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Making of: Tool Lateralus

Spiral out - die Geschichte hinter Lateralus!

12. März 2023

Als im Laufe der 90er-Jahre der Grunge zunehmend in der Vordergrund rückte, sprangen viele auf den Zug auf. Dave Gahan drängte in den Dunstkreis von Jane’s Addiction. Def Leppard produzierten mit „All I want is everything“ ihre eigene Version von Grunge, Bon Jovi brachte den unsäglichen „Hey God“-Song raus und sogar Mötley Crüe versuchten sich mit „Misunderstood“ an einem nahezu unverschämten Rip-off von Alice in Chains. Das Gitarrensolo war out, simple Riffs waren in und der Hair Metal hatte seine besten Tage hinter sich – auch wenn sich Musiker wie Jani Lane von Warrant mit Händen und Füßen dagegen wehrten und Grunge als „deprimierende Scheiße“ bezeichneten.

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Während sich die Musikwelt also nach Nevermind neu ordnete und der Hair Metal seinem Ende entgegensah, waren die Grabesreden für den Progressive Rock längst gehalten worden. 12-minütige Songkapriolen mit zwanzig Riffs? Braucht niemand. King Crimson? Will niemand. Doch 1996 flackerte und flimmerte eins der bis dato seltsamsten Musikvideos der Rockgeschichte durch die MTV-Kanäle: Tool wurden mit „Stinkfist“ der breiten Öffentlichkeit bekannt. Eine extrem düstere Stop-And-Motion-Puppenkiste, die alle daran erinnerte, dass es neben Grunge, Thrash- und Hair-Metal noch Wege gibt, Musik jenseits der Klischees zu komponieren und aufzunehmen. Es war neu, einzigartig – und irre gut arrangiert. Die gesamte Musikwelt horchte auf – wer ist diese gesichtslose, zurückhaltende und anspruchsvolle LA-Band? Die zwei Vorgängerplatten waren der Underground-Szene bekannt, fielen jedoch weitaus „konventioneller“ aus. Aenima war etwas völlig Neues.

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Tool gelang in den Folgejahren etwas, das bislang weder Dream Theater oder anderen, puristischeren Prog-Acts gelungen war: Sie fügten sich nahtlos in den Rock-Mainstream ein, waren irgendwie Teil der „Counterculture“ und doch völlig anders. War „Aenima“, das Mutteralbum von Stinkfist, die Neuerfindung des Prog-Rock? Nein – die sollte sieben Jahre später folgen. „Lateralus“ ist nicht ohne „Aenima“ denkbar. Es markiert den (streitbaren) Schaffenshöhepunkt der wichtigsten modernen Prog-Band der jüngeren Zeit – und ist gewissermaßen das „Dark Side of the Moon“ meiner Generation.

Tool Lateralus – Auf Aenima folgte ein neuer Geist

Das Jahr ist 2001 – ich bin Student und habe gerade den ersten Listen-Through von Lateralus hinter mir. Mitten in der Nacht liege ich da und habe das Gefühl, Teil von etwas Besonderem gewesen zu sein. Lateralus hat musikbegeisterte Gitarristen und Drummer einer ganzen Generation geprägt. Und wie viele andere lag auch ich anschließend da, dämmerte weg – und erwachte ein paar Minuten später mit einem halben Herzinfarkt.

Aus der Stille nach dem letzten Song „Triad“ auf dem Album schwillt eine Weile später eine Kakophonie von alptraumhaften Geräuschen und Noise an, aus der sich eine panische, atemlose Stimme schält. Mit aufgerissenen Augen horchte ich den Worten:

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„I, I don’t have a whole lot of timeUm, okay, I’m a former employee of Area 51I, I was let go on a medical discharge about a week ago and, andI’ve kind of been running across the countryDamn, I don’t know where to start, they’reThey’re gonna, um, they’ll triangulate on this position really really soon

Okay, um, um, okay
What we’re thinking of as, as aliens
They’re extradimensional beings
That, an earlier precursor of the, um, space program they made contact with
They are not what they claim to be
Uh, they’ve infiltrated a, a lot of aspects of, of, of the military establishment
Particularly the Area 51

The disasters that are coming, they, the military
I’m sorry, the government knows about them
And there’s a lot of safe areas in this world that they could begin moving
The population to now, they are not
They want those major population centers wiped out so that the few
That are left will be more easily controllable.“

Der „Hidden Track“ von Lateralus wurde sofort Gegenstand von Spekulation. Das Internet war vor fast zwanzig Jahren eben nicht ganz das, was es heute ist. Es dauerte eine Weile, bis das verstörende Schnipsel zugeordnet werden konnte: Es wurde 1997 aus einem Anruf in Art Bells Coast to Coast AM-Radioshow entnommen – eine Radiosendung über Verschwörungstheorien, Aliens und Illuminaten. In der berüchtigten Aufnahme behauptet der Anrufer, ein ehemaliger Angestellter der Area 51 zu sein und gerät hörbar in Panik, dass seine Nachricht „trianguliert“ wird. Das ist nicht alles: Die Legende besagt, dass der Satellit, über den die Sendung ausgestrahlt wurde, während der Sendung abstürzte. Der Anrufer behauptete ein paar Monate später, die Geschichte erfunden zu haben. Aber so ganz ließ das Ganze die Band nicht los. „Wer weiß, ob der Typ aus einem rationalen Zustand heraus gesprochen hat, ob er wirklich in Panik war oder ob er ein völlig schizophrener Mensch ist, der komplett durchgedreht ist“, sagte Schlagzeuger Danny Carey im Juni 2001 zu Modern Drummer. „We may never know.“

We may never know – und es sind genau diese Sphären, die die Band seit jeher inspirierten. Das Unbekannte. Schwer greifbare. Das „dritte Auge“. Spirituelle Frequenzen. Und so. Inzwischen ist es fast ein Klischee – Tool stehen wie keine zweite Band für psychedelisch inspirierte Selbstfindungstrips in Musikform. Und der Fanatismus vieler Fans für diese Band ist inzwischen durchaus auch Gegenstand von Hohn und Spott. Doch damals, 2001, war Lateralus für viele, die von der Rocklandschaft gelangweilt waren, eine Offenbarung. Und tatsächlich ist es die Platte noch immer. Falls der geneigte Leser es nicht bemerkt hat: Ich bin selbst großer Fan dieser Platte. In meiner persönlichen, seit Jahrzehnten immer wieder variierenden Top 10 Greatest Albums of All time-Liste hält Lateralus wacker die Pole-Position. Daran wird sich wohl nie etwas ändern.

Laterale Hemmungen & kreative Isolation

Aber zurück zur Entstehung: Mit Aenima war die Fahne in der Musiklandschaft gesetzt worden – und die Band war sofort in aller Munde. Für den damaligen Bassisten, Justin Chancellor, der während der Schreibarbeiten für das Album erst an Bord kam, eine besonders stressige Angelegenheit. Vier Songs standen bereits, als er dazukam. Doch die anschließende Tour glich erst recht einer Feuertaufe. „Es war eine sehr neue Erfahrung für die gesamte Band„, erklärte Chancellor gegenüber dem Magazin Loudersound:

„Wir gingen auf eine wirklich große Tournee, dann machten wir eine zweite Tournee, die fast zwei Jahre dauerte. Ich glaube, am Ende brauchte jeder ein wenig Abstand von den anderen. Wir haben uns eine ordentliche Pause gegönnt. Maynard hatte Ambitionen, mit seinen anderen Kumpels andere Bereiche der Musik zu verfolgen, und so war ich, der ich neu in der Band war, anfangs verwirrt – werden wir nicht ein neues Album machen? Wollen wir nicht nach diesem Erfolg weitermachen? Aber offensichtlich waren sie schon etwas länger zusammen und hatten schon einige Höhen und Tiefen mit einem neuen Mitglied in der Band durchgemacht. Nach der Tour für Ænima war jeder froh, es etwas langsamer angehen zu lassen. Nun, fast alle. „Maynard nennt sich selbst einen weltweiten Multitasker und ich denke, das liegt in seiner Natur. Er hatte nie vor, langsamer zu werden.“

Maynard James Keenan – der Sänger und die vielleicht streitbarste Persönlichkeit der Band. Goldkehlchen. Cross-Dresser. Ging auf eine Militärschule. Comedian. Besitzer eines Weinguts in Florida. Maynard James Keenan ist der vielleicht kreativste Rocksänger, den L.A. jemals hervorgebracht hat. Zumindest ist es der Eindruck, dass er sich selbst manchmal so sieht. Sein Selbstverständnis und seine Selbstironie bewies der Musiker immer wieder in Interviews, genauso wie seinen manchmal etwas ruppigen Umgang mit Fans:

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Dieser Maynard Keenan entzog sich also nach der Aenima-Tour der Band und fand mit dem Gitarristen Billy Howerdel, der im Haus des Sängers in Nord-Hollywood wohnte, einen anderen musikalischen Seelenverwandten, mit dem er A Perfect Circle gründete. Das Debütalbum Mer De Noms kam im Mai 2000 heraus – und eine Weile machten Gerüchte die Runde, Tool hätten sich aufgelöst.

Doch nichts dergleichen war der Fall. Während Keenan mit A Perfect Circle und einer Tour mit Nine Inch Nails beschäftigt war, machten sich Chancellor, Jones und Carey daran, neue Musik für Tool zu schreiben. Die Dynamik zwischen den Dreien würde schon bald einen eigenen Legendenkanon entwickeln, doch vor allem ein Aspekt wurde im Laufe der Jahrzehnte berühmtberüchtigt: Zeit. 

„Wir fingen an, ein paar Sachen zusammenzustellen, weil wir dachten, dass es vielleicht recht schnell gehen würde und wir ein paar solide Formen von Songs zusammenbekommen könnten, aber es war wirklich schwer. Als wir ein paar grundlegende Ideen hatten, war Maynard schon bereit, mit seiner anderen Band loszulegen, also sagten wir alle: Na gut, so wird es sein. Es stellte sich heraus, dass uns das den nötigen Spielraum verschaffte. Er ging weg, wir konnten uns alle ins Zeug legen und uns in gewisser Weise selbst verwirklichen, aber wir mussten uns ansehen, was wir tun wollten, wir drei… musikalisch mussten wir ein wenig experimentieren.“

Der Schlüssel einer jeden guten Band ist – neben den Talenten ihrer Einzelmitglieder – Routine. Wir schreiben das Jahr 2000: Von Montags bis Donnerstags kam Tool zusammen, jammte, nahm auf, sezierte und zerbrach sich den Kopf über Parts – monatelang. Die organische Chemie, die Adam, Justin und Danny miteinander teilten, wurde maximal ausgespielt und bis ins letzte Detail erforscht. Justin, der selbst seine Ideen selten in 4/4 formuliert, tendierte dazu, komplexe Basslinien in den Proberaum zu bringen, wo sie von Adam und Danny simplifiziert und anschließend festgezurrt wurden. Es ist der Luxus des kreativen Prozesses: Den Raum, den Zeit, die Muse und die Leute zu haben, die mit einem durch die Ideen gehen. Gemeinsames Arrangieren. Gemeinsames Ausloten. Und Rückkehr zum Anfangspunkt: Allein der Titeltrack, der zwischen 9/8 und 7/8 alterniert, kulminiert in einem simplen 4/4 Rhythmus, während Strophe und Refrain zwischen krummen Takten hin- und herspringen. Keine Grenzen waren gesetzt. Keine kommerziellen Erwartungen verdarben den Brei. Sondern ein zutiefst intimer Schreibprozess setzte ein, mit dem man sich seine Zeit lassen konnte. Denn der Sänger war ja auf Tour.

Maynard James Keenan & die Fibonacci Sequenz

Viele Missverständnisse kursieren über den Songwriting-Prozess von Lateralus und Keenans Involvement. De facto ist es so: Auf Lateralus hat der Sänger keine Musikparts zu verantworten. Er gab aber mit seinem Gefühl und seiner Intuition der Band Feedback. Legte hier und da Veto ein. Keenans große Leistung auf dem Album war es,  „in Stein gemeißelte“ Musik, zu nehmen – und sie sich zu eigen zu machen. Justin Chancellor brach den Prozess wie folgt herunter:

Das Schöne an diesen seltsamen Zeitsignaturen ist, dass Maynard sie oft wie mit Nadel und Faden miteinander verbindet. Ich liebe die Art und Weise, wie das, was er sagt, sehr direkt, geradeheraus ist, aber es webt sich einfach in den Rhythmus ein und aus. Es ist, als ob er einen Satz schreibt und ihn dann einfach an den perfekten Stellen einbaut – fast, als ob er sich auf die Musik reimt.

Maynard ist es auch, der wie kein zweiter mit der mystischen Aura der Band spielt und sie gerne ironisch überhöht. Angeblich soll das Interlude „Mantra“ auf dem Album, das direkt in die damalige erste Single „Schism“ überging, lediglich ein extrem verlangsamtes Mauzgeräusch seiner siamesischen Katze sein. Er war es auch, der im Vorfeld zur Erscheinung von Lateralus eine Fake-Tracklist mit Fake-Namen „leakte“ – und ganz nebenbei auch mal ein bisschen Dampf aus dem Kessel nimmt, wenn es um die manchmal absurde Überhöhung der Songs geht. Wie beim Podcaster Joe Rogan, wo er die Nutzung der mathematischen Fibonacci-Sequenz im Rhythmusgefüge des Titeltracks herunterspielte.

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Bei Lateralus ist die Selbstironie und Bescheidenheit aber fast unangebracht. Auch die Silbenplatzierung in den Lyrics basiert auf der Fibonacci Sequenz und die Drums, die wie erwähnt zwischen 9/8, 8/8 und 7/8 alternieren und zusammengenommen die „Golden Ratio“ andeuten, erzeugen eine spirale Sogwirkung, die den Song zu etwas ganz Besonderem machen. Doch was war zuerst da – das Ei oder das Huhn? Stießen die Musiker intuitiv auf die Anfänge der Sequenz und vervollständigten sie diese nachträglich? Die Überhöhung der Band seitens der Fans nahm bisweilen absurde Auswüchse an – und Maynard Keenan selbst spielte damit regelmäßig auf eine herrlich selbstironische Art und Weise. Das ist bezeichnend für den Humor, den die Band um 2006/2007 herum immer deutlicher ausspielte – der aber immer schon ein Bestandteil der Band war. So mystisch der Auftritt der Band nämlich auch anmutete – bereits auf Aenima verwendete man die Anrufbeantworternachrichten jähzorniger Landlords als Interludes, verpackte ein Rezept für Haschischkekse als bedrohliche Soundkulisse – und sang von Hookers with a penis. Keenan spielte mit Religion, mit Sex, mit Vergewaltigung, mit Inzest-Themen, mit Perversion – eben das gängige Menü Total im republikanischem Unterbauch Amerikas. Er wühlte in sich selbst und förderte dabei eine echte Dunkelheit zutage, die auf Aenima beängstigend anmutete und auf Lateralus transzendierte.

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Die Aufnahme von Lateralus im Studio

Wenn es um den Sound der Lateralus geht, gibt es eine Fraktion, die den Sound vergöttert, und andere, die sich an ihm stößt – gefühlt gibt es keine Grauzonen dazwischen. Ich zähle zu ersterem. Der komprimierte, aber trotzdem extrem dynamische, saubere und ätherische Klang ist wahrscheinlich meine Lieblingsproduktion einer Rockplatte überhaupt. Der gängige Einwand der Kritiker beim Sound ist die Lautstärkedynamik selbst: Wenn die Band zusammen erklingt, tut sie das in einem komprimierten und gebündelten Maße, doch die leisen Parts sind besonders leise und die lauten besonders laut. Wenn Adam am Ende von „The Patient“ das High End seiner Gitarre pusht, spürt man das bis in die Knochen, während im leisen Mittelteil von „Ticks & Leeches“ in der ersten Sekunde gefühlt nur der Wind hörbar ist.

Woran denken die meisten, wenn sie an den Sound der Lateralus denken? An den Drumsound. Der Einstieg von „Ticks and Leeches“ ist meiner Meinung immer noch einer der am besten klingenden, dynamischsten und wildesten Drum-Einstiege überhaupt. Justin Chancellor beschrieb gegenüber Loudsound die Aufnahmen wie folgt:

Wir fangen immer in einem großen Raum für das Schlagzeug an, wie in einem großen Orchesterraum, aber die sind wirklich sehr teuer. Es macht keinen Sinn, einen großen Raum zu haben und einen Monat später mit einem kleinen Gitarrenverstärker da drin zu stehen und die Gitarre aufzunehmen. Wir nehmen das Schlagzeug grundsätzlich in einem großen Raum auf. Damals haben wir in einem völlig separaten Raum gemischt, der nur für das Mischen eingerichtet war. Wir hatten zwei kleinere Studios, die weit weniger glamourös waren als das Schlagzeugstudio, in denen wir die meiste Zeit verbrachten, monatelang, irgendwo oben im Tal, bei 105 Grad [40°C] auf einem betonierten Parkplatz, aber dort gab es die ganze Ausrüstung und wir konnten viel Zeit damit verbringen, die musikalischen Overdubs zu machen, außer dem Schlagzeug.“

Trotz des Megaerfolgs von Aenima ging es also zunächst sehr „old school“ bei den Aufnahmen der Saiteninstrumente zu. David Botrelli, der schon Aenima aufgenommen hat, kam mit der Band von Oktober 2000 bis Januar 2001 im Norden Hollywoods, in den Cello Studios im Hook zusammen und bewies erneut, dass ihn seine Erfahrungen mit King Crimson und die Zusammenarbeit mit Robert Fripp zum idealen Mann für den Job machten. Er war es auch, der zwischen den Fraktionen vermittelte. Denn die Diskussionswut der einzelnen Bandmitglieder ist fast schon legendär – stets in einem gesunden Maße, wie Justin beteuert, aber nichtsdestotrotz langwierig und oft auch schwierig. Auf Fear Innoculum wartete man über ein Jahrzehnt. Klar, Krankheiten und Rechtsprobleme behinderten den Fortschritt der Band. Aber es dürfte auf der Hand liegen: Die internen Prozesse der Band sind zeitaufwendig. Nur bei einer Sache ist sich jeder für sich einig: Wie das eigene Instrument zu klingen hat.

Inzwischen hat Adam Jones seine eigene Gibson Signature und auch Justin Chancellor hat zahlreiche Endorsement Deals, aber zu Lateralus Zeiten war dies noch nicht der Fall. Auf Lateralus setzte der Gitarrist neben seiner kleinen Gibson Custom Singlecut Kollektion viel auf einen besonders ungewöhnlichen Amp, den Sunn Beta Lead. Grundsätzlich ist er aber dafür bekannt, vor allem auf drei Namen zu setzen: Marshall, Diezel und Mesa Boogie. Dies war hier nicht ausschließlich der Fall. Neben dem Sunn Beta Lead brachte Botrelli einen Riviera Amp plus Cabinet ins Studio, die es Adam besonders antaten. Es wurde kombiniert, geschoben, experimentiert, aber am Ende war es eine Kombination aus Mesa Boogie Cabinets, Dual Rectifier, Riviera Amps und Cabinet und Marshall Heads und Cabinets, die den monumentalen, saturierten und oft kopierten, aber niemals erreichten Gitarrensound ergaben. Abgenommen hat Botrelli tatsächlich nicht mit irgendwelchen seltenen Bändchenmics, sondern ganz klassisch mit dem Shure SM57 und Sennheiser 421. Generell setzten die Jungs auch nicht auf Boutique, sondern arbeiteten mit Boss Flanger und Delays, Ähnlich bei Justin, der seit jeher auf Ernie Ball Bässe setzt und dies auch bei Lateralus tat. Sein Bass-Sound fand auf Lateralus endgültig zur Form und wurde ebenfalls von zahlreichen Musikern kopiert. Erreicht hat ihn Justin eigener Aussage nach hauptsächlich durch EQ und die starke Anhebung der hohen Mitten (~1,5 – 2 kHz) sowie starke Absenkung der Mitten (~700 Hz). Hinzu kam eine moderate Verzerrung, Reverb und ein Hauch Modulation.

Das Erbe von Tool Lateralus

Prog Rock hat nach wie vor einen schweren Stand – und ist mehr denn je eine sehr vage definierte Kategorie. Showing off – sein instrumentales Können im Rahmen von Songwriting unter Beweis zu stellen, ohne aufdringlich zu sein oder die Komposition zu verwässern, das können nicht viele Bands. Wenn Tool Meister von etwas sind, dann eben genau darin: komplexe Arrangements eingängig und mitreißend zu gestalten, ohne dass sich eins der Elemente der Band in den Vordergrund drängt – keine Rockband beherrscht das gut wie Tool.

Die schiere Masse an Bands, die von Tool inspiriert wurde, kann gar nicht abgeschätzt werden. Auf dem Debüt meiner ersten Band höre ich immer noch Parts und fahre immer noch zusammen, weil sie so offensichtlich von Tool inspiriert waren, dass es Fremdscham erzeugt. Wenn sich das Erbe dieser Band aber zusammenfassen lässt, dann auf folgendem Wege: Tool gaben dem Prog seine Würde zurück.

In diesem Sinne – spiral out.

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Forum
  1. Profilbild
    DelayDude RED

    Sehr schöner Artikel! Danke dafür Dimi!
    Tool war und ist die Musik meiner Jugend. Kaum etwas kam damals derart inspirierend und andersartig daher. Ich empfinde jede ihrer Platten als absolut zeitlose und wirklich großartige Werke!

  2. Profilbild
    arnte

    Tool ist schlicht und ergreifend die beste Band der Welt. Es gibt nichts was da mithält.
    Und das sage ich, als Dark Electro – Industrial – EBM Hoschi ;)

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    Random Tone Generator

    Oh ja, da kommen Erinnerungen auf: Als Teenager blieb man aufgrund eines sonderbaren Tag-Nacht-Rhythmus doch immer auf TV-Kanälen wie VIVA Zwei hängen. Und wer erinnert sich nicht an sein erstes Tool-Video, das zu nächtlicher Stunde über den Bildschirm flimmerte??!!
    Und dann noch dieser Bass-Lauf in Schism! Gab es je etwas großartigeres?!

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      AMAZONA Archiv

      @Random Tone Generator Da dachte ich mir immer nur wie verkopft, durchgestylt und (aufgesetzt) verstörend das sein soll. Da war jede Tagesschau (nach einer langen Partynacht) interessanter. Letztens beim Schwager aber wieder Tool gehört und rein handwerklich als gut empfunden. Musikalisch holen die mich aber nicht ab.

  4. Profilbild
    dns370

    An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön! Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts von dieser Band. Klingen wirklich gut. Ich bin sehr verwöhnt vom Sound der Ozric Tentacles – zumindest von den älteren Sachen. Diese Band muss ich mir merken! Danke nochmal!!

    • Profilbild
      Engholm

      @dns370 Ich knie hier nieder vor Pneuma und Konsorten und er so „Die Band muss ich mir merken…“ Tsst…. 😲

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    Tichi

    Befindet sich das Weingut nicht in Arizona und spielt der Bassist nicht einen Wal-Bass? Sorry, dass ich hier rumnerden muss…

    • Profilbild
      4enima

      @Tichi Jop, Weingut sollte in Arizona sein und Justins Hauptbässe sind definitiv Wal(s). Beim neuen Album wurde aber bspw. Descending mit einem MusicMan Stingray eingespielt.

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