Raphael:
Gerade habe ich für AMAZONA.de zwei Röhrenmikrofone getestet, die frisch auf dem Markt sind: das sE Electronics RNT, das in Zusammenarbeit mit Rupert Neve entstanden ist und das Golden Age Premier GA-47, das dem U-47 nacheifert. Wie stehst du zu dem Vintage-Kult bei den Großmembran-Mikrofonen?
Carsten:
Es ist schon ein erstaunliches Phänomen, dass bei aktuellen Mainstream-Pop-Produktionen wie selbstverständlich mit Mikrofonen gearbeitet wird, die häufig mehr als 50 Jahre alt sind. So etwas wäre im Filmbereich undenkbar. Aber diese Röhrenmodelle klingen eben auch fantastisch. Sogar bei den rein technischen Daten können die Klassiker gut mithalten. Nimm das U47 oder das U67: Bei beiden ist das Eigenrauschen nicht höher als bei vielen zeitgenössischen Modellen. Selbst der vergleichsweise niedrige Grenzschalldruckpegel vom U47 schreckt viele Nutzer nicht ab, da ein erhöhter Klirrfaktor bekanntlich für die häufig gewünschten K2-Harmonischen verantwortlich ist.
Mitte der 1970er beendeten Neumann und AKG erst mal die Produktion von Röhrenmikrofonen. Doch bereits 1983 brachte AKG mit dem „The Tube“ wieder ein Röhrenmikrofon auf den Markt. Es markiert den Beginn des Vintage-Revivals. Ich denke, dass die Nachfrage vor allem aus den USA kam. Dort wurde in privat geführten Studios durchgehend mit den Röhrenmodellen gearbeitet, während in Deutschland viele Privatstudios erst nach der Röhrenzeit überhaupt eröffnet wurden, viele also die Transistormodelle kauften und damit arbeiteten.
Röhrenmikrofone gab es ja in Deutschland in erster Linie beim Rundfunk, wo sie aber mit dem Aufkommen der leichter zu handhabenden Transistormikrofone wahlweise verschrottet oder von Tonmeistern und Technikern „gerettet“ wurden.
Neumann hat übrigens erst sehr spät auf die Röhren-Renaissance reagiert. Noch im Studio Magazin vom Oktober 1986 findest du ein Interview mit dem damaligen Neumann-Mitarbeiter Ernst Weiss, wo er in aller Klarheit sagt, dass Neumann keine Röhrenmikros mehr bauen wird: „Wir machen’s nicht.“ Nur 6 Jahre später kam aber eine limitierte U67 Reissue auf den Markt und 1995 dann das Neumann M149, eine übertragerlose Neuentwicklung.
Super Bericht und Interview! Danke! Das Studio Magazin Archiv, von Carsten liebevoll eingerichtet, ist wirklich eine unglaubliche Fundgrube für Studiowissen. Schön, dass das auf diese Weise am Leben erhalten wird.
Freut mich sehr, dass der Bericht so gut bei euch ankommt! Viel Spaß beim Schmökern :)
Klasse Archiv! Mal wieder etwas um Stunden über Stunden zu lesen… ;-)
Das Interview mit Conny Plank ist interessant, und sicher technisch gesehen aus heutiger Sicht.
Mehr als einmal geschmunzelt…!
@Llisa Interview mit Conny Plank? Welche Heftnummer war denn das?
Das Interview ist in Heft Nummer 5:
https://view.publitas.com/echoschall-bibliothek/studio-magazin-1978-mai-heft-05/page/12-13
Hier geht’s direkt zum Personenregister:
https://www.echoschall.de/de/info-verkauf/studio-magazin-archiv/studio-magazin-personenregister.html
Viel Spaß!
@Raphael Tschernuth Vielen Dank!
kann man das Archiv downloaden bzw. kann man es Offline irgendwie nutzen? Danke!!
@DieDolle Man kann sicher die Website lokal kopieren, z.B. mit WGET oder auch HTTrack.
@swissdoc Danke, probiere es gerade mit WinHTTrack.
@swissdoc hat leider nichts gebracht……schade……..wird wohl ein Kopierschutz drin sein so das man leider gezwungen ist Online zu lesen!
@DieDolle Hi,
mit Screenshot kann man jede Seite kopieren. ist halt viel Arbeit.
vielen dank für den hinweis auf das archiv. das ist wirklich ein historischer fundus zum schmökern und recherchieren. tolle sache!
toller beitrag – tolles archiv – dadurch hebt sich amazona eben von anderen e-mags der szene ab.
Das Studio Magazin ist für mich eine tolle Gelegenheit, den Profis über die Schulter zu sehen. Auf diese Art habe ich im Laufe der Jahrzehnte schon einiges gelernt, umso besser, dass man jetzt Zugriff auf das Archiv bekommt.
Lesestoff für Ewigkeiten. Der Sprachgebrauch damals und die semicoole 70’er-Attitüde mit gefühltem Zigarettenrauch…. Das Interview mit Conny Plank….. Immer anders, immer gegen den Strom. Zitat:“….wenn es meine ökonomische Situation zuläßt, werde ich einen Computer haben, anstatt einem Mischpult.“ Ich bin mir sicher, wenn er noch leben würde, er hätte beides. Das eine durch etwas anderes zu ersetzen, das hätte ihn im Schaffensprozess nur eingeengt.
Sehe ich anders! Lese gerade das Interview, das in vielen Teilen immer noch Allgemeingültigkeit besitzt (der „amerikanische Weg“ in der Musikproduktion Trendwellen totzureiten).
Beschäftige mich jetzt schon lange Zeit mit Conny Plank und seinen Produktionen. Ich denke, dass man diese Aussage (Zitat):
„Dazu muss ich sagen, … dass ich trotzdem überhaupt keinen Respekt vor irgendwelchen Technologien habe. ich benutze sie als Werkzeug wie ein Maurer seine Kelle. Für mich ist so etwas nichts besonders Tolles. Es verselbstständigt sich nichts bei mir. Eigentlich sage ich immer Audio-Rubbish dazu,…weil mir bewusst ist, ich kann es in fünf Jahren wegschmeißen, denn dann ist eine andere Sache da, die noch cleverer ist, noch anders funktioniert. Also weg damit.“, genauso stehen lassen kann, wie er sie geäußert hat. Er hat durchaus mal Abstriche bei der Qualität der Aufnahme, des Mixes in Kauf genommen, weil ihm künstlerische Aspekte – auch Fragen der Aufnahmeumgebung, die über Fragen der Akustik hinaus gehen, wichtiger waren; er ignorierte sogar mal typische Toniaspekte. Wenn man z.B. an Albumaufnahmen für Cluster denkt, die er mit einer mobilen Studioausrüstung gemacht hat u.ä., dann sieht man, dass er als Mischer/Produzent sehr viel pragmatischer dachte und kein Nerd war. An Conny Plank muss man sich anders herantasten als an Toni/Produzent x oder y. Der setzte an anderen Hebeln bei der Betrachtung und der Arbeit, dem Produkt an, als an läppischen analog/digital Diskussionen.
Gerade erst entdeckt — sehr schön!
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So möchte ich gerne mal eines Tages mein Archiv aufbereiten, auf daß es entsorgt werden möge.
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