Die neue Mittelklasse von Focusrite
Mit der neuesten Generation des Focusrite Clarett+ 2 Pre hat der englische Hersteller aus High Wycombe westlich von London seiner schon etwas in die Jahre gekommenen Clarett-Audiointerface-Serie ein veritables Update gegönnt. Neben dem 2Pre bietet Focusrite weiterhin die beiden größeren Interfaces 4Pre und 8Pre an, weitere Informationen dazu findet ihr hier.
Äußerlich ist der Unterschied auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Nur am Volume-Regler und Headphone-Volume erkennt man: Hey, das ist jetzt nicht mehr silbern, sondern im Farbton Grau. Aber laut Focusrite hat sich viel mehr geändert, als nur ein Griff in den Farbeimer. Schauen wir uns also in diesem Test das neue Focusrite Clarett+ 2 Pre an!
Focusrite Clarett+ 2 Pre: Ausstattung und Verarbeitung
Kurz zu den Bedienelementen, die keinerlei Rätsel aufgeben: Zwei Combo-XLR-Buchsen an der Front und jeweils ein Input Gain-Regler, die über einen LED-Kranz verfügen, die je nach Pegel grün, orange oder rot leuchten. Je einen 48 V Schalter pro Kanal, eine LED, die den Eingang im Instrument-Mode kennzeichnet und je eine LED mit der Bezeichnung Air (darauf gehen wir später ein). Instrument-Mode und Air können nur über die Focusrite Control-Software geschaltet werden.
Rechts auf der Vorderseite dann der Monitor-Volume-Regler, die Kopfhörerbuchse samt Lautstärkeregler und die Power-Anzeige. Darunter noch eine LED, die die korrekte USB-Verbindung signalisiert und die „Locked“-LED, die die Clock Synchronisation anzeigt.
Ähnlich klar ist die Rückseite gegliedert: Ein Power-on/off-Schalter und die Buchse für das externe Netzteil (12 V, 1,5 A) sind links zu finden. Sehr gut: Das Clarett Plus 2 Pre kann sowohl über das beigefügte Netzteil, als auch über die USB-C Schnittstelle mit bis zu 15 Watt Leistung betrieben werden. Dann der USB-C Connector (Class Compliant), Optical-In (S/PDIF), je ein 5-pol DIN-MIDI Ein- und Ausgang und dann die vier Ausgänge (symmetrisch, TRS). Und nicht zuletzt und besonders zu loben: ein Kensington Security-Slot. Der optische Port ermöglicht ADAT zur Erweiterung des Geräts um 8 Mikrofoneingänge (z. B. über das Focusrite Clarett Octopre oder jedes andere kompatible ADAT-Device).
All dies klingt bekannt und man darf sich fragen: Wo ist denn hier das Besondere? Immerhin möchte Focusrite für das Clarett plus 2 Pre 489,- Euro. Für diesen Preis bekomme ich beim Hersteller auch ein Scarlett 18i20 der dritten Generation.
Nun, hier muss man genauer hinschauen und darf nicht den Fehler machen, die Clarett Plus Serie mit den Einsteigergeräten der Scarlett Modelle zu vergleichen. Neben einem noch mal höherwertigen Gehäuse sind in den Claretts einige Features und Baugruppen zu finden, die in den Scarletts (preisbedingt) auf Einsteigerniveau sind.
So finden wir hier höherwertige Preamps mit mehr Headroom, geringerer Verzerrung und sehr niedrigem Rauschen. Die Inputs sind sogenannte JFET-Eingänge mit erweiterter Bandbreite und außerdem hat Focusrite die AD/DA-Wandler nochmals überarbeitet und verbessert.
Kurzum: Die neuen Clarett Plus Modelle wollen ein Tool im professionellen Tonstudio sein, wie wir es beispielsweise von Universal Audio und RME kennen.
Focusrite Air mit dem Clarett+ 2 Pre
Clarett Air emuliert den klassischen Mikrofonvorverstärker ISA 110, der in der Focusrite Studio-Console zu finden ist und bei vielen Hits zum Einsatz kam. Die Vorteile des Trackings mit Air auf Clarett+ Interfaces verleihen dem Sound einen besonderen Charakter, indem es die Impedanz auf 2,2 kOhm umschaltet und zwei kumulative High-Shelves hinzufügt, die insgesamt eine Anhebung der hohen Frequenzen um 4 dB bewirken – eine Funktion, die bei Scarlett-Interfaces nicht zu finden ist. Das bedeutet, dass das Clarett+ Air (laut Hersteller) besonders gut in der Lage ist, Einschwingvorgänge wie Snare-Drums und Akustikgitarren zu betonen, während es auch Gesang, Streicher und andere akustische Quellen aufhellt.
Focusrite Clarett+ 2 Pre: Das Setup und die Software
Ähnlich wie die „Console“ bei Universal Audio, ist es ratsam, das Tool „Focusrite Control“ zu installieren, damit wirklich alle Funktionen des Clarett+ 2 Pre genutzt werden können. Die Software gibt es für Microsoft und Mac und auch für iPhone und iPad Nutzer. Eine Android Version wird aktuell nicht angeboten. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die iOS-App nur mit aktivierter Focusrite Control am PC/Mac funktioniert. Diese App ist somit eigentlich nur eine Fernsteuerung und kann nicht direkt mit dem Clarett+ 2 Pre verbunden werden.
Sobald das Gerät dann registriert ist, kann man auch die mit dem Gerät gebundelte Software herunterladen. Hier ist auch der ASIO-Treiber für Windows-Systeme zu finden.
Die Liste der mitgelieferten bzw. downloadbaren Software ist sehr lang. Ampify Studio, Ableton Live Lite, Pro Tools First, Focusrite Drum Tracks, Brainworx bx_console, Focusrite SC, XLN Addictive Keys, die Red Plug-in Suite und das Softube Time and Tone Bundle. Wem das nicht genügt …
Focusrite Control ist eine Software, um alle Funktionen der Hardware abzurufen. Aber es ist auch eine Administration-Software, um die Kanäle zu mischen, die Signalwege zu routen, die Ein- und Ausgänge zu definieren und Basisfunktionen, wie Samplerate, Clock-Source und S/PDIF bzw. ADAT zu konfigurieren.
Gemessen an den Console-Apps der Mitbewerber erscheint mir Focusrite Control persönlich immer noch zu wenig intuitiv. Die Darstellung ist nicht, wie man es von DAWs gewohnt ist und der Weg zur gewünschten Funktion ist für mich nicht immer nachvollziehbar. Klar, daran kann man sich gewöhnen, aber man meiner Meinung nach sollte mal einen guten GUI-Designer darüberschauen lassen, das ist noch Luft nach oben.
Das Clarett+ im Vergleich zum Vorgänger
Neben den erwähnten optischen Änderungen hat sich einiges in Sachen Ausstattung und Technik geändert. Hier eine Tabelle, die die beiden Generationen miteinander vergleicht:
Focusrite Clarett+ 2 Pre – wie klingt es?
Auch das neue Focusrite darf sich im Klangvergleich dem Universal Audio Apollo Twin X Quad stellen. Klar, das Apollo kostet aktuell im Heritage-Bundle 1.000,- Euro mehr, aber wenn man die DSP-Prozessoren und das Plug-in-Bundle abzieht, dann sind die beiden Geräte sich durchaus ähnlich.
Und um dies zu untermauern, zeigt das Clarett+ gleich seine Muskeln. Sehr druckvoll und dynamisch begeistert das Interface klanglich auf Anhieb. Egal, ob unkomprimierte FLAC-Files oder Qobuz-Dateien: Die Wandler im Focusrite überzeugen mit einem Klangbild, das den Mitbewerber zunächst in den Hintergrund stellt. Völlig losgelöst von den Lautsprechern baut das Focusrite eine große Bühne und spielt lässig und weiträumig auf. Erst wenn man feindynamischen Klängen lauscht, wird klar, dass im Apollo offensichtlich noch etwas mehr investiert wurde. Insgesamt wirkt das Universal Audio aber etwas gemütlicher, aber dafür feinsinniger.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Inputs. Sprache, Gitarre, E-Piano: Hier legt das Focusrite immer eine Schippe nach und neigt manchmal sogar dazu, etwas mehr zu wollen, als im Originalsignal vorhanden ist. So klingt die Sprechprobe über mein Sennheiser Kondensatormikrofon etwas zu sehr „in the head“ und auch die E-Gitarre scheint mehr zu geben, als wirklich in ihr steckt. Auch hier behält das Apollo die Übersicht und bildet den Klang auch in lauten Passagen scharf und präzise ab.
Abschließend noch das Verhalten bei den Anschlagsignalen (Transienten): Hier zeigt das neue Clarett+, was in ihm steckt: Mit diesem Audiointerface lassen sich beispielsweise Kompressoreinstellungen sehr granular regeln. Zu viel Anschlag an der Saite? Ein kurzer Dreh am Attack-Regler und der Fokus stimmt wieder. Toll!
Auch wenn hier das teurere Apollo insgesamt die Nase etwas vorne hat, mir gefällt das neue Focusrite Clarett+ 2 Pre wirklich gut. Mir gefallen der anspringende Klang und die weiträumige Abbildung. Es ist ein sehr hochwertiges Interface, um Musiksignale im Mix zu beurteilen und entsprechend zu bearbeiten.
Und die Air Funktion? Nun, auch hier hält der Hersteller sein Versprechen: Durch die Anhebung der obersten Frequenzen scheint der Klang wirklich luftiger und klarer zu sein – aber es müssen einem dabei zwei Dinge klar sein:
- Die Air-Funktion ist am Ende des Tages ein Equalizer, der das Klangbild verbiegt und somit verfälscht.
- Das hat nur ganz am Rande etwas mit dem ISA-110 zu tun. Selbst das von mir getestete Focusrite ISA ONE präsentiert seine präzise und detailreiche Stimmlage komplexer, als „einfach“ über eine hellere Abstimmung.
Als Tool, um einem muffigen Mikrofon auf die Sprünge zu helfen, ist es allemal gut und es lädt zum Experimentieren ein. Hier die Klangbeispiele, die den Effekt der Air-Funktion gut darstellen:
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Suche eh gerade nach einem Neuen für „Unterwegs. Danke für den Test. Das Teil scheint ja ein tolles PLV zu haben.
Für Linuxer:
Von den Claretts ist nichts bekannt, aber die Scarletts der dritten Generation werden nun gut vom aktuellen Kernel unterstützt. Ich habe gerade ein Scarlett 18i20 erworben, Kernel 5.15 installiert, und es läuft. Welcher frühere Kernel auch schon so funktioniert, kann ich nicht sagen.
Etwas fummelig ist die Konfiguration der internen Mixer-Matrix. Die Unterstützung für den Alsamixer (zeichenbasiertes ncurses-Interface) funktioniert. qasmixer ist eine grafische Version und funktioniert auch. Man muss allerdings verstehen, wie die Mixer-Matrix funktioniert, dann geht’s.
Siehe dazu https://linuxmusicians.com/viewtopic.php?p=138137#p138137
@bluebell Bei mir geht’s im aktuellen Debian (Kernel 5.10) als auch in Arch (Rolling Release, also immer der aktuelle Kernel). Einfache Methode um ohne das Focusrite-Tool klar zu kommen, also fast so eine Art „Class Compliant Plus“ :)
@wjl Ich bin sehr froh, dass ich mir komplett unter Linux behelfen kann. Versuche, auf einer lokalen Windows-VM mit durchgereichtem USB-Gerät die Focusrite-Software zu betreiben, waren erfolglos. Focusrite Control meldete mir, dass es die Firmware des 18i20 upgraden müsse, tat dann aber auf meinen bestätigenden Klick exakt nichts.
Schade, dass es die Vergleiche der Preamps Clarett / Apollo Twin nicht in die Audio Beispiele geschafft haben.
@elbonzoseco Dafür braucht man dann wirklich gute Monitore, um Unterschiede festzustellen. Selbst hat man ein Scarlett und bin bislang sehr zufrieden damit.
@Filterpad Die wären vorhanden, wie wahrscheinlich bei einigen hier.
@elbonzoseco Da braucht man auch die auf Feinheiten trainierten Ohren und das passende Audiomaterial.
Einem Gesang, der nicht nur durch einen Kompressor, sondern auch durch einen Exciter, De-Esser, und Saturator gelaufen ist, wird nicht mehr anzuhören sein, ob er mit einem Scarlett oder mit einem Clarett aufgenommen wurde.
@bluebell Jap, dem stimme ich zu. Trotzdem wäre es eine hilfreiche Information. Und sei es nur um den weniger kritischen (oder besser seinen Schwerpunkt auf andere Faktoren legenden;)) Nutzer darauf hinzuweisen, dass es nur kleinste Unterschiede im kleinsten Detail gibt.
Andererseits vllt bietet gerade dieser Vergleich die Möglichkeit seine Ohren dahingehend zu schulen.
@bluebell Das hier ist ja auch eine Seite für Leute, die genau das hören bzw üben, das zu hören