Raphael:
Was sind deiner Meinung nach die wesentlichen Unterschiede der Studiolandschaft von heute zu damals?
Carsten:
Die Gründung eines Tonstudios war damals mit immensen Investitionen verbunden.
In den Interviews der alten Heften lässt sich das schön nachlesen. Das Teuerste war die Dämmung/Akustik, dann kamen Pult, Bandmaschine, Outboard und Mikrofone. Eine echte Materialschlacht. Wer mithalten wollte, musste Ende der 70er Jahre mindestens 24 Spuren bieten. Für ein professionelles Pult musste man einen sechsstelligen Betrag hinlegen.
Heutzutage ist die Akustik natürlich nach wie vor sehr wichtig, wenngleich sie in kleinen Studios häufig vernachlässigt wird. Durch die technische Entwicklung ist man aber bei den Raumanforderungen zumindest in der elektronisch dominierten Pop-Musik flexibler geworden.
Ein komplettes Studio, wie ich es nebenan habe, wo alles in einem Raum steht, war damals undenkbar und technisch nicht umsetzbar, denn die Geräte waren sehr laut und haben ungemein viel Platz beansprucht.
Dass es Equipment gibt, das man so gut wie gar nicht mehr hört, ist ja eine Bedingung, um im selben Raum aufzunehmen und zu mischen, so wie es heute oft praktiziert wird.
Raphael:
Ich finde es erstaunlich, dass es in den alten Studio Magazin Heften kaum Mikrofontests gibt. Der Stellenwert von Mikrofonen scheint heute sehr viel größer zu sein als damals …
Carsten:
Ja, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre werden Mikrofone immer wichtiger, weil sich die Aufnahmesysteme immer mehr angeglichen haben. Die Gründung von RME 1996 fällt zum Beispiel in diese Zeit und heutzutage arbeiten ja fast alle auf dem mehr oder weniger selben Niveau mit fast unbegrenzter Spurenanzahl. Auf die Frage, wie sich die Studios heute unterscheiden, werden die Mikrofone zum Zünglein an der Waage. Hi-End-Aufnahmesysteme in bester Digitaltechnik setzt man ohnehin voraus.
Es ist deshalb auch kein Zufall, dass amerikanische Firmen seit der Jahrtausendwende mit dem Nachbau von klassischen europäischen Mikrofonmodellen im großen Stil begonnen haben. Die Herstellung von Kondensatormikrofonen war für die Amis ja praktisch Neuland.
Mit der Konzentration auf die Mikros ist auch verbunden, dass sie als klangestalterisches Element viel an Bedeutung gewonnen haben. Das spiegelt sich sehr schön in der Renaissance der Bändchenmikrofone. Das Royer 121, das 1998 auf den Markt kam und mittlerweile ein Klassiker ist, fällt da rein und auch bei Beyerdynamic gingen ein paar Jahre später die Verkaufszahlen vom M160 plötzlich wieder steil nach oben. Bändchenmikrofone hatten ja lange niemanden mehr interessiert und kaum ein Hersteller hatte die im Programm.
Super Bericht und Interview! Danke! Das Studio Magazin Archiv, von Carsten liebevoll eingerichtet, ist wirklich eine unglaubliche Fundgrube für Studiowissen. Schön, dass das auf diese Weise am Leben erhalten wird.
Freut mich sehr, dass der Bericht so gut bei euch ankommt! Viel Spaß beim Schmökern :)
Klasse Archiv! Mal wieder etwas um Stunden über Stunden zu lesen… ;-)
Das Interview mit Conny Plank ist interessant, und sicher technisch gesehen aus heutiger Sicht.
Mehr als einmal geschmunzelt…!
@Llisa Interview mit Conny Plank? Welche Heftnummer war denn das?
Das Interview ist in Heft Nummer 5:
https://view.publitas.com/echoschall-bibliothek/studio-magazin-1978-mai-heft-05/page/12-13
Hier geht’s direkt zum Personenregister:
https://www.echoschall.de/de/info-verkauf/studio-magazin-archiv/studio-magazin-personenregister.html
Viel Spaß!
@Raphael Tschernuth Vielen Dank!
kann man das Archiv downloaden bzw. kann man es Offline irgendwie nutzen? Danke!!
@DieDolle Man kann sicher die Website lokal kopieren, z.B. mit WGET oder auch HTTrack.
@swissdoc Danke, probiere es gerade mit WinHTTrack.
@swissdoc hat leider nichts gebracht……schade……..wird wohl ein Kopierschutz drin sein so das man leider gezwungen ist Online zu lesen!
@DieDolle Hi,
mit Screenshot kann man jede Seite kopieren. ist halt viel Arbeit.
vielen dank für den hinweis auf das archiv. das ist wirklich ein historischer fundus zum schmökern und recherchieren. tolle sache!
toller beitrag – tolles archiv – dadurch hebt sich amazona eben von anderen e-mags der szene ab.
Das Studio Magazin ist für mich eine tolle Gelegenheit, den Profis über die Schulter zu sehen. Auf diese Art habe ich im Laufe der Jahrzehnte schon einiges gelernt, umso besser, dass man jetzt Zugriff auf das Archiv bekommt.
Lesestoff für Ewigkeiten. Der Sprachgebrauch damals und die semicoole 70’er-Attitüde mit gefühltem Zigarettenrauch…. Das Interview mit Conny Plank….. Immer anders, immer gegen den Strom. Zitat:“….wenn es meine ökonomische Situation zuläßt, werde ich einen Computer haben, anstatt einem Mischpult.“ Ich bin mir sicher, wenn er noch leben würde, er hätte beides. Das eine durch etwas anderes zu ersetzen, das hätte ihn im Schaffensprozess nur eingeengt.
Sehe ich anders! Lese gerade das Interview, das in vielen Teilen immer noch Allgemeingültigkeit besitzt (der „amerikanische Weg“ in der Musikproduktion Trendwellen totzureiten).
Beschäftige mich jetzt schon lange Zeit mit Conny Plank und seinen Produktionen. Ich denke, dass man diese Aussage (Zitat):
„Dazu muss ich sagen, … dass ich trotzdem überhaupt keinen Respekt vor irgendwelchen Technologien habe. ich benutze sie als Werkzeug wie ein Maurer seine Kelle. Für mich ist so etwas nichts besonders Tolles. Es verselbstständigt sich nichts bei mir. Eigentlich sage ich immer Audio-Rubbish dazu,…weil mir bewusst ist, ich kann es in fünf Jahren wegschmeißen, denn dann ist eine andere Sache da, die noch cleverer ist, noch anders funktioniert. Also weg damit.“, genauso stehen lassen kann, wie er sie geäußert hat. Er hat durchaus mal Abstriche bei der Qualität der Aufnahme, des Mixes in Kauf genommen, weil ihm künstlerische Aspekte – auch Fragen der Aufnahmeumgebung, die über Fragen der Akustik hinaus gehen, wichtiger waren; er ignorierte sogar mal typische Toniaspekte. Wenn man z.B. an Albumaufnahmen für Cluster denkt, die er mit einer mobilen Studioausrüstung gemacht hat u.ä., dann sieht man, dass er als Mischer/Produzent sehr viel pragmatischer dachte und kein Nerd war. An Conny Plank muss man sich anders herantasten als an Toni/Produzent x oder y. Der setzte an anderen Hebeln bei der Betrachtung und der Arbeit, dem Produkt an, als an läppischen analog/digital Diskussionen.
Gerade erst entdeckt — sehr schön!
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So möchte ich gerne mal eines Tages mein Archiv aufbereiten, auf daß es entsorgt werden möge.
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