Niere, Hyperniere, Kugel - ich kann alles
Der Name des Mikrofonherstellers Oktava ist vielen von uns geläufig. Nicht alle hingegen wissen, dass die russische Firma schon seit 1927 im russischen Tula Mikrofone und anderes Audioequipment fertigt. Auffälligstes Merkmal der Oktava Produktpalette ist oft der günstige Preis. Ob es taugt, wir werden sehen.
Das MK 012 20 Set
Das MK 012 20 Set besteht aus dem MK-012 Vorverstärker mit insgesamt vier Kapseln. Neben den MK-012 Kleinmembran-Kapseln mit Nieren-, Hypernieren- und Kugelcharakteristik befindet sich noch die MK-102 Großmembran-Kapsel mit Nierencharakteristik in der Aufbewahrungsschatulle aus Holz. Auch mit dabei: das 10 dB Dämpfungsglied und eine Mikrofonklemme.
Neben der etwas dürftigen Bedienungsanleitung liegt für alle vier Kapseln noch jeweils ein Frequenzschrieb bei, sehr beachtlich in dieser Preisregion.
Wir sehen schon, das System ist modular aufgebaut, so kann sich jeder sein Mikrofon nach eigenen Bedürfnissen zusammenstellen und erweitern. So sind noch jeweils zwei Großmembran- und Achter-Kapseln und eine Mittelmembran zu ordern. Ebenso sind ein Low-Cut-Filter und ein Schwenkgelenk zu bekommen. Der UP-012 Preamp hat Pad und Low-Cut schon integriert und der MK-012 Mini-Preamp ist zweigeteilt und daher für besonders unauffällige Mikrofonierung prädestiniert. Sogar ein Röhren-Preamp ist für die Serie zu bekommen. Natürlich sind auch gematchte Paare kein Problem, außerdem ist das Sortiment in den beiden Trendfarben Schwarz und Silber erhältlich.
Schauen wir uns die mitgelieferten Teile einmal an. Der MK-012 Preamp ist mit 97 mm Länge und 20 mm Durchmesser recht klein. Auch das Gewicht ist mit 59 g gering. Der Korpus besteht aus Aluminium und ist ordentlich produziert. Etwas scharfkantig ist das Gewinde, hier ist beim Aufschrauben der Kapseln durchaus etwas Sorgfalt angebracht.
Die drei MK-012 Kapseln sind optisch identisch und nur durch das aufgedruckte Symbol für die Richtcharakteristik zu unterscheiden. Der Kopf verdickt sich nach vorn auf 23 mm. Über die Membrangröße macht Oktava keine Angaben.
Die Werte für die drei Kapseln scheinen weitgehend gleich zu sein, es werden jedenfalls keine unterschiedlichen Angaben publiziert. Der Frequenzgang umschließt die üblichen 20 Hz – 20 kHz, die Impedanz liegt bei kleiner 300 Ohm. Der Ersatzgeräuschepegel liefert mit 18 dB (A) keinen schlechten Wert und auch Grenzschalldruck ist mit 130 dB durchaus im Rahmen. Bei lauteren Schallquellen kommt das Dämpfungsglied mit -10 dB zum Einsatz.
Deutlich wuchtiger und schwerer ist die Großmembran Kapsel MK-102 geraten. Sie hat eine 27,5 mm Membran verbaut und kommt so auf einen Durchmesser von 40 mm. Das Gewicht beträg rund 100 g.
Das Rauschen ist mit <18 dB (A) angegeben, der maximale Schalldruck liegt mit 120 dB niedriger als bei den kleinen Kapseln. Die Impedanz liegt hier bei 150 Ohm.
Neben dem schon erwähnten und eher unspektakulären Dämpfungsglied befindet sich noch die Mikroklemme in der Transportschatulle. Diese ist aus Metall gefertigt, durch zwei federnde Halbringe wird das Mikro umschließend und bombenfest gehalten. Gegen Kratzer ist innen eine Gummidämmung eingeklebt. Die Klemme ist mit 8,- Euro sehr günstig und eignet sich deshalb auch gut als Austauschklemme für Mikrofone mit einem Durchmesser von 18 – 22 mm. Tipp: Mir ist kürzlich die Mikroklemme an einem Audix D2 kaputt gegangen, übliche K&M Klemmen passen aufgrund des kurzen Schaftes nicht, die Oktava sitzt hier perfekt, wird bestellt.
MK 012 20 in der Praxis
Die häufigste Anwendung ist wohl die Niere, also schraube ich diese Kapsel zuerst auf den Preamp. Zur besseren Einschätzung des Sounds nehme ich ein Kleinkondenser mit hinzu, das ich oft einsetze und sehr gut kenne, das Audio Technica AT4041.
Schon beim ersten Reinhören ist klar, das Oktava klingt … anders. Während das AT4041 recht linear, mit offenen Höhen, aber auch etwas hart auftritt, geht der Sound des MK 012 deutlich Richtung Retro. Der Klang ist weich und intim mit einer deutlichen Betonung der tiefen Mitten und eher belegten Höhen. Das geht fast in Richtung Bändchenmikrofon. Dem mitgelieferten Frequenzschrieb entspricht mein Klangeindruck hingegen so gar nicht, soviel mal wieder zur „Papierform“.
Der Nahbesprechungseffekt fällt beim Audio Technica deutlicher aus, hier gibt sich das Oktava zurückhaltend. Auch das Impulsverhalten steht dem AT 4041 nach, was bei der Akustikgitarre und vor allem bei dem Shaker bemerkbar wird. Unterstützt wird dieser Eindruck natürlich auch durch die matte Höhenzeichnung.
Nun kommt das große ABER: Nur mit einem Mikro an der Stelle zwischen Griffbrett und Schallloch abgenommen, gefällt mir meine akustische Gitarre mit dem MK 012 um mindestens eine Klasse besser. Sie hat mehr Wärme und Fülle, Störgeräusche wie Saitenrutscher werden wohltuend unterdrückt. Auch für Instrumente, bei denen mir ein Kondensatormikro oft zu hell klingt, wie z. B. Querflöte oder HiHat, kann ich mir das Oktava sehr gut vorstellen. Hier würde ich dann ggf. das Low-Cut-Element ordern oder das im Pult erledigen.
Nun interessiert mich brennend, wie sich das Oktava gegen meine anderen Kleinmembraner schlägt. Also holen wir etwas weiter aus. Dazu wähle ich folgenden Versuchsaufbau: Mikrofon mit 50 cm Abstand vor einen Emes Violet Monitor und Zuspielung eines kurzen Bar-Jazz Stücks aus Logic.
Verstärkt wird mit dem SSL XR 672, gewandelt mit RME ADI-8 DS. Es nehmen teil: das Oktava MK 012, Audio Technica AT4041, AKG C391B, JZ BT-201, MXL 604 und von Neumann meine alten Schätzchen KMi84 und KM140. Alle Mikros mit Nierenkapsel und ohne Low-Cut-Filter.
Das Originalfile stelle ich in Mono gewandelt vorneweg vor.
Jetzt das Oktava.
Hier hören wir schön die eingeschränkte Höhenwiedergabe. Sehr gut wird der Kontrabass abgebildet, wohingegen die Kick an Tiefe verliert. Hier kommt aber wohl auch der zuspielende Lautsprecher nicht tief genug. Schön ist das Klavier zu erkennen, die Gitarre gefällt mir sogar besser als beim Original, da sie sich deutlicher vom Piano absetzt.
Nun machen wir mit dem Audio Technica weiter.
Das Zischeln in den Drums ist nun wieder da, dafür ist der tiefere Bereich nicht so präsent, was den Bass zu schlank und dünn klingen lässt. Die Snare patscht fast schon unangenehm, auch das Piano klingt etwas spitz.
Weiter geht es mit dem Klassiker von AKG.
Das C391B bildet sehr angenehm ab. Die tiefen Mitten etwas schlanker als beim Oktava, aber immer noch druckvoll, die Höhen etwas offener, aber nicht so spitz wie beim Audio Technica. Was mir hier beim gleichzeitigen Abspielen von Oktava und AKG auffällt: Das russische Mikro ist phasenverdreht, es kommt hier also zu Auslöschungen. Ob das nur bei meinem Testexemplar so ist oder ob die ganze Serie so verdrahtet ist, kann ich leider nicht nachprüfen.
Nun zu einem weiteren Mikro aus Osteuropa, das JZ aus Riga in Lettland.
Das BT-201 klingt auch eher modern, schöne, angenehme Höhen, die auch ein gutes Impulsverhalten liefern. Die Bässe sind schön rund, aber deutlich weniger ausgeprägt als beim Oktava. Eine Anhebung in den höheren Mitten lässt die Gitarre schön zum Tragen kommen. Insgesamt liefert das lettische Produkt einen natürlichen, ausgewogenen Sound.
Es folgt nun das MXL 604. Klanglich ist es identisch mit dem bekannten 603 der Firma, im Gegensatz zu diesem ist allerdings ein Low-Cut und ein PAD im Vorverstärker integriert und es wird mit den Wechselkapseln Niere und Kugel geliefert.
Für ein durchaus günstiges Mikro liefert das MXL gar keine so schlechte Performance. Es fehlt zwar etwas an Dynamik und Schnelligkeit, gerade die Höhen schmieren etwas, dafür klingen sie eher weich und dadurch angenehm. Der Kontrabass kommt schön zur Geltung, das Schlagzeug klingt ein wenig unaufgeräumt, was aus einer unnatürlichen Betonung der Mitten resultiert.
Jetzt kommen wir zu einer anderen Preisliga, das Neumann KMi84 macht sich bereit.
Als historisches Mikrofon ist es in den Höhen eher dezenter abgestimmt, hier nimmt es sich fast noch weiter zurück als das MK 012. Dafür besticht es durch eine sehr schöne Auflösung und schnelle Transienten. Der Bereich Bass und untere Mitten klingt wuchtig und straff, sicher auch ein Ergebnis des verbauten Trafos. Die Mitten klingen sehr natürlich, was gut am Zusammenspiel Piano/Gitarre auszumachen ist.
Ein weiteres Neumann ist noch am Start, das KM140 ist der Vorfahre des beliebten KM184. Im Gegensatz zu diesem ist es aber Wechselkapseln ausgestattet.
Das Neumann liefert einen kompakten Sound, der präzise Bässe liefert. Sie geraten aber ein wenig dünner als das MK 012 und das KMi84 es vermögen. In den tiefen Mitten ist das Oktava etwas präsenter. Dafür klingen die oberen Mitten beim KM140 straffer. Die Höhen sind, wie beim KMi84, etwas bedeckt, aber schön aufgelöst und mit guter Dynamik.
Überraschend, das Oktava MK 012 schlägt sich mit der Nierenkapsel mehr als beachtlich und muss sich im Grunde nur den beiden Neumännern geschlagen geben. Die Exemplare von Audio Technica, JZ und AKG sind durch die Bank teurer, sicher universeller einzusetzen, klingen hier aber nicht unbedingt besser. Das MXL wird nicht mehr angeboten, dürfte sich aber seinerzeit im ähnlichen Preisbereich zum MK 012 befunden haben. Auch hier ist das Klangbild des Oktava deutlich wertiger.
Schauen wir uns nun die verschiedenen Kapseln des Oktava an. Klanglich unterscheiden sich die Niere und die Hyperniere wenig. Die Niere hat etwas mehr Höhen zu bieten. Gut funktioniert bei der Hyperniere die Unterdrückung der seitlichen Geräusche, die Einsprechrichtung ist hier um einiges enger. Offener, tiefer und ohne Nahbesprechungseffekt klingt die Kugel, die allerdings eine recht starke Rückdämpfung aufweist und somit nicht nur als Ambient-Mikro nutzbar ist, sondern auch als Alternative zur Niere dient.
Die Großmembrankapsel MK-102 weist eine ähnliche Klangcharakteristik auf, klingt aber in den Mitten wuchtiger.
Das lässt die Stimme groß und mächtig erscheinen. Nicht nur für Gesang, auch für das gesprochene Wort klingt die Kapsel sehr schön. Gut lässt sich auch mit dem Nahbesprecheffekt arbeiten, näher als zwei Finger breit sollte man aber nicht an das Mikrofon heran. Der Poppschutz ist gut, so dass bei etwas größerem Abstand sogar ohne Poppfilter gearbeitet werden kann. Auch die Handgeräusche halten sich im Rahmen, so ist das MK 012 mit der MK-102 Kapsel auch als Bühnenmikro denkbar. Gut passt die Kapsel auch zur akustischen Gitarre, die hier sehr voll aufspielt. Konnte ich leider nicht überprüfen, aber auch Kontrabass dürfte eine reizvolle Aufgabe für das Mikro darstellen.
Eins gilt es noch zu überprüfen, das 10 dB Dämpfungsglied. Aufgeschraubt, macht was es soll, ich habe fertig.
Der Phasendreher ist ein ‚Feature‘ des 012er – bei meinen Oktava VV (2xMK 012 und 1x MK102) ist es ebenso.
@harrymudd TIPP: Der »Neutrik NA3 FMX Phasendreher Adapter« für unter zehn Euro funktioniert gut und ist klein genug für die Mikrofontasche.
Der Phasendreher scheint also serienmässig zu sein. Wenn man es weiss, kein Problem und in digitaler Umgebung auch ohne Adapter lösbar.
Ansonsten ist der Tipp von Franz sehr gut, 2x Neutriks + selber löten kommt sicher teurer.
Lieber Autor,
Sie haben mir schon mal einen super Tipp bezüglich Preamp & Wandler gegeben ?
Jetzt bin ich aktuell auf der Suche nach einem Großmembraner für Female Vocals (Mezzosopran klassisch & Pop) mit offeneren Höhen.
Aktuelles Mic. AT 4050.
Ich hätte eine Frage zur 102-er Kapsel….
Klingt die so gut, dass man diese mit einem AKG 414 vergleichen könnte?
Mutet die eher heller an oder flat-Richtung der XLS Variante von AKG?
Benutzt wird LP F 355 als Preamp & LP Wandler ?
Oder spielt AKG & Brauner doch nochmal in einer ganz anderen Liga?
Vielen Dank & herzliche Grüße!
Thomas