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Wissen: Sound, Funktion und Geschichte des Federhalls

Federhall - Vintagesound pur

29. Juli 2020

Federhall bzw. Spring Reverb – History

Bevor das Special FEDERHALL beginnt, möchte ich ein paar Worte zur Entstehung loswerden. Zunächst dachte ich, na das kann ja nicht so schwer sein. Die paar Reverb-Amps und Studio-Reverbs. Nach einiger Zeit wurde mir aber klar, dass um die ganze Geschichte des Federhalls aufzuschreiben mit all seinen Aspekten, ein ganzes Buch nötig wäre. Deswegen kommen hier manche Aspekte nur teilweise oder reduziert vor, da einige Abschnitte (z.B. über den Federhall im Reggae Dub) ein eigenes Special füllen würden. Deswegen werden einige Sachverhalte auch nur verkürzt dargestellt. Ein großes Problem war auch die Zusammenstellung und Überprüfung der Informationen. Es gibt keine zentrale Quelle, die widerspruchsfrei sämtliche Aspekten der Geschichte zusammenfasst. Und soweit mir bekannt, ist dieses Special die bis jetzt ausführlichste Zusammenstellung der Geschichte des Federhalls, zumindest im Zwischennetz. Allerdings kann ich mir, auch nach Prüfung mehrerer Kreuzverweise, nicht ganz sicher sein, ob der ein oder andere Fakt vielleicht falsch eingeordnet ist – in diesem Sinne.

Laurens Hammond - der Erfinder des Federhalls (und der Hammond-Orgel)

Laurens Hammond – der Erfinder des Federhalls (und der Hammond Orgel)

Die Geschichte der Erfindung des Federhalls könnte man als gutes Beispiel dafür nehmen, wie Grundlagenforschung auf einem Gebiet eine Erfindung auf einem anderen Gebiet ermöglicht, ohne eine ursprüngliche, zielgerichtete Verbindung.

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Doch zunächst – warum ein Special über Federhall? Ist das nicht längst out? Mitnichten – auf der Website soundgas.com heißt es über das Spring Reverb:

„… it can be heard all over today’s music. Whether it’s cutting-edge dubstep from Rusko, or a top pop mix engineer like Tom Elmhirst (who used vintage spring reverb all over the last Adele album), the sound of springs is everywhere right now (check Alabama Shakes‘ album, Boys & Girls).“

soundgas.com

Zurück in die Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 1939. Laurens Hammond, Erfinder der gleichnamigen elektronischen Orgeln, reicht ein Patent ein. Dieses trägt die schnöde Bezeichnung „Electrical Musical Instrument“ und läuft unter US-Patent-No.: 2,230,836. Die Zuteilung dieses Patents im Februar 1941 markiert den Start der Ära des Federhalls, die bis heute in Geräten wie den Vermona ReTubeVerb nachhallt (ja, ich weiß …).

Die Legende des Federhall

Nun, wie kam es zu dieser Erfindung? Bei der Recherche zu diesem Thema kommt man unweigerlich auf die Geschichte der Telefonie (Fest- und Kabellos-), die ihren Ursprung in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts hat. Die Tragweite dieser Geschichte war mir bis dato noch gar nicht so bewusst. Vor allem die gesellschaftlichen und auch staatlichen Umwälzungen auch in anderen Ländern, die mit der Verbreitung dieses Kommunikationsmediums einhergehen, sind nun aber nicht Teil dieses Specials. Denn obwohl hier das Potential für eine ganz große Geschichte verborgen liegt, ist das Thema dieses Specials „die Entstehung und die Geschichte des Federhalls“.

ReTube-Federhall von Vermona

Die eigentliche Vorarbeit zum ersten zum Patent angemeldeten Federhalls kam aber aus dem Bereich der kabelgebundenen Langstreckentelefonie. Denn obwohl es seit 1927 bereits eine kommerziell nutzbare Überseekommunikation zwischen Deal, NJ, USA und Rugby, EN, GB gab, nutze diese den noch frischen Langwellenfunk für die eigentliche Überseeübertragung. Das erste transatlantische Tiefseekabel (TAT) wurde tatsächlich erst 1956 verlegt.

Ein Problem, das die Wissenschaftler und Tüftler in den damaligen Bell Labs um 1939 also immer noch beschäftigte, war die Übertragung eines Telefonsignals über lange Kabelstrecken hinweg. Denn es gab (und gibt) ein Problem mit elektrischer Übertragung über große Entfernungen hinweg und die Älteren unter uns können sich vielleicht auch noch daran erinnern: Bei solchen Telefonaten hatte man es öfter mit seltsamen Echos zu tun. Grund dafür ist die Reflexion der elektromagnetischen Wellen beim anderen Teilnehmer. Technisch gesprochen liegt das, vereinfacht gesagt, an unterschiedlichen Abschlussimpedanzen. Sind diese nicht einheitlich, so wird ein Teil der Wellen reflektiert und wieder zum Ursprung zurückgeschickt. Bei Entfernungen von 6000 km (Luftlinie) dauert das dann, auch bei 300.000 km/s, zwei mal 0,02 Sekunden also 40 ms. Geht man dann noch von mehrfach Reflexionen aus (die Kabelstrecke ist ja nie eine eins-zu-eins Direktverbindung, sondern lief teilweise über unzählige Telefonmaste) eröffnet das weitere Probleme. Abhilfe dabei schaffte ab 1937 das koaxiale Erdkabel, das mit einer definierten Abschlussimpedanz dieses Problem anging.

History Fact: Eine weitere Erfindung dieser Zeit, die 1937 von dem Briten Alec Reeves gemacht wurde, war die digitale Kodierung analoger Signale über PCM (Pulse Code Modulation).

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In Zusammenhang mit Experimenten über das Echophänomen bei Ferngesprächen wurde ein Apparat in den Bell Labs ersonnen, mit dem sich dieses Phänomen im Labor erforschen ließ. Dieser Apparat nutzte Spiralfedern, um möglichst lange Leitungslängen nachstellen zu können. Auf die Funktionsweise dieses Experimentierapparates wurde schließlich Laurens Hammond aufmerksam, der sich zu dieser Zeit bereits einen Namen mit seinen elektromechanischen Orgeln auf Tone-Wheel-Basis gemacht hatte.

Als das Spring-Reverb zum Instrument wurde

Doch fehlte dem Klang der Orgeln etwas ganz Entscheidendes, das die meisten Menschen der damaligen Zeit akustisch fest mit einer Orgel assoziierten: den Wi(e)derklang eines großen Raumes, in dem die mit Luft betriebenen Pfeifenorgeln traditionell genutzt wurden: einer Kirche. Da gerade kleine, freie Kirchengemeinden zu den ersten Kunden gehörten, verwundert die Suche nach einer geeigneten Methode (oder Musikinstrument, wie es im Patent steht) nicht, um diesen Raumklang günstig, kompakt und transportabel nachzustellen.

„In a lot of ways, creativity is just messing with people’s expectations,“ he says. „Reverb can be that jolt.“
Bill Putnam

Natürlich gab es bereits das Bestreben, die Akustik eines Raumes auch bei der Studioaufnahme von Musikdarbietungen einzusetzen. Üblich waren bereits in den 1930er Jahren die Nutzung eines echten Raumes oder Hallkammer. Über einen Lautsprecher wurde das zu verhallende Signal in den Raum gegeben, um daraufhin von einem Mikrofon im Diffusfeld wieder abgenommen zu werden. Daher stammen auch noch die „Room Verbs“ und „Echo Chambers“ bei heutigen digitalen Hallgeräten.

Aber der Berg (Hallraum) sollte ja zum Propheten (Publikum) kommen und nicht umgekehrt. Die Hallplatten, die übrigens später erfunden wurden und nicht vor 1957 von EMT-Franz (Elektro-Mess-Technik) kommerziell vertrieben wurden, hätten mit ihren, anfänglich schlappen 270 kg sicherlich auch keine gangbare Alternative dargestellt.

Hammond Federhall von 1939

Und so tüftelte der Unternehmer und Erfinder Laurens Hammond um 1939 (die Hammond Type A war seit 1934 erhältlich) ein „Musikinstrument“ zur künstlichen Erzeugung von Nachhall, wobei er die erwähnten Erkenntnisse und Bauweise des bei Bell Labs entwickelten Gerätes nutzte, um aus der Not eine Tugend zu machen.

Der Apparat untersuchte Echo und Halleffekte – Laurens Hammond suchte Ebendiese. Also entstand das erste künstliche Hallgerät auf der Basis von elektromechanischer Umwandlung, das schließlich 1941 unter der US-Patent-Nummer 2,230,836 anerkannt wurde. Diese Reverb-Einheit, die ca. 1,20 m hoch war, wurde dann zusammen mit den schon vorhandenen Leslie-Speakern in ein Kabinett installiert.

Um die Frequenzverlauf des Nachhalls manipulieren zu können, wurden drei der fünf Federn in einen Zylinder mit niedrig-viskosem Öl umgeben. Das hatte gleich zwei Wirkungen: Die Nachhallzeit der unteren und mittleren Frequenzen, jenen 2 kHz zwischen 500 und 2,5 kHz, für die unser Ohr besonders empfindlich ist, wurden gedämpft.

„…the intermediate frequencies, to which the ear is most sensitive, will be damped most rapidly.“

Laurens Hammond

Und außerdem konnte durch den Anteil, zu dem die Feder im Öl steckte, die Hallcharakteristik verändert werden.

„By adjustment of the level of the oil in the tube … and by changing the size of the pin C, the relative rates at which very low, intermediate, and very high frequencies are damped, may readily be controlled.“

Laurens Hammond

Da sich diese Bauweise aufgrund der in Öl gelagerten Federkomponenten eben nicht ohne weiteres transportieren lassen konnte, legten H.E. Meinema et al 1959 ein neues Patent vor (zugelassen im Mai 1962). Dabei handelt es sich um das sogenannten Necklace Reverb, das seinen Namen von der offensichtlichen Ähnlichkeit der Aufhängung der Hallfedern in Form einer Halskette hat. Das Gerät wurde nun durch den Verzicht auf in Öl gelagerte Federn wesentlich kleiner und auch wesentlich leichter zu warten. Das größte Problem, das sich direkt aus der Necklace-Aufhängung ergab, war jedoch die Empfindlichkeit gegenüber Stößen. Wurde das Kabinett oder die Orgel, denn dieser Federhall wurde auch direkt in eine Orgel gebaut, auf der Bühne nicht gut entkoppelt, so schepperte es mächtig im Karton. Denn die Federn konnten sich so entweder gegenseitig berühren, gegen den T-Rahmen scheppern oder die einzelnen Windungen einer Feder prallten aufeinander.

Heißt Necklace weil... seht selbst.

Heißt Necklace weil … seht selbst

Und obwohl dieser Klang Ende der 50er definitiv nicht erwünscht war, wurde der Federhall im Reggae Dub gerade auch wegen dieser Eigenschaft gerne eingesetzt. So wurde durch die jamaikanischen Dub-Artists wie Osbourne, King Tubby, Ruddock, Lee Scratch Perry, Errol Thompson und anderen das Donnern eines geschüttelten Federhalls zu einem der Signatur-Klänge des Dubs. Allerdings wurde diese kreative Art und Weise den Federhall zu miss-nutzen erst Ende der 60er erdacht.

Der integrierte Federhall im Gitarren-AMP

Die erste wirklich transportable Version von A. C. Young die 1963 als Patent (US-Patent 3,106,610) eingetragen wurde ist dann tatsächlich auch die Blaupause für die heutigen Reverb-Tanks. (BILD). Sehr bald gab es dann die Hammond Reverb-Unit, die der Anforderung von Young, nicht größer als ein Aktenkoffer zu sein, genügte. Später wurden dann verschiedene Techniken genutzt, um den Klang des Federhalls natürlicher und weniger „springy“ zu machen.

die Ikone - der Accutronics Type 4

Die Ikone – der Accutronics Type 4

Zum Einsatz kamen kleine Ätzungen auf den Federn, die für mehr Höhenreflektionen sorgten und Dämmscheiben, die sich auf den Tiefenbereich auswirkten. Die Nutzung von verschieden langen Federn in verschiedener Anzahl oder ineinander verhakten Federn sollte die Reflexionen diffundieren, um dem Sproing zu entkommen. In der Natur der Sache liegt es aber, dass die Herkunft des Federhalls nie ganz vertuscht werden kann, weswegen sich schließlich auch andere Systeme, zumindest im Recording etabliert haben.

Die Bestimmung

Und tatsächlich findet sich eine zeitliche Koinzidenz mit dem Auslauf der Brownface/Blonde-Serie der berühmten Gitarrenverstärker von Leo Fender und dem transportablen Federhall. Denn der wohl ikonischste Fender Amp ist wohl der Blackface Fender Twin Reverb und dieser löste eben genau 1963 den Vorgänger Fender Twin ab.

Der Fender Twin Reverb war einer der ersten GItarrenamps mit integriertem Federhall.

Der Fender Twin Reverb war einer der ersten Gitarrenamps mit integriertem Federhall

Aber die portable Version der Reverb-Einheit war wohl schon auf dem Markt, bevor sie den Patentstempel bekam. Denn unbedingt ist der Fender Reverb 6G15 zu nennen, der 1961 erschien, ein „Brownface“ war (das bezeichnet die Farbe des Gerätes und ist für Fender-Kenner ein Kriterium zur eindeutigen Einordnung eines Fender-Amps in eine Zeitperiode. So gibt es eben auch „Blackface“ oder „Silverface“).

Fender 6G15 Reverb Amp - wird wie eine Stompbox vor den Verstärker geschaltet.

Fender 6G15 Brownface Reverb Amp – wird wie eine Stompbox vor den Verstärker geschaltet

Dieses Gerät, konzipiert als reines Spring-Reverb, löste dann eine Welle unter den Surf-Rockern aus. Die Beach Boys z.B. waren eifrige Nutzer des Gerätes – zu hören auf unzähligen Aufnahmen und Auftritten dieser Zeit, zum Beispiel bei TAMI (The American Idol).

Carl Wilson von den Beach Boys mit dem Outboard Federhall Fender 6G15. Wir entschuldigen uns für die Bildqualität, leider konnte unser Geheimdienst kein besseres Material liefern.

Carl Wilson von den Beach Boys mit dem Outboard Federhall Fender 6G15, vermutlich einem Blonde. Wir entschuldigen uns für die Bildqualität, leider konnte unser Geheimdienst kein besseres Material liefern.

Schon bald war die Nachfrage nach den Halltanks so groß, dass es eine eigene Firma gab, die bereits 1964 ausgegründet wurde, um den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Diese Firma, die mittlerweile nur noch in Korea produziert, ist wohl allen bekannt: Accutronics. Im kürzlich erschienenen Test des Vermona ReTubeVerbs auf Amazona.de kommt auch ein Accutronics-Tank zum Einsatz. Dieser Type-9 ist eine Weiterentwicklung des ursprünglich ikonischem Accutronics Type-4, der in unzähligen Gitarrenverstärkern von allen erdenklichen Herstellern verbaut wurde.

Federhall und Synths? Der Arp2600 war standardmäßig mit einem ausgestattet.

Federhall und Synths? Der ARP 2600 war standardmäßig mit einem ausgestattet

Nicht zu vergessen ist der Synthesizer ARP 2600, der von 1971 bis 1980 gebaut wurde und tatsächlich einen Federhall zum Patchen mit an Bord hatte.

Berühmte Musiker, die das Spring Reverb nutzten

Und so, obwohl ursprünglich erdacht, um die sakrale Atmosphäre eines Gottesdienstes nachzuempfinden, prägte der Federhall eine entscheidende Klang-Generation des Rocks. Einige Gitarristen nutzen den Halleffekt sogar als stilbildendes Elements ihres Spiels. Erinnert sei dabei an Peter Green von Fleetwood Mac, für den es nie genug Reverb sein konnte.

Peter Green liebte Spring Reverb.

Peter Green liebte Spring Reverb

Leo Fender war allerdings nicht der Einzige, der ab den 60ern die Hallspiralen in seinen Amps bzw. Reverb-Amps nutzte. Denn auch die heute noch bekannte Firma Danelectro bot standalone Reverbs an, die genau wie ein Bodenpedal vor den Amp geschaltet wurden.

Bekannt sind auch die Reverb-Amps von Valco. Diese wurden HINTER den Amp geschaltet. Wo normalerweise der externe Lautsprecher eingesteckt war, ging das Signal an den Supro1605 Reverb von Valco (Valco wurde übrigens in den frühen 1930ern von den früheren Inhabern von Dobro gegründet). Interessant zu wissen ist, dass Valco nicht nur mehrere eigene Marken betrieb (wie eben Supro, aber auch Airline, Oahu und National), sondern auch Amps anderer Marken unter Lizenz herstellte. Dazu gehörten Gretsch, Harmony und Kay. Andere Quellen besagen, dass aber auch für die ganz Großen gebaut wurde, namentlich Ampeg, Gibson, Guild, Hiwatt, Marshall, Sound City, Magnatone, Silvertone, Danelectro. Da das Spiel auch zwei spielen können, gibt es, Anfang der 1960er, auch z.B. einen Gretsch Reverb-Amp, der im Prinzip wie der von Valco gebaut ist. Als Letztes sei noch der Reverberocket R12R von Ampeg erwähnt, der 1961 gebaut wurde und von dem Ampeg selbst behauptet, es sei der erste Gitarrenamp mit Reverb.

Wie klingt den ein Federhall (Spring Reverb)?

Dazu lassen wir Euch mal in dieses Video reinhören:

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Mehr Informationen

Der Federhall im Studio und auf der Bühne

Wie erwähnt wurden ab 1954 Hallplatten- und später Folienhallgeräte eingesetzt. Und da diese konstruktionsbedingt einen „natürlicheren“ künstlichen Hall erzeugen konnten und trotz zunächst 270 kg Gewicht als vergleichsweise handlich galten (brauchte man doch vorher ganze Hallräume), trat der Federhall im Studiobereich eher in den Hintergrund. Vor allem im semiprofessionellen Bereich in den 1970ern sind viele Line- und PA-Mixer mit integriertem Federhall zu finden. So z.B. die Roland Mixer PA80 und PA120 oder der Power-Mixer PC4100 von Ross.

Power Mixer von Ross

Power Mixer von Ross

Wer alt genug ist, erinnert sich dann auch noch an die Power-Mixer im Kofferformat, die nicht selten einen Federhall beinhalteten, wie z.B. der Crate PA-6. In Kleinsignalmischern war der Federhall seltener anzutreffen. Die eher auf Home-Recording ausgelegten Kleinmischer vom Roland-„Vorgänger“ Ace Tone sind ein Beispiel hierfür.

Ace Tone Vocal Mixer mit Federhall

Ace Tone Vocal Mixer mit Federhall

Bekannt ist vor allem AKG für seinen „Mahagonischrank“, dem BX-20 von 1972. Dieses Gerät wog über 50 kg, hatte die Größe eines Kühlschrankes und tatsächlich die Optik eines Schranks, da es mit einer Holzverkleidung ausgestattet war. Der BX-20 erlaubte die Variation der Nachhallzeit von 2 bis 4 Sekunden und das auch noch in Stereo und mithilfe einer Fernbedienung. Es gibt von Universal Audio sogar ein Plug-in, das diese Legende emuliert, jedoch mit wesentlich mehr Eingriffsmöglichkeiten als das Original. Als der Nachfolger BX-10 1975 auf den Markt kam, war die Zeit der Federhallgeräte im Studio auch schon beinahe gezählt, nicht nur wegen der bereits erwähnten Plattenhallgeräte.

AKG-BX-Serie: BX20 (1972), BX10 (1975), BX5 (1980)

AKG-BX-Serie (v.l.n r.): BX20 (1972), BX10 (1975), BX5 (1980)

Denn EMT produzierte mit dem EMT 250 den ersten kommerziellen digitalen Hall; und das bereits 1976. Wer ihn kennt, wird sich sofort an die Bedienoberfläche erinnern, die mehr mit einem Flugzeugcockpit gemeinsam hat als mit einem Studiogerät. Dieser Hall ist auch heute noch heiß begehrt, da er, entgegen den Erwartungen, sehr warm und natürlich klingt. Auch von diesem Ungetüm gibt es eine Software-Nachbildung. Aber auch an die Nachbildung eines Federhalls wurde sich gewagt. Softube hat einen im Programm.

Der erste digitale Hall von EMT, EMT 250 - das Cockpit.

Der erste digitale Hall von EMT, EMT 250 – das Cockpit

Der letzte Federhall von AKG kam dann 1980 heraus. Und, obwohl Stereo und mit eingebauten EQ und verstellbarer Decay-Zeit, zielte er wohl eher auf die kleinen Projektstudios und das langsam aufkommende Homerecording. Man muss bedenken, dass Lexikon 1978 mit dem Modell 224 auch in den digitalen Markt einstieg und es Mitte 1980 bereits die ersten PCM Lexicons gab.

Es gab auch noch andere Hersteller solcher Studio-Federhallgeräte: Orban, Master Room, Furman, Biamp. Bekannt in Studiokreisen, relativ unbekannt außerhalb.

Gib mir Hi-Fi

Eine heutzutage wenig beachtete Geräteart der Federverhallung boten Hi-Fi-Geräte von verschiedenen asiatischen Herstellern. Solche Geräte waren z.B. der Azden SX-10 oder auch Geräte von Sansui. Und auch ein heute sehr bekannter Name ist unter den Herstellern solcher Hi-Fi-Verbs: Pioneer.

Hi-Fi-Federhall? Gab es tatsächlich.

Hi-Fi-Federhall? Gab es tatsächlich.

Der Bedarf solcher Hi-Fi-Verbs mag sich zunächst nicht so recht erschließen. Ich persönlich vergleiche es mit der zweiten Hälfte der 1990er, als es in meinem Freundeskreis durchaus üblich war, zu einer Hi-Fi-Anlage aus Einzelkomponenten einen Behringer Ultrafex zu stellen, um mehr aus alten Tape-Aufnahmen oder auch Schallplatten herauszukitzeln. Diese Hi-Fi-Versionen sind dann auch heute auf dem Gebrauchtmarkt nicht sonderlich teuer und können durchaus ihren Zweck im Studio erfüllen. Der Pioneer SR-202W soll z.B. von Tom Elmhirst für Adele-Produktionen genutzt worden sein.

DIY: Kann man einen Federhall selbst bauen?

Nun, geht man in einschlägige Webshops für Gitarrenequipment (z.B. TAD oder TubeTown) und begibt sich in die Reverb-Kategorie, so wird man geradezu erschlagen von den verschiedenen Reverb-Tanks (ausschließlich von Accutronics, Korea). Es gibt eine große Anzahl verschiedener Typenbezeichnungen, welche die Eigenschaften des Tanks genau beschreiben. Im Test des ReTubeVerb habe ich das mal aufgedröselt. Der Aufsprech- und Aufholvertärker kann sogar mit nur einem Opamp und einer Handvoll Widerständen und Kondensatoren gebaut werden. Diese Seite enthält einer der besten technischen Erklärungen über die Funktionsweise des Federhalls, inklusive einiger Schaltkreise.

Einen wunderbaren Artikel zu DIY-Federhall, hat uns Martin Andersson für AMAZONA.de geschrieben. Diesen finden Sie HIER.

Wie geht die Geschichte des Federhalls weiter?

Gerade mit dem Aufkommen der Retro-Funk-Welle, siehe Amy Winhouse, Adele, etc., kam auch der Federhall wieder zu Ehren. Gar nicht verwunderlich ist deswegen auch, dass es wieder nagelneu produzierte Hallgeräte auf Federbasis zu kaufen gibt. Der ReTubeVerb von Vermona wurde bereits erwähnt und die Firma bietet auch noch andere Geräte mit Federhall an. Die Firma IGS bietet einen luxuriösen Stereo-Federhall an, der es sogar erlaubt, Hallprogramme abzuspeichern. Insgesamt betrachtet wurde die Geschichte der Federhalls wurde also nur für ein paar Dekaden unterbrochen und ist keineswegs zu Ende.

Ein aktueller Federhall der Marke Surfy Industries im Gehäuse eines Gitarren-Pedals

Empfehlungen zu aktuellen Federhall-Effektgeräte

Im Anhang findet ihr nun etliche Tests und Produktempfehlungen zu Federhall-Effektgeräte die zum Teil heute nicht im Handel sind.

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Forum
  1. Profilbild
    falconi RED

    Sehr umfassende und vielseitige Betrachtung des Themas, trotzdem kurz, knackig, kurzweilig. Danke, auch für die tolle Linkliste.

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    iggy_pop AHU

    Sehr schön recherchiert und gut geschrieben — das findet man nicht jeden Tag im Internetz.
    Nicht zu vergessen, der EMS VCS-3 bzw. der Synthi-A hatten ebenfalls einen eingebauten Federhall mit an Bord, der gerade dem VCS-3 eine zusätzliche Dimension gab: Egal, wo man bei aufgedrehtem Hall den Putney berührt, es scheppert immer irgendwie. Bei Buchla heißt das wahrscheinlich Touch-Sensitive Audio Dimensional Interface oder so und kostet 5.000 Euro ohne Zoll…
    Der AKG BX-15 fehlt noch in der Auflistung der Geräte des Wiener Herstellers — sehr schön zu hören ist er nicht nur auf diversen Alben von Klaus Schulze ab Mitte der 1970er Jahre (neben dem BX-20), sondern auch auf dem Soloalbum „Epsilon in Malaysian Pale“ von Edgar Froese.
    Mark Shreeve / Redshift verwendet noch heute den EMT 240 Folienhall und bekommt immer große Augen, weil die Mellotron-Flöten plötzlich so eine authentische Patina bekommen…

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      swissdoc RED

      @iggy_pop Den Halltank vom BX-15 gibt es auch in der Verpackung von Uniton als Swissecho 2000. Da ist noch ein BBD Delay für das Predelay und andere lustige Sachen mit dabei. Details, Bilder und Sounds gibt es hier:

      http://www.....swissecho/

      • Profilbild
        iggy_pop AHU

        @swissdoc Mit dem Extra-Delay kommt das Swissecho schon eher in Reichweite des BX-25E, obwohl der 25 einen anderen Halltank als der 15 verwendet (und auch einen anderen als der 20)

  3. Profilbild
    Son of MooG AHU

    Am Anfang hatte ich einen Federhall in der Familien-Heimorgel (zusammen mit einem Akai Tonbandgerät meine ersten FX), heute habe ich die Miniatur-Ausgabe A-199 im Eurorack, allerdings etwas subtiler eingesetzt.

  4. Profilbild
    Filterpad AHU 1

    Mein Federhall ist leider defekt! Kann jemand vielleicht eine Ferndiagnose durchführen der etwas Erfahrung damit hat, bzw. einen Tipp geben wie man das am besten testen kann? Modell könnte eine „Accutronics Type 4“ sein. Optisch jedenfalls absolut identisch und ebenfalls von Hammond.

    • Profilbild
      iggy_pop AHU

      @Filterpad Ferndiagnose geht leider nicht. Das kann die Treiberschaltung sein, die Erregerspulen oder die Abnehmer, vielleicht ist ein haarfeines Drähtchen irgendwo gerissen, vielleicht ein Kabel in Eingang oder Ausgang defekt…. wer weiß?
      Ein A4 sollte relativ leicht und preiswert zu ersetzen sein.

  5. Profilbild
    Tai AHU

    ….ja is es denn ein Wunder!?

    Nina immer noch gut für ein Zitat in der Überschrift…

  6. Profilbild
    t.goldschmitz RED

    Ich wollte mich ausdrücklich für den ganzen Blumenstrauß hier bedanken.
    Selten musste ich mit so vielen widersprüchlichen Quellen arbeiten, um mir dann ein plausibles Gesamtbild machen zu können.
    Aber die Anerkennung hier entschädigt für alles!
    Danke!

  7. Profilbild
    efsieben

    Super Story und ich wurde mal wieder an alte Zeiten erinnert. Bei uns wurde der Federhall, welcher es war keine Ahnung, oft für echt schräge Sounds benutzt,es durfte gerne scheppern und rattern. Das ganze in den Endsechzigern und Anfang der Siebziger.

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