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Making of: RADIOHEAD OK Computer (1997)

Nennt's nicht Prog-Rock!

12. Januar 2020

Manches Mitglied von Radiohead mag damals desinteressiert auf Vergleiche mit Pink Floyd oder gar mit Prog-Gruppen reagiert haben. Die Band habe sich sowieso in der Asservatenkammer der coolen Einflüsse bedient – ganz konkret in diesem Fall: Bitches Brew von Miles Davies und Pet Sounds von den Beach Boys, u. a. Nicht ohne Recht lehnten die Musiker Begriffe wie „Konzeptalbum“ kategorisch ab.
Und dennoch: Mit OK Computer (1997) legten die Fünf aus Oxford eine Song-Kollektion vor, die textlich von tiefer Skepsis durchtränkt war, gegenüber dem vermeintlichen Wohlstand bzw. den Sicherheiten, die die bevorstehende Jahrtausendwende mithilfe technologischer Entwicklungen hervorbringen würde. So gesehen klingt ein Stempel wie „Dark Side Of The Moon für Millenials“ gar nicht sooo abwegig – ganz abgesehen davon, dass solche reißerischen Formulierungen einem immer verlockend zuwinken.
Aber, handelt es sich hier nur ein musikalisch untermaltes Soziologie-Essay? Zum Glück nicht, denn im Gepäck hatten die Band – wie sich dann herausstellte und im wahrsten Sinne des Wortes – Melodien für Millionen. Wie diese letztendlich im Studio realisiert wurden, erfahren wir heute in unserem Making of: Radiohead OK Computer.

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Radiohead OK Computer – Making plans with Nigel

Wenn man sich eine Zusammenarbeit zwischen Radiohead und Brian Eno vorstellt, ist man 2020 nicht besonders originell – wegen künstlerischer Seelenverwandtschaft und so. Diese Kollaboration hat zwar noch nicht stattgefunden, allerdings war es ein Anliegen vom britischen Pop-Avantgardisten, das 1995 den Startschuss für den Prozess gab, der in OK Computer mündete.
Für ein Benefizalbum der NGO War Child beauftragte Eno im August jenes Jahres die sich auf Tour befindende Band mit einer neuen Komposition. Um der Bitte nachzukommen, gingen Thom Yorke, Jonny und Colin Greenwood, Ed O’Brien und Phil Selway mit Toningenieur Nigel Godrich ins Studio und nahmen in fünf Stunden den Track “Lucky” auf, der in derselben Woche veröffentlicht werden sollte.
Bereits in der englischen Heimat dank ihres zweiten, von John Leckie produzierten Erfolgsalbums The Bends (1995) etabliert, mussten die Musiker die übliche Ochsentour durch die Weiten der USA absolvieren. Sie stellten ihre Live-Aktivitäten jedoch im Januar 1996 vorübergehend ein, um etwas Abstand vom durchgespielten Material zu nehmen und mittelfristig die Produktion einer neuen Platte anzugehen.
Mit einer guten Portion Selbstvertrauen und einem Labelvorschuss von GBP 100.000 für den Kauf von Equipment standen für Radiohead zumindest zwei Richtlinien fest: Einerseits würden die Aufnahmen in Eigenregie und außerdem in einer vorzugsweise ländlichen Umgebung stattfinden. Um den gut dotierten Gutschein von Parlophone Records sinnvoll auszugeben, stellte sich Nigel Godrich wiederum beratend zur Seite. Godrich, der bereits bei den Aufnahmen zu The Bends an den Reglern gesessen hatte, fand einen guten Draht zur Band und bekam letztlich den Zuschlag, um das nächste Werk zu koproduzieren – ein Traumjob für jemanden, der in Radiohead einiges von dem gesehen hatte, was er sich als Techniker aber auch als gelegentlicher Instrumentalist wünschte: “Es gab keine Einschränkungen. Das war kein Neandertaler Rock’n’Roll, sondern intellektuell und konzeptuell auf hohem Niveau; in Sachen Sound sehr fortschrittlich und mit guten Songs. Es war eine perfekte Sache. Eine Menge Menschen, eine Menge Ideen und alle konnten am gleichen Strang ziehen.”

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Radiohead OK Computer – Im Studio

Erste Station für das Team Radiohead+Godrich war das bandeigene Canned Applause Studio, ein umgebauter Schuppen im heimischen Oxfordshire.
Die volle Unterstützung der Plattenfirma – ein pralles Budget und das Unterlassen einer Deadline -, dazu eine Arbeitsaufteilung auf demokratischer Basis und der fokussierte Blick von Koproduzent Godrich. Traumbedingungen, könnte man meinen. Und trotzdem: Auch eine Band dieses Kalibers ist beim Selbstproduzieren mancher Gefahr ausgesetzt, die viele von uns auch aus der bescheidenen Umgebung unseres Heimstudios kennen, nämlich das Herumspringen von Song zu Song. “Einen davon fertigstellen? Machen wir morgen! Lass‘ mal dieses Neue hier ausprobieren …”
Eine auf Wunsch ihres amerikanischen Labels Capitol anberaumte USA-Tour bedeutete einen vorläufigen Abbruch der Aufnahmen, die erst im September wieder in Angriff genommen wurden. Die Ausbeute aus den Canned-Applause-Sessions waren immerhin vier fast (aber nur fast!) fertige Stücke („The Tourist“, „Electioneering“, „Subterranean Homesick Alien“ und „No Surprises“).

Nach der Tour, um der nicht zufriedenstellenden Stimmung im eigenen Studio zu entkommen, verlegte man die Arbeit in St. Catherine’s Court, ein 9-Zimmer Anwesen aus dem 10. Jahrhundert in der Nähe von Bath, dessen Ballsaal im Jahr davor von The Cure für die Aufnahmen zu Wild Mood Swings benutzt worden war. Aber nicht nur von diesem Raum, dem man einen natürlichen 4-Sekunden-Nachhall nachsagt, machte Radiohead Gebrauch – das Steintreppenhaus war auch gut genug, um u. a. den Gesang für „Exit Music (For a Film)“ aufzunehmen.

Das Zusammenspiel der Band in den großzügigen Räumlichkeiten des Altbaus resultierte in Liveaufnahmen, die zu einem großen Teil ihren Weg ins Album fanden.
Jonny Greenwood, das einzige Mitglied der Band mit einer klassischen Musikausbildung, schrieb für das düstere Stück “Climbing Up The Walls” ein Streicher-Arrangement, das in den Abbey Road Studios aufgenommen wurde. Damit legte Greenwood den Grundstein für seine beachtliche Karriere als Komponist für Film- und Theatermusik – selbstverständlich ein bisschen abseits des Mainstreams.

Der sechs Monate lange Aufnahmeprozess ging rund um die Weihnachtszeit zu Ende. Anschließend wurde das ganze Material über einen Zeitraum von zwei Monaten in mehreren Londoner Studios abgemischt und vom Ingenieur Chris Blair in Abbey Road gemastert. Diese Arbeit hatte Blair bereits für Genesis, Jethro Tull und Alan Parsons Project u.v.m., aber bitte: Nennt es nicht „Prog“!

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OK Computer – Fender Teles, Fender Rhodes … und Fred

Wer sie schon mal live gesehen hat, hat auch sicherlich festgestellt, dass Radiohead sich nicht zu schade sind, Unmengen von Equipment auf die Bühne zu bringen – im Studio 1996-1997 war es nicht anders.

Konsequent zu ihrer frühen Behauptung „anyone can play guitar“ präsentiert Radiohead seit jeher teilweise ein gitarristisches Dreigestirn (ohne den Lynyrd-Skynyrd-Faktor, versteht sich!). Und dieses griff für OK Computer auf folgende Instrumente zurück: Jonny Greenwoods Hauptgitarren waren seine bekannte 1991er Fender Telecaster Plus, mit den serienmäßigen Lace-Sensor-Pickups und einem nachträglich eingebauten Kill-Switch für die notwendige Noiserock-Würze; zu ihr gesellte sich – damals wie heute – eine 1975er Fender Starcaster. Die Gitarre, an den ES-Modellen vom Erzkonkurrenten Gibson unmissverständlich angelehnt, zählt eher zu den gefloppten (und dementsprechend kurzlebigen) Ideen des Hauses Fender und ist auf den Arpeggien von Stücken wie „Subterranean Homesick Alien“, „Let Down“ und „The Tourist“ zu hören. Nach Jahrzehnten eines kaum sichtbaren Nischendaseins wurde die Starcaster vor wenigen Jahren wieder aufgelegt, jedoch nicht als Jonny Greenwood Signature-Modell, was eine verdiente Anerkennung an seinen zweifellos prominentesten Spieler gewesen wäre.

Wer allerdings 2017 mit einem nach ihm benannten Gitarrenmodel gewürdigt wurde, war Kollege Ed O‘Brien. Die Basis für dieses Instrument lieferte schon 1997 eine Fender Eric Clapton Signature Stratocaster (ja, die mit dem gewöhnungsbedürftigen V-Profil im Hals), die vor allem auf dem Track „Lucky“ in Form von allgegenwärtigem Gezirpe (O‘Brien ist eh der Mann für die subtileren Parts) zu hören ist. Zudem bediente sich O‘Brien einer roten Rickenbacker 360 Fireglo für beinahe jedes Stück auf OK Computer.
Thom Yorke, des Öfteren für eigentümliche Rhythmusarbeit an den 6 Saiten zu haben, griff wiederum meistens auf zwei Fender Telecaster Modelle zurück: eine Custom in Sunburst-Finish und eine schwarze Deluxe. Auf „Lucky“ und dem Opener „Airbag“ ließ Yorke eine damals neue Anschaffung erklingen, nämlich eine schwarze 1963er Fender Jazzmaster.
Es besteht keine Gewissheit über die im Studio benutzten akustischen Gitarren, dennoch setzen wir an dieser Stelle auf die Alvarez Yairi DY-88, die sich der Sänger auf der OK-Computer-Tour für Songs wie „Paranoid Android“ oder „Karma Police“ umhing.

In der Verstärkerabteilung sah die Sache unspektakulär aus: Seine Gitarren schloss Yorke direkt an einen Fender Twin Reverb an, während Greenwood und O‘Brien einen Vox AC30 für die clean Parts bevorzugten. Sollte der Ton angezerrt werden, dann fiel die Wahl O‘Briens auf den Mesa Boogie Dual Rectifier Trem-O-Verb. Jonny Greenwood verließ sich dagegen auf seinen Fender Deluxe 85 (Kennzeichen: rote Knöpfe; Röhren: Fehlanzeige!).

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Für die Rhythmusgruppe war auch ein gewisses Understatement angesagt. Colin Greenwood spielte den Großteil seiner Parts mit einem Fender Precision Bass (Sunburst-Finish, womöglich ein 70er Jahre Modell) und einem Gallien-Krueger 800RB Topteil samt Ampeg SVT 8×10-Box. Für manche Zerrsounds kam wiederum eine Ampeg GV-22 Combo zum Einsatz.
Phil Selways Schlagzeug war ein kirschrotes Premier Kit, bestehend aus: einer 14“ Snare, einer 20“ Bassdrum, einem 14“ Floortom, jeweils einem 10“  und einem 12“ Racktom und vier Becken. Das gute Stück wurde 2009 für ein Taschengeld von GBP 2.500 beim berühmten Auktionshaus Christie‘s versteigert.

Alles in allem denkt man, sei eine Klangvielfalt, wie sie auf OK Computer zu hören ist, mit einem solch – mit Verlaub – normalen Instrumentarium kaum realisierbar.

Der Einsatz eines Fender Rhodes MK1-73 E-Pianos, dessen Sound auf Radiohead-Alben seitdem nicht mehr wegzudenken ist, macht den Unterschied wohl nicht aus – zumindest nicht allein.
Der unheimliche Engelschor, der bei „Exit Music (For A Film)“ aus dem Nichts einsetzt und aus einem Mellotron M400 stammt, bringt uns da ein bisschen weiter: Warum wohl 1996 auf eine praktische, digitale Lösung zurückgreifen, wenn man ein allgemein für „obsolet“ gehaltenes Instrument ins Studio schleppen kann, das für klangliche Ecken und Kanten sorgen kann? Eben – es ging nicht um „Analog vs. Digital“, sondern um eine gewisse Kauzigkeit – sowohl akustisch als auch konzeptuell -, ohne die Radiohead nicht Radiohead wäre.
Schon die ersten Takte von OK Computer („Airbag“) warten mit zwei eigentümlichen Effektoptionen auf: Auf der einen Seite die aufdringliche Zerre des Marshall ShredMasters, eines Pedals aus den 90ern, das selten auf Promi-Boards zu sehen war und für das heute horrende Preise im Gebrauchtmarkt verlangt werden; gleich danach setzt ein Schlagzeug-Pattern ein, das mit einem damals brandneuen Akai S3000 gesampelt und in einem Mac-Rechner einer Bitcrush-ähnlichen Behandlung unterzogen wurde. Für diese Entscheidung zugunsten des Samplings dürfte Endtroducing, das Debütalbum von DJ Shadow, Pate gestanden haben, das gleichzeitig mit dem Beginn der Aufnahmesessions in St. Catherine‘s erschien.

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Bei der wie-lasse-ich-“normale“-Instrumente-schräg-klingen-Offensive leistete auch der Mutator von der britischen Firma Mutronics gute Dienste. 1996 ein 19-Zoller, heute als Plug-in verfügbar, besorgte der Mutator den intensiven Filtereffekt, der z. B. im zweiten Solo von „Paranoid Android“ zu hören ist.
Auf dem bereits erwähnten „Exit music“ ist nicht nur das Mellotron für die dramatische Stimmung zuständig, denn ein Shin-ei Companion Fuzz FY-2, ein Pfandhaus-Fund von Colin Greenwood, lässt den E-Bass eine ganze Schippe grober treten.
Der spacige Walzer „Subterranean Homesick Alien” schunkelt indes in einem Geflecht von Gitarren, deren träumerischen Echoschwaden durch die nicht alltägliche Kombination eines Roland RE-201 Space Echo aus dem Jahr 1974 mit einem Boss RV-3 Reverb-Pedal erzeugt wurden. Mit dem empfindlichen Space Echo ging Jonny Greenwood sogar auf Tour – zumindest so lange, bis Roland mit dem handlicheren RE-20 eine Alternative auf den Markt brachte, die ihm gut genug erschien.

Gut genug erschien auch Ed O‘Brien die Idee, das Outro von „Karma Police“ mit einer kleinen, mutierenden Geräuschkulisse zu schmücken. Dafür spielte er einige Töne mit der Gitarre und drehte dabei an den Knöpfen seines AMS DMX 15-80S Digital Delay (einer kostspieligen Rarität heute), in bester Sonic-Youth-Manier.

Der Albumtitel OK Computer bezieht sich zwar auf eine Passage des modernen Literaturklassikers Per Anhalter durch die Galaxis, lasst uns dennoch diese Auflistung von Effekten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wohlgemerkt! – mit Fred beenden. Fred? So hieß die Stimme des SimpleText-Programms, die die Ansammlung von Sätzen zwischen Slogan und Ratgeber emotionslos rezitierte, die Thom Yorke in den bandeigenen Mac-Rechner als Text vom Stück „Fitter Happier“ eingetippt hatte. In your face, MTV Unplugged!

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Radiohead OK Computer – Lucky

Die Skepsis von Parlophone, der experimentellere Ansatz könnte das kommerzielle Potenzial von OK Computer unterminieren, erwies sich als unnötig: Das Album, das zuerst am 21 Mai 1997 in Japan (?) veröffentlicht wurde, ging in Großbritannien von 0 auf 1 ohne Zwischenstationen und wurde zum bestverkauften Album des Jahres. In den USA war in relativ kurzer Zeit auch eine Platinzertifizierung drin – weitere folgten in den meisten europäischen Ländern. Und da, wo es für Platin nicht reichte, wurde das Werk vom Publikum meistens mit Gold belohnt. Aktuelle Einschätzungen, die digitale Verkäufe sowie die von der remasterten Jubiläumsausgabe OKNOTOK (2017) einbeziehen, liegen bei 8 Millionen Exemplaren.
Kritiker wiederum umarmten das Album quasi einhellig und räumten dafür nicht nur einen Platz in den Listen der Jahresbesten ein, sondern gleich in den Annalen der Rockmusik.
Wie sehr Radioheads unorthodoxer Ansatz zwischen den stilistischen Stühlen saß, zeigt die Tatsache, dass OK Computer 1998 den Grammy in der Kategorie Best Alternative Music Album erhielt während die einflussreiche Zeitschrift Q es einige Zeit später unter den 10 besten Prog-Rock-Alben aller Zeiten wählte – ulkigerweise gleich unter Dark Side Of The Moon.

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Fazit

Auf OK Computer bewiesen Radiohead ihre Qualitäten als fortschrittliche Kraft, ohne dabei ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie verwendeten eine unkonventionelle Studioumgebung und verzichteten auf Denkverbote darüber, wie man moderne Rocksongs ausstatten soll – so gelang es den fünf Engländern, der Rockmusik einen Ausbruch aus dem bereits nach wenigen Jahren festgefahrenen Angebot von Grunge und Britpop zu verschaffen. Dass man mit experimentellen, teilweise unerhörten Klängen und subtil formulierter Gesellschaftskritik Verkaufszahlen in Millionenhöhe erreichen konnte, war zwar nicht neu, dennoch irgendwie ermutigend und inspirierend.

Man hätte eigentlich die Rollläden des Jahrzehnts schon 1997 mit OK Computer runterlassen können, denn gleich danach kamen MP3, Napster und für die Plattenindustrie wurden die Karten neu gemischt.

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Forum
  1. Profilbild
    Wah-Wah

    Das Mellotron Revival der 90er Jahre in der britischen Rock-Musik wurde übrigens schon mindestens 1995 von Julian Cope und Tim Lewis (Thighpaulsandra) auf deren Album „20 mothers“ (Anspieltipp!) und Copes Buch „Krautrocksampler“, auch aus dieser Zeit, eingeläutet. Ich habe mal in einem Interview gelesen, dass Yorke seiner Zeit Fan von deren Nebenprojekt „Queen Elizabeth“ war, so dass davon auszugehen ist, dass er von Copes Mellotron Besessenheit wusste und womöglich auch davon inspiriert wurde. Und tatsächlich, für Leute wie mich, die die 60er – und 70er Jahre nicht bewusst live miterlebt haben, taten sich neue klangliche Welten auf.

  2. Profilbild
    iggy_pop AHU

    Ein Freund von mir versuchte über Jahre, mich auf Radiohead anzufixen, aber irgendwie gelang ihm das nicht so recht, zu kauzig war mir die Musik, zu schräg der Gesang von Thom Yorke, zu popmusikalisch und britpoppig war mir die „OK Computer“ (paßte halt damals in die Zeit mit Oasis und Blur und Stone Roses, da waren Radiohead gewissermaßen der Leftfield Approach als Gegenentwurf). Und irgendwann — es muß 2002 nach Erscheinen der „Amnesiac“ gewesen sein — platzte dann plötzlich der Knoten und die Musik paßte zu meinen Hörgewohnheiten und meinem Hirnstoffwechsel.

    Auch wenn ich finde, daß nach „Hail to the Thief“ Radiohead ästhetisch im Prinzip immer nur im Kreise operierten, sind immer wieder schöne Stücke in ihrem Repertoire zu finden — „Burn the Witch“ war das letzte, das mich wirklich fesselte.

    Und im Gegensatz zu Chris Martin von Coldplay (dieser alte Winselpinsel) konnte ich mich sogar mit Thom Yorkes Gesang anfreunden.

    • Profilbild
      Cristian Elena RED

      @iggy_pop Freunde von mir versuchen seit Jahren, mich aufs Radiohead-Werk des 21. Jahrhunderts anzufixen, aber – ich zitiere – seit „Hail to the thief“ operieren sie im Kreise und das lässt mich meistens kalt. Die Band selbst scheint das aber gar nicht zu interessieren, habe ich den Eindruck … ;-)

    • Profilbild
      chardt

      @iggy_pop Interessant – auf diese „Erleuchtung“ warte ich immer noch ;-)
      Für mich klingt es einfach nur langweilig – so zäh dahinfließend wie TD, aber ohne deren Charme (für mich) zu erreichen. Ein bisschen erinnert es mich an „The Velvet Underground“ – noch eine Platte, mit der ich bis heute nicht warm geworden bin (im Gegensatz zu deren Debut „mit Nico und Banane“).

      • Profilbild
        Aljen AHU

        @chardt Chardt, dann Versuch mal vielleicht durch den Hofeingang einzusteigen. Sprich: nicht gleich „OK Computer“ (da steht bei mir auch die vollständige Akzeptanz noch bevor), sondern, je nach Deinen musikalischen Präferenzen, etwa bei „Kid A“ oder sogar „A Moon Shaped Pool“. Bei mir schlug „Kid A“ mit riesiger Verspätung irgendwann ein, dafür um so intensiver, und ich meine nicht nur wegen „How to disappear completely“ (welches jegliche Vorurteile oder Abneigungen ob des Gesangs glatt Sen läßt).

  3. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Und wieder ein Knaller-Albumbericht! Toll! Interessant zu hören mit welchen Equipment gearbeitet wurde. Bis auf das Re-201, und das Mellotron waren mir keine Details bekannt.
    Auf der Liste meiner Liebligsalben weit vorne. OK Computer war mein Radiohead Einstieg und bis heute höre ich die Werke dieser einzigartigen Band gerne, da sie einen immer noch ab und zu überraschen können.
    Soundmässig war das Album damals wirklich eigenständig, wobei ich sagen muss dass gerade das das Mellotron auf OK Computer auf mich eher störend gewirkt hat. Zu sehr Prog Clichee und damals schon verbreitete Retro-Mode. Hängt vermutlich aber auch damit zusammen, dass ich mit 70ger Jahre Genesis und Crimson sozialisiert wurde. Gegen die Mellotron Spielkünste eines Tony Banks finde ich den Einsatz auf OK Computer musikalisch eher flach. Für mich aber der einzige Wermutstropfen an diesem grossartigen Album. Zumal ich ziemlich genau zur Entstehungszeit regelmässig das Vergnügen hatte mit Meister Yorke gemeinsam den Bus zu benutzen. Er ging immer direkt in die letzte Sitzreihe mit traurigem bis depressivem Blick auf den Boden, hochgekrempeltem Kragen, tief in die Stirn gezogener Mütze und starrte dann bis zum Aussteigen traurig aus dem Fenster in den Regen. Das lag sicher nicht am Promi Status, da der Bus ansonsten meist ziemlich menschenleer war und es in der Stadt nicht üblich war Promis anzusprechen. Passte gut zur Musik.

    • Profilbild
      Wah-Wah

      …in Oxford ? Sachen gibts ! Ich studierte zu der Zeit in Stoke-On-Trent, na da habe ich aber Glück gehabt, nicht im Bus neben Robbie Williams sitzen zu müssen !

      • Profilbild
        AMAZONA Archiv

        @Wah-Wah :)) War damals auch ab und zu in SoT. Die Welt is klein und England sowieso. Der Großentertainer wäre bestimmt um Einiges gesprächiger gewesen als die Britpop-Avantgarde, solange er einem nicht seine Tatoos zeigt, spätestens dann sollte man wohl rennen… ;)

    • Profilbild
      Cristian Elena RED

      Danke für dein begeistertes Feedback!
      Zur Mellotron-Frage: Auf „Exit music“ finde ich es entschieden zu weit vorne. Und ohne Zweifel so gewollt, damit Zuhörer wie ich (*musikalisch fast Mellotron-frei sozialisiert ;-) ) von diesem Klang bei den ersten Hördurchgängen irritiert werden. Bei mir hat’s geklappt, genauso wie der „kaputte“ Drumsound bei „Airbag“ („hmmm … ist mit der Anlage oder den Boxen etwas los?“).
      Zufall oder nicht – wer weiß -, sie setzten im ersten Drittel des Abums sowohl den Proto-Sampler (Mellotron) als auch den State-of-the-Art-Sampler (Akai S3000) ein. Endergebnis: reibungslos.

  4. Profilbild
    Son of MooG AHU

    ‚OK Computer‘ war auch mein Einstieg zu Radiohead, aber ich war recht erstaunt, dass es in Rezensionen Prog genannt wurde. Also habe ich bei den Babyblauen Seiten nachgesehen und siehe da: Radiohead ist drin (wie auch Talk Talk). Die meisten Punkte erzielt da aber der Nachfolger ‚Kid A‘, nebenbei erwähnt.
    Absolut genial war es, bei der Serie ‚Westworld‘ Songs aus ‚OK Computer‘ (und auch anderen Bands wie Sound Garden) als Player-Piano-Version einzubauen. Selbst in dieser reduzierten Form kommt die volle Wucht heraus…

  5. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Ich war damals sehr erstaunt, dass derartig komplexe Musik die Charts erstürmen konnte, damit war in dieser Zeit eigentlich kaum noch zu rechnen. Das war auch einer der letzten gut verkaufenden Bands, deren Sound nicht nur aus irgendwelchen kopierten oder zusammengemischten „Einflüssen“ bestand, sondern deren Songs sich frisch und ungehört in die Ohren gruben.
    Den weiter oben angeführten Bezug zu den Luschen von Coldplay kann ich irgendwie nicht nachvollziehen, die waren für mich immer die winselnde Kopie mit Dackelblick von U2, inklusive bescheuerter Outfits während bestimmter „Phasen“ (die sich bestimmt irgendein Marketingfuzzi ausgedacht hatte).
    Sehr schöne Sachen hat Yorke meines Erachtens auch mit P.J. Harvey gemacht, davon hätte es ruhig mehr geben können. (This Mess We’re In).
    Einen schönen Moment gibt es hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=AatLL_SI9Rw

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