Analoger West-Coast-Sound
Der Pittsburgh Modular Microvolt 3900 ist eine Reminiszenz an die sogenannten „West-Coast“ Syntheseformen, die mit komplexen Oszillatoren und Modulatoren arbeiteten. Ein klassisches Low-Pass Filter ist zwar auch vorhanden, steht aber weniger im Rampenlicht als dies bei einem Moog oder Oberheim der Fall wäre. Das Kernstück eines West-Coast Synthesizers ist der Oszillator, ja, richtig gelesen: Oszillator im Singular. Meistens findet sich nur einer an der Zahl, der in Kombination mit einem ebenfalls komplex aufgebauten Modulator alle möglichen Klänge erzeugt, die irgendwo zwischen skurril und vertraut einzuordnen sind. Der VCA sieht zwar auf den ersten Blick klassisch aus, bietet aber die interessante Funktion „Low Pass Gate“: eine Kombination mit einem Tiefpassfilter. Was es genau damit auf sich hat, werden wir später sehen. Außerdem finden sich ein Sequencer/Arpeggiator, ein LFO, ein spezieller Zufallsgenerator sowie zwei Hüllkurven: eine Standard ADSR und eine loopbare Attack-Decay Hüllkurve, wie man sie nebst von Buchla Systemen auch vom EMS VCS3 kennt.
Für den besseren Überblick, hier eine Zusammenfassung der technischen Spezifikationen des Microvolt 3900:
Microvolt 3900 Steckbrief
- Klangquellen:
– Oszillator mit vier mischbaren Schwingungsformen: Sägezahn, Puls, Sinus und „Fold“ (Wavefolder basierend auf Sinusschwingungen, über CV steuerbar)
– Rauschgenerator
– externer Audio-Input - Filter:
– Tiefpass-Charakteristik
– 2-Pol Filter mit umschaltbarer Resonanz („stable“ und „unstable“).
– Selbstoszillation möglich (nur in Betriebsart „unstable“) - VCA:
– umschaltbar zwischen normalem VCA und Low-Pass-Gate (Kombination von VCA und Low-Pass Filter)
– „Pluck“ Funktion (sehr kurze Attack-Zeit)
– reagiert auf Anschlagsdynamik („Dynamics“) - Hüllkurven:
– „Function Generator“ mit spannungssteuerbaren Attack- und Decay-Zeiten („Rise“ und „Fall“ genannt); Loop-Modus; spannungssteuerbar
– klassische ADSR-Hüllkurve - LFO:
– Schwingungsformen Puls und Sägezahn, beide mit Formkontrolle (verschiedene Pulsbreiten bzw. stufenloser Übergang von steigendem Sägezahn über Dreieck zu fallendem Sägezahn)
– Zufallsschwingung - Weitere Funktionen:
– Arpeggiator/Sequencer mit 16 Schritten
– MIDI über Mini-Klinke (Function Generator und Arpeggiator zu MIDI-Clock synchronisierbar)
– Patch Bay mit 39 Ein- und Ausgängen
Pittsburgh Microvolt: Äußerlichkeiten
Der Microvolt ist ein Desktop-Gerät von ungefähr 25 mal 18 cm und einem Gewicht von etwas über 1,5 kg. Die Fader bieten einen angenehmen Widerstand und sind mit blauen LEDs ausgestattet, die auch eine Bedienung in der absoluten Dunkelheit ermöglichen. Zusätzlich finden sich einige Potis, die sich trotz ihrer geringen Größe ziemlich fein justieren lassen. Ähnlich wie beim Moog Mother 32 oder dem Behringer Neutron sind die Patch-Buchsen – 39 an der Zahl – nach Modulen sortiert auf der rechten Seite angeordnet. Das Gehäuse selbst besteht aus sandgestrahltem Stahl mit Holzseitenteilen.
Microvolt 3900: Oszillator
Wie bereits erwähnt ist das Herzstück des Microvolt 3900 sein Oszillator mit den vier Schwingungsformen Sägezahn, Puls, Sinus und „Fold“, die ebenfalls auf Sinusschwingungen basiert. Die Schwingungsformen stehen simultan zur Verfügung und lassen sich über Fader einzeln in ihrer Lautstärke regeln. Zusätzlich finden sich (kleine) Potis für den Rauschgenerator sowie externe Signale. Bei den Schwingungsformen fällt als erstes auf, dass der Sinus etwas heller klingt, als dies bei einer reinen Sinusschwingung zu erwarten wäre. Dennoch überwiegt der typisch „bauchige“ Charakter des Sinus. Ein Druck auf den „Harmonic-Sine“ Schalter aktiviert weitere Obertöne, der Klang tendiert stärker in Richtung Sägezahn. Weshalb diese Schwingungsform überhaupt als „Sinus“ bezeichnet wird, entzieht sich meiner Kenntnis.
Wer einen reinen Sinus sucht, aktiviert die Fold-Schwingungsform in deren Grundstellung. Der Parameter „Fold Timbre“ fügt weitere Obertöne hinzu, während der Grundton schwächer wird, wobei der Klang in eine „metallische“ Richtung tendiert. Ähnlich einem Hochpassfilter mit Resonanz. Selbstredend lässt sich der Fold-Parameter über Control Voltages steuern. Im folgenden Klangbeispiel durch den LFO. Des Weiteren bietet der Microvolt auch die beiden Klassiker Sägezahn und Puls, Letztere mit modulierbarer Pulsbreite.
Dank der Mischung der Schwingungsformen und unterschiedlicher Modulatoren kann dieser Oszillator sehr voll und voluminös klingen, aber auch filigrane Klänge gelingen ihm problemlos.
Einen interessanten (und wie ich finde sehr praxistauglichen) Weg schlägt Pittsburgh bei der Stimmung des Microvolt 3900 ein. Bisher kannte man zwei unterschiedliche Systeme, einen Synthesizer zu stimmen: entweder mittels eines stufenlosen Frequenz-Reglers (wie beispielsweise bei den ARP Synthesizern), mit dem man häufig den gesamten hörbaren Bereich durchfahren kann, was für gewisse Effekte spannend ist, jedoch etwas mühsam sein kann, sobald man versucht, den Synthesizer um genau eine oder zwei Oktaven höher oder tiefer zu stimmen. Da sind Oszillatoren mit Oktavwahlschaltern im Vorteil (z. B. Moog), was wiederum die Fans der stufenlosen Stimmung nicht befriedigt. Im Microvolt sind beide Konzepte möglich: Zum einen lässt sich das Instrument über zwei leuchtende Schalter (unten links im Bereich „MIDI/Arpeggiator“) in Oktavschritten stimmen. Für eine stufenlose Stimmung über mehrere Oktaven genügt es, den Offset-Regler (in der untersten Zeile der Patch-Bay zu finden) mit der Frequenzsteuerung zu verbinden. Zusätzlich findet sich auch ein Fader für die Feinstimmung.
Microvolt 3900: Filter
Beim Filter handelt es sich um eine 2-Pol Tiefpass-Schaltung (12 dB Flankensteilheit) mit den üblichen Parametern Cutoff und Resonance, wobei Cutoff über eine Steuerspannung moduliert werden kann. Soweit, so bekannt und erwartbar. Die Besonderheit ist der Mode-Schalter, der zwischen einem cleanen und leicht verzerrten Filtersound umschaltet. Hier „stable“ und „unstable“ genannt. Dabei ändert sich auch die Polarität des Resonanz-Reglers: Ganz oben bedeutet im verzerrten Modus „wenig Resonanz“ und unten dementsprechend das Maximum; im cleanen Modus verhält es sich genau umgekehrt. Die Idee dahinter ist, dass es so möglich ist, die Resonanz im cleanen Modus hochzufahren, beim Maximum die Verzerrung einzuschalten und mit einer Abwärtsbewegung des Faders die Resonanz weiter anzuheben bis zur Eigenschwingung. Diese folgt einem leicht erratischen Tracking, oktavrein lässt sich dieses Filter nicht spielen, was wahrscheinlich auch nicht die Idee war.
Microvolt 3900: Dynamic VCA
Eines der interessantesten Module des Microvolt 3900 ist der VCA, hinter dem sich einiges mehr verbirgt als ein simpler, spannungsgesteuerter Lautstärkeverlauf. Ein solcher ist zwar auch vorgesehen: In der Betriebsart „VCA“ verhält er sich so, wie man es sich von anderen VCAs gewohnt ist. Aktiviert man hingegen die Lowpass-Gate-Funktion, erhält man ein Modul von besonderer musikalischer Qualität. Das ursprüngliche Design des Low-Pass-Gates geht ebenfalls auf Donald Buchla zurück, der mittels einer Vactrol-Schaltung einen VCA mit einem Tiefpassfilter kombinierte, was dem natürlichen Verhalten akustischer Instrumente ziemlich nahekommt. Zusätzlich findet sich hier eine eigene Decay-Hüllkurve, lautmalerisch mit „Ping“ beschrieben.
Microvolt 3900: Modulationen
Nebst der klassischen ADSR-Hüllkurve bietet der Microvolt auch eine loopbare Trapezoid-Hüllkurve mit Attack und Decay, die hier „Rise“ und „Fall“ heißen. Dieser „Function Generator“ besticht durch einige Besonderheiten: Zum einen schwingt er im geloopten Modus und entsprechend kurzen Hüllkurvenzeiten problemlos im Audiobereich und zum anderen sind die Zeiten spannungssteuerbar. Somit lässt sich der Function Generator auch als VCO nutzen, wobei das Tracking durch die beiden Abschwächer bestimmt wird.
Der LFO bietet die beiden Schwingungsformen Puls und Dreieck mit stufenloser Überblendung von steigendem zu fallendem Sägezahn. Zusätzlich gibt es einen Zufallsgenerator, der etwas anders funktioniert, als man es gewohnt ist.
Auch der „Complex Random Generator“ basiert auf einem Buchla-Design, zu finden im „Music Easel“ (Random Source). Dabei handelt es sich um einen pseudo-zufälligen Modulator, der sowohl CV- als auch Gate-Signale generiert. Intern arbeitet ein digitaler Six-Step Sequencer, der die Zufallswerte speichert und vom LFO getriggert wird. Bei jedem Schritt wird entschieden, ob der bereits gespeicherte Wert oder ein neu generierter ausgegeben wird, was durch den Regler „Complexity“ gesteuert wird. Das Ergebnis ist ein „gesteuerter Zufall“.
Auch wenn es nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein sollte, ist der Microvolt über MIDI steuerbar. Ein Adapterkabel von MIDI-DIN-Buchse auf Miniklinke liegt bei. Der interne Arpeggiator/Sequencer lässt sich über eingehende MIDI-Noten programmieren. Je nach Betriebsart merkt er sich die Reihenfolge der gespielten Noten, um daraus ein Pattern zu erzeugen.
Praxis und Klang
Man merkt dem Microvolt 3900 an, dass seine Macher über einen gewissen Erfahrungsschatz in Sachen analoger Synthesizer verfügen. Das Layout ist logisch aufgebaut, nach ungefähr zwei Minuten bedient man diesen Synthesizer praktisch blind, was man auch wörtlich nehmen kann. Die Positionen der Fader lassen sich ertasten und dank eingebauter LEDs verliert man auch auf den dunkelsten Bühnen nicht den Überblick. Schade bloß, dass einige wichtige Parameter über kleine Potis, die eigentlich nur Potiachsen sind, gesteuert werden. Man wünscht sich den einen oder anderen Fader mehr, beispielsweise zur Steuerung des Rauschens. Doch dann wäre der Microvolt größer und gewiss auch ein bisschen teurer. Insgesamt halte ich das Design für gelungen, ein sinnvoller Kompromiss zwischen Funktionsumfang, Bedienkomfort, Größe und Kosten.
Das Sounddesign am Microvolt geht zügig und einfach voran; auch als „West-Coast-Neuling“ fühlt man sich schnell wohl am Instrument. Klanglich besticht er durch eine breite Palette von eher klassischen Bässen und Leads bis zu experimenteller Kost. Der Oszillator klingt sehr vielseitig und ziemlich kraftvoll. Und mit dem umschaltbaren 12 dB Filter sowie dem Low-Pass-Gate verfügt der Microvolt de facto über drei verschiedene Tiefpass-Filter. Und da auch die Modulationsabteilung nicht gerade mager bestückt und außerdem ein potenter Arpeggiator vorhanden ist, kann man getrost von einem ziemlich umfassenden System sprechen mit ausreichend Grundmaterial für kreative Freinächte im Studio.
Schon recht cool, allerdings kann ich mich mit den miniwuzi fadern und den micropotis nicht anfreunden. Da braucht man ja eine Pinzette! Wie lang ist der Faderweg? 2cm? Ich wünsche mir den mit moogstyle Bedienkomfort und Tastatur, das wäre was
Da kann ich Dich beruhigen, die Fader sind wirklich lang genug, gemessen habe ich sie nicht, geschätzt sind es drei bis vier Zentimeter. Die Potiachsen sind zwar klein, funktionieren trotzdem ziemlich gut.