer Karton, wie bei einem großen 2 HE Rackmount-Gerät mit richtig Gewicht. Beim Auspacken, das nächste Aha: Ein hochwertiger Mikrofonkoffer mit Metallbeschlägen, robust und mit zwei verschließbaren Schnallen.
Und weiter geht es. Im Koffer fünf Aussparungen: für die Mikrofonspinne, die Kabel, Windschutz, das riesige Netzteil und eine Echtholzschatulle. In dieser befindet sich das ebenfalls riesige Mikrofon, eingebettet in rotem Samt. Das rund 22 cm lange Mikrofon ist im Design des Neumann CMV 3 gehalten, das allerdings noch größer war und einen abschraubbaren Mikrofonkopf besaß. Der Mikrofonkorb mit Membran im RETRO TUBE II ist allerdings fix und kann ohne Werkzeug nicht abgenommen werden.
Auf dem the t.bone Mikro befinden sich zwei Schalter: ein PAD-Schalter für eine Absenkung um 10 dB und ein Hochpassfilter zur Absenkung der tiefen Frequenzen.
Die Spinne macht einen sehr soliden Eindruck – nur die Fixierung scheint für das schwere Mikrofon etwas zu schwach dimensioniert. Es bedarf eines festen Händedrucks, um die Schraube hinreichend festzudrehen.
Das Netzteil ist in Hammerschlagoptik gehalten, wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass dies kein Designmerkmal, sondern einfach dem Preis geschuldet ist.
Ein zweckmäßiges, stabiles Kästchen mit dickem ON/OFF-Schalter, eine blaue Betriebsleuchte, die mein ganzes Studio schimmern lässt und ein Drehschalter für die unterschiedlichen Richtcharakteristiken … wie bitte? Ja, genau!
Denn das the t.bone RETRO TUBE II ist ein Doppelmembranmikrofon mit umschaltbarer Charakteristik: Von Niere bis zur Acht können neun verschiedenen Stufen angewählt werden und dies ist nur durch die unterschiedliche elektrische Ansteuerung der Membranen möglich. Dieser Drehregler war bei meinem Gerät ein Schwachpunkt, denn er ist so schwergängig, dass man am Ende des Schaltbereichs glaubt, da käme noch etwas und dann den Regler samt Verschraubung weiterdreht. Das wiederum führt dazu, dass Position und Skalierung nicht mehr passen. Hier wäre ein etwas leichtgängiger Drehregler die bessere Wahl gewesen.
Zur Verbindung liegen zwei 10 m Kabel bereit: eines zur Verbindung mit dem Preamp und ein 7-poliges Kabel für die Verbindung zwischen Netzteil und Mikrofon.
Fazit zum Thema Erwartung
Bei Weitem erfüllt. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ein sattes Paket,m gespickt mit interessanten Features und vor allem viel Blech.
Realistische Eindrücke zum Retro Tube II
Hier fangen wir mit dem Preis an: 219,- Euro – inklusive Mehrwertsteuer. Sie erinnern sich an meinen Satz am Anfang: „Das the t.bone RETRO TUBE II können Sie unbedenklich kaufen“. Der Grund für diese Aussage ist ganz einfach: Wenn Sie die Bestandteile dieses Sets einzeln verkaufen, dann werden Sie ganz sicher den Kaufpreis wieder reinbekommen. Es ist kaum zu glauben, was man bei the t.bone hier für sein Geld bekommt. Doppelmembran Kondensatormikrofon mit Röhrenübertrager, groß, schwer, umschaltbare Richtcharakteristik, Spinne, lange Kabel, hochwertige Verpackung. Allein deswegen bin ich schon schwer (haha Wortspiel) angetan vom RETRO TUBE II.
Die Realität ist auch eine Verarbeitung, die durchaus in Ordnung ist. Alles ist gut, solide und zweckmäßig gemacht. Allerdings gibt es ein paar Kleinigkeiten, die nicht unerwähnt bleiben sollen:
Den zu schwergängigen Drehschalter habe ich bereits erwähnt und die etwas schwächliche Fixierung an der Spinne ebenfalls. Leider ist das Mikrofon sehr empfindlich gegen Berührung, so dass man das Mikro tunlichst nicht während der Aufnahme anfassen sollte.
Der glockige Klang des Mikrofonkörpers überträgt sich leider auf die Membrane. Dass man bei so einem Brocken einen stabilen Mikrofonständer benötigt, versteht sich von selbst. Mein K&M 232 Tischstativ kippt bei Montage des RETRO TUBE II in der Spinne einfach um.
Die technischen Daten sind OK, wenn auch nicht berauschend (ja, ich weiß – witzig!). Denn das Eigenrauschen beträgt satte 20 dB(A). Im Vergleich: Ein Neumann TLM 102 hat 7 dB und die Lewitt Mikrofone haben sogar nur 3 dB. Aber ist Rauschen nicht auch ein wenig Retro?
Der maximale Schalldruck liegt – abhängig von der Charakteristik – zwischen 130 und 150 dB SPL, was ich allerdings für wenig realistisch halte. Eine 48 V Phantomspeisung, wie bei Kondensermikros üblich, wird auch nicht benötigt, denn das übernimmt das Netzteil. Auch die Frequenzangabe von 20 Hz bis 20 kHz (-10 dB) darf man als groben Wert annehmen. Es gibt ein technische Datenblatt, das ich HIER verlinke mit weiteren Details, Frequenzschrieben und Polardiagrammen.
Die goldig leuchtende Röhre wird nicht besonders warm – allerdings benötigt das ganze System schon ein paar Minuten, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Für spontane Aufnahmen ist das RETRO TUBE II nicht geeignet. Ich habe immer ca. 30 Minuten gewartet, bis ich aufgenommen habe.
Fazit zum Thema Realität
Die Realität ist vielleicht nicht mehr ganz so rosig wie die Erwartung, aber einen richtig dicken Fehler oder ein Problem gibt es nicht. Ob und inwiefern sich das recht hohe Eigenrauschen in Praxis auswirkt, das lesen Sie im nächsten Kapitel!
Einsatz des t.bone Retro Tube II im Tonstudio
Hier geht es klar um die Summe aus Ausstattung, Verarbeitung und Technik: Dem Klang. In meinem Setup habe ich vier ganz verschiedene Mikrofone parallel aufgenommen. Dabei habe ich diese direkt an meine Universal Audio Apollos (TWIN X und X6) angeschlossen und so unter identischen Bedingungen aufgenommen. Dabei kamen keine speziellen Unison Preamps zum Einsatz: Nur die puren Universal Audio Vorverstärker, die in Klang und Qualität zu den besten Preamps am Markt zählen.
Neben dem the t.bone RETRO TUBE II (219,- Euro) kamen das dynamische Mikrofon Shure SM58S (119,- Euro), das Kondensatormikrofon Sennheiser e865s (238,- Euro) und das Lewitt LCT 640 TS (849,- Euro) zum Einsatz. Zunächst habe ich aus ca. 20 cm Abstand den Einleitungstext eines Buches zum Flötenlernen aus dem Jahr 1955 vorgelesen:
Ist es nicht spannend, wie unterschiedlich Mikrofone klingen können? Das Shure „outet“ sich in diesem Vergleich als echte Bühnensau. Vorlesen geht gar im Vergleich aber nicht: Das Ding braucht Pegel oder sollte am besten gleich vor einem Gitarrenverstärker hängen. Im direkten Vergleich ist es detailarm und wie mit einem Schleier versehen. Der hohe Rauschpegel kommt vom Preamp, der in Sachen Gain fast ganz aufgedreht werden musste, um in Sachen Pegel auf Augenhöhe zu liegen.
Das Sennheiser, ebenfalls eigentlich ein Gesangsmikrofon, ist da schon eine ganz andere Liga: Hell, etwas zu schlank, aber detailreich und neutral kommt es mit meiner sonoren Stimme gut klar. Auch Sibilanten und Pop-Laute verträgt das Sennheiser sehr gut. Ein toller Allrounder.
Das Lewitt ist nochmal eine klare Klasse darüber. Sehr schöne Details, ausgewogener Klang und sehr natürliche Transienten – bei dem Preisunterschied darf man das auch erwarten.
Und das the t.bone RETRO TUBE II? Das gibt richtig Gas: Sehr voluminöser Klang, der auch in den Höhen mehr macht, als ursprünglich vorhanden. In der Realität ein Badewannen-Frequenzgang mit einem echten Röhrenklang. Leicht hohl und mit einer Note „blechern“ färbt das RETRO TUBE II sehr schön und erfüllt die Erwartungen, die der Name schürt.
Aber leider ist viel auch oft zu viel. In Sachen Sibilanten zeigt das t.bone schon gerne etwas Schärfe und gegen Pop-Laute ist es extrem empfindlich. Ohne Popfilter kann man den Buchstaben „P“ kaum aussprechen, ohne dass es sogar übersteuert und verzerrt. Da reicht dann aber ein günstiger Gewebe-Popfilter und dieser dämpft dann auch ein wenig die starken Höhen des RETRO TUBE II. Zusammen mit der starken Trittschall- und Berührungsempfindlichkeit ist das the t.bone im Vergleich schon eine Diva, die man im wahrsten Sinne des Wortes mit Samthandschuhen anfassen muss. Hier ein Klangbeispiel mit und ohne Popfilter:
Hier im Vergleich noch ein paar einfache Akkorde auf der akustischen Gitarre, welche die Eindrücke bei der Sprache unterstützt. In diesem Vergleich habe ich auf das Shure verzichtet:
Im letzten Klangbeispiel habe ich während des Vorlesens die unterschiedlichen Richtcharakteristika umgeschaltet – was man deutlich hören kann. Nicht nur im Klangverhalten, sondern auch durch das laute Klacken des Drehschalters:
Bei diesem Test wird auch das Eigenrauschen hörbar, das deutlich vernehmbar, aber nicht zu viel ist. Ich würde sagen, dass man das problemlos mit dem „Retro“-Ansatz erklären kann. Eine digitale Stille würde auch irgendwie nicht zum Mikrofon passen.
https://youtu.be/cg2OXsQGKCo
Sehr interessant. Das werde ich irgendwann mal testen.