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Geschichte der elektronischen Musik: 1980-2013

Von Synthpop bis Techno

4. Januar 2020

Die Entwicklung der elektronischen Musik ist eng an die der Technik gekoppelt. Jeder Fortschritt eröffnet Klangwelten, ermöglicht neue Arbeitsweisen oder macht aufwändige Verfahren zum Kinderspiel. Oft basieren ganze Stilarten auf bestimmten Geräteklassen.

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In den 80ern kam gleich eine ganze Reihe an Neuerungen und läutete die Moderne ein: polyphone und digitale Synthesizer, neue Synthesearten (FM, Wavetable, Phase Distortion, Sampling), digitale Effektgeräte und Drummachines. Auch die Computer hielten Einzug in die Studios, erst spezielle Systeme und gegen Ende des Jahrzehnts PCs, meistens Marke Atari.

Der Beginn des Computerzeitalters in der EM: Bognermayr und Zuschrader mit dem CMI Fairlight

Die EM-Stars der 70er versuchten mit mehr oder weniger Erfolg die neue Technik in ihre alten Konzepte einzubauen, viele gerieten aber ein wenig ins Abseits. Die nächste Staffel Musiker machte sich ans Werk, durchaus animiert von ihren Vorgängern, aber mit frischen Ideen und ohne die Notwendigkeit, sich selbst neu erfinden zu müssen.

Die 80er: Music for the masses

Die interessanteste neue Syntheseart war zunächst das Sampling, das einen alten Wunschtraum des Futurismus und der Musique Concrète erfüllte: die Einbindung jeglicher Art von Geräusch und Klang, spielbar wie ein Instrument und mit der Option, drastische Manipulationen vorzunehmen. Eine Zeitlang war es eine eigene Stilrichtung, Musiker stellten das Sampling aus künstlerischen oder praktischen Gründen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Klassiker des Sampling: Erdenklang (Bognermayr/Zuschrader) und In Visible Silence (Art of Noise)

Zu den Ersten gehörte das Duo Bognermayr/Zuschrader, das den CMI Fairlight 1982 auf der Ars Electronica vorstellte (und nebenbei den Begriff „computerakustische Musik“ erfand). Ihr Debutalbum „Erdenklang“ wurde mit Samples natürlicher und künstlicher Geräusche eingespielt, eine der Methoden, die neue Technik einzusetzen (siehe Linksammlung am Ende des Textes).

Eine andere ist, akustische Instrumente als Quelle zu nutzen. Frank Zappa, das Enfant Terrible der Rockmusik, legte sich ein NED Synclavier zu, um seine ganz eigene Vorstellung von Musik zu verwirklichen. Er ließ erst einmal eigene Sample-Bibliotheken einspielen und produzierte damit mehrere Alben: „A perfect Stranger“ orientierte sich an seinen musikalischen Vorbildern aus der Neuen Musik wie Varese (einer der EM-Pioniere des frühen 20. Jahrhunderts) und Strawinski, „Jazz from Hell“ (1986) war deutlich moderner und mit fast technoiden Elementen sehr zukunftsweisend.

The Art of Noise (der Name stammt aus dem Futurismus) betrieben das auf ihre eigene Weise. Sie verwendeten ebenfalls hauptsächlich Samples von akustischen Instrumenten und Stimmen, spielten sie aber meist so, dass sie sich synthetisch anhörten. „In Visible Silence“ (1986) mit dem Hit „Paranoimia“ ist sozusagen Pflichtprogramm, wenn man sich mit EM beschäftigt.

Ein Album, das im Zusammenhang mit Sampling-Pionieren manchmal genannt wird, ist „My Life in the Bush of Ghosts“ (1981) von Brian Eno und David Byrne (Talking Heads). Die gesamten Vocals kamen aus Mitschnitten von Radiopredigten und wurden derart perfekt in die Tracks eingefügt, dass man einen Digitalsampler vermutet. Aber das war tatsächlich noch analoges Sampling via Tonband, mühsam per Trial & Error synchronisiert – gutes Handwerk. Nebenbei ist auch die restliche Musik nicht von schlechten Eltern, diese Scheibe ist eine der interessantesten EM-Produktionen dieser Zeit.
Die Möglichkeit, mit gesampelter Sprache zu arbeiten, war auch für andere Bereiche interessant. Erwähnt sei hier Heiner Goebbels, der viele Werke des ostdeutschen Schriftstellers Heiner Müller vertonte, z.B. „Die Befreiung des Prometheus“.

Wer immer es sich leisten konnte, legte sich eine der teuren Wundermaschinen zu, z.B. Kate Bush, Peter Gabriel, Depeche Mode und Kraftwerk. Aufgrund des Fortschritts der Digitaltechnik wurden die Sampler jedoch innerhalb weniger Jahre so preiswert, dass sie ihre Exklusivität verloren.

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Berliner Schule goes digital: Eyeless Dreams (Wolfgang Düren) und Dig It (Klaus Schulze)

Auch die anderen Synthesearten fanden ihre Spezialisten. Der omnipräsente Brian Eno meisterte die knifflige Frequenzmodulation, der Yamaha DX7 wurde sein Hauptinstrument. Klaus Schulze arbeitete eine Zeitlang mit dem raren Crumar GDS, Vince Clark von Erasure nahm sich der Casio Synthesizer mit Phase Distortion an. Die PPG-Systeme mit Wavetable-Synthese wurden von einigen bekannten Musikern eingesetzt, z.B. Thomas Dolby oder Depeche Mode. Das vielleicht beste Album, das mit Wavetable-Synthese produziert wurde, stammte von Wolfgang Düren, dem PPG-Vertriebsleiter und späteren Waldorf-Gründer: „Eyeless Dreams“ demonstrierte die Soundvielfalt des PPG Wave im Stil der Berliner Schule.

Die polyphonen Synthesizer machten es möglich, konventionelle Musik mit Elektronik zu verbinden, und so ist die auffälligste Erscheinung in der EM der 80er zweifellos der Synth- und Electropop. Die meisten Bands dieser Richtung stammen aus dem britischen Post Punk/New Wave, aber auch in anderen Ländern formierten sich Musiker, um die Konzerthallen zu füllen. Ein paar Einkünfte waren ja schließlich eine bessere Zukunftsperspektive als „No Future“.
„Music for the Masses“ war dann auch der Titel eines Albums von Depeche Mode, die wohl die bekannteste Gruppe dieser Richtung. Weitere waren Human League, Orchestral Manoeuvres in the Dark, Tubeway Army (Gary Numan), Visage, Ultravox, Soft Cell, Pet Shop Boys, Talk Talk, Alphaville, Erasure, New Order, Bronski Beat, Frankie Goes To Hollywood, Yazoo, Eurythmics, Devo usw.

Im Grunde genommen handelte es sich bei Synthpop um Popmusik mit handelsüblicher Songstruktur, bei der die herkömmlichen Instrumente größtenteils durch Synthesizer ersetzt wurden, und (ein Novum in der EM) es durfte wieder ein Leadsänger vorne auf der Bühne stehen und die Girls zum Kreischen bringen. Beim Electropop stand eher der instrumentale Teil im Mittelpunkt, der Gesang spielte eine geringere Rolle.

Klassiker des Synthpop: Violator (Depeche Mode) und Dare (Human League)

Diesen Ableger elektronischer Musik in Richtung Kommerz kann man unterschiedlich beurteilen, aber damals entstand eine Menge interessanter Musik. Die Frühwerke waren noch schön ungeschliffen punkig-wavig, und in stilistischer und auch technischer Hinsicht waren einige Bands recht kreativ und definierten teilweise neue Maßstäbe für die EM. Ein Schweizer Duo namens Yello (Boris Blank und Dieter Meier) zeigte, was man mit dem Equipment dieser Zeit so alles anstellen konnte: Virtuoser Einsatz von Effektgeräten, gut arrangierter künstlicher Raumklang, geschicktes Sampling und exzellentes Synthprogramming ergaben einen neuen Sound, der die Messlatte ein ganzes Stück höher legte. Kleines Detail am Rande: Der Name dieses Magazins ist einem ihrer Songs entnommen.

Talk Talk erweiterten den Synthpop bis in den Art-Rock („The Colour of Spring“, „Spirit of Eden“, „Laughing Stock“), und Anne Clark steuerte die Variante mit „spoken word“ bei (Sprechgesang). Letzteres war eine wirklich gelungene Kombination, denn elektronische Musik ist prima geeignet, die menschliche Stimme zu transportieren, mehr als andere Richtungen, in denen der Sänger ständig gegen im selben Frequenzbereich liegende Gitarren arbeiten muss. Leider wird dieses Konzept nur selten aufgegriffen.

Synthpop der besonderen Art: You Gotta Say Yes To Another Excess (Yello) und The Sitting Room (Anne Clark)

Eine der wichtigsten Erfindungen der Musikgeschichte war die Drummachine. Heutzutage ist es selbstverständlich, Tausende Drumpatterns auf Mausklick parat zu haben, aber in den 70ern war man noch auf biologisch-organische Schlagzeuger angewiesen, bestenfalls hatte man ein festprogrammiertes Rhythmusgerät mit einer kleinen Auswahl. Die Drummachines erlaubten nun auch Nicht-Schlagzeugern, den Takt selbst vorzugeben und auf den Schallschutzbunker zu verzichten. Obendrein waren sie stets nüchtern und hielten Tempo, Timing und Klangfarbe exakt ein. Viele EM-Stilarten beruhen auf dieser Präzision, und der monotone Beat ist essentieller Bestandteil der folgenden.

Die 80er waren eine eigenartige Zeit. Der Kalte Krieg, Tschernobyl, Terrorismus, eine gewisse Endzeitstimmung war aufgekommen. Und was der elektronischen Musik eindeutig noch fehlte, war die härtere Gangart, alles bis dahin Produzierte war (mal ganz grob klassifiziert) entweder experimentell oder schönklingend. So entstanden nun weltweit fast zwangsläufig auch einige Stilarten, die sozusagen die „dunkle Seite“ der EM darstellten: Industrial, Electronic Body Music (EBM) und Electropunk. Wie man die Bands dort einsortiert, ist ein wenig Ermessenssache, und teilweise lassen sie sich auch nicht so einfach kategorisieren.

Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) lieferten die Blaupause für einen großen Teil dieser Richtung mit dem Hit „Der Mussolini“: Stampfende Rhythmen, Step-Sequencer-Bassline und Sprechgesang im Kasernenhofton (Shouting) waren die Hauptingredienzien. Die Gerüchte über eine Nähe zum rechten Rand lieferten sie gleich mit, und einige Bands dieses Stils taten es ihnen gleich. Ob nun geschickt-provokante Marketingmasche, künstlerische Auseinandersetzung oder tatsächliche politische Einstellung, das gekonnte Spiel mit Versatzstücken aus Faschismus und Militarismus gehört in diesem Genre manchmal zum „guten Ton“ wie auch die Thematisierung von Gewalt, Krieg und Tod. Andere wie z.B. Apoptygma Berzerk engagieren sich aber offen gegen rechte Gesinnungen, genauer hinhören lohnt sich durchaus. Auch musikalisch gesehen ist die Vielfalt größer, als das Image es vermuten lässt.

Industrial der harten Sorte: Opus Dei (Laibach) und Too Dark Park (Skinny Puppy)

Wichtige Bands der Gründerzeit waren Front 242, Skinny Puppy, Laibach, Cabaret Voltaire, Ministry, Klinik, Front Line Assembly, Die Krupps, DIN A Testbild, Liaisons Dangereuses, Tuxedomoon, Nitzer Ebb, Coil, Amgod und yelworC. Auch die Einstürzenden Neubauten müssen erwähnt werden, die sich aber mehr auf die Verwendung von ausgefallenen mechanischen Klangerzeugern spezialisierten. Eher noch punkig waren die für skandalöse Bühnenshows berüchtigten Throbbing Gristle, deren exzentrischer Frontmann Genesis P-Orridge mal eben eine neue Religion gründete. Technisch waren sie recht kreativ, viele ihrer Instrumente und Effekte waren selbstgebastelt wie der kultige Gristleizer (siehe Linksammlung).

Eine gemäßigte Fraktion war ebenfalls vertreten, die teilweise Dark Ambient-artige Musik machte. Dazu zählen z.B. die frühen Delerium, die später auf New Age umstiegen, oder die Projekte des Briten Edward Ka-Spel (The Legendary Pink Dots und The Tear Garden). Einige Alben dieser Unterart gehören zu den Genre-Highlights.

…und der feinsinnigen Art: Morpheus (Delerium) und die Debut-EP von The Tear Garden

Industrial, EBM und Konsorten wurden nicht so populär wie Synthpop, spielten aber später noch eine wichtige Rolle als Schmelztiegel, dazu weiter unten.

In den USA geschah nach der Kunstpause in den 70ern nun auch endlich etwas in größerem Maßstab. Auf dem Nährboden von Synthesizer-Disco, Electro-Funk und anderen Musikrichtungen wuchsen House, Acid und Detroit heran. Allen drei ist gemeinsam, dass sie von vornherein für den Dancefloor gedacht waren. Vielleicht zum ersten Mal wurde hier EM tatsächlich als elektronische Tanzmusik konzipiert, maßgeschneidert für Discotheken, Live-Veranstaltungen und Partys.

House entstand auf dem Plattenteller der DJs, die rhythmisch dominierte Passagen von Disco-, Funk- und Soultracks ineinander mischten. Dieses Strickmuster wurde dann schnell zu einem eigenständigen Stil weiterentwickelt, mit dem typischen „four to the floor“ (Kick Drum im Vierteltakt), sparsam eingesetzten repetitiven Instrumentalparts (u.a. das berühmte House-Piano) und gelegentlichen Vocals (oft als Sample). House hat sich inzwischen fest in der Musikwelt etabliert und in viele Unterarten aufgeteilt, von Garage über Deep, Minimal, Progressive bis zu Tech House und hat wesentlichen Einfluss auf andere Richtungen der populären Art ausgeübt, immer wieder findet man auch in aktueller Musik Elemente aus dieser Zeit.

Bei Acid und Detroit spielten europäische Einflüsse eine wesentliche Rolle, der erste Akt eines transatlantischen EM-Kulturaustauschs. Oft genannt wurden Kraftwerk, deren synkopische Rhythmen aufgegriffen wurden, Yello, Depeche Mode und Industrial/EBM-Gruppen wie Front 242, Nitzer Ebb und Cabaret Voltaire. Afrika Bambaataa’s „Planet Rock“ gilt als Meilenstein in diesem Integrationsprozess.

Die wichtigsten Handwerkzeuge von Acid und Detroit: Roland TB-303…

Charakteristisch für Acid war die weitgehende Reduzierung auf rhythmische Elemente aus Drummachines, oft mit Echo und anderen Effekten, und aus dem Roland TB-303, dessen Sequencerloops zwischen dumpfem Bass und verzerrtem Diskant moduliert wurden – hier entstand der Kult um das kleine silberne Kistchen. Als Erfinder dieses Konzepts gelten DJ Pierre und Earl Smith. Zunächst wurde es in den USA aufgegriffen und verbreitet, bekannte Namen sind Phuture, Sleazy D, Steve Hurley und A Guy Called Gerald.

Detroit, dessen Entstehung parallel lief, war näher an Kraftwerks Technopop und band statt dem TB-303 oft andere, hauptsächlich analoge Synthesizer ein. Wie Acid war es als schnelle Tanzmusik gedacht, brachte aber auch langsamere Unterarten hervor, war experimenteller, stark repetitiv und sehr minimalistisch. Zentrale Akteure der „first wave“ sind Juan Atkins (Cybotron, Model 500), Derrick May, Kevin Saunderson, Underground Resistance, Blake Baxter, Carl Craig und Jeff Mills.
In der Tat enthielt Detroit schon viele Bestandteile des späteren Techno, und es war eine bemerkenswert futuristische Musik, die da in den Ruinen einer dahinsiechenden Industriestadt entstand, im Übergang vom Maschinen- zum Computerzeitalter – vielleicht die interessanteste Neuentwicklung des Jahrzehnts.

…und Roland TR-909

Die Roland TR-909 von 1984

Bilder von Alben standen hier leider nicht zur Verfügung, als kleine Entschädigung finden sich ein paar Dokus in der Linksammlung, englischsprachig, aber mit prima Musik.

Ein paar Namen aus dem Jazz und Jazzrock dürfen nicht fehlen: Herbie Hancock („Future Shock“), Jan Hammer („Miami Vice“), Miles Davis („Aura“), Jonas Hellborg („Axis“), die Pat Metheny Group mit Lyle Mays an den Tasten und, die zupfende Zunft profitierte ja ebenfalls vom technischen Fortschritt, Metheny am Guitar-Synth. Auch Robert Fripp und Joe Satriani benutzten gerne dieses neue Instrument, Alan Holdsworth und Al Di Meola die Synthaxe (eine Kreuzung aus Gitarre und MIDI-Controller).

All die Erfolge der populären Stilarten in den 80ern konnten jedoch nicht verhindern, dass die elektronische Musik gegen Ende des Jahrzehnts, kaum dass sie sich ihren Raum in der Musikwelt erobert hatte, in eine Art Midlife-Crisis kam. Die Synthpop- und Acid-Wellen verebbten schon langsam wieder, und das Publikum ließ sich auch nicht mehr so leicht beeindrucken. Synthesizer wurden nun in vielen Musikrichtungen eingesetzt, dadurch verwischte sich der Unterschied zwischen elektronischer und nicht-elektronischer Musik immer mehr. „Slave to the Rhythm“ von Grace Jones z.B. kann man durchaus in die EM einordnen.

Hinzu kam: Der Siegeszug der Rompler und Workstations mit ihren genormten Soundsets (General MIDI Standard), hauptsächlich bestehend aus gesampelten Akustikinstrumenten, nur rudimentären Eingriffsmöglichkeiten in den Klang und wenigen Echtzeitreglern, war eher ein Bärendienst für die EM. Für Otto Normalkeyboarder war es zwar eine echte Erleichterung, sein vorher lastwagenfüllendes Equipment nun bequem im Bügelbrettformat unter den Arm klemmen zu können (auch wenn sich viele fortan vergattert sahen, dem Rest der Band einen Klangteppich aus Streicher- und Bläsersätzen auszurollen), aber spektakuläre Synthesizersoli ließen sich auf diesen Instrumenten kaum spielen, und für experimentelle Zwecke waren sie ziemlich ungeeignet. Fast schien es, als ginge die elektronische Musik einem schleichenden Ende entgegen, aber dann kam es bekanntlich ganz anders.

Die 90er: Rave-o-lution und Renaissance

In technischer Hinsicht war diese Zeit geprägt vom Einzug der Personal Computer in die Studios. Nun konnte man komplette MIDI-Tracks am Rechner komponieren und vorher Unspielbares auf Knopfdruck abfahren, und gegen Ende des Jahrzehnts war die Technik soweit vorangeschritten, dass auch Harddisk-Recording, Effekte und Software-Synthesizer auf PCs liefen. Das ermöglichte professionelle Musikproduktion ohne die Anschaffung teurer Studiogeräte.

In musikalischer Hinsicht war in den 90ern ein Trend klar dominant: Der Techno-Boom, der mittlerweile eine Dimension erreicht hat wie etwa der Rock. Und genau wie bei Letzterem einige Jahrzehnte zuvor hagelte es zunächst mal wieder Verunglimpfungen: „Tanzmusik für Epileptiker“, „Baustellenlärm“, „Marschmusik für Roboter“. Aber so etwas kannte man ja schon …

Techno war eine Synthese aus US-amerikanischer und europäischer EM. Die Electronic Body Music/Industrial-Szene integrierte viele Elemente aus House, Detroit und Acid, die monotonen Beats, die minimalistischen Tonfolgen und die modulierten TB303 Sequenzen. Das war der zweite Akt des transatlantischen Kulturaustauschs, diesmal in umgekehrter Richtung. Die letzten verbliebenen E-Gitarren verschwanden, der Beat wurde monotoner, immer mehr typische Techno-Elemente kamen hinzu und schließlich wurde auch der Gesang gestrichen und durch ein paar Dancefloor-Schlachtrufe oder Sprachsamples ersetzt („one, two, Tekkno“). Aus der Berliner Schule stammten die spacigen Flächenklänge (gern in 16tel zerhackt) und Sequenzen, und beim Goa-Techno gab es auch fernöstliche Einflüsse.

Techno Compilations: Goa-Head Vol.3 und Trance of the Gods

Die DJ-Szene war maßgeblich beteiligt, namentlich Sven Väth, Marusha, WestBam, Ellen Alien, Paul van Dyk und Dr. Motte. Es waren DJs, die amerikanische EM nach Europa brachten, auf Techno spezialisierte Labels gründeten (EyeQ, MFS, Low Spirit u.a.) und schließlich die Massen auf den Raves zum Tanzen brachten. Und sie ernteten auch einen Großteil des Ruhms, denn anders als üblich standen die Musiker fast anonym im Hintergrund. Die typische Vermarktungsform war dann auch die Compilation mit nach Unterart und Beats per Minute selektierten Tracks.

Das ist ein wenig vereinfacht dargestellt, der Prozess lief parallel in vielen Städten Europas und den USA über einige Zwischenschritte und unter verschiedenen Namen. Eine Zeitlang war z.B. von Techno House die Rede, aber diese Bezeichnung war ja schon durch die Unterart des House belegt, in Deutschland je nach Härtegrad Tekkno mit einem oder mehreren k. Detailliertere Artikel zur Geschichte finden sich in der Linksammlung.

Ein paar Namen (nicht unbedingt repräsentativ für den Mainstream): Man with no Name, Infinity Project, Cosmic Baby, Paul Oakenfold, Laurent Garnier, Der dritte Raum, Space Tribe, Earth Nation, Electric Universe, Juno Reactor, Sandman… wer Musik sucht, kann mal die Gnod Music-Map bemühen (siehe Linksammlung).

Techno mit seinen Zweigen Trance, Goa, Rave, zahlreichen stilistischen Verästelungen und Verwandten wie Electro, Jungle und Breakbeats wird vielleicht irgendwann Thema eines weiteren Amazona-Artikels sein. Es gibt ein großes Spektrum an Unterarten, für verschiedene musikalische Ansprüche (von Kirmes-Techno bis Intelligent Dance Music (IDM)), alle Stimmungslagen (Dreamtrance bis Hardcore) und mit Beats per Minute in allen Autobahngeschwindigkeiten (Downbeat bis Gabber), undergroundig bis kommerziell (Experimental bis Eurodance), sogar mit spoken word (B-Zet/Lieb und der Schriftsteller Rainald Goetz mit dem Album „Word“), und schließlich Chillout, um nach dem ganzen aufgeputschten Geballer wieder runterzukommen …
Bei Ishkur’s Guide to Electronic Music (siehe Linksammlung) findet man den Stammbaum ganz gut grafisch dargestellt und mit Hörproben, inklusive House, Detroit und Acid.

Das Interessante war, neben den musikalischen Aspekten, dass Techno eine Massenbewegung wurde, ungewöhnlich für Instrumentalmusik ohne Hits zum Mitsummen und Heldentenöre (die wurden erst später nachgeliefert). Dafür gibt es umfangreiche soziologische Erklärungen, aber vielleicht war die wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Techno einfach, dass mittlerweile eine Generation mit elektronischen Klängen herangewachsen war, ähnlich wie beim Rock, der durch die Motorisierung der Menschheit befördert wurde. Nicht nur in der Musik, sondern auch im Alltag konditionierten seit den späten 70ern künstliche Geräusche das Hörempfinden, vom Weckerpiepsen bis zum Videospiel (Pong, Space Invaders, Tetris). Die Soundprogrammierer der antiken Daddelkisten verdienen übrigens auch mal Erwähnung: Aus rudimentärsten Soundchips holten sie neben all dem Ping-Tschak-Pschiu mit allerlei Tricks kleine Sinfonien als Untermalung für das Geballer und Gehopse, so wurden z.B. Akkorde durch schnelle Arpeggien aus einer einzigen Stimme gezaubert.
Als nostalgisches Subgenre wurde dieser Klang-Mikrokosmos inzwischen unter dem Namen „Chiptunes“ wiederbelebt, und es gibt sogar ein spezielles Instrument dafür: In der SIDStation wurden die letzten erhältlichen C64-Soundchips verbaut und midifiziert.

Ein positiver Nebeneffekt des Techno-Booms war, dass elektronische Musik und ihre Ursprünge wieder stärker ins Blickfeld gerieten, auch wenn es da zu Fehleinschätzungen kam. So wurde Stockhausen oft als „Techno-Pionier“ bezeichnet, was ihn sicherlich um den Schlaf gebracht hat – er hatte eine ausgeprägte Abneigung gegen tanzbare Rhythmen. Der Titel „Elektronikpapst“ für Klaus Schulze dagegen passte schon viel besser.

Ein weiterer war, dass auch die anderen Stilarten der EM wieder Vorschub bekamen. Und so mancher Altgediente wurde von Techno neu inspiriert wie Wahnfried aka Klaus Schulze („Trance Appeal“ und „Trancelation“), System 7 aka Steve Hillage oder Killing Joke, die komplett auf Techno umsattelten.

Technoides von Veteranen: Trancelation (Wahnfried) und Power Of Seven (System 7)

Noch ein weiterer: Zum großen Teil wurde mit altertümlichen Analogsynthesizern gearbeitet, die im Zuge der Digitalisierung auf dem Flohmarkt gelandet waren und innerhalb weniger Jahre zu hochpreisigen Kultobjekten mutierten. Denn viele essentielle Techno-Spielereien wie etwa die beliebten Filtersweeps und sonstige Echtzeiteingriffe in den Klang waren mit den neueren Geräten nur bedingt machbar. Das erkannten dann endlich auch die Hersteller und bauten wieder intuitiv bedienbare Instrumente, die wie Synthesizer aussahen und nicht wie überfütterte Taschenrechner mit Klaviertastatur. Die Renaissance der subtraktiven Synthese, erst als digitale Emulation und schließlich auch wieder echt-analog, ist ein bis heute anhaltender Trend im Instrumentenbau.

Techno beeinflusste auch den Instrumentenbau: Clavia Nordlead

Die 90er hatten aber auch noch mehr an Neuem zu bieten, aus der Vermischung verschiedenster Musikrichtungen ging ein Bündel an Fusion-Stilen hervor. Wie bei Techno begann auch in den anderen Bereichen der EM eine Aufteilung in immer neue Unterarten, aber noch ließen sich ein paar größere Strömungen relativ klar abgrenzen. Die Nomenklatur und Einordnung sind in diesem Bereich alles andere als einheitlich, man kann im Zweifelsfall nur einen Tipp geben: hören und eine eigene Meinung bilden. Oder einfach auf Schubladen verzichten.

Der variantenreiche Trip Hop entstand aus Hip Hop, Drum ’n Bass, Soul, Jazz, Funk, Synthpop und weiteren Musikrichtungen. Dazu zählten Bands und Interpreten wie Massive Attack, Portishead, Björk, Tricky, Kruder und Dorfmeister, Patchwork, Moby.
Durch die Vielfalt ergab sich ein fast nahtloser Übergang zu entspannten Stilen wie Lounge, die in Deutschland vor allem durch die Space Night des BR bekannt wurden – der wohl beste Beitrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zur elektronischen Musik. Das Who is Who dieser Richtung war dort zu hören, Nightmares on Wax, Aural Float, Saafi Brothers, Patchwork usw.

Noch entspannter war New Age, das es bis in die funktionelle Musik schaffte mit Soundtracks zur Duftöl-Massage und zum Extreme-Couching. Es entstand aber auch viel anspruchsvollere Musik mit einer fließenden Grenze zu elektroniklastiger Weltmusik, z.B. von den oben erwähnten Delerium, László Hortobágyi und Banco de Gaia.

Big Beat vereinte House, Breakbeats, Jazz und weitere zu einer fetzigen Mischung. Bekannte Namen: Chemical Brothers, Crystal Method, Fatboy Slim, Propellerheads, MK Ultra. Bands wie The Prodigy und Atari Teenage Riot schließlich machten aus Jungle, Breakbeat und Acid eine neue Art des Electropunks, Alben wie „Music for the Jilted Generation“ sind längst Klassiker.

Klassiker des Electropunk und Big Beat: Music For The Jilted Generation (The Prodigy) und Vegas (The Crystal Method)

Unter Nu Jazz oder Future Jazz wurden die recht unterschiedlichen Ansätze zusammengefasst, die aus der Kreuzung von Jazz und EM hervorgingen. Das Spektrum reichte hier von langsameren Downbeat-Stilen wie z.B. von Thievery Corporation bis zu freejazzigen, oft skandinavischer Herkunft: Nils Petter Molvaer, Eivind Aarset, Audun Kleive und Jaga Jazzist sind ein paar derer, die seitdem beide Genres bereichern. Eine ganz eigene Kombination aus psychedelic Space/Jazzrock und moderner EM kreierten die Ozric Tentacles, auch für Techno-Fans eine Ohrenweide.

Die experimentellere Richtung bekam ebenfalls wieder Auftrieb, nun bezeichnet als Electronica (ein Gummibegriff, der immer passt, wenn man etwas nicht einordnen kann) oder teilweise auch Illbient.
Ein junger Ire veröffentlichte Tracks, die sich anhörten, als hätte man den Urheber als Versuchskaninchen für Designerdrogen missbraucht: Richard D. James, bekannt unter den Pseudonymen Aphex Twin, AFX und anderen. Seine Markenzeichen: bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Drumsamples, Störgeräusche und digitale Artefakte, also Sounds, die jeder anständige Tonsetzer sofort angewidert entsorgt hätte, gemischt mit Techno-, Dub- und Ambient-Bestandteilen (ein Video findet sich in der Linksammlung).

Neue Töne: Donkey Rhubarb (Aphex Twin) und The Increased Difficulty Of Concentration (Air Liquide)

Seine neue Soundästhetik weckte auch das Interesse von Komponisten aus der E-Musik. Von Stockhausen kam Kritik („post-afrikanische Repetitionen“), Philip Glass dagegen war aufgeschlossener: Aus der Zusammenarbeit der beiden ging „Icct Hedral (Philip Glass Orchestration)“ hervor.

Air Liquide (Dr. Walker und Jammin Unit) schlugen einen ähnlichen Weg ein: „Wir geben uns alle Mühe, trashig und schlecht zu klingen“. Wobei man ihrem Album „Neue Frankfurter Elektronik Schule“ wohl das Prädikat „edelschlecht“ verleihen darf.
Das fand durchaus Nachahmer, Elemente aus dieser Klangwelt wurden auch in Rock und Pop verwendet.
Weitere Namen unter diesem Oberbegriff: The Future Sound of London, The Orb, Autechre, Laurent Garnier, Coldcut, Monolake, Squarepusher und Mouse on Mars.

Während der 80er und 90er waren die Elektroniker der 70er natürlich auch aktiv, einige starteten erst richtig durch, wie Holger Czukay von Can. Die Mitglieder von Tangerine Dream, die nach ziemlich einhelliger Kritikermeinung nach „Tangram“ nur noch Fahrstuhlmusik machten, wanderten ab in die USA und wechselten in die Filmmusikbranche. Christopher Franke z.B. schrieb den Soundtrack zur Scifi-Serie „Babylon 5“.

In bester Plank-Tradition: Mickie D’s Unicorn (Mickie D.) und Ausland (Pyrolator)

Brian Eno erwies sich als musikalisches Chamäleon und produzierte neben seinen zahlreichen Ambient-Alben hin und wieder schwungvolleres („Nerve Net“).

Die älteren Stilarten der EM bekamen auch noch Nachwuchs, z.B. Software, Bernd Kistenmacher, Robert Schroeder, Pete Namlook, Pyrolator. Winfried Trenklers WDR-Sendereihe „Schwingungen“ (1981-95) stellte EM aller Art vor und ist eine gute Anlaufstelle, wenn man nach Namen aus dieser Zeit sucht, die Playlists finden sich im Web (siehe Linksammlung), und bei Cue-Records wurde die Reihe auf  CD fortgesetzt.

Das 21. Jahrhundert: Evolution und Artenvielfalt

Die großen Trends des neuen Jahrhunderts sind bis jetzt immer noch im Techno/Dance-Sektor, die Popmusik hat sich zu großen Teilen selbst eingemeindet. Sogar eine Madonna läuft heute unter „Electronica“. Alle zerfasern aber in immer neue Spielarten, jede Marktnische wird bedient. Regional entstehen Mischungen aus ethnischer/landesüblicher Musik und moderner EM (Folktronica, Balkan Techno), eine Entwicklung, die inzwischen weltweit zu beobachten ist. Daneben werden fast alle Stilrichtungen der Geschichte gepflegt, weiterentwickelt oder erleben ein Revival. Ein paar Beispiele: Camouflage – Synthpop, Namlook/Schulze – Berliner Schule, Anthony Rother – Electro, Funker Vogt – Industrial. Auch die experimentelle EM und die Fusionen aus verschiedenen Richtungen bekommen Zulauf, das Electronic Beats Festival ist eine gute Plattform dafür (und ein ergiebiger Suchbegriff bei Youtube). Insgesamt ist die Zahl der EM-Genres mit ihren Unterarten locker in den dreistelligen Bereich gewachsen und schon eine Aufzählung wäre seitenfüllend, siehe Linksammlung.

EM alter und neuer Schule im 21. Jahrhundert: The Dark Side Of The Moog XI (Namlook/Schulze) und Radical Connector (Mouse on Mars)

Außerdem: Etwa seit der Jahrtausendwende sind auch Computer vom Discounter so leistungsfähig, dass sie ein komplettes Studio ersetzen können, und alle nötigen Programme gibt es als Freeware. Das macht es praktisch jedem möglich, mit kleinem Budget professionell Musik zu machen, vom Instrumentenbau (Software wie SynthEdit) bis zur Endvermarktung im Internet. Selbst mit einem besseren Mobiltelefon kann man inzwischen ganz passabel musizieren. Dementsprechend steigt die Zahl der Veröffentlichungen, und spätestens jetzt muss man auch die zahlreichen Amateure mitberücksichtigen, die ihre Tracks einfach ins Netz stellen. EM wird nun schneller produziert, als man sie durchhören kann, und auch der Autor muss einräumen, nicht mehr alles zu überblicken.

An dieser Stelle ist die Lesermeinung gefragt: Was sind die zukunftsweisendsten Trends, was wird Geschichte machen? Welche Alben/Interpreten sind eure Top Ten des 21. Jahrhunderts? Im Forum kann jeder seine ganz persönliche Meinung kundtun. Und alles erwähnen, was hier nicht hinreichend mit Ruhm bekleckert worden ist.

Trotz der großflächigen Elektronifizierung der „konventionellen“ Musik und der eigenen kommerziellen Erscheinungsformen konnte die elektronische Musik ihre Sonderstellung bis heute behaupten und ist geblieben, was sie von Anfang an war: experimentell und innovativ. Die Chancen stehen gut, dass es so bleiben wird. Die Potenziale der elektronischen Instrumente und der menschlichen Phantasie sind noch längst nicht ausgereizt, die Bedingungen sind besser als je zuvor: Equipment gibt es für kleines Geld, Musik und Informationen zu allen Themen sind per Mausklick verfügbar. Und immer wieder waren es Einzelgänger und Maniacs, die neue Klangwelten erschlossen und Geschichte geschrieben haben. Wer weiß, vielleicht checkt irgendwo auf der Welt der nächste Stockhausen, Eno oder Aphex Twin gerade seine neueste Handy-App …

Es wird immer weiter geh’n
Musik als Träger von Ideen
(Kraftwerk)

Anmerkung der Redaktion:
Selbstverständlich ist nun auch ein vierter Teil geplant, der die Entwicklung der elektronischen Musik seit 2013 ins Visier nimmt. Wir bitten aber noch um ein wenig Geduld.

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Forum
    • Profilbild
      k.rausch AHU

      @h.gerdes Noch zwei Hinweise von mir: Isao Tomita hatte ebenfalls einen Ars Electronica Gig in Linz, soweit ich mich erinnere war das 1982, und benutzte dabei das Casio Cosmo ZZ1 Synthesizersystem. Auch nicht vergessen sollte man Reinhard Lakomy aus der früheren DDR, der u.a. „Das geheime Leben“ ebenfalls 1982 produziert hat und damals als einer der Elektronikpioniere dort galt. Hier zu hören: http://youtu.be/Qsr9hh10CrA . Schöner dritter Teil deiner Serie übrigens :)

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        h.gerdes AHU

        @k.rausch Ja, Tomita hat sogar schon in den 70ern mit Computern gearbeitet und die Voices auf „Bermuda Triangle“ damit verfremdet. Über die DDR-Synthinauten hat der Spiegel mal was geschrieben: http://www.....87917.html
        Die Ostblocker sind leider kaum bekannt, weil die restriktive Kulturpolitik damals die Verbreitung ziemlich behindert hat…

  1. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Gute Zusammenfassung! Ein paar Dinge hab ich allerdings vermisst, zum Beispiel die Erwähnung von Charanjit Singh der, möglicherweise, als erster Produzent überhaupt Acid aufgenommen hat:

    http://en......(musician)

    Ausserdem wurde der, relativ aktuelle Stil „Dubstep“ nicht erwähnt, von dem ich glaube, dass Skream & Benga damals durch Mr. Oizo’s „Flat Beat“ dazu inspiriert wurden, diesen Stil überhaupt zu erfinden. „Flat Beat“ war ja ein minimalistischer Millionenseller, der eigentlich nur aus Drums, FX und Wobbles bestand.

    Aber es stimmt schon, dass bei der aktuellen Menge der Veröffentlichung und Stile, der Überblick schnell verloren gehen kann! Der Elektroniker Alexander Robotnick (auch erwähnenswert) beispielsweise, verkündete letztens auf Facebook, dass er mit dem DJing aufhört, weil er unmöglich alle neuen Veröffentlichungen anhören kann, um dann auch die besten davon zu spielen.

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      nativeVS AHU

      Dubstep ist aber nicht gleich Dubstep; Skrillex und ähnliches ist ja schon Populärmusik oder zumindest Brostep.

    • Profilbild
      h.gerdes AHU

      Charanjit Singh ist mir bei der Recherche leider nicht untergekommen, sonst hätte ich ihn erwähnt. Und die Dub/Drum ’n Bass/Garage -Ecke habe ich sowieso sträflich vernachlässigt… die eigentlich (wie fast alle Subgenres) einen eigenen Artikel wert wäre. Die EYAWTKA-Serie ist leider gecancelt, aber vielleicht finden sich ja noch Schreiberlinge, die ein paar Sachen genauer unter die Lupe nehmen.

  2. Profilbild
    Markus Schroeder RED

    Hammer, das ist eine Menge Info auf vier Seiten!! Mal wieder ganze Arbeit!

    Hier noch ein paar persönlich gefärbte Gedanken zu Noise, das im Zuge von Industrial erwähnt werden sollte, weil es ansonsten nicht so viel Beachtung findet.
    (damit ich das auch mal sinnvoll anbringen kann: ;) )

    Das Noise Genre, unterscheidet sich doch von Industrial, u.a. weil letzteres meist auch politisch motiviert war und auch eher an den gängigen Liedstrukturen“ (Strophe , Refrain) orientiert ist. Beim „ursprüngliche Noise, „erfunden als Musikrichtung“ von Luigi Russolo 1913 geht es mehr um das „Geräusch als Struktur an sich“ und formal zwar anarchistisch, geht es dennoch sehr der Neuen Klassik (gesehen als Befreiung von der Klassischen Musiktradition/Komposition) entgegengeht.

    Hier sein Manifest ‚L´Arte dei Rumori‘ „The Art Of Noise“ – woher kennen wir den namen nur ;) :
    http://www....._noise.pdf

    Bands wie Merzbow, C.C.C.C. Rioiji Ikeda (alle japanisch) Whitehouse, oder Haus Arafna, sollten als Vertreter des Genres, beidseitig des Milleniums und in Zusammenhang mit Throbbing Gristle und Cabaret Voltair nicht unerwähnt bleiben. Und obwohl eher Industrial, ist Esplendor Geometrico ebensowenig aus diesem Genre wegzudenken. Weena Morloch sind weitere Klassiker des Noise.

    Prinzipiell gibt zwei große Strömungen im Noise, die gewöhnlich in denselber Topf geworfen werden, sich aber sehr unterscheiden:
    a) Rythmischer, an der Pop-Liedstruktur orientierter, Noise, der nicht Industrial ist. Dazu gehören auch Power Noise und AggroTech und
    u.a. Dive, Xotox etc.
    Dies ist auch wohl die am meisten verbreitete Definition von Noise im westlichen Kulturaum – als die Nachfolge von Industrial.
    Heute 2013 gilt Industrial schon fast als Oldschool.

    b) Formaler Noise, der sich wiederum in komplexer strukturiertem Noise und strukturlosem, anarchistischem Noise teilt.
    Keine Form, bzw die Verweigerung ihr gegenüber ist auch eine Form wobei der Übergang von einem zu andern nicht immer erkennbar ist. ;)
    Diese From hat in Japan besonders Fuss gefasst, (Beispiele oben).

    In der Musik, wie in er Malerei gibt ja es sehr analoge Entwicklungen, z.B. von der darstellenden Kunst, bzw. dem traditionellen Lied, zur Modernen: hat das Geschmiere an der Wand (noch) eine formale Struktur, einen Sinn? Oder ist es nur Ornament/Deko bzw. „Baustellenlärm“?

    Soviel dazu. Vielleicht was das ja für irgend jemanden interessant, hoffentlich.Wobei das ganze ja noch weiterhin diskutabel ist.

    Bei Minimal Techno/ Noise/ Experimental ist wohl das raster-noton label mit Alva Noto, Frank Bretschneider, Grischa Lichtenberger etc. wohl einer der wichtigeren aktuellen Beiträge zum Thema EM.

    Aber wie du schon schriebst: Schubladen sind in der EM meist wenig brauchbar bzw. eine abgrenzende Zuordnung nicht möglich oder erst gar nicht sinnvoll. Für jedes Beispiel zur Belegung einer Gattungsthese gibt es mindestens ein Gegenbeispiel. Und wenn heute jemand keine Nische für sich findet kann man einfach eine neue aufmachen. Das ist das beste überhaupt.

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      h.gerdes AHU

      @Markus Schroeder Prima präzisiert :-) und ein paar gute Hörtipps! Werde mir mal was besorgen von den Jungs. Tja, viele Begriffe sind mehrdeutig, und in der geräuschhaften Richtung haben sich ja viele betätigt – mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Auch einiges aus dem Ambient könnte man unter Noise einordnen, aber da gibt es wie so oft einen fließenden Übergang.

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    Lauflicht

    Schöne Zusammenfassung. Natürlich kann man aufgrund der Vielfalt der Thematik nicht erwarten, dass alles, nach eigenen persönlichen Präferenzen gewichtet, besprochen ist. Ein oder zwei Bemerkungen möchte ich mir aber in Sachen „Tanzmusik Techno“ erlauben (typischer Internet-Foren Effekt mit selbsternannten „Fachleuten“, die alles anders sehen… ;-) ):
    Die Einordnung in „Detroit“ und später dann „Techno“ möchte ich so nicht teilen. Die Begriffe sind für mich absolut synonym. Die frühen Detroiter (bis auf Juan Atkins Electro) kenne ich nur unter Detroit-Techno bzw. eigentlich nur Techno. Hier in Deutschland ist der Begriff nach ca. 91/92 dann zu was anderem mutiert. Die bedeutenden Acts Underground Resistance und Jeff Mills sind meiner Ansicht nach 2. Generation US-Techno, die gab es nicht vor 1990. Man könnte sicherlich in diesem Zusammenhang auch den „weißen“ Anteil von US-Techno nennen, nämlich Richie Hawtin und Freunde, der zur selben Zeit mit Fuse und dann Plastikman und dem Plus-8 Label Meilensteine hingelegt hat.
    Im Grunde ist es sogar wichtig zu erwähnen, dass zumindest am Anfang ein Plattenlabel mit einem Sound zu identifizieren war und nicht der einzelne Künstler. Wenn man ein Plattenlabel mit der Neu/Re-Definition von Techno zu „Electronica“ identifizieren müsste, dann ist es WARP. Ohne diese Label wäre die Entwicklung vermutlich andere Wege gegangen, weil hiermit ein kreatives Auffangbecken der meist britischen Künstler und spätere geschaffen wurde. Z.B. hatten LFO in 1990 in GB einen Top 10 Hit in den normalen Charts! BlackDog, B12, später Plaid alles Techno-Bands, die schon in den 90ern extrem komplexe, ich möchte nicht sagen musikalische, Arangements hatten, die deutlich über das hinausgingen, was aus den USA kam. Beim vielleicht wegweisendsten Künstler in Sachen Soundentwicklung in den frühen 90ern, Richard D. James, würde ich aber ganz sicherlich die ruhigen, extrem atmosphärisch-dichten Ambientwerke, wie z.B. Selected Ambientworks 1+2, erwähnen. Das sind wirklich zeitlose „Techno“ (!) Platten. Damit wurde der etwas abgehangene Ambientsound meiner Ansicht nämlich wiederbelebt bzw. neu-definiert. Interessant bei R. James ist das er sich bei seinen „lauten“ Stücken sehr bei den EBM und frühen Industrial-Sounds von Skinny Puppy oder Throbbing Gristle inspieren liess (Drum Sounds). So schließt sich der Kreis, wie so oft in der Musik (und oben im Text bei Kraftwerk auch sehr schön erklärt)!
    Unsere Nachbarn in Belgien (inspiriert von EBM natürlich) und Holland sind, glaube ich, nicht erwähnt. 90/91 waren diese Wegweisend für die neue deutsche Interpretation des Techno (hart, schnell, laut, einfach – nicht die „funkige“ Leichtigkeit der schwarzen US-Techno-Begründer).
    Insgesamt finde ich die Gewichtung bei den Techno-Bands zu stark auf die Deutschen Künstler (Bands und DJs) gelegt. 1988/1989 konnte man in GB schon mehrere Tausend Gäste auf Acid House Raves antreffen, vielleicht sogar mehr. Wenn man nun, über 20 Jahre nach diese Sturm und Drang-Phase, zurückschaut, dann weiß man welche Stücke wirklich zeitlos und damit vermutlich einen künstlerischen Wert haben. Mir fallen eigentlich nur US und GB Leute ein. Sind letztendlich aber alles künstlich geschaffene Genre-Schubladen, bei mir heißt das alles Techno (mit ch). Alles Geschmacksache, klar. Rave On! ;-)

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      h.gerdes AHU

      @Lauflicht Ja, das habe ich etwas vereinfacht dargestellt, wie ich auch erwähnt habe. In der Zeit ist eine Menge passiert, regional sehr unterschiedlich. Inwiefern Detroit nun Vorläufer oder schon elementarer Teil des Techno ist, da gibt es viele Meinungen – aber wie du schreibst, der ursprüngliche Detroit Techno ist etwas anderes als der europäische Techno der 90er. Da kann ich nur mal wieder sagen: Techno sollte einen eigenen Artikel bekommen, der die Geschichte von Anfang an aufrollt. Den würde ich jedenfalls gerne lesen ;-)

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    h.gerdes AHU

    Und noch ein paar Plattentipps aus der Vintage-Kiste:
    Ashra – Blackouts (die beste Scheibe von Göttsching imho)
    Wahnfried – Time Actor (Arthur Brown an den Vocals)
    Aux 88 – Is it Man or Machine (Elektro vom Feinsten)
    Nodens Ictus – Spacelines (Ambient-Sideproject der Ozric Tentacles)
    Coldcut – Let us Play (sehr interessante Musik)
    Holger Czukay & Dr. Walker – Clash (Trash &Clash!)
    Irmin Schmidt und Bruno Spoerri – Toy Planet (keine Schublade dafür…)
    Atom Heart Mother Trance Remix (bester Pink Floyd Remix)
    Wolfgang Riechmann & Streetmark – Untitled (Krautronik)
    Edgar Froese – Stuntman (seine Beste)

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    daniel müller

    Sehr grosses DANKE für diese Zeitreise !!! Ich merke dass ich Nachholbedarf in Sachen EM habe…..dann werde ich mich mal fleissig durchklicken…klick klick klickkkkkkk….

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      h.gerdes AHU

      @daniel müller Dank zurück, auch an alle, bei denen ich das vergessen habe. Und ich werde noch ein paar Namen von EMlern posten, die mir positiv aufgefallen sind.

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    Filterpad AHU 1

    Sensationell – ganz große Klasse diese 3 Teile zu der geschichtlichen Entwicklung der EM. Zur Ergänzung vielleicht noch:

    Soweit ich weis ist House die einzige offiziell anerkannte elektronische Musik-Stilrichtung im Vergleich zu Trance, Techno usw. was keine anerkannten Stilrichtungen sind. Laut Wikipedia hat der deutsche DJ „Talla 2XLC“ den Begriff Techno nach Europa gebracht.

    Übrigens: Die Erfolgsstory von Depeche Mode begann unter anderem in Berlin. Z.B. der Superhit „People Are People“ wurde in Berlin aufgenommen.

    Eine gute Idee ist auch einen extra Beitrag der einzelnen Subgenres der EM zu schreiben. Vielleicht mit kleinen Sounddemos dazu damit man einen musikalischen Eindruck der einzelnen Stilelemente mit ihren typischen Eigenschaften bzw. Merkmalen bekommt.

    Weiter so!!

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      h.gerdes AHU

      @Filterpad Ja, Berlin ist eine der EM-Hauptstädte seit den 70ern und war für einige Briten Sprungbrett. Aber Stilrichtungen gibt es schon ein oder zwei mehr, auch ohne offizielle Anerkennung seitens der amtlichen Nomenklaturbehörde ;-) da hat wohl jeder eine eigene Meinung, und das ist auch gut so ;-D

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    h.gerdes AHU

    Hier noch ein paar Namen aus der bunten deutschen EM-Szene:

    Stephen Parsick
    Lambert Ringlage
    Stefan Erbe
    Uwe Reckzeh
    Bernd Kistenmacher
    Ralf Hildenbeutel
    Ullrich Schnauss
    Oliver Lieb
    Steffen Britzke
    Jörg Burger
    Jo Zimmermann

    Und Plattentipps:
    A Tribute to Conny Plank (ein Film soll folgen)
    Klaus Schulze – La Vie Electronique 1-17 (Wiederveröffentlichung der Ultimate Collection)

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    MattZazzles

    Schicker Artikel! Sind viele Künstler dabei von denen ich noch nie etwas gehört habe.
    Würde auch gerne etwas teilen. Eine meiner absoluten Lieblingsbands sollten definitiv mehr Menschen hören bzw es vesuchen: SHPONGLE.
    Sehr psychedelische EM, mit Einflüssen aus Worldmusic, Goa/Psytrance, Klassik, Electro, Psychrock,Pop.
    Shpongle besteht aus Simon Posford (u.a. Halluciongen) und Raja Ram (u.a. Quintessence). Wer Pink Floyd (mit noch mehr Acid) durch zig Sampler, Synths, Computer und Effekte gejagt, hören möchte: Hör rein!

    • Profilbild
      h.gerdes AHU

      @MattZazzles Jep Sphongle sind klasse, die höre ich auch gerne. Wenn du Banco de Gaia noch nicht kennst, die machen ganz ähnliche Mucke und sind erfreulich fleißig!

      • Profilbild
        MattZazzles

        @h.gerdes Banco de Gaia sind der Hammer, danke für den Tipp, ich hörs schon den ganzen Morgen. Wenn wir schon mal Lsyergic-Sounds besprechen, es gibt ein neues Album von Juno Reactor, nach gefühlten hundert Jahren.
        Schickes WE!

  9. Profilbild
    Kosh

    sehr toller artikel! ich möchte noch auf einen künstler hinweisen, der mitte/ende der 90er mein absolutes idol war: uwe schmidt aka atom heart, heute bekannter als atom tm. auf dem zu pete namlooks label fax gehörenden sublabel rather interesting veröffentlichte er unter zig pseudonymen. besonders empfehlenswert finde ich die releases dots: dots sowie datacide: flowerhead (das er zusammen mit tetsu inoue produziert hat, letzterer auch einer meiner favoriten). lyserg-ambient vom feinsten. das beste: seit einem jahr ca. (?) veröffentlicht uwe schmidt die ganzen alten releases von damals wieder, zum teil remastered und um bonus-tracks ergänzt. dies ist sehr erfreulich, da, ähnlich wie der fax-katalog, die cds oft auf 1000 stück limitiert waren, und gebraucht vor einzug von digitalen vertriebsplattformen wie itunes stolze summen bei der bucht einbrachten….

  10. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Sehr spät dran, aber heute hat mich mein Sohn auf eine Band aufmerksam gemacht, die um diese Zeit herum auch Pionierarbeit geleistet hat aber leider hierzulande wahrscheinlich kein Schwein kennt. Meine, die muss hier erwähnt werden. Vor allem deswegen, weil sie aus einem ganz anderen Zentrum für elektronische Musik kommt: aus San Francisco. Ende der 70er tummelten sich da so obskure Bands wie Tuxedomoon. Hier fand sich aber noch ein weiteres, großartiges Juwel, das leider nur wenige Jahre Bestand hatte und qualitativ zum Ende hin auch ordentlich Federn ließ. Aber diese Tracks sollte man als Synthnerd und Electrofan gehört haben (Genial, wie hier Punk mit Elektronik verschmilzt).
    The Units – High Pressure Days (die rohe Version in Eigenproduktion von 1979)
    https://www.youtube.com/watch?v=qOsrS4XgyB0
    Hochglanzversion 1980 (verspielter): https://www.youtube.com/watch?v=isI3ihO4Z3I
    Und hier irgendetwas zwischen „Kometenmelodie“ (Kraftwerk) und „Hallogallo“ (NEU!) im Wilden Westen
    Cowboy (1979) – https://www.youtube.com/watch?v=7lXvqr3uRog
    Achtung Ohrgasmusgefahr!

  11. Profilbild
    iggy_pop AHU

    „Ralf Hildenbeutel
    Ullrich Schnauss
    Oliver Lieb
    Steffen Britzke
    Jörg Burger“ — Die haben aber mit der deutschen EM-Szene im Prinzip gar nichts zu tun, weder menschlich, noch musikalisch. Deren Werk wird zwar gerne goutiert oder auch zitiert (vor allem dann, wenn es deutsche EM moderner aussehen lassen soll als sie ist), aber als Szenegänger trifft man sie dort nie an (es sei denn, man ist Mitglied in einer Kapelle, die nur noch aus einem Markennamen besteht und es der Szene somit ermöglicht, mal in Rufweite seiner ehemaligen Stars zu sein).
    .
    Diese Liste zeigt deutlich, in welchen Topf ich nicht geworfen werden will und in welcher Gesellschaft ich mich nicht wirklich wohl fühle…
    .

    • Profilbild
      AMAZONA Archiv

      @iggy_pop Wer kommt denn bitte auf die Idee dich mit Ralf Hildenbeutel in einen Topf zu werfen, und wer gibt dir die Sicherheit das Genannte sich in deiner Gesellschaft wohl fühlen würden? Vielleicht ein überhöhtes Selbstwertgefühl?!

  12. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Electropunk ist kein Ding der 80er. Den gab es schon seit Mitte der 70er. Und die Wurzeln davon lagen sogar schon in den 60ern, mit Protoelectropunk Bands a la Silver Apples. Diese Form der Musik blühte interessanterweise vor allem im Raum San Francisco und Los Angeles auf. Man denkt eher an Europa oder New York (Velvet Underground und die Silver Appkes setzten da ja frühe Maßstäbe), aber es war der deutschstämmige Promoter Dirk Dirksen, der in diesem Raum an der Westküste die frühen Electropunkbands förderte. Genannt seien da Tuxedomoon, The Units oder The Screamers. Auch Devo sind in dem Text falsch verortet. Sie sind alles andere als eine klassische Synthpop Band, sondern ursprünglich Teil der in den Endsiebzigern vitalen us-amerikanischen Electropunk Szene. Das hört man in den ersten Produktionen, wie z.B. dem von Eno und in Conny Planks produzierten Album „Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!“ sofort raus. Vom Einfluss der Band „Suicide“ auf Soft Cell, DAF usw. will ich erst gar nicht anfangen…. da könnte man Bände mit füllen. An sich ist diese Artikelreihe okay, aber (lässt sich vermutlich nicht anders umsetzen) ziemlich sujektiv gefärbt (könnte es auch nicht objektiver). Alles in allem okay – auch wenn ich hier und da nicht die Auffassungen teile.

  13. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Wie komplex das Thema ist, sieht man auch an den unterschiedlichen Motivationen und Ursprüngen der Bands. Zeitgeist ist das Eine, selbst Erlebtes das andere. Gut auszumachen an den Biographien der Bands jener Zeit. Wer Devo verstehen will, muss z.B. auch über deren Erfahrungen mit der Nationalgarde 1970 beim Kent State Massaker wissen. Das Konzept, was hinter dieser Band stand, war mehr, als irgendwelche Synthesizermukke zu generieren. Mit anderen Bands verhält es sich ähnlich… z.B. spielte da auch die LGBT Bewegung jener Tage mit rein (Tuxedomoon, the Screamers usw.)
    Kurz: Namedropping, ohne Backgroundinfos machen in so einem Artikel wenig Sinn. Denn es gibt immer unterschiedliche Sozialisation und unterschiedliche Motivation. Synthpop z.B. ist nicht gleich Synthpop. Das Schwenken mit der Kommerzkeule – nur, weil es tatsächlich erfolgreich war – oder der Autor es für Kommerz hält – halte ich für problematisch.

  14. Profilbild
    Coin AHU

    Hat jemand eine Idee, wie man unter den ca. 400 Millionen Songs
    auf Soundcloud, die Musik heraus filtert, die einem gefällt ?

    Danke für den Artikel.

    • Profilbild
      HX

      @Coin Ich hab das so gelöst das ich fast nur noch meine eigene Musik höre, Vorteil: lauter Top-Produktionen ;-) und es bleibt noch Zeit für andere Hobbies.

      Aus dem gleichen Grund habe ich vor Jahren den größten Teil meiner Schallplatten verkauft. Als mir klar wurde das ich 20 h im Jahr Zeit hatte zum Hören aber 2000 h auf Schallplatte ergab sich da keinerlei Sinnhaftigkeit mehr. Und so ist das ja im Grunde auch mit diesen ganzen Plattformen.

      • Profilbild
        Coin AHU

        @HX Hehehe, ja ich höre auch hauptsächlich meine eigene Musik.
        Hab über 700 Tracks quer Beet, seit 2011 erstellt.
        Also langweilig wird es mir nie.
        Aber ich erweitere auch gern meinen (musikalischen) Horizont.

        • Profilbild
          AMAZONA Archiv

          @Coin Moment, du hast 700 „eigene“ Tracks seit 2011 erstellt und hörst fast nur diese oder meinst du eine Playlist mit 700 Songs verschiedener Interpreten?

          • Profilbild
            HX

            Warum nicht, als ich noch Student war hab ich auch locker mal über 100 eigene Tracks im Jahr aufgenommen, damals gab es allerdings auch noch nicht solche Zeitfresser wie diese Seiten hier…..

          • Profilbild
            Coin AHU

            Moin Hectorpascal – alles selbst produziert.
            Ist aber auch viel Schrott dabei.
            Höre meist nur die besten 5% davon.
            (aber die haben in sich ; )
            Das ging von 2011 – ca. 2017
            Da es in keine Schublade passt
            und ich mich nicht vermarkte, hab ich noch kein Geld damit gemacht.

            • Profilbild
              AMAZONA Archiv

              @Coin „damals gab es allerdings auch noch nicht solche Zeitfresser wie diese Seiten hier…..“ Wie wahr. Na dann sollten wir weiter dem Gott des Outputs huldigen und unsere Zeit auf Erden den Dingen opfern die uns was bedeuten. Jetzt erstmal mit Sohn Frühstücken zum Beispiel. ;)

          • Profilbild
            tommyk

            Naja, denkbar ist es. So eine Zeit des Hyperfokus hatte ich auch. Nur leider musste man damals weniger Energie in den Job legen, u. das Internet war noch „etwas kleiner“ sprich es gab weniger Rabbit-Holes.

  15. Profilbild
    liquid orange AHU

    Danke für diesen fantastischen Artikel. Da ich ein „Kind der 70er“ bin, habe ich da einiges nicht mitbekommen, aber jetzt viele Anknüpfungspunkte.
    Was mir auffällt ist, dass immer und immer wieder Klaus Schulze auf irgend eine Art dabei ist. Ein faszinierender Mensch mit einer nahezu unerfassbaren Produktivität. In dem sehr empfehlenswerten Buch „Klaus Schulze …eine musikalische Gratwanderung“ von 1986 ist eine etwas provokative aber durchaus wahre Aussage von ihm drin:

    „An meiner Musik kann keiner vorbei, denn ich habe den Langzeiteffekt drauf. Schau doch mal zurück! Was habe ich nicht alles für Gruppen überlebt. Die haben ihre Energien in Management und Promotion gesteckt, sind auf irgendwelchen Modewellen abgefahren und jetzt gibt es sie nicht mehr. Ich bin immer neben der Linie gelaufen. Alle sind sie weg. Aber wer sitzt immer noch am Pult? Na icke.“

    Und selbst 24 Jahre später sitzt er immer noch am Pult ;-)

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