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Interview: Tom Oberheim über Synthesizer und das Leben (2023)

Tom Oberheim: Physiker, Jazzliebhaber und Synthesizer-Entwickler

22. April 2023

Dass man mit Superlativen behutsam umgehen sollte, ist eine Binsenweisheit, vor allem im Journalismus. Doch diesen Mann kann man guten Gewissens als einen der wichtigsten Entwickler von Synthesizern nennen. Seine Instrumente sind legendär: SEM, Four Voice, Eight Voice und 1979 schließlich der OB-X hinterließen ihre Spuren in der Musikwelt. Oberheim wurde zum Synonym für breite, strahlende Analog-Sounds. Und so bin ich sichtlich nervös, als ich mit Tom Oberheim zum Online-Interview verabredet bin. Ich erreiche ihn in seinem Arbeitszimmer in einem Vorort von San Francisco, das Gespräch verläuft von Anfang an sehr offen und herzlich.

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Vom Physikstudenten zum Synthesizerbauer

Tom erzählt von Musikvorlesungen, die er aus purem Interesse neben seinem Physikstudium besuchte, von seinen beruflichen Anfängen in der Informatik und seinem ersten Burnout, seiner Liebe zum Jazz und darüber, wie er langsam ins Musikgeschäft reinrutschte. Zunächst mit Effektgeräten, die er für seine ehemaligen Kommilitonen baute (ein Ringmodulator und der Maestro PS1-A Phase Shifter), später einem der ersten digitalen Sequencern und schließlich mit dem SEM, dem „Synthesizer Expander Module“.

Toms Ringmodulator (1970)

Den ersten intensiven Kontakt mit einem Synthesizer hatte er, als er 1971 begann, ARP Produkte im Raum Los Angelos zu vertreiben und einen ARP 2600 zugeschickt bekam. („I opened up the box and played with it for the next 36 hours.“) Den ARP 2600 zu verkaufen, sei keine besonders schwierige Aufgabe gewesen, da er dank seiner Effektpedale viele Musiker kannte. Tom betont, dass er nie haupteberuflich ARP-Händler war, aber dass ihn dies zur Entwicklung seines digitalen Sequencers DS-2A inspirierte, der die Tonhöhen und -längen einer gespielten Sequenz direkt speichern konnte und somit intuitiver nutzbar war als die analogen Modelle. Das Konzept überzeugte, Tom verkaufte einige Exemplare. Doch sei das Problem gewesen, dass Musiker damals nur einen Synthesizer besaßen, so dass sie entweder selbst spielen oder eine programmierte Sequenz abspielen konnten, jedoch nicht beides gleichzeitig. So kam er auf die Idee einer „sehr einfachen und günstigen“ Synthesizer-Stimme. „My concept was the simplest analog synthesizer that would be very good.“ So entstand das SEM, das Tom im Interview übrigens „Sequencer Expander Module“ nennt.

Tom Oberheims digitaler Sequenzer DS-2A

 

Das SEM: ein einfacher Synthesizer mit Emu- und ARP-Technologie

Gedacht als einfache Klangquelle zum DS-2A, entwickelte sich das SEM aufgrund seines eigenen, warmen Klanges zu einem der wichtigsten monophonen Synthesizer überhaupt. Dabei war es nur teilweise eine Eigenentwicklung von Tom Oberheim, der offen damit umgeht, dass er den Oszillator von Dave Rossum (Emu Systems) und das Filter von einem ARP Ingenieur lizensierte. Bewusst entschied er sich damals für ein zweipoliges Filter als klangliche Alternative, da die damals populären Minimoog und ARP2600 mit Vierpolfiltern ausgestattet waren. Ein weiterer wichtiger Aspekt des SEM-Sounds sind laut Tom die internen Lautstärken, die er sorgfältig aufeinander abstimmte. Der erste Prototyp des SEM, der übrigens nicht von Tom selbst, sondern von einem seiner Ingenieure gebaut wurde, überzeugte ihn klanglich nicht und so experimentierte Tom mit höheren Lautstärken, die rein technisch betrachtet schon Verzerrungen auslösten, da einige Komponenten ein nichtlineares Verhalten zeigten. Wie er mit einem Lächeln meint, gelang ihm dies mit Glück und gutem Gehör. „Some of that was luck and some of it was listening. And it does sound good!“

Am Anfang gab es auch kritische Stimmen, weil das SEM ganz anders als ARP und Moog klang, doch aus heutiger Sicht denkt er, dass dies die richtige Entscheidung war. Auf die besondere Farbe angesprochen, lacht Tom laut auf und meint, dass damals alle Produkte schwarz waren und er etwas anderes machen wollte.

Wenn aus der Not ein legendärer Synthesizer entwickelt wird

Das SEM wurde 1974 vorgestellt. Ein Jahr später brach ihm der Vertriebspartner für die Effektpedale weg („In one day, my main business went away.“). Und so entstand aus der Not die Idee eines polyphonen Synthesizers mit vier SEMs. Anfangs noch ohne Programmiereinheit, was die Sache ziemlich kompliziert machte („It sounded very good, but was a biest to play!“). Trotzdem verkaufte sich der Oberheim Four Voice ziemlich gut, Tom führte seine kleine Firma mit vier oder fünf Mitarbeitern erfolgreich ins Synthesizer-Business und hatte nach kurzer Zeit doppelt so viele Angestellte.

Der Oberheim Four Voice

Alles lief gut, bis ein gewisser Dave Smith 1978 den Prophet-5 vorstellte und sich der Fourvoice danach kaum noch verkaufen ließ. Laut Tom war der Prophet-5 viel einfacher in der Handhabung. Bei Oberheim Electronics wusste man, dass man schnell reagieren müsse, um nicht unterzugehen: die Antwort war der OB-X, der in gerademal sieben Monaten entwickelt wurde und auf der NAMM 1979 vorgestellt wurde, wo schon nach dem ersten Tag dank zahlreicher Bestellungen das Fortbestehen der Firma gesichert war.

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Der sehr seltene zweimanualige Eight Voice

Xpander und Matrix 12

Tom hatte offensichtlich auch ein gutes Händchen bei der Rekrutierung fähiger Mitarbeiter, beispielsweise auch die späteren Gründer von Line 6, Michel Diodic und Marcus Ryle, den er bereits im zarten Alter von 19 Jahren einstellte und dessen erstes Projekt der polyphone Sequenzer DSX war. Tom konzentrierte sich in den 80er-Jahren auf die Leitung der Firma, die immer größer wurde und knapp 100 Mitarbeiter hatte und überließ viele kreative Entscheidungen seinem Entwicklungsteam. So basierte auch der bahnbrechende Xpander und der Matrix-12 auf Ideen und Konzepten von Ryle und Diodic, während das Bedienkonzept mit Encoders und Displays von Tom beigesteuert wurde.

Bekannt für seine (beinahe) modulare Struktur und komplexe Modulationen: der Matrix 12

Parallel entstanden auch Drumcomputer, z. B. der Sample-basierte DMX, der mit verschiedenen Swing-Modi sehr musikalisch groovte. Xpander und Matrix-12 gelten zwar bis heute als Meilensteine komplexer Analog-Synthesizer, den Untergang der Firma Oberheim Electronics konnten auch sie nicht mehr aufhalten. Gegen den DX7 war letzten Endes auch Tom Oberheim machtlos.

Marion Systems MSR-2

In den 90er-Jahren lancierte Tom einen beinahe modular programmierbaren Synthesizer im Rack-Format, den MSR-2. Die Idee dazu kam ihm, als einer seiner Freunde einen OB-Xa mit der damals aktuellen Wavestation kombinierte. Geplant waren verschiedene analoge und digitale Soundcards, die über das zentrale Display gesteuert wurden. Der MSR-2 sollte analoge und digitale Klangerzeugung in einem Gerät kombinieren, eine Idee, die damals Anfang der 90er seiner Zeit weit voraus war. Gut möglich, dass Tom in den 2000er-Jahren damit erfolgreich gewesen wäre. Aufgrund knapper Ressourcen konnte Tom nur das analoge Modul realisieren. Selbstkritisch meint er, dass dieses Projekt zu groß für ihn alleine gewesen sei. Die Rechte am eigenen Namen lagen da schon lange nicht mehr bei ihm selbst, so nannte er die Firma nach seiner Tochter „Marion Systems“, war aber stets eine Nebenbeschäftigung. Hauptberuflich wandte sich Tom neuen Projekten außerhalb des Musikbereichs zu, im Interview spricht er von „Consultings“ im Silicon Valley.

Interessant ist, dass Tom immer wieder praktische Argumente nennt, weshalb er damals etwas so oder anders entschied und umsetzte. Das Bild des kompromisslosen Entwicklers, der nur nach Perfektion strebt, trifft auf Tom Oberheim kaum zu. Viel eher könnte man ihn als genialen Pragmatiker bezeichnen, dem es lange Zeit gelang, künstlerische, haptische, klangliche und meistens auch ökonomische Aspekte gleichermaßen zu bedienen.

OB-X8: der furiose Schlusspunkt einer langen Karriere

Dass er im hohen Alter nochmals zum alten Ruhm zurückfinden sollte, hätte nach dem Ende von Oberheim Electronics wahrscheinlich niemand vorhergesehen, er selbst am wenigsten. Im Interview erzählt er, dass ihn die analoge Welle der 2000er-Jahre überrascht hatte.

Als er erkannte, dass die Nachfrage nach gebrauchten SEMs anstieg, begann er diese ab 2010 wieder zu bauen. Insgesamt verkaufte er etwas über 1000 Stück der neuen SEM (unter seinem eigenen Namen) und etwa 400 Two Voice Synthesizer.

Reisen können inspirierend sein: Auf dem Rückflug von einer gemeinsamen Veranstaltung entsteht die Idee zum OB-6. Von links: Roger Linn, Dave Smith und Tom Oberheim.

Die Idee zum OB-6 in Zusammenarbeit mit Dave Smith entstand in einem Privatflugzeug auf dem Rückweg von einer öffentlichen Veranstaltung, zu der der Konzern Sweetwater nebst Tom und Dave auch Roger Linn einfliegen ließ. Und Dave hätte ihn gefragt, was er von einem „Oberheim-based“ Synthesizer halten würde. Der OB-6 wurde 2016 vorgestellt. 2022 folgte der krönende Abschluss einer langen Karriere, der OB-X8: „Es ist wichtig zu verstehen, dass der OB-X8 zwei Generationen von Oberheim Synthesizern in einem Gehäuse ist. Wenn ich diesen Synthi anschaue, bin ich sehr stolz. Das Frontpanel, die Grafik, das Design im Allgemeinen stammen von mir, bzw. von Oberheim Electronics, die von 1970 bis 1985 existierte. Aber das Innere des OB-X8 wurde von den Ingenieuren von Sequential zusammen mit Marcus Ryle gestaltet. Wir hatten viel darüber gesprochen, welche Schaltungen verbaut werden sollen. Wenn man jetzt den Knopf „OB-X“ drückt, werden genau die SEM-Schaltungen des OB-X aktiviert. Gleiches gilt für den OB-Xa und OB-8, was mich sehr glücklich macht.“

Vereint den Sound dreier legendärer Oberheim-Synthesizer: der OB-X8

Mittlerweile betrachte er sich als Rentner – was ihm beim zarten Alter von 86 Jahren auch gegönnt sei – und habe endlich Zeit, selbst zu spielen, und zwar ganz traditionell Klavier. Tom geht regelmäßig zum Unterricht und übt die Etüden auf einem japanischen Digitalpiano in seinem Arbeitszimmer. Oberheim Instrumente finden sich da übrigens keine.

Standford bicentenial 1991. Hintere Reihe, von links: John Chowning, Bob Moog, Paul Lansky, Dave Wessel, Roger Linn, Dave Smith, Don Buchla, Nicole Liberon, Tom Oberheim, Vladimir Kamarouski. Vorne: David Jaffe, Leon Theremin, Max Mathews, Olya Theremin, Andy Schloss

Auf seinen Rat an heutige, jüngere Entwickler von Synthesizern angesprochen, meint Tom, man solle sich am Eurorack-System orientieren, um zu erkennen, was heute alles möglich sei. Das Wichtigste sei aber zu verstehen, was Musiker tun möchten, ohne dass sie es selbst artikulieren könnten. Tom betont, dass die meisten seiner Ideen nicht in Gesprächen mit Musikern entstanden. Man müsse verstehen und vorhersehen können, was Musiker in Zukunft tun möchten und dies mit der vorhandenen Technologie in Einklang bringen. Zudem könne er sich nicht vorstellen, dass jemand in dem Business Erfolg haben könnte, ohne selbst etwas von Musik zu verstehen, ganz egal, ob jemand Flügel oder Eurorack-Module baut. Im Allgemeinen sei es aber sehr schwierig, heutzutage eine Idee zur Marktreife zu bringen. Tom vergleicht dies mit einer umgekehrten Pyramide: an der unteren Spitze stünde die Idee, was der einfachste Teil sei. Danach folge die Entwicklung eines Prototyps, Testphasen, Anpassungen etc. Jeder Schritt auf dieser Leiter werde komplizierter und härter. Man sollte seine Projekte und Tätigkeitsfelder sorgfältig auswählen, um den eigenen Talenten, Fähigkeiten und Möglichkeiten gerecht zu werden.

„It’s a tricky business… and a fun business!“

Tom Oberheim: Das Interview 2023

Je länger das Gespräch dauert, desto stärker bekomme ich den Eindruck, dass hier jemand zufrieden auf sein Leben zurückblickt, trotz mehrerer Rückschläge und viel Frustration. Geduldig beantwortet er alle meine Fragen zu seinen Instrumenten. Auch wenn seine Antworten ausschweifend sein mögen, bleibt Tom ein spannender Gesprächspartner und Geschichtenerzähler.

Das Interview haben wir über Zoom geführt und aufgezeichnet, die nicht ganz perfekte Ton- und Bildqualität möge man uns nachsehen.

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Forum
  1. Profilbild
    Atarikid AHU

    Der Mann hat wirklich großes geleistet… Und wer kann schon von sich behaupten, dass man seine Instrumente am Sound erkennt? Viele sind das nicht. Viele (echte) Oberheim-Synthesizer sind einfach einmalig.

  2. Profilbild
    herw RED

    Das nenne ich mal eine Sonntagslektüre.

    @ Martin: Vielen Dank für das interessante Live-Interview.
    Man merkt ihm in der Tat an, dass Tom mit seinem Werk zufrieden ist. Gerade die Ausführlichkeit seiner Beschreibungen geben einen tiefen Blick in seine Motivationen und Entscheidungen. Man hört ihm gerne zu.
    😀

  3. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Ohne Worte. Auch das Bild vom Bicentennial, diese kleine Gruppe hat übergroßes geleistet. Exzellenz in persona. Danke für diesen tollen Beitrag.

  4. Profilbild
    Robby

    Ich hatte einmal einen Xpander bei mir, Der war Soundtechnisch genial. Da sieht man was geniale Köpfe erstellt haben. Vielen Dank für den Bericht.

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