Ein Neumann speziell für den Radioeinsatz
Es gibt Namen im Musik-/Studiobereich, die haben einfach einen ganz besonderen Klang – ob nun Moog bei den Synthies, Les Paul bei den Gitarren, Pulte von SSL oder eben ein Mikrofon von Neumann. Besonders Letztere – gelten in zahlreichen Studios der Welt als Referenz, kaum ein Studio, in dem kein U 87 zu finden ist. Nun bleibt dessen Nachfolger, das U87 Ai mit einem Preis von gut 2.500,- Euro für die meisten Hobby-Musiker und Podcaster ein Traum. Deutlich günstiger ist da schon das BCM 104, ein Großmembranmikrofon mit integriertem Poppschutz speziell für den Broadcast-Bereich gebaut. Das ist nun bereits schon seit 15 Jahren auf dem Markt, dessen Anforderungen sich ja stetig weiter entwickeln; auch ist Broadcasting bzw. Podcasting inzwischen kein Nischenthema mehr für Profis, sondern in der Allgemeinheit angekommen. Kann sich das BCM 104 da noch behaupten? Hat es – wie viele seiner Neumann-Brüder und Schwestern – ebenfalls das Zeug zum All-Time-Klassiker?
Neumann BCM 104: Ausgepackt
Statt in einer Edelverpackung steckt das BCM 104 (wobei das BCM wohl für „Broadcast Microphone“ steht) in einer schnöden Pappröhre mit Plastikdeckel; einem Behältnis, in dem sonst eher Lebensmittel, Unterwäsche oder Kinderspielzeug zu finden sind. Das jetzt auch optisch nicht sonderlich aufwendig gestaltet ist – und dessen Plastikboden einfach festgetackert wurde. Das ist jetzt entweder überdrehtes Understatement (und witzig gemeint) oder einfach nachlässig.
Nennen Sie mich altmodisch, aber ich finde, dass ein gutes Produkt auch in eine gute Verpackung gehört. Vor allem in eine, die stabil genug ist, dass ich mein Mikro auch zwischendurch (auch für den Transport) dort wieder verstauen kann und möchte. Es muss ja nicht gleich eine Mahagoni-Kiste sein, aber so? Hm. Aber zum Glück geht es hier ja in erster Linie nicht um die Verpackung, sondern um den Inhalt. Und der findet sich – gut durch zwei Schaumstofflager gesichert und in eine Plastiktüte gepackt – im Inneren dieser kleinen Papptonne. Mit ihm dann noch die Bedienungsanleitung – packungsbedingt etwas gerollt und am oberen Rand durch den Plastikdeckel bereits etwas ramponiert. Ja ja, ich weiß, auf den Inhalt kommt es an, ich sag ja schon nichts mehr.
Technische Basics zum Neumann BCM 104
Das BCM 104 ist ein Großmembran-/Kondensatormikrofon mit der Richtcharakteristik Niere, integriertem Poppschutz und einer randkontaktierten Druckgradienten-Kondenserkapsel (mit dem malerischen Namen K 04), die Neumann eigens für dieses Mikrofon entworfen hat. Den Übertragungsbereich gibt der Hersteller mit 20 Hz – 20 kHz an, den Grenzschalldruckpegel mit beachtlichen 138 dB (mit Vordämpfung gar bei 152 dB) – Werte, die man bei Sprachaufnahmen wohl kaum jemals erreichen wird; Rauschen ist da ein Fremdwort. Der Geräuschpegelabstand (A-bewertet) wird mit sehr guten 87 dB angegeben (zum Vergleich: TLM 103: 87 dB, U87A: 82 dB), der Ersatzgeräuschpegel (A-bewertet) mit 7 dB (TLM 103: 7 dB, U87A: 12 dB). Der Frequenzgang ist annähernd linear, weist im Nahfeldbereich zwischen 100 und 300 Hz plus 2 dB auf und liegt – nach kleineren Schwankungen zwischen 4 und 15 kHz – selbst bei 20 kHz noch bei minus 2 dB.
Intermezzo: Historie, Umfeld und Neumann-Alternativen zum BCM-104
Im Vergleich zum U87 – das bereits seit 1967 gebaut wird und seitdem nur sehr behutsam modifiziert worden ist (U87A, U87Ai) – ist das BCM 104 mit seinem Alter von knapp 15 Jahren geradezu ein Youngtimer. Etwa ein Jahr später folgte mit dem dynamischen Mikrofon BCM 705 (das erste dynamische Mikro von Neumann überhaupt) das zweite BCM von Neumann, mit fast identischer Bauform, allerdings mit Supernieren-Charakteristik statt Niere; außerdem ist das 705er, das im Gegensatz zum Broadcast-Spezialisten BCM 104 mehr ein Allrounder ist, rund 300,- Euro günstiger. Als Alternative zum BCM 104 wird häufig das TLM 103 angeführt, das seit 1999 auf dem Markt ist: Ebenfalls ein Großmembranmikrofon mit Nierencharakteristik, genauso teuer wie das BCM 104 und ebenfalls für Sprachaufnahmen konzipiert – allerdings eher/auch für den Gesang, da es im absoluten Nahbereich kleiner 15 Zentimeter durch den massiven Anstieg des Tiefton-Frequenzganges übertrieben basslastig wird. Insofern kann das BCM 104 mit etwas Wohlwollen vielleicht als Radio-spezifische Weiterentwicklung des TLM 103 angesehen werden.
Spezielle Bauform des BCM 104
Das Neumann BCM 104 ist mit den Baumaßen von 64 x 85 x 110 mm ein extrem kompaktes Mikrofon, das mit seinen gut 500 g Gewicht einen überaus stabilen Eindruck macht. Das engmaschige Rundum-Gitter dürfte die Kapsel auch bei Stürzen aus größerer Höhe retten und diese ohne die sonst obligatorische Delle überstehen, scheint es doch deutlich massiver und fester zu sein als bei den anderen von mir in meinem Studio genutzten Mikrofonen (Rode, AKG). Ja, dieses Mikrofon ließe sich vermutlich sogar im Notfall als Bremsklotz einsetzen, um einen Wohnwagen auf abschüssiger Strecke gegen eventuelles Wegrollen zu sichern. Heißt übersetzt: Ein stabileres Mikrofon ist mir bisher nicht untergekommen.
Die Bauform ist aber nicht nur wegen des relativ kurzen Korpus mit seinem großen Durchmesser ungewöhnlich. Auffällig ist auch, dass das BCM 104 „verkehrt herum“, also hängend betrieben wird. Das ist zwar gerade im Radiobetrieb durchaus üblich, doch wurde das BCM 104 speziell für diese Art der Betriebsform gebaut: An der Stelle, an der sich sonst die XLR-Buchse befindet (nämlich am oberen respektive unteren Ende des Gehäuses, je nach Betrachtungsweise), ist der Stativanschluss angebracht; dabei sind die drei Stahlarme, die den Anschluss mit dem Gehäuse verbinden, auf kleinen Gummimuffen gelagert, während die Gewindeplatte auf zwei weiteren, größeren weichen Gummischeiben ruht – ein vielleicht etwas ungewöhnliches, aber durchaus probates Mittel, um den gefürchteten Trittschall zu dämmen. Um das Mikrofon am Galgen zu befestigen, ist dann ein Winkelstück oder ein Schwenkgelenk erforderlich, sofern nicht ohnehin schon eine speziell für oben liegende Gewinde ausgelegter Mikrofonhalterung vorhanden ist; Puristen erwerben das Original von Neumann (SG 5, 79 Euro), es gibt aber auch wesentlich preiswertere Lösungen von Drittherstellern, die denselben Zweck erfüllen.
Die XLR-Buchse ist dafür dann an die Rückseite des Gehäuses gewandert, wo sie rechtwinklig in Form eines T-Steckers herausragt.
Versteckte Feinheiten
Brauche ich denn bei dieser sehr speziellen Bauform nicht auch einen sehr speziellen Popp/Plopp-Schutz? Nicht unbedingt, da das BCM 104 bereits über einen integrierten Schutz dieser Art verfügt, der hinter dem Metallschutzgitter zu finden ist. Um dieses zu reinigen, kann der Käfig problemlos abgedreht werden, so dass das Innenleben des Mikros freiliegt. Dass dabei bei unserem Testgerät ein deutliches unschönes Quietschen seitens des Gewindes zu hören war, liegt vermutlich am Alter des vorliegenden 104ers, es sei ihm also verziehen. Dafür allerdings ist das Gerät noch immer in exzellentem Zustand: keine Schramme, keine Beule und technisch immer noch bei 100 Prozent – ein weiterer Beweis für die Unverwüstlichkeit und die exzellente Bauweise von Neumann-Produkten.
Versteckt sind auch die Schalter für das 12 dB Hochpassfilter, das Frequenzen unter 100 Hz absenkt und für die -14 dB Vordämpfung (Pad). Um nämlich an die zu kommen, muss tatsächlich erst die Schraube an der XLR-Buchse entfernt und der Steckeinsatz mit einer Spitzzange herausgezogen werden; erst dann sind die winzigen Schalter auf dem Einsatz zugänglich. Ziemlich umständlich also. Nun ist es im Radioalltag durchaus üblich, Schalter gegen Amateur-Spielereien zu sichern; im Autarkstudio eines ARD-Senders, in der ich des Öfteren Beiträge für den SWR produziere, haben die Techniker mittlerweile alle relevanten Regler des Digitalpultes mit Tesaband fixiert, nachdem selbst eine Plexihaube die Nutzer des Studios nicht davon abgehalten hatte, die Grundeinstellungen dauernd zu verändern. Von der Technik-Kollegen der ARD gab es dann auch uneingeschränkte Zustimmung für dieses (in meinen Augen) doch sehr umständliche Schalter-Versteckspiel. Ihre Meinung: „Ach was, da muss man eh nur einmal dran und dann ist die nächsten Jahre Ruhe. Dann fummelt uns wenigstens keiner mehr dran rum!“ Das mag im Profi-Radiostudio zwar zutreffen; wer aber zu Hause „mal eben schnell“ ausprobieren möchte, wie der Sound mit HP-Filter oder Dämpfung klingt, dürfte sich eher meinen Vorbehalten anschließen.
Der Klang des Neumann – einige Bemerkungen vorab
Entscheidend ist aber natürlich in erster Linie „Auf’m Platz“, in diesem Fall: Der Klang. Vorab: Ich selber produziere im eigenen Studio mit einem Rode Broadcaster bzw. einem Rode NT2-A, im ARD-Studio meist mit einem Neumann U87 (die Gebührengelder müssen ja schließlich irgendwo hin) – wo ich dann jedes Mal aufs Neue von der Klarheit und Präsenz des Klanges beeindruckt bin. Und wechsele ich mal in ein anderes, Neumann-loses Studio (auch die gibt es in der ARD), heißt es gleich am anderen Ende der Leitung vom Kollegen: „Du klingst heute so anders – hast du irgendwas verstellt?“
Um den Klang eines Mikrofons exakt beurteilen zu können, sollte im Idealfall natürlich auch der Rest der Hardware-Kette (Preamp, Mixer etc.) mit dem Mikro qualitativ auf Augenhöhe und auch die Raumakustik entsprechend optimiert sein. Ich gebe zu: Da ist bei mir (wie bei den meisten anderen wohl auch) schon aus finanziellen Gründen doch noch Luft nach oben. Insofern ist mein Eindruck vom Klangbild des Neumann BCM 104 nicht absolut, sondern das Ergebnis eines Vergleichs mit den Mikros, mit denen ich sonst bei mir produziere – weshalb ich dann auch einige Demo-Samples mit meinem Rode Broadcaster hinzugefügt habe. Unter idealen Bedingungen (und mit einem guten Preamp) ist es da sicher möglich, noch einiges mehr an Soundqualität aus dem BCM 104 heraus zu kitzeln.
Bei den Aufnahmen (Mikro ohne Umwege direkt an Mackie-Pult, das recht ordentliche, aber keineswegs „Highend“-Preamps besitzt, bei neutralen EQ-Stellungen) habe ich lediglich aufgrund der wechselnden Entfernungen den Pegel ein wenig angepasst. Getestet habe ich in unterschiedlichen Distanzen (5, 10, 30 cm plus extrem nah aka „kiss the mike“ – was heutzutage bei immer mehr Kollegen im Studio zu beobachten ist, leider auch am U87, was das eigentlich gar nicht mag), mit zusätzlichem Poppschutz (beim BCM 104) bzw. zusätzlichem Popp- und Windschutz (bei Rode Broadcaster) und sowohl mit als auch ohne Hochpassfilter (BCM 104). Als Test-Text musste wieder mal ein Satz aus einer AMAZONA.de-Newsmeldung herhalten – mit Absicht einer, der auch einige Plosiv-Laute enthält.
Und wie klingt das Neumann BCM 104 denn nun?
Im direkten Vergleich klingt das Neumann BCM 104 ein Stück klarer, offener und präsenter, ohne zu sehr einzugreifen. So kommen die Höhen recht natürlich rüber. Die Mitten empfand ich als eine Spur „wärmer“ und weniger „mittig“ als bei meinen anderen Mikros, während sich die Bässe im absoluten Nahbesprechungsbereich nicht zu sehr aufdrängen, sondern einfach nur mehr Volumen verleihen. Das Hochpassfilter, das zur Kompensation des Nahbesprechungseffekts zugeschaltet werden kann, würde ich persönlich eher weglassen, da dieser Effekt – anders als bei anderen Mikros – hier nie unangenehm wirkt. Aber das mag sich in einer anderen Studioumgebung und mit anderen Ohren auch wieder ganz anders anhören. Durch die klare Naturbelassenheit des Klanges lässt sich dieser im Nachgang auch gut weiter bearbeiten; auch deshalb, weil Rauschen für das Neumann BCM 104 absolut kein Thema ist.
Am besten klingt das 104er in meinen Ohren im Abstand zwischen 5 und 10 Zentimetern, ohne das Hochpassfilter – da muss dann kaum noch etwas bearbeitet oder hinzugefügt werden. Bei etwas größeren Distanzen fehlt es dann naturgemäß im Keller ein wenig, aber auch da ist die Sprache immer noch enorm präsent; vor allem lässt sich da der Pegel auch nachträglich noch anheben, ohne dass dabei ein etwaiges Grundrauschen mit verstärkt wird; einfach deswegen, weil Selbiges kaum bis gar nicht vorhanden ist.
Der eingebaute Popp/Plopp-Filter des BCM 104 hingegen kommt vor allem im absoluten Nahbereich an seine Grenzen und lässt so manchen Plosivlaut ziemlich ungehindert passieren. Da sollte dann in jedem Fall ein weiterer Poppkiller vorgeschaltet werden. Bei Entfernungen jenseits der 10 Zentimeter erweist sich der integrierte Schutz dann aber doch als recht zuverlässig. Der Rumpelfilter (Pad) hingegen mit seiner -14 dB Absenkung arbeitet in allen Lebenslagen störungsfrei.
Hallo Kollege,
schöner und fundierter Test.
Das Interessanteste sind aber deine Seitenhiebe auf die Öffentlich-Rechtliche Geldverbrennungsmaschine.
Schön, dass du dir da eine gesunde Objektivität bewahrt hast.
Grüße
Armin
Ich haette gerne einen vergleich mit deinem Rode gehört … !
@kinsast Klangbeispiel 12-17 – das sind die von Rode.
Auch ich lege Wert auf eine gute Transportverpackung, aber diese bezahlt man jedesmal mit. Am besten gefällt mir die von Schoeps, am schlimmsten die Mikrofontaschen von Sennheiser.
Meines Wissens gibt es bei den »Öffentlichen« bei der Einrichtung eines Studios einen ersten Ausrüstungsetat (der auch nicht beliebig hoch ist). Die Einrichtung muss dann aber 20 oder mehr Jahre reichen. Aus dem Grund wird auch sehr hochwertig eingekauft, z. Bsp. »Yellowtec Mika« Mikrofonarme die auch weitere wichtige Features wie »On Air« Licht etc. haben. Ersetzt wird nur was wirklich nicht mehr zu reparieren ist.
Manche Radiostudios bevorzugen aber auch »Microtech Gefell« Mikrofone, die eine ähnlich hohe Qualität aufweisen.
@Franz Walsch Die Bemerkung zu den ÖRs war auch eher augenzwinkernd gemeint. Ich sitze zuweilen auch in ARD-Studios mit Uralt Yamaha-Digimixer und Bügelmikro, bei dem schon seit Jahren der Ploppschutz fehlt :-)
Und zum Thema Transportverpackung: Die zahle ich dann auch gerne mit, wenn ich dann auch tatsächlich eine bekommen sollte – so teuer ist die ja nun auch nicht. Beim Neumann hier fehlt die ja völlig.
@m.steinwachs Das Lied singe ich lautstarkt mit! Ich bin auch ständig auf der Suche zu meinen Gerätschaften Taschen, Beutel etc. zu finden. Oft finde ich in ganz anderen Bereichen eine Lösung. Für dieses Mikrofon fällt mir spontan ein Objektivköcher ein. Diese sind fast immer gut gepolstert und wasserabweisend. Laut Neumann-Datenblatt ist das Mikro 64x85mm groß dafür passend etwa der Köcher von Neewer »Neewer Tasche für Objektiv mit 18-55 mm Objektiv, wie Canon 50-1.4 50-1.8 85-1.8 18-55 35-2, Nikon 50-1.8 16-85 18-55 35-1.8G 60-2.8«.
Schöner Artikel und vor allem aussagekräftige Aufnahmen die eindeutig beweisen: Es muss nicht immer ein teures Neumann sein. War erstaunt, wie gut das Rode im Vergleich klingt. Für meinen Geschmack nämlich deutlich besser und transparenter was schon ziemlich unglaublich ist. Wenn man zwischen den Aufnahmen (also Neumann vs Rode) hin- und herklickt, hört man das sofort raus. Unglaublich. Ich denke beim U87 wäre das aber sicherlich nicht der Fall gewesen, weil das besitze ich selber und ist für mich persönlich ungeschlagen. Beim nächsten Mal auch noch mit dazuholen. :)