Harmonic Equalizer: Das gab es so noch nicht!
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Der Cranborne Carnaby 500 ist ein neues Studiogerät, das Sie bisher so noch nicht erlebt haben. Ja, ich weiß – das ist wirklich selten, denn wir kennen doch diese oft leeren Marketingversprechen. Hier und heute werden Sie nicht enttäuscht, denn der Ansatz dieses Equalizers im API500 Format unterscheidet sich radikal von anderen EQs im Studioumfeld. Und ich darf Ihnen jetzt schon verraten: Das ist wirklich ziemlich cool!
Worum geht es beim Cranborne Audio Carnaby 500?
Es gibt immer kleinere und größere Sensationen im Studioumfeld, aber seien wir ehrlich: Meist entpuppt sich das super neue Feature als eher unbrauchbar. Im letzten Jahr hat mich besonders der Mixbus Kompressor SSL The Bus+, der Kompression und Equalizer dynamisch dem Musiksignal anpasst, begeistert. Ein weiteres sehr interessantes Produkt ist das Universal Audio Sphere DLX Modeling Mikrofon, das mit ausgeklügelten Algorithmen die Klangcharakteristika berühmter und verbreiteter Mikrofone verblüffend gut imitiert.
Und jetzt Cranborne Audio? Die Studioschmiede aus der nördlichen Region von London hat mit dem Carnaby einen 3-Band-Equalizer entwickelt, der das Signal bei den eingestellten Frequenzen nicht einfach nur anhebt oder absenkt: Nein, dieser Effekt wird durch das Hinzufügen von harmonischer Sättigung im ausgewählten Bereich erreicht.
Dadurch wird das Signal im gewählten Band nicht lauter oder leiser, sondern – einfach ausgedrückt – fetter oder dünner. Und das ist ein sehr überraschender Ansatz, denn man erreicht dadurch im Kopf des Hörers eine ganz andere Art von Frequenzbetonung oder -dämpfung.
Ein Beispiel: Eine Kickdrum läuft durch den Cranborne Carnaby 500. Mit einem Poti definiere ich die Frequenz, bei der die Sättigung stattfinden soll und mit dem anderen, größeren Regler passiert das Überraschende: Die Kick wird entweder fett oder schlank und das wirkt dann im Gesamtkontext wie ein anscheinendes lauter oder leiser werden.
Jetzt könnte man fragen: Das bekomme ich doch mit einem frequenzabhängigen Kompressor auch hin? Mein Analogkompressor vom Typ Drawmer 1978 kann dem Signal immerhin eine Saturation hinzufügen, verschiedene Färbungen und die Kompression wirkt frequenzabhängig, aber im Cranborne findet keine Kompression, sondern „nur“ eine frequenzabhängige Sättigung statt.
Somit kann der Toningenieur das klangliche Ergebnis auf eine sehr neue Art und Weise beeinflussen. Sollen nur die Mitten einer etwas dünnen Männerstimme mehr Saft bekommen? Kein Problem. Auch eine zu wenig glänzende HiHat bekommt durch die harmonischen Verzerrungen ein sehr angenehmes Glitzern. Wir hören uns das später noch genauer im Praxisteil an.
Die Ausstattung des Cranborne Carnaby 500
Ein Carnaby 500 ist ein Monomodul für den Einbau in API 500 Lunchboxes. Dazu belegt es auch nur einen Steckplatz. Im Zentrum sind – wie bei einem klassischen EQ – die Regler für die drei Frequenzbänder und die Pegel….äh Sättigungssregler. Die Frequenzbänder sind farblich gekennzeichnet:
- hellrosa sind die Bässe mit einem Bereich von 20 – 420 Hz
- türkis die Mitten mit 200 – 6.200 Hz
- lila die Höhen mit 5 kHz bis 25 kHz.
Zu jedem Frequenzband gibt es eine gleichfarbige LED, die den Grad der jeweiligen Sättigung im Frequenzband anzeigt. Das ist alles sehr intuitiv – sehr gut!
Unten rechts lässt sich der Effekt komplett deaktivieren: Hierzu dient der Schalter „IN“ und ganz oben und unten dann noch die Input- und Output-Potis. Hier kann man das Modul für geringe Sättigung leise oder eben laut anfahren – so ähnlich, wie wir es bei einem Kompressor mit Input- und Makeup-Gain kennen.
Eine „SIG“ gekennzeichnete LED zeigt den Betriebszustand und dann haben wir noch einen Schalter mit der Bezeichnung „OPTOSYNC“: Hierzu müssen Sie für die Verbindung und zum Stereobetrieb von zwei Carnaby 500 Modulen ein optisches Kabel … Moment … kein Kabel? Ach, das ist ja ebenfalls ein sehr cooles Feature: Wenn zwei Units nebeneinander in der Lunchbox stecken, dann wird die Verbindung zwischen den Modulen über einen optischen Link hergestellt! Das linke Gerät hat eine LED und die rechte Einheit hat an derselben Stelle (nur spiegelverkehrt) eine Fotozelle. So kommunizieren die beiden Units wie bei einem optischen Fiberllink-Kabel miteinander – nur ohne Kabel. Tatsächlich kann man so nicht nur zwei, sondern mehrere Module vernetzen und so als Multichanneleffekt für Summingmixer oder beispielsweise Multi-Channel-Surround-Mixes benutzen. Mein nerdiges Technikherz schlägt höher: Diese optische Koppelung finde ich ausgesprochen elegant gelöst.
Und wie es der Zufall will: Cranborne Audio scheint zu ahnen, dass diese Funktion sehr cool ist und deswegen gibt es den Carnaby 500 auch gleich in der limitierten Legacy Edition mit zwei Modulen und verändertem Design: Anders als beim Standardmodul, liegen die Platinen nicht offen, sondern werden im „boxed Design“ mit geschlossener Elektronik geliefert. Dieses geschlossene Gehäuse ist in Blau mit weißen Designelementen gehalten und die Frontplatte ist hellgrau und nicht schwarz. Auch gibt es andere Regler (mit farbigen Kappen) und es wurde ein winziges Abbild eines Mini-VU-Meter neben die Signal-LED platziert.
Für den OPTOSYNC zwischen zwei Modulen wurden entsprechende Aussparungen an den Gehäusen gelassen.
Ich weiß: Im Studio ist Design eigentlich Nebensache, aber mit der Legacy Edition bekommt man die Module in einer völlig anderen Designsprache.
Cranborne Audio hat sich da viel Mühe gegeben. Abgerundet wird das Legacy Paket dann noch durch die Verpackung in einem schönen Alukoffer.
Die Cranborne Audio Carnaby 500 Legacy Edition wird in England von Hand gefertigt und kostet mit zwei Modulen 2.029,- Euro, während die klanglich und funktional identischen Einzelmodule pro Stück bei 699,- Euro liegen. Man möge selbst entscheiden, ob einem diese Exklusivität 600,- Euro Aufpreis wert ist.
Cranborne Audio Carnaby 500 in der Praxis
Die beiden schicken Module in der Legacy Version fühlten sich gleich in meiner Fredenstein Bento 6S Lunchbox wohl, obwohl das moderne Design sich optisch eher mit der Kupferfarbe des Racks beißt. Schnell verkabelt und mit dem Universal Audio Apollo X6 verbunden geht es gleich zur Sache:
Bei den Klangbeispielen habe ich die Cranbornes in den Insert meines SSL SiX genommen und einen Super-Analoge-Channel mit dem Kleinkondensatormikrofon Lewitt Audio LCT140 Air in Universal Audio Luna aufgenommen. Während des Sprechens habe ich in den Frequenzbereichen 100 Hz, 1.500 Hz und 5 kHz die Sättigung nacheinander zunächst herausgedreht (-10) und dann auf den Maximalwert (+10) erhöht. Dann wieder zurück auf die Mittelstellung (0):
Im zweiten Beispiel habe ich mit dem Roland Juno X einen Klangteppich mit einem einfachen Beat gelegt und dann darüber mit der akustischen Gitarre gespielt, ebenfalls mit dem Lewitt Mikrofon aufgenommen. Über die Mixed habe ich nur ein wenig Reverb gelegt. In der ersten Aufnahme ist die Gitarre ohne Harmonie-EQ und im zweiten File habe ich der Gitarre mit dem Barnaby etwas mehr Volumen und Klarheit gegeben. Das Ergebnis spricht für sich:
Bei allen Beispielen habe ich Input und Output auf Nullstellung belassen und die beiden Module waren per OPTOSYNC miteinander zu einem Stereopärchen verbunden.
Die Ergebnisse der Klangbeispiele und meiner weiteren Versuche mit den Cranborne Carnaby 500 Modulen sind außerordentlich interessant und sehr erfreulich: Die Erhöhung oder Verringerung der Sättigung in den unterschiedlichen Frequenzbereichen hat eine sehr natürliche Auswirkung auf den Gesamtklang. Während ein klassischer EQ die gesamte Tonalität einer Aufnahme verändert, so greifen die englischen Module ganz anders ins Geschehen ein: Nicht die Tonalität, sondern der Charakter verändert sich. Es ist ein relevanter Unterschied, ob ich eine Kick-Drum bei 100 Hz leiser oder lauter mache oder ob ich sie in diesem Frequenzbereich sättige oder verschlanke. Meine Stimme bleibt mir bei allen Einstellungen vertraut und zu keiner Zeit neigen die Aufnahmen zum Zischeln oder wirken dumpf.
Andererseits muss einem klar sein, dass ein Carnaby 500 einen klassischen Equalizer nicht ersetzen kann. Wenn die Kick im Mix zu leise ist, dann hilft auch ein Hochdrehen der Sättigung nur bedingt. Die Kick wird nur präsenter, sie erhält mehr Raum, aber sie wird per se nicht lauter.
Ich hoffe, dass Cranborne den Carnaby auch als Stereoversion in einem 1 HE Rack anbieten wird: Nicht jeder mag sich mit dem leider sehr hochpreisigem API 500 Format anfreunden. Aber schon jetzt gehören die Cranborne Carnaby 500 Module zu meinen Highlights des Jahres: Das ist wirklich mal etwas Neues! Gratulation nach England!
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Wie man frequenzabh. das Signal sättigt kann ich mir ungefähr vorstellen, nur wie bitteschön funktioniert die umgekehrte Operation? 🤔
@sparsepix Hallo, ja , das ist tatsächlich etwas „tricky“: Das Gerät erzeugt seinen eigene harmonischen Verzerrungen und diese werden dann dem Signal hinzugefügt oder davon abgezogen. Anders, als andere „Saturation“ Geräte wird nicht das Signal zusammen mit der Sättigung behandelt, sondern der Sättigungsanteil wird isoliert behandelt……
Dies beantwortet auch die Frage von Marco…..
Verzeihung, aber frequenzselektive Saturation ist nun eher keine Sensation und nicht mal ein neuer Ansatz. Der Hersteller nennt es lediglich EQ, obwohl es keiner sein soll.
Was ich noch gern wissen würde: Was passiert überhaupt unter der 0-Stellung? Wo beginnt die Saturation überhaupt? Auf welchem Wege findet die „Dämpfung“ denn technisch gesehen statt?
Vielen Dank
@Marco Korda Hallo, siehe eins weiter oben: Neben der Erklärung oben bei sparsepix kann der Harmonic EQ ja nicht nur Saturation hinzufügen sondern auch abziehen. Durch Input und Output kann ich zuerst die Gesamtsumme der Sättigung festlegen und diese dann frequenzabhändig hinzufügen oder entnehmen. So gesehen unterscheidet sich der Cranborne durchaus von klassischen „Sättigern“.
@Jörg Hoffmann Also Jörg, ich glaube, das mit dem abziehen der Saturation ist nicht korrekt.
Wenn ich das verlinkte Produktvideo anschaue, wird beim „Cut“ die Grundfrequenz wie bei einem gewöhnlichen EQ abgeschwächt und gleichzeitig harmonische Verzerrungen hinzu addiert. Wie sollte denn das von Dir beschriebene Verfahren funktionieren? Du hast ein unverzerrtes Signal und willst harmonische, die es gar nicht gibt subtrahieren?
@0dB Hallo, du musst das so sehen: es wird erst durch die Erhöhung des Input Sättigung hinzugefügt (hört man beim Voice Sample) und diese wird dann frequenzabhängig hinzugefügt oder wieder reduziert.
Gruß Jörg
@Jörg Hoffmann Schau Dir mal das Beispiel mit dem Sinus an…da wird bei der Abschwächung die Grundfrequenz abgeschwächt und harmonische Verzerrungen hinzuaddiert. Die harmonischen werden aber weder reduziert noch abgezogen…nur die Grundfrequenz wird abgesenkt.
bei aller Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber: die Klangbeispiele besagen gar nichts. Diese Klangverbiegung geht auch mit einem EQ.
Und warum keine Einzelspuren mit/ohne EQ? (Außer dem Sampe deiner Stimme)
Wenn schon Wunder-EQ dann bitte als Einzelspur🙂
@harrymudd Hallo Harry, ich verstehe Deinen Punkt und gerade bei den Audiobeispielen gibt es bei uns Amazona-Autoren unterschiedliche herangehensweisen. Manche machen gar keine, manche sehr ausführlich und ich verfolge den Ansatz, dass Audiobeispiele grundsätzlich den Effekt des Geräts zeigen soll, aber die Einsatzgebiete und -umgebungen so unterschiedlich sind, dass ich immer empfehle, sich das Gerät bei Kaufinteresse selber anzusehen.
In meinem Voice Sample kann man schon beim Aktivieren des Cranborne die Sättigung in meiner Stimme hören und dann die Auswirkungen der einzelnen Regler. In den beiden anderen Beispielen hört man den Effekt im Zusammenhang: Die Gitarre wirkt entweder dünn und etwas verloren, oder sehr präsent und vordergründig, obwohl ich den Pegel nicht verändert habe (sondern nur die Sättigung). Und wenn Du jetzt neugierig bist, dann hab ich doch mein Ziel erreicht und Du ruftst jetzt bei Thomann an, oder? ;-)
@Jörg Hoffmann Ich denke eher Ziel nicht erreicht.
Das Produkt hat mich aufgrund dieses Tests nicht überzeugt bzw ich sehe den Sinn noch nicht.
Schade.
@harrymudd Tja, eine wichtige und notwendige Erkenntnis eines Autors und Testers ist, dass man es leider nicht jedem Leser recht machen kann.
@Jörg Hoffmann Wenn der Tester dem Leser eine maßgebliche Entscheidungshilfe gegeben hat (kaufen/nicht kaufen), dann hat der Tester seinen Job hervorragend gemacht.
@Jörg Hoffmann darum geht es mir nicht – ich hatte unter Harmonic Equalisation etwas anderes im Sinn siehe https://mixdownmag.com.au/features/harmonic-equalisation-an-alternate-approach-to-eq/
Ich finde das Gerät interessant (auch mit den Audiobeispielen). Da ich kein Modularzeugs besitze würde ich mir das Ding in Form als „Bodentreter“ Effektgerät wünschen. Natürlich als Stereo, und günstiger :D (man darf ja mal träumen, oder?)
Ich finde es bemerkenswert das die normale Version nach <600 Euro aussieht und die Legacy Edition nach 2000 Euro. Also optisch natürlich 😄
@Jeanne Hallo Jeanne
genau das hab ich auch gedacht🤨
@Jeanne Wobei das aufgemalte VU-Meter bei dem Preis schon ein bisschen albern ist, die LED alleine hätte auch gereicht.
@ollo Ich dachte sogar kurz, es wäre ein echtes Mini-VU Meter. Aber es ist tatsächlich nur ein Aufkleber. Ansonsten wirken die Legacy Module wirklich sehr wertig. Und über Geschmack diskutieren……..? :-)
@ollo Oder ein funktionsfähiges micro VU- Meter – dem Preis entsprechend 😁
Nachdem jahrelang plugins die Hardware emuliert haben, ist es jetzt ja nur gerecht, wenn auch mal die Hardware plugins emuliert 😁
Ehrlich gesagt finde ich persönlich die Standard Version viel hübscher als die Special. .
Aber Geschmacksache.
habe den Carnaby seit ein paar Tagen im Einsatz und bin mega happy damit. Sitzt direkt nach einem Elysia Skulpter und dient mir als kleine Aufnahmekette.
Ich bin, wie die meisten, ein Saturationfreund und besitze einige Plugins, aber keines klingt wie der Carnaby.
Bei einem anderen Händler als Thomann kostet das Teil 120e weniger, zur Info.
580e für ein gutklingendes analoges Multiband-Saturation/EQ-Gerät finde ich ok.