Verbesserter Workflow im Studio: Touch Portal & Co.
Zig Shortcuts hat die DAW des Vertrauens, aber wer soll sich die alle merken? Und die Funktionen und Shortcuts, die das eigene Herz begehren, sind „mal wieder“ nicht dabei. Die Ergonomie des heimischen Studios kann demnach entscheidend dazu beitragen, wie effizient der Schaffensprozess verläuft. Jeder Sequencer, jeder Audio-Editor kann Tastaturbefehle verarbeiten, einige auch einfache Makros oder komplexe Skripte ausführen. Bei so manchen Installationen werden diese Optionen wenig oder gar nicht genutzt. Zeit, das zu ändern.
Die Ausgangssituation
Wer mit dem Sequencer (Audioeditor, Videoschnittsystem etc.) seiner Wahl bereits einige Zeit arbeitet, kennt auch die üblichen Tastaturkürzel und den ein oder anderen Kniff oder Trick. Fast jedes Programm bietet die Option, Tastaturbefehle zu ändern oder komplett eigene anzulegen. Zwar gibt es für etliche Software-Lösungen sogar Tastaturen mit aufgedruckten Befehlskürzeln oder zumindest Aufkleber-Sets, der Übersichtlichkeit kommt dies aber nicht immer zugute. Selbst definierte Tastaturbefehle müssen gemerkt werden oder es muss ein eigenes Set an Aufklebern gebastelt werden. Soll nun eine ganze Abfolge an Arbeitsschritten per Knopfdruck ausgeführt werden, lassen viele Programme die Anwenderschaft im Regen stehen. So genannte Makros sind nicht in jeder Applikation vorgesehen und bei einer Skriptschnittstelle sieht die Sache noch trüber aus: Reaper und Dorico bieten bspw. ausgefuchste Lua-Script Systeme, Cubase und Reason (sowie diverse andere) sind hierbei bspw. nicht „satisfaktionsfähig“. Lua ist eine Skriptsprache, die vor allem in der Spieleentwicklung Verwendung findet.
Auf dem Weg zur Lösung: Programmierbare Tastaturen im Tonstudio
Für die genannten Anwendungsfälle gibt es programmierbare Tastaturen. Das sind Keyboards, die sich dem Computer als ein solches vorstellen, bei denen die Tasten allerdings frei belegbar sind und sogar ganze „Befehlsketten“ auf eine Taste gelegt werden können. Manche Modelle erlauben auch deutlich mehr als das „Abspielen“ von simplen Tastenkombinationen: Es können Skripte oder Programme gestartet werden und – je nach Modell – auch noch weitere Dinge.
Die Nachteile: Noch immer müssten eigene Etiketten hergestellt werden und eine Mehrfachbelegung der Tasten ist nicht möglich bzw. oft zu unübersichtlich.
Der Vorteil: große Flexibilität (je nach Modell) und für jeden Befehl auch ein haptisches Erlebnis – eine Taste, die man fühlen und herunterdrücken kann.
Das Elgato Stream Deck bietet auf jeder Taste sogar ein LC-Display. Das macht nicht nur die nervigen Etiketten vollkommen überflüssig, sondern erlaubt auch die Mehrfachbelegung von Tasten, ohne dass eine Verwechslungsgefahr bestünde. Das Stream Deck unterstützt sehr viele Funktionen (nicht nur die Simulation von Tastendrücken) und integriert sich in einige Programme auch nahtlos und recht tief. Der winzige Nachteil: der Preis.
Die große Version (mit 32 Tasten) kostet aktuell 225,- Euro. Der Mitbewerber Loupedeck Live ist sogar noch etwas teurer und bietet nur ein Touch-Display, nicht die Tasten mit LCD-Bildschirm, wie das Stream Deck – also kein echter Ersatz.
AverMedia Live Streamer AX310 ist noch weiter weg von der Funktionalität des Stream Decks, soll aber (da auch ein Audiointerface integriert ist) die „All-in-one“-Lösung für Streamer sein.
Einfache programmierbare Tastaturen mit 4-6 Tasten sind schon ab 20,- Euro zu bekommen. 84 programmierbare Tasten sind – in guter Verarbeitung – schon ab 150,- Euro zu erstehen. Leider fehlen hierbei die fancy LCD-Buttons.
Die Stream Deck Alternative: Touch Portal
In etlichen Vlogs und Blogs wird Touch Portal als kostenlose Stream Deck Alternative gefeiert.
Kostenlos stimmt allerdings nicht so ganz – es ist zumindest eine sehr verkürzte Darstellung der Tatsachen. Denn Touch Portal ist eine App, die es in den AppStores für iOS und Android zum kostenlosen Download gibt. Auf einem Mac oder Windows-PC muss nur die passende Server-Applikation installiert werden und schon kann man mit dem Tablet (oder dem Smartphone) 4×2 (bzw. 2×4) Buttons definieren und bis zu zwei Seiten (Pages) nutzen. Wer mehr Buttons nutzen möchte, muss im In-App-Kauf rund 13 Euro auf den virtuellen Tresen legen. Dann stehen bis zu 110 Buttons (in maximal 15 Reihen) pro Seite und unendlich viele Unterseiten zur Verfügung.
Die in Touch Portal definierten Buttons können Tastatur-Shortcuts beinhalten, Funktionen des Betriebssystems ausführen oder direkt mit einigen Programmen verbunden werden und so Funktionen ausführen (und auch Rückmeldungen von den Programmen auslesen). Die Integration in OBS Studio ist beispielsweise sehr tief. Auch Makros lassen sich programmieren.
Ein (gebrauchtes) Tablet wird natürlich benötigt. Zusammen mit den 13,- Euro für Touch Portal sollte man aber für rund 100,- Euro eine Streamdeck-Alternative bekommen, die in Punkto Funktionalität dem Vorbild in nichts nachsteht, zumindest in fast nichts.
So muss zwar auf das haptische Gefühl der Buttons verzichtet werden (ein blindes Bedienen ist somit nicht möglich) und das Smart Device muss mit einem Netzteil verbunden sein, sonst ist recht fix Schluss mit der Ergonomie, da Touch Portal doch recht großen Energiehunger hat. Klar, das Smart Device ist ja ununterbrochen an mit eingeschaltetem Display. Die Datenverbindung erfolgt per WLAN oder direkt via USB. Letzteres konnte aber auf drei Testrechnern nicht stabil zum Laufen gebracht werden.
Tastatur-Shortcuts im Tonstudio: Macro Deck
Wer es ganz kostenlos mag, sollte sich die Lösung Macro Deck etwas genauer ansehen. Es bietet die gleichen Grundfunktion wie Touch Portal, ist jedoch kostenlos und belastet somit das Budget für neues Equipment überhaupt nicht. Die Version 2 ist erst seit kurzer Zeit erhältlich und holt einiges an Features zu Touch Portal auf, ist aber (noch) nicht ganz auf Augenhöhe mit der kommerziellen Lösung. Der Community-Support ist (noch lange) nicht auf dem Niveau wie bei Touch Portal, auch die Anzahl an Button-Sets und Plug-ins ist nicht mit Touch Portal vergleichbar. Ebenso ist die Benutzeroberfläche zum Einrichten der Buttons etwas weniger übersichtlich und bietet nicht die gleiche Feature-Dichte wie der kommerzielle Marktbegleiter.
Leider lassen sich die Setups zwischen Macro Deck und Touch Portal nicht transferieren, so dass ein Wechsel nicht via Mausklick vollzogen werden kann und mit der Neuprogrammierung einhergeht. Die Datenverbindung zum Rechner ist ähnlich gelöst wie bei Touch Portal.
Workflow Verbesserung im Tonstudio: HID macros (Lua Macros)
Schon mit Sequencern und Videoschnitt-Systemen scheint die heimische Computertastatur zu klein zu werden. Aber auch für die Anhängerschaft der üblichen (Flug-) Simulatoren reicht das Keyboard oft nicht aus. Zwar gibt es – ähnlich der Controller für den Audiosektor – spezielle Hardware, die das Fliegen von Flugsimulatoren vereinfachen soll, jedoch gilt auch hier: Alles bilden diese Tools nicht ab und der Preis ist nicht für jeden interessant (ganz zu schweigen vom Platzbedarf).
Für Fans des Microsoft Flightsimulators haben findige Köpfe daher HID macros aus der Taufe gehoben. Selbstverständlich läuft das Programm nicht nur mit diesem einen Flugsimulator, sondern auch mit anderen Applikationen, so dass es auch für den Tonstudioeinsatz in Frage kommt.
Dieses Werkzeug kann Tastaturen unterscheiden und kann erkennen, auf welcher der angeschlossenen Keyboards die betreffende Taste gedrückt wird. Wer nun ein zweites (drittes, viertes …) Keyboard an den Rechner anschließt, kann damit die zweite Tastatur als reines Werkzeug für Shortcuts und Steuerung des Flugsimulators nutzen.
Das Programm Lua Macros ist eine neue Version von HID macros (dieses Tool ist mittlerweile eingestellt) und erlaubt es, auf Knopfdruck ganze Skripte laufen zu lassen (und natürlich auch Tastenkomandos/Shortcuts zu senden). Interessant zu erwähnen, dass dieses Tool ebenso kostenlos ist wie Macro Deck.

Die Oberfläche von Lua Macros gewinnt keine Preise für Optik, das Tool tut jedoch sehr zuverlässig seinen Dienst
Hier gibt es weder LCD-Tasten, noch Interaktion mit der gesteuerten Applikation, so wie das bspw. bei Macro Deck oder Touch Portal in Verbindung mit OBS Studio gelöst ist. Trotzdem muss auf beschriftete Tasten nicht verzichtet werden: So kann ein Nummernblock (erhältlich ab ca. 5,- Euro) zur programmierbaren Tastatur umgewidmet werden (ähnlich wie die genannten Modelle oben) und anschließend mit eigenen Etiketten verschönert werden.
Der große Vorteil gegenüber Touch Portal: Tastaturen sind billiger als Tablets und bei der Nutzung ist ein haptisches Tastengefühl vorhanden. Auch ist die Kostenkomponente hier geringer als bei programmierbaren Tastaturen aus dem PC-Geschäft.
Während Änderungen beim Streamdeck, Macro Deck und Touch Portal sehr leicht umgesetzt werden können, ist bei dieser Lösung das Abtrennen des Etiketts von der Tastatur evtl. nicht so bequem und hinterlässt Klebereste. Schade ist auch, dass dieses Tool nicht für das macOS verfügbar ist. Mac-User können aber bspw. auf Karabiner-Elements, Keyboard Maestro oder den Automator zurückgreifen.
Touch Portal in der Heimstudiopraxis
Wer sich ein solches Macro Board (hier am Beispiel von Touch Portal) einrichten möchte, sollte etwas planen – je nachdem wie groß und umfassend die avisierte Lösung werden soll. Wenn es nur darum geht, ein paar Shortcuts auf je einen bestimmten Button zu legen, wird es auch ohne große Strategie klappen.
Es kann trotzdem sinnvoll sein, sich selbst ein paar Fragen (zum Entwurf) zu stellen:
- Welche Funktionen (des genutzten Programmes) unterstützen den eigenen Workflow optimal?
- Welche Shortcuts nutze ich regelmäßig?
- Welche Shortcuts wünsche ich mir? Lassen sich diese mit meiner Sequencer-Software realisieren oder kann ein Makro-Tool (wie AutoHotKey, Automator, Hammerspoon …) diese Funktion nachbauen? Hat mein Sequencer eine entsprechende eigene Skriptschnittstelle (wie bspw. Reaper)?
- Wie sollen die Befehle/Buttons angeordnet sein? Richten sich alle an ein Programm oder an verschiedene, die gleichzeitig genutzt werden (bspw. Synth-Editor und Sequencer)?
- Muss ich kleine Makros schreiben für Touch Portal?
- Gibt es ein passendes Plug-in für Touch Portal?
- Haben andere Anwender diese Aufgabe bereits gelöst und das in Foren beschrieben?
- Welches Tablet steht zur Verfügung? (Passen die Buttons in vernünftiger Größe auf das Display? Kann das Tablet am Arbeitsplatz verbleiben, also fest installiert werden?)

Selbst verzweigte Programmierungen (sowie Designanpassungen je nach Funktionszustand) wird von Touch Portal untrstützt
Wenn diese Fragen geklärt sind, kann es an die eigentliche Planung gehen. Glücklicherweise lassen sich die Pages innerhalb von Touch Portal sehr einfach umarrangieren, so dass eine detaillierte Konzeption nicht unbedingt notwendig ist, trotzdem ist diese zu empfehlen. Sonst wird das geplante Grid schnell zu klein oder es muss andauernd umgeräumt werden, weil die Aufteilung nicht mehr passt. Vorher sollte man auch prüfen, ob die geplante Grid-Größe zum gewählten Tablet passt und die Buttons auch nicht zu klein ausfallen.

Das Einrichten einer einfachen Button-Page für WaveLab, die Pro-Version ist noch nicht freigeschaltet (oben zu sehen)
Macros in Touch Portal erlauben es nicht nur, Tastatureingaben zu emulieren, auch Mausbewegungen können gesteuert werden (das dürfte – in den meisten Fällen – Makro-Tools überflüssig machen). Somit sind Lösungen programmierbar, die mit Bordmitteln der Sequencer keinesfalls möglich gewesen wären. Es gibt einen Discord-Server und diverse Videos zum Thema, so dass die Einarbeitung recht fix vonstatten geht.
Eigentlich ne super Sache. Die Frage, die ich mir stelle: Wieder ein Gerät und wieder Befehle in ein Gerät und das zusätzliche Programm eingeben bzw. sich damit befassen. Befassen ist der bessere Ausdruck, weil es geht schnell. Des weiteren muss man zusätzlich auf den Akku achten. Bei der Anschaffung eines neuen Rechners ist statt musikmachen erstmal programmieren und einrichten angesagt. Bestes Katastrophenbeispiel: Regler zuweisen eines Digital-Mischpultes. Bei mir ist weniger – mehr! Oder auch: Wenig, aber dafür hochwertig! Übrigens: Solche Aufkleber kosten nicht viel und erleichtern den Workflow immens, fast ohne Einarbeitung. Schade, dass bei diesem Thema ständig die Firmen wechseln und der Thomann diese nicht mehr hat, wegen der schlechten Qualität der Letzteren. Aber: Es gibt eine neue Firma der Aufkleber und sogar eine neue Tastatur mit Shortcuts. An alle die schon die Hoffnung verloren haben sei gesagt: Beides gibt es wieder! Der Jahrtausend-Tipp zum Schutz vor Abnutzung: Transparenter Nagellack. :)
Ich verstehe, was Du meinst, aber es ist wirklich easy. Du kannst Backups ganz simpel einspielen. Also ein PC-Wechsel ist in wenigen Minuten erledigt mit Touch Portal (ja, ist getestet) ;-)
Mit hat das viel gebracht, ich habe jetzt mehr Zeit für Musik :-)
LG
F
Das ist ein interessantes Thema, das ich auch schon einige Zeit verfolge. Für mein live-Setup benutze ich aber immer noch ein programmierbares Cherry-Numpad, das den Hauptrechner mit Cantabile3 bezüglich Songs, Song-states und einiger anderer Funktionen ( wie z. B. Metering; Live mode usw.) umschaltet.
Der Hauptrechner schaltet dann den Backuprechner über MIDI, so dass dieser immer parallel mitläuft. Im Fall eines Defektes kann ich dann am Mixer einfach auf den Backuprechner umschalten. Man kann so auch Songs direkt anwählen, falls sich in der Setlist mal kurzfristig etwas ändert. Soweit ich das überblicke, haben die meisten modernen Keyboards kein Tastenfeld mehr, so dass man sich immer irgendwo durchclicken /-touchen muss.
Da beide Rechner 2in1 Convertibles sind, kann ich auch per Touchscreen bedienen, die Haptik mit dem NumPad gefällt mir aber besser.
Ich denke aber schon, dass die Elgatoteile auch abliefern für den Preis. Vor allem, wenn man bedenkt, dass vor 10 oder 15 Jahren Art Lebedev die Ersten Tastaturen mit OLEDs für knappüber 1.000€ angeboten hat.
Die Lösung mit Tablet ist sicher nicht verkehrt, zumal zu den quasi nicht vorhandenen kosten. Alledings möchte die Haptik auch noch ein gewichtiges wörtchen mitreden. Touchscreens bei Tablets und Handys finde ich scheußlich.
Absolut! Ich kann mich noch erinnern, als ich 2002 Tasten mit LCD-Display (einfarbig, große Pixel) gesehen habe und dachte: Das kaufste und baust Dir was tolles… als ich die Preise bekam, war das schnell vom Tisch :-)
Man nehme eine Multitouch-fähige DAW (Bitwig) und einen akkubetriebenen, mobilen Touchscreen-Monitor (Asus Zencscreen MB16AMT), fertig. Kein Anlernen, keine Templates, Aufkleber, Mappings oder ähnliches. Kein Gehirnjogging, wo ich für welches Projekt welchen Controller hingemappt habe. Einfach die DAW-Oberfläche überall im Studio wo ich möchte.
Das ist aber ganz und gar nicht das gleiche! Eigene Makros und Befehle hat man so nicht, sondern nur das, was auch auf der Oberfläche direkt verfübar ist (ersatzweise im Menü).
Und der Witz bei Touch Portal und Stream Deck ist ja gerade eben KEIN Gehinrjogging! Ich mache mir damit die Welt, wie sie mir gefällt.
LG
F