Tante Paula zu Besuch!
Über Gibson muss man auf einer Seite wie AMAZONA.de eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren. Ohne die Gitarrenschmiede aus Michigan mit heutigem Sitz in Tennessee hätte die Gitarre wohl nicht den popkulturellen Status, den sie heute hat. Dies ist vor allem auch dem Kultmodell Les Paul oder „Paula“ geschuldet, das schon seit bald 70 Jahren unverändert bleibt und sich dabei anhaltender Beliebtheit erfreut. Das hindert Gibson aber nicht daran, jedes Jahr wieder neue Inkarnationen der Les Paul zu auf den Markt zu bringen und diese mit mal mehr, mal weniger innovativen und tiefgreifenden Neuerungen auszustatten. Wer aber dem Original so nah wie möglich kommen möchte, könnte mit der Les Paul Classic 2019 gut bedient sein. Wir haben uns die Grande Dame mal näher angesehen!
Gibson Les Paul Classic 2019 – Facts & Features
Wie nicht anders zu erwarten bei einer Les Paul, besteht der Body größtenteils aus Mahagoni und ist mit einer klassischen Ahorndecke versehen, so wie es das Jahrzehnte alte Erfolgsrezept eben nun einmal vorschreibt. Dieses hat sich ja auch bewährt, bietet diese Kombination doch die Vorteile beider Tonhölzer in einem Instrument. Dank der größtenteils transparenten Lackierung lässt sich zudem erkennen, dass der Body in diesem Fall aus zwei Teilen Mahagoni zusammengesetzt wurde. Für die Decke trifft dies höchstwahrscheinlich auch zu, ob dabei sauber „gebookmatched“ wurde, lässt sich aufgrund der deckenden Lackierung allerdings nicht sehen. Ist ja auch größtenteils kosmetisch.
Anders als viele der moderneren Neuauflagen, wurde die Les Paul Classic 2019 nicht mit einem der Weight-Relief-Technik behandelt, die Gibson mittlerweile im Programm hat. Die Classic 2019 ist wie ihr Vorbild aus vergangenen Jahrzehnten aus einem komplett massiven Body gebaut und das ist auch an dem stolzen Gewicht der Gitarre zu spüren. Gibson gibt zwar an, dass das Chambering zur Gewichtsreduktion keine Auswirkungen auf den Klang, die Bespielbarkeit und den Charakter der Gitarre haben soll, jedoch scheint die Nachfrage nach original belassenen Bodys bei Gibson Gitarren noch so groß zu sein, dass auf der Website überall darauf hingewiesen wird, dass es auch noch echte Solidbodys im Angebot gibt und das auch so bleiben wird.
Auch der Hals der Les Paul Classic 2019 ist ganz klassisch aus Mahagoni gefertigt und so wie es der Blick unter die Lackierung verrät, wurde hier ein einzelnes Stück Holz verwendet. Dieses wurde in einen Slim-Tapered Neck geformt und komplett überlackiert. Das Griffbrett ist aus tropischem Palisander gefertigt und mit einem cremefarbenen Binding versehen. Die 22 Bünde sind mit Gibsons speziell kryogenisch behandeltem Bunddraht versehen, die ein flaches Profil haben und dank der Sonderbehandlung härter und damit langlebiger sein sollen als herkömmliche Materialien. Acryl-Inlays in der für Gibson typischen Trapezform sorgen für Glamour und Orientierung auf dem Griffbrett.
Les Paul Classic 2019 – die Hardware
Der Headstock ist mit Mechaniken von Grover, genauer dem Modell Rotomatics bestückt. Von diesen aus laufen die Saiten über einen Sattel aus TekToid-Grafit entlang der 628 mm langen Mensur Richtung der Tune-o-Matic-Brücke aus Aluminium bis zum Tailstop, ebenfalls aus Aluminium. Hier bleibt das Meiste also beim Alten. Auch auf den cremefarbenen Pickguard muss keiner verzichten und findet ihn, wo er immer ist.
Die Pickups kommen selbstverständlich auch aus dem Hause Gibson. In der Bridge-Position übernimmt ein Burstbucker 61T die Umwandlung der Saitenschwingung, in der Halsposition macht den Job ein Burstbucker 61R. Beide Pickups sind als Zebrapärchen gestaltet, wobei das Weiß den anderen cremefarbenen Teilen farblich sehr nahe kommt. Vielleicht hatte ich nur Pech, aber mir ist schon bei vielen Gitarren aufgefallen, dass hier der Farbton oft etwas variiert. Nicht so bei der Les Paul Classic 2019.
Traditionsgemäß werden die Pickups über den Dreiwegeschalter an gewohnter Stelle angewählt und haben jeweils ihre eigenes Tone- und Volume-Potis. Alle Regler sind als Push-Pull-Potis ausgelegt, mit denen sich im Fall der Tone-Potis die Phasen des jeweiligen Pickups umkehren lassen, während die beiden Volume-Regler die Humbucker splitten, um diese als Singlecoils zu betreiben.
Geliefert wird die Les Paul Classic 2019 in einem edlen, in Kanada hergestellten (Kunst-) Lederkoffer inklusive einem Gurt, der doch etwas schnell ausgefüllten Qualitätskontroll-Checkliste sowie einem Foto der Gitarre auf dem Schreibtisch des Prüfstandes mit Grüßen aus den Staaten.
Les Paul Classic 2019 – Verarbeitung
Wie man bei einer Gitarre dieser Preisklasse erwarten darf, ist die Verarbeitung größtenteils kaum zu beanstanden. Bei der Lackierung wurde auf Nitrozelluloselack, kurz auch Nitrolack, zurückgegriffen, wie er auch schon in den 50er und 60er Jahren verwendet wurde. Grund hierfür ist die von vielen als besser empfundene Klangentwicklung unter dieser Art von Lackierung. Dank neuerer Plastizitätsagenten sollen diese allerdings nicht mehr so leicht brechen und weniger stark vergilben wie die Lackierungen von anno dazumal. Freunde von Vintage- und Weathered-Look wird es weniger freuen. Gesundheitsbewusste Menschen schon eher. Der Lack ist größtenteils auch gut verarbeitet, bis auf die kleinen Fehler am Hals-Korpus-Übergang. Ansonsten sieht das Gold Top Finish jedoch super aus und die Sparkling-Effekte sind aus der Nähe dezent, aber deutlich zu sehen.
Auch auf der Holz- und Einstellungen-Seite sieht die Les Paul Classic 2019 gut aus. Der Hals ist gerade und hat keine Verdrehungen und die Bünde sind sauber eingelassen und glattgeschliffen. Zusammengenommen wurde jegliches Schnarren oder Deadspots erfolgreich verhindert. Ein kleines Manko gibt es dann doch noch: Nach der Bedienung der Push-Pull-Potis hatte ich nun schon zweimal die Kappe in der Hand. Hier sollten etwas passendere oder besser noch mit einer kleinen Madenschraube fixierbare Kappen verbaut werden. Das sollte bei einer „2000-Plus-Quietsch-Euro-Gitarre“ schon drin sein.
Sound & Bespielbarkeit
Abgesehen von diesem kleinen Manko, das live schon zum Problem werden könnte, ist die Bespielbarkeit und der Klang schon wieder dem Preis entsprechend. Paula-typisch wird man schon trocken angespielt von einem sehr warmen und kräftig drückenden Ton begrüßt, der viel Präsenz in den Mitten und Tiefen transportiert. Die Höhen sind auch da, sie halten sich aber ein wenig mehr im Hintergrund und klingen vor allem zu Anfang stärker mit. Das Sustain ist erwartungsgemäß sehr warm und mittig und hält gefühlt einen Song lang durch, sollte es darauf ankommen.
Pickups & Klangregelung
Dieser Eindruck setzt sich auch im verstärkten Zustand fort. So klingen die beiden Humbucker sehr mittig und warm, was für den einen oder anderen Geschmack schon etwas zu warm oder eben muffig sein könnte. Das ist selbst für eine Paula schon ziemlich viel. Da kommen jedoch die Phasenumkehrer die herausgezogenen Tone-Potis ins Spiel. Durch die leichte Phasenverschiebung der beiden Spulen des Humbuckers zueinander treten die Höhen mehr in den Vordergrund und der Klang wird etwas dünner, aber auch präsenter. Was die Phasenumkehrung im Fall der Mittelstellung des Pickup-Schalters macht, war nicht eindeutig herauszufinden, allerdings ist der Effekt ähnlich. Da die Einstellung aber leicht stufenförmig verläuft (je nach Anzahl der gezogenen Potis), würde ich darauf tippen, dass nur die Phasen innerhalb eines Humbuckers gegeneinander verschoben werden.
Natürlich lässt der Charakter der Pickups sich mit den anderen Push-Pull-Potis noch deutlicher verändern, indem diese zu Singlecoils gesplittet werden. Zwar erhält man auf diesem Weg keine Strat oder Tele, aber es klingt natürlich schon etwas offener und nasaler, als man es sonst von einer Paula gewohnt ist, auch wenn der Effekt nicht so deutlich ausfällt wie erwartet.
Die als Singlecoils geschalteten Pickups klingen immer noch sehr voll, bieten aber mehr Höhen und etwas mehr Klarheit:
In der Stegposition bekommt man mit der Phasenumkehrung und im Singlecoil-Modus jedoch schon recht schlanke Töne aus der Les Paul Classic 2019.
Im Humbucker-Modus sind aber immer noch fette Leadlines mit sattem Sustain zu bekommen, ganz so, wie man es gewohnt ist.
Auch in der Bridge-Position macht der Pickup als Humbucker eine gute Figur und drückt sehr kräftig und dabei, aber differenziert in den Amp.
Das Ganze lässt sich mit ein wenig mehr Gain auch noch steigern …
Eine sehr interessante Kombination ergab auch die Mittelstellung, wobei der Bridge-Pickup als Singlecoil und beide Pickups dabei mit umgekehrten Phasen liefen.
Was bleibt, ist der kräftige und cremige Grundsound der Les Paul, wie er vom Blues über den Rock bis zum Pop so geschätzt wird. Und keine wird diesen wohl eher so getreu liefern wie die Les Paul mit dem Namenszusatz Classic. Schön ist auch die glatte und lineare Klangregelung, die die Volumepotis in Zusammenarbeit mit den Humbuckern möglich machen. Auch im heruntergeregelten Zustand sind die Höhen noch ähnlich präsent wie im Grundsound und Klangartefakte wie Wummern oder Knacken sind auch bei aufgerissener Vorstufe nicht zu hören.
Handling
Dank der kurzen Mensur ist die Gitarre zudem butterweich zu bespielen und Bendings gehen sehr leicht und ohne viel Kraftaufwand von der Hand. Das geht natürlich etwas auf die Ansprache der Les Paul, aber die gehört auch nicht unbedingt zu den gewöhnlichen Anforderungen des Modells. Schön ist auch immer das wohlige und deutliche Vibrieren in der Griffhand, das einem die Sicherheit der Reserve und das nötige Feedback bei lange gehaltenen Tönen und Akkorden gibt.
Die Klangbeispiele wurden mit einem Headrush Gigboard und einen Marshall Valvestate 80V über ein Shure PG81 aufgenommen.
Super, zebrapickups! Nice
Leider Fehler im Artikel – oder hattet ihr ein Vorserienmodell?
Meine (heißgeliebte, perfekt Verarbeitete in Honeyburst) hat ein 9-Hole Wight Relief (leider) und der Pushpull des StegPU Tone Potis schaltet einen Pure Bypass.
Ansonsten schöner Artikel über eine fantastische Gitarre zu einem fairen Preis.
Hey d’artagnon.
Das wundert mich auch – als ich den Artikel im Herbst geschrieben hatte, war das noch nicht im Datasheet drinnen. Vielleicht wirklich ein Vorserienmodell – hat sich auch nicht gerade nach Weight-relief angefühlt, um ehrlich zu sein. ; )
Danke für den Artikel, er hat dazu geführt, dass ich mir die Gitarre gekauft habe. Auch bei meiner Gitarre ist der Push pull des Steg Pickups für Bypass vorgesehen.
Der andere ist tatsächlich zur Phasenumkehr, es wird allerdings die Phase zwischen den beiden Pickups umgekehrt. Die Phase innerhalb eines Pickups umzukehren geht meiner Ansicht nach ja auch gar nicht. Die Phasenumkehr kann man demzufolge natürlich auch nur dann hören, wenn beide Pickups ausgewählt sind. Wählt man nur einen aus und zieht den Poti, dann ändert sich gar nichts.
Außerdem ist wichtig, dass bei beiden Pickups die gleiche Lautstärke und die gleiche Toneinstellung anliegt. Dann allerdings ist der Effekt deutlich.
Den Unterschied zwischen Single Coil und Humbucker hört man bei der Gitarre fast gar nicht. Was ich wirklich sehr bedauerlich finde. Ich hatte sogar erst den Verdacht, dass meine Gitarre falsch verdratet ist. Ist sie nicht, wie ein Test mit meinem Mobiltelefon erbracht hat. Wenn ich es bei Single Coil-Schaltung in die Nähe der Gitarre bringe, brummt es wie verrückt, in der Humbucker Einstellung nicht.
Bei meiner Player Plus Stratocaster (HSS) ist der Coilsplitting Effekt wirklich sehr deutlich zu hören.
Für den schwachen Coil Split Effekt gibt es von mir auch Minuspunkte für die Gitarre. Da hätte man seitens des Herstellers besser Humbucker gewählt, die das besser unterstützen oder ganz darauf verzichtet.
Es ist trotzdem meine Lieblingsgitarre😁