Eine neue Ära des Prog
Auf der diesjährigen NAMM Anfang des Jahres haben Sterling by Music Man eine ganz schön anzusehende neue Kollektion präsentiert – von einer Low-Budget-Version der Music Man Mariposa bis hin zu einer ganzen Gruppe neuer Stratocaster-Finishes ging einiges. Unter anderem auch die Cutlass Richardson E-Gitarre, die schon Ende 2020 angekündigt wurde.
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Man ist immer ein bisschen nervös, wenn man die Signature eines Megatalents wie Jason in die Hand kriegt. Man wird der Gitarre nicht das Gleiche entlocken können wie er, aber das ist legitim. Was er bei Chelsea Grim abzieht, macht ihn zur Creme de la Creme moderner Shredder-Gitarristen. Nun haben wir die 6-Saiter-Version seiner Signature-Gitarre ins Haus bekommen und wollten uns ein ausführliches Bild machen, ob Sterling by Music Man, die generell für großartige Signatures bekannt sind (die Mariposa aus dem Hause unter die Lupe zu nehmen, war mir eine große Freude), auch hier wieder abliefern. Sterling-Fans wissen, dass die Finesse der Music Man Signatures auch in der günstigeren Version nicht verloren geht. Also – ran an den Speck.
Sterling by Music Man Jason Richardson E-Gitarre
Untypischerweise kommt auch die Sterling Version mit der gleichen Holzkombination bei Korpus und Hals aus: Body aus Erle, Hals aus Ahorn. Eine echte Powerstrat, die man ordentlich anpacken muss und deren fehlendes Binding ausgeglichen wird durch ein Abweichen der Korpuskonturen. Liegt sagenhaft gut an und eignet sich besonders gut für die bei modernen Shreddern gut und gerne bevorzugte Oberbauch-Position. Doch das erste, was einem wirklich entgegenschlägt, ist die Optik – die auf dem gemaserten Pappel aufgetragenen Signaturen und Mustern sind mit viel Liebe gemacht worden. Die Gitarre sieht auf den zweiten Blick besser aus als auf dem ersten – Natural Burl Burst heißt das Ganze und wirkt auf mich wie eine mattere und zeitgemäße Sunburst-Variante. Auf der Rückseite hat man es mit ein bisschen viel Kunststoff für meinen Geschmack zu tun: Die aktiven Tonabnehmer brauchen eine Batterie, deren Fach neben der Abdeckung des Vibrato-Stegs und für das Einlassen der Saiten verantwortlich ist. Also – von vorne deutlich schöner die Gute als von hinten.
Der Hals – hier komme ich persönlich definitiv auf meine Kosten. Der flache C-Shape des Ahornhalses ist genau nach meinem Geschmack. Die Kombination aus Sweeping und raschem Wechsel zwischen Tief- und Hochlagen, wie Jason sie gerne praktiziert, springt quasi aus einem heraus – wenn selbstredend nicht auf Jasons Niveau. Ein flacher 40 cm Radius erlaubt es, alles aus den Saiten rauszuholen, wenn es um Bendings geht. Am Übergang vom Hals auf den Korpus ist quasi nicht spürbar durch die Abrundungen. Das Palisandergriffbrett mit seinen 24 Medium-Jumbo-Bünden ist keine aalglatte Angelegenheit, was ich persönlich begrüße – nicht poliert also. Ansonsten gibt’s reguläre Pearl-Inlays und angemessen und gleichmäßig abgerundete Bundstäbchen. Der Halsstab ist am Hals-Korpus-Übergang erreichbar.
Jason Richardson Signature Sterling – Pickups
Signature Pickups sind so eine Sache – gute Erfahrungen hatte ich genauso wie schlechte, teilweise fürchterliche. Zuletzt konnten mich die Gus G-Humbucker seiner Signature überzeugen. Jason Richardson hat den Music Man Tüftlern die Köpfe zusammengesteckt und gemeinsam hat man einen Humbucker entwickelt, der die kalte Wuchtigkeit, die manche Passagen verlangen, nicht ausschließlich kann, sondern mit einer gewissen Wärme agieren soll, vor allem für cleane Passagen. Zuletzt konnten mich die Fishman Fluence Humbucker in der Hinsicht überzeugen, die es schaffen, mit zwei verschieden Voicings kalte, moderne Sounds sowie heiße, erdige Vintage-Klänge zu produzieren. Splitting ist hier auch Teil des Ganzen – per Push-Funktion könnt ihr beim Volume-Regler nochmal 12 dB Lautstärke rausholen und beim Tone-Regler hat die Push-Funktion ein saftiges Coil-Splitting zur Folge.
Der Dreiwegschalter ermöglicht euch ein sehr differenziertes Klangbild. Das ist bei Powerstrats mit der Konstellation keine Seltenheit, aber macht vor allem in Kombination mit der Push-Funktion technisch eine Menge her. Die Positionen – Neck, Bridge und beide gibt es also mit Coil-Splitting jeweils und ohne. So wäre eigentlich zum Thema Haptik, Verarbeitung, Holz und technische Daten alles gesagt. Wie klingt das Ganze?
Jason Richardson Signature Sterling – der Sound der E-Gitarre
Saitenlage und Oktavreinheit passen, nichts schnarrt und es gibt keine störenden Nebengeräusche. Was mich natürlich jetzt besonders auf die Jason Richardson Signature Humbucker neugierig macht – und die spielen wir zunächst durch mithilfe des Revv G20.
Zunächst eine klangliche Referenz: die Godin Stratocaster, aufgenommen in identischen Bedingungen, soll hier einen Klangkontrast bzw. Vergleichspunkt bieten:
Gleich vorweg – der Hals, die Ergonomie und die Haptik der Gitarre sind für diesen Preis sensationell, doch die eigentliche Stärke und die Überraschung des Ganzen sind die Pickups. Diese haben viel Output, räumen untenrum ordentlich auf und präsentieren einen hervorragenden Punch, der sehr klar und differenziert bleibt. Der C-Hals ist sehr entgegenkommend, die Gitarre will nicht gezähmt werden. Bei soviel Output verwundert der Volume-Boost ein bisschen, aber um in den richtigen Situationen durch den Mix zu kommen, ist dieser kleine Boost eine Hilfe.
Die Gitarre bleibt Sweeps in der Neck-Position glasklar und leistet meines Erachtens Großes auf dem Dealbreaker-Bereich vieler High-Output-Pickups: Die Mehrstimmigkeit im Zerrbereich bleibt differenziert. Auch erfreulich: die starke Stimmstabilität. Ich habe die letzten Tage, nach dem Spielen der Cutlass Jason Richardson, die Gitarre nur ein Mal nachstimmen müssen. So muss das sein – auch bei Belastung des Vibrato passiert hier nichts Unvorhergesehenes wie ein Halbton-Drop oder derartiges.
Sind die Pickups warmgelaufen und der Coil-Tap aktiviert, brutzelt die Jason Richardson warm vor sich her und eignet sich auch für Hard-Rock-Crunch und Vintage-Rock-Sounds mit der nötigen Schärfe im Mittenbereich. Wer also glaubt, der Frequenzgang der JR-Humbucker könne nur den zeitgemäßen Mid-Drop leisten, täuscht sich: Die Pickups dieser Gitarre sind so vielseitig, wie ich es zuletzt bei den Fishman Fluence mit ihren separaten Voicings gehört habe. Nur ist der Sound hier noch um einiges saftiger und hat mehr Kontur.
Volume-Boost, Tone-Poti und Volume-Dynamik schauen wir uns als nächstes an. Der Boost ist – für sich genommen, gering – und wird nach dem ersten Anspielen des Riffs unmittelbar aktiviert. Wie eingangs erwähnt, kann dieser kleine Push aber durchaus im Mix den Unterschied machen und vermeidet es hier, auf unschöne Weise das gleichmäßige Frequenzbild irgendwie zu verschieben, sondern schiebt alles ein Stück weit nach vorne. Die Volume-Dynamik der JR-Pickups verwundert ebenfalls nicht: Music Man machen zweifelsohne die besten Signature-Pickups, da braucht man meines Erachtens nicht groß zu diskutieren. Sämtliche Frequenzbereiche bleiben sauber abgedeckt, sofern man das Volume-Poti nur langsam kommen lässt. Und auch das Tone-Poti bringt meines Erachtens alles rüber, was die Flexibilität der Klangfarbe prinzipiell angeht. Auch mit Coiltap und Bridge schaffe ich es bei dunklem Tone nicht ganz, der Cutlass einen richtig dreckigen Vintage-Sound zu entlocken, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt.
Zu guter Letzt: der Clean Sound. Auch hier macht die Jason Richardson Cutlass 6 eine gute, stringente Figur. Wir holen ein bisschen Zerre hinein, um dem Sound einen gewissen Grit zu geben, doch hier beweist die Gitarre einen obertonreichen, nicht ganz glockigen, aber aufgeräumten Sound. Die Aktivierung des Coil-Taps soll erneut zeigen, dass die Gitarre mit einer enormen Bandbreite an Sounds aufwarten kann: Das hat durchaus den Klang glühender Coils und klingt dabei alles andere als schwach auf der Brust. Starkes Ding, wie viel sich aus den JRs hier rauskitzeln lässt.
Ich stehe gerade auf dem Schlauch ob des Aufreißers „Eine neue Ära des Prog“!
Unter Prog verstehe ich gewisse Stilarten der Rockmusik, in denen auch die eine oder andere Gitarre zum Einsatz kommt :-)
Wieso sollte ausgerechnet diese Gitarre eine neue Ära des Prog einleiten?
Ich sage es lieber gleich: Von Gitarren habe ich keine Ahnung, von Prog schon.
@a.jungkunst Hey Jungkunst!
Der Aufreißer nimmt eigentlich eher Bezug auf Jason Richardson selbst, der, da kann man gerne drüber diskutieren, neben ein paar anderen Gitarristen aus den Staaten durchaus eine neue Generation des Prog Rock, Metals und DJent verkörpert.
LG
@Dimitri Danke, Kasprzyk!
Aber so neu ist das, was diese Gitarristen machen, nun auch nicht.
Und eigentlich geht es doch hier um die Gitarre, daher mein leichtes Unverständnis für den Aufreißer.
Kleine Meckerei: Die angesprochene Band heißt Chelsea GriN und Richardson spielt da schon seit einigen Jahren nicht mehr.