Tiefschlag für den Mainstream
Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns im Rahmen unserer „Making of“ Reihe das erfolgreichste Album ansehen würden, das der Grunge je hervorgebracht hat. Aber tut man der Band Nirvana damit einen Gefallen? Nicht zwangsläufig. Im Rahmen unseres Grunge Specials zeichneten wir u. a. den Werdegang der Seattle-Szene nach und Nirvanas Rolle bei dem Ganzen.
Fakt ist: Im Geiste bildeten Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic ein eigensinniges Noise-Rock-Trio, das zufälligerweise auch eine der besten Röhren des Rock in ihren Reihen hatte. Fast jeder Song auf „Bleach“, dem Debüt-Album der Band auf dem Label Sub Pop, beginnt mit Rückkopplungen und dem entfesselten Gekeife eines desillusionierten Poeten, der Arbeitslosigkeit, verflossene Lieben und ein Leben an der Peripherie der Gesellschaft beklagte. Hartnäckig hält sich der Mythos, dass Cobains Heroinsucht eine Antwort auf den überwältigenden Erfolg von Nirvana Nevermind war – in Wirklichkeit experimentierte er mit seinem ersten Fix unmittelbar nach dem Erscheinen des Debüts (man braucht sich nur mal die nihilistischen Lyrics von Negative Creep durchzulesen) und war bereits vor dem Erfolg ein gebrandmarktes Kind.
Die Zutaten der Tragödie, die ihm nur fünf Jahre nach dem Erscheinen des Debüts das Leben kosten würde, waren also schon lange vor dem Megaerfolg Teil seines Lebens. Insofern ist auch die Nirvana Nevermind, genauso wie das Vorgängeralbum Bleach und der sperrige, todtraurige Nachfolger In Utero, ein authentisches Zeugnis dieser Band und speziell dieses Mannes – man verbog sich nicht für den Erfolg. Und auch wenn der Rückkopplungswahnsinn der „Bleach“ heraussubtrahiert wurde, dann nur, um die Songs besser zu machen.
Die Fans von früher sahen das dem Trio nicht nach, der Rest der Welt jedoch gab ihnen Recht.
Die komplizierte Formel einer Freundschaft
75 Millionen verkaufte Plattenträger machen gerne vergessen, dass die Anfänge Nirvanas in nahezu filmreifer Bescheidenheit abliefen. Man stelle sich ein paar „Dudes“ vor, in Flanellhemden und zerrissenen Jeans, die nach der Mittagspause in den Schulfluren ihrer Highschool abhingen und sich über Buzz Osborne unterhielten, der Ende der 80er mit seinen Melvins die Washington Area unsicher machte. Wie Motten um das Licht sammelten sich die Enthusiasten des Noise- und Punkrock um diese Grunge-Pioniere und hier war es auch, wo Krist Novoselic Kurt Cobain kennenlernte.
Man mochte sich. Kurt war ein intensiver Bursche, mit glühenden, hellblauen Augen und einem morbiden Sinn für Humor. „He was wicked funny. He really was“, war Dave Grohls Antwort in einem Interview aus dem Jahre 2009 auf die Frage, was die Öffentlichkeit nie bei Kurt verstanden hatte. Mit 14 hatte der spätere Songwriter seine erste Strat in der Hand und seine hyperaktive, aufgeweckte und intelligente Art gefiel den Jungs in Melvins so sehr, dass ihr Drummer Dale Crover kurzerhand mit ihm das Projekt Fecal Matters ins Leben rief – Kurt Cobains erstes echtes Musikprojekt.
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Nach der Auflösung gründete er mit Krist Novoselic dann Nirvana. Und auch wenn die Beiden an ihren Instrumenten blieben, gab es am Drumhocker einige Besetzungswechsel. Insgesamt sechs (!) Drummer gaben sich die Klinke in die Hand, ehe man mit Chad Channing die „Bleach“ einspielte. Doch Kurt war nie gänzlich zufrieden mit der etwas leblosen Technik Channings. Frieden am Drumhocker stellte sich erst ein, als im August 1990 Dave Grohl zur Band stieß, der als Kontrast zum technischen Doppelfußmaschineneinsatz Channings ein viszerales, unglaublich kraftvolles Spiel an den Tag legte.
Es war, als hätte man Kurts Gebete erhört – endlich saß jemand hinter der Snare, der den frisch geschriebenen Nirvana Nevermind Songs den nötigen Biss gab. Und auch wenn Dave gewissermaßen als Außenseiter zu dem Duo stieß (Krist und Kurt sind zusammen in Aberdeen aufgewachsen und waren so etwas wie Seelenverwandte), stimmte das Verhältnis. Man wuchs zusammen, noch während die Nevermind aus dem Nichts gestampft wurde. Dave Grohl fand seine neue Rolle in der Band, während Nirvana allmählich ihre neue Rolle in der Musiklandschaft fanden – nämlich zum erfolgreichsten Grunge-Act aller Zeiten aufzusteigen!
Doch ein kameradschaftliches Miteinander sah anders aus. Noch während die Nirvana Nevermind stetig nachgepresst werden musste, U2 die Band im Vorprogramm genauso wollten, wie Guns N‘ Roses und man angefleht wurde, das Lollapalooza Festival zu headlinen, waren die Gräben innerhalb der Band von Anfang an Teil der Chemie. „Manchmal redeten wir tagelang so gut wie gar nicht miteinander, auch wenn wir Shows spielten.“, so Dave Grohl. Dass es trotzdem eine gewisse emotionale Verbindung gab, stand nie außer Frage, doch wer sich ein Trio vorstellt, das auf euphorische Weise vom Welterfolg zusammengeschweißt wurde, hat nicht die Melancholie auf dem Schirm, die die Band stetig begleitete.
Dass die Drogensucht den Frontmann zunehmend isolierte und ab einem gewissen Punkt fester Bestandteil seines Alltags wurde, sei dahingestellt. Wenn man sich die Augenzeugenberichte und Erzählungen Grohls oder Novoselics durchliest, stellt man jedoch fest, dass die Band viele leise Momente des Zusammenhalts gehabt haben musste. Man fuhr mit Minibikes hinter der Washington Area ein paar Runden. Man fuhr Gokart miteinander. Teilte sich kalte Wintermonate in engen Apartments und das „Sorgerecht“ für ein paar Schildkröten, während man sich mental von Rehearsal zu Rehearsal hangelte. Man teilte sich 99 Cent Corn Dogs und die Kippen. Man jagte gewissermaßen gemeinsam einer völlig irrsinnigen Idee hinterher – in dieser Hinsicht waren Nirvana, allem Mythos zum Trotz, eine ganz normale Band auf der Suche nach Erfolg.
Dann heuerte man Butch Vig an. Und die Band begann, die Nirvana Nevermind aufzunehmen.
First-Take-Magie bei Nirvana Nevermind
Der richtige Mann für die Album-Sessions war in Butch Vig recht schnell gefunden. Man muss sich klarmachen: Sub Pop ging es zu diesem Zeitpunkt finanziell nicht gut, und auch wenn die Studiokosten für die Aufnahmen in den Smart Studios getragen wurden, sah es vermehrt danach aus, als ob die Nevermind niemals das Licht der Welt erblicken würde. Also sollte die Nirvana Nevermind gewissermaßen auch das Rettungsseil werden, mit dessen Hilfe sich die Band einen Vertrag mit dem Label DGC und einen Vorschuss von einer viertel Million Dollar sicherte. Man bezahlte Sub-Pop, sicherte sich die Rechte an der eigenen Musik und dürfte sich speziell bei DGC gefreut haben, als sich abzeichnete, welchen Erfolg die Nevermind haben würde (für Sub-Pop war der Verlust der Band so kurz vor dem Megaerfolg ein ironischer, bitterer Zapfenstreich des Schicksals).
Doch die Aufnahmen selbst unter Butch Vigs Aufsicht verliefen alles andere als „easy-going“. Für Butch war klar – er wollte die großartigen Lieder, die Kurt da geschrieben hatte, nicht im rauen Mix einer „Bleach“ verlieren und das brachte viele Diskussionen mit sich, speziell mit Kurt. Die Songs verdienten Feinschliff, ja vielleicht sogar Hochglanz. Wer in Zusammenhang von diesen Überlegungen von Sell-out oder gar Szenenverrat spricht, erntet heutzutage von Dave oder Krist nur Schulterzucken oder Gelächter. „It was about the f—ing songs, man!“
Mithilfe eines kleinen Teams brachte Butch also die Band auf Kurs. Schnell zeichnete sich ab: Speziell bei Kurt waren die ersten Takes oft die besten. Der Frontmann wärmte seine Stimme gerne mit irrsinnigem Geplärre auf – unmittelbar danach hatte seine fantastische Stimme oft den rausten, kraftvollsten Klang – auf „Territorial Pissings“ und „In Bloom“ befinden sich einige First Takes von eingesungenen Zeilen. Und in ganz Cobain-typischer, unsicherer Manier war der Sänger selbst der Meinung, dass seine Stimme am besten mit dem Soundgewand von Gitarre und Bass vermischt werden sollte. Butch überzeugte ihn jedoch davon, seiner intensiven Performance den Platz einzuräumen, den sie verdiente: als tragendes Element der Songs.
Und selbst wenn die Arbeit mit Butch Spaß machte, das Leben in und rund um die Rehearsals herum chaotisch, aber fruchtbar war, überließ man das Abmischen des Albums jemand anderem: Andy Wallace hatte zwar mit Slayer zusammengearbeitet, verstand aber das ungemeine Ohrwurmpotenzial der Songs. Sein Händchen war es dann auch, das der Platte den vielfach gelobten, kritisierten und polarisierenden Mix verschaffte. Und Kurt selbst? Der wusste die Entscheidungen von Andy Wallace zu schätzen und verstand sie – auch wenn er sich zum Teil dachte, dass der Sound „f—ing lame“ war, wie er gegenüber dem Nirvana Biograph Michael Azzerad erwähnte.
Dann war die Platte also im Kasten. Und eine Dynamik nahm ihren Platz ein, die man heute in Zeiten des Internets gar nicht mehr kennt: „Heavy Rotation“ auf MTV bedeutete, dass ein Video immer und immer gespielt wurde. Genau das passierte mit „Smells Like Teen Spirit“ – und der Effekt einer solchen Heavy Rotation ist ungefähr mit ein paar Millionen Clicks auf YouTube vergleichbar. Für die Band zeichnete sich auf der Nirvana Nevermind Tour ein immer absurderes Bild – erst waren es fünfhundert Gäste mehr, irgendwann Tausende und draußen vor den Clubs bildeten sich die Menschentrauben, die verzweifelt versuchten, einen Blick auf die sich anbahnende Sensation mit Flanellhemden und Jazzmaster zu werfen. Dann trat man bei Saturday Night Live, was speziell in den 90ern ein Art Meilenstein markierte. Privatjets gab es trotzdem nicht – die initiale Tour wurde ganz in Punkrock-Manier mit dem alten Tourbus zu Ende gebracht. Während also die Nevermind die Top 10 stürmte und Michael Jackson überholte, saß man zusammengewürfelt in den Rücksitzen des Vans und aß Corn Dogs für 99 Cent.
Die Folge? Die Michael Boltons und Mariah Careys hatten ausgedient. Und auch wenn man dem Grunge viel Schlechtes nachsagt, ihm seinen nihilistischen Kern vorwirft oder gar, dass er dem Metal einen vorübergehenden Todesstoß versetzt hätte – es war der Verdienst dieser Platte, dass die Welt wieder Gefallen an „echter“ Musik von „echten“ Leuten mit „echten“ Instrumenten auf der Bühne fand – weltweit. Nirvana Nevermind injizierte dem Mainstream also eine lebensnahe, authentische Note, etwas, das man sich für die heutige Zeit ebenfalls wünschen würde.
Tja, Meilenstein ist wohl zu wenig gesagt. Wo ist denn der Vermerk das Nevermind auf Akai S1000-Samplern aufgenommen wurde? Das ist doch bestätigt, oder? :)
Filmtipp:
Auf Netflix gibt es eine sehr gute Foo Fighters Doku, da wird auch viel auf Daves Zeit als Nirvana Drummer und die Studio-Sessions eingegangen.
Foo Fighters: Back and Forth
https://www.netflix.com/de/title/70180017
Hm. Also ich habe mal einen Film von Dave Grohl gesehen über die „Sound City“ Studios, sehr empfehlenswert, eine Hommage an das Studio!! Da treten ne Menge Stars auf, die dort ihre Platten aufgenommen haben, z.B. auch Fleetwood Mac. Und Nirvana
https://en.wikipedia.org/wiki/Sound_City_(film)
Und da geht es auch um die Nevermind Aufnahmen. Im Mittelpunkt steht hier auch ein besonderes Nave (?) Mischpult, das Dave Grohl nach der Pleite von Sound City dann auch gleich gekauft hat.
Aufgenommen wurde wohl eher auf normalen 24 Spur Bändern.
Muss ich mir bald mal wieder anschauen :)
@Soundreverend Neve 8078
Nach meinem Empfinden die letzte Rockplatte. Wird heute ein Rockkonzert angekündigt, quälen sich 4-5 alte Männer, die restlichen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und den Body in eine Kunstlederpelle gezwängt auf die Bühne und halten das vielleicht noch immer für revolutionär. Da bewegt sich nichts mehr. Hat für mich was ultraspiessiges. Seitenentwicklungen wie Speed, Death und wasweissich Metal mag noch von jüngeren gespielt werden, geht mir aber komplett an der Amsel vorbei. Diese Nummer hingegen war nochmal gut, obwohl Kurt sicher gerne 25 Jahre früher Teenie gewesen wäre. Ich war‘s – war auch nicht viel besser….
@Tai „Da bewegt sich nichts mehr“
Ich denke in den letzten 20 Jahren hat sich in der Musik nichts mehr bewegt.
@Valium 10 Wenn Du von der Entwicklung der Musik nichts mitbekommen hast,
dann hast Du Dich wohl in den letzten 20 Jahren nicht bewegt.
Kein Wunder das Du Dich Valium nennst ^^
@Coin „Wenn Du von der Entwicklung der Musik nichts mitbekommen hast..“
Ich bin aber sehr gespannt: was hat sich denn bewegt?
Ich lese gerne mit was Du als neue Entwicklung beschreiben würdest!
@Valium 10 Nichts einfacher als das.
Dann lies mal den Wikipedia Artikel zu „Elektronische Tanzmusik“
https://de.wikipedia.org/wiki/Elektronische_Tanzmusik
@Coin Und das „exponential growth of better ideas“ Turnier,
gibts auch erst seit 2011/12.
Das machen nun auch viele nach.
@Coin „Dann lies mal den Wikipedia Artikel zu „Elektronische Tanzmusik“
Eben: Entstehungsphase: 1980er
Und jetzt?
@Valium 10 Du musst schon weiter lesen.
Ich bin nicht der Erklärbär.
@Coin Ich: Seit 20 Jahren nichts Neues
Du: Kein Wunder das Du Dich Valium nennst
Ich : was?
Du: „Elektronische Tanzmusik“
Ich: 1980er
Du: Ich bin nicht der Erklärbär.
OK.
@Valium 10 Hör auf mich zu belästigen !
@Coin lol, also manchmal fällt es schon schwer, dich ernst zu nehmen, coin…
ich hab ja nie verstanden, was alle an nirvana gefunden haben… fand das immer furchtbar. aber aus dave grohl ist ja doch noch was mit ner vernünftigen band geworden.
@dflt Ich auch nicht. Und dazu der Titel des Artikels „Tiefschlag für den Mainstream“ … Die ganze Grunge-Welle war für mich nie etwas anderes als Mainstream – von Dreizehnjährigen gehörter Pseudo-Rock. Damals war für jede Band ein einziger Satz der Erfolgsgarant: „We’re from Seattle.“, egal wie schlecht sie war.
ich glaube, viel mehr mainstream als nirvana geht auch nicht… ;)
@dflt ja, ganz fein von oben herab auf das minderwertige volk geschaut – prima!
@dilux ?
@dilux Was soll denn jetzt der Spruch. Seit wann sind eine bestimmte Musikrichtung oder die Bands, die diese spielen „das Volk“?
@dflt Na ja, ich habe die damals so um 89 für 12 Mark im Schöneberger Ecstasy gesehen, ich war eigentlich wegen der zweiten Band „Tad“ da. Mainstream war das damals noch nicht.
Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich der Sänger von Tad auch mal kurz auf der Bühne übergeben.
Schwere Musik, sehr charakteristisch. Ich hab sie gemocht,
auch wenns bissl Depri war.
In meinen Ohren schon Gute Qualität, sowohl von Curbain´s Stimme,
als auch von dem Rest. Einfach markant. Toll, also ich bin dafür Dankbar.