Florian Anwander - Synthesizer Urgestein
Ich bin nun seit gut 25 Jahren in diesem Business, welches sich grob als Musik-Instrumenten-Branche beschreiben lässt. Mein Einstieg begann mit der Position als Marketingmanager bei AKAI-PROFESSIONAL, war dann später Marketingmanager des MUSIK MEDIA VERLAGS und liebe aktuell meinen Job als Chefredakteur von AMAZONA.de. In so einer langen Zeit hat man durch unzählige Messen und Events irgendwann das Gefühl, einfach jeden in der Branche persönlich zu kennen. Umso erstaunter ist man dann, wenn einem jemand zum ersten Mal begegnet, dessen Namen man in der Branche zwar schon oft gehört hat, den aber nie persönlich kennenlernte.
Genau dies war der Fall zwischen Florian Anwander und mir – und das, obwohl wir beide als echte Münchner in unmittelbarer Nähe wohnten. Selbst als Florian noch für den PPV Verlag in Bergkirchen und ich bei AKAI Professional in Karlsfeld tätig war, trennten uns nur wenige Kilometer während der Arbeitszeiten. Hinzu kommt unser beider Vorliebe für Synthesizer, ein ähnlicher Jahrgang und sogar überschneidende Bekannten- und Freundeskreise.
Und trotzdem, es sollte nicht sein. Selbst als Florian vor einigen Jahren in München (das einzig mir bekannte) Synthesizer-Treffen arrangierte, war ich im Urlaub und konnte daran nicht teilhaben. Und so blieb es bei gelegentlichen Kontakten über Mic Irmers Forum Sequencer.de.
Als ich Mitte des Jahres (nach langer Wartezeit) meine Moog Model 15 Replik von COTK erhielt, musste ich schnell feststellen, dass ich zwar viel Erfahrung mit analogen Synthesizern hatte, jedoch wenig mit modularen Systemen. Ein Anruf bei Florian genügte, der auch in Sachen Modularsynthesizer sehr bewandert ist, und wir beschlossen bei einer gemeinsamen Model-15-Session unser längst überfälliges „Kennenlernen“ nachzuholen.
Tief beeindruckt von seiner offenen und sehr sympathischen Art, seinem umfangreichen Fachwissen und später auch von einem seiner Live-Konzert, das ich besuchte, beschloss ich, Florian zu interviewen und freute mich über seine spontane Zusage.
Viel Spaß beim Lesen,
Ihr Peter Grandl
Peter:
Hallo Florian, lass uns doch ganz am Anfang beginnen. Wann und wie bist Du zur Musik gekommen?
Florian:
Ich bin in eine gut bürgerliche Mittelstands-Familie hineingeboren, in der Musik sehr wichtig war. Mein Vater hat als Amateur-Cellist mit seinem Streichquartett bei uns zu Hause gespielt. Da war quasi seit der Wiege Musik um mich herum. Ich hatte dann mit etwa 7 Jahren klassischen Klavierunterricht bekommen. Meine Eltern konnten sich das dann irgendwann nicht mehr leisten, und ich habe dann mit 15 noch Schülerjobs gemacht, um die Klavierstunden zu bezahlen – allerdings nicht mehr sehr lange, dann wollte ich das Geld doch für was anderes ausgeben (lacht).
Die Klavierstunden betrafen natürlich nur klassische Musik. Mit 14 begann ich, mit Schulfreunden zusammen irgendwie eine Band zu machen. Wir hatten damals (1973) nur eine sehr diffuse Vorstellung, was das bedeutet. Wir waren zu dritt: Klavier, Schlagzeug und Klarinette. Da haben wir halt einfachste Bluesstücke von Noten gespielt. Ich habe sogar noch eine Aufnahme davon. Ich muss die mal rauskramen und auf Soundcloud stellen.
Peter:
Was war schließlich Deine erste Begegnung mit elektronischer Musik?
Florian:
Die allererste Begegnung mit einem Synthesizerklang war „Here comes the sun“ von den Beatles (im Song ab 1:41). Die Abbey Road war die erste Platte, die ich mir selbst gekauft habe, und da war ich völlig geplättet von dem Sound dieser ganz kurzen Phrase im Refrain. Kurz danach hörte ich dann noch „Popcorn“ und „Switched on Bach“.
Peter:
Elektronische Musik und die Liebe zu Synthesizern teilst du ja mit vielen Zeitgenossen. Du scheinst dich aber noch tiefer mit der Materie auseinander gesetzt zu haben als viele andere. Wie kommt’s?
Florian:
Wenn ich ehrlich sein soll. Das ist das Bastel-Gen, das vermutlich viele Jungs haben. In meinen Jahrgängen haben das alle erst mal über die Modellbahn ausgelebt, und mit ungefähr 14 Jahren verzweigte sich das dann in die Mofa-Schrauber und in die Verstärker-Löter. Als ich die Abbey Road gekauft hatte, habe ich kurz danach zu Weihnachten einen Kosmos-Experimentierkasten „Elektronik“ geschenkt bekommen. Da war eine einfach Oszillatorschaltung dabei. Nach einem Vierteljahr habe ich das mit der Elektronik dann so weit verstanden, dass ich diesen Aufbau mit dem Widerstandsdraht aus einem alten Föhn so erweitern konnte, dass man mit einer Kugelschreibermine auf dem Draht unterschiedliche Tonhöhen abrufen konnte. Heute weiß ich, dass ich da eine Ondes Martenot adaptiert habe – das ich damals natürlich nicht kannte.
Aus der vorher erwähnten Bluesband wurde irgendwann eine richtige Rockband. Ich hatte eine Yamaha YC-30 Orgel (mühsam in den Sommerferien sechs Wochen lang als Aushilfe in einem Lager erjobt). Die war toll und sie hatte ja so einen Ribbon-Sensor, mit dem man schon sehr synthetisch klingende Sachen machen konnte, aber ich wollte doch lieber einen richtigen Synthesizer; inzwischen wusste ich ja, was das war. Ich drückte mir zwar die Nase an den Schaufensterscheiben der Musikläden platt, aber ich konnte mir keinen leisten. Dann las ich irgendwann eine Kleinanzeige im „Blatt“, der damaligen Stadtzeitung von München: „Ich habe einen Synthesizer. Wer sich den mal ansehen will, ruft mich an.“ Ich rief da noch am selben Tag an. Das war Richard Aicher [Jahre später Autor von eines bekannten MIDI-Fachbuches], der mir dann bei sich zu Hause seinen Elektor Formant zeigte. Und da war es um mich geschehen: noch einmal fieser Ferienjob, dann hatte ich die 1400 Mark beisammen, um mir einen Formant-Bausatz zu kaufen. Den habe ich dann zusammengelötet, und aus dieser Erfahrung des Selbstbaus eines Synthesizers stammt sicher ein nicht unerheblicher Teil meiner Kenntnisse.
Eine nette Anekdote gibt es da übrigens noch: Richard Aicher meinte, es gäbe noch jemanden in München, der auch Synthesizermodule selbst baut, und gab mir eine Telefonnummer. Ich besuchte den Typen dann ein paar Tage später. Er zeigte mir im Wohnzimmer seiner Eltern seinen Formant, und ein dazu entwickeltes Phasermodul. Er hieß Dieter Döpfer.
Peter:
Das ist dann etwa Ende der siebziger Jahre?
Florian:
Das war wohl 1979 oder 1980. Ich bin dann zwei Jahre später nach dem Zivildienst durch Zufälle in die professionelle Münchner Tonstudioszene gerutscht, und habe bis in die Neunziger mein Geld als Toningenieur und Studiotechniker in diversen Studios verdient. Damals gab es noch keine Ausbildung für diese Tätigkeit. Daher lief das für mich alles über „learning by doing“. Da konnte ich natürlich unglaublich viel lernen. Es gibt einige Leute, denen ich sehr viel verdanke, und vor denen ich bis heute sehr großen Respekt habe. Zum Beispiel der Produzent Willi Klüter, der Filmmusikkomponist Andreas Köbner oder auch Leslie Mandoki – dessen allgemeine Ansichten ich zwar oft nicht teile – der mich aber sehr gefördert hat und der mir sehr viel über professionelles Verhalten beigebracht hat.
Peter:
Die Liebe zu Synthesizern hat bei dir ja auch einen technischen Aspekt. Soweit ich weiß, überholst du deine Synthesizer selbst, richtig?
Florian:
Ja. In den 80er- und 90er-Jahren habe ich eigentlich nur Modifikationen gemacht; was ich mit meinen Kenntnissen vom Formant-Bau so machen konnte. Erst mal an meinen eigenen Synths, später auch an denen von Freunden. Irgendwann kamen die analogen Schätzchen in das Alter, in dem die ersten Macken auftraten; da habe ich halt auch mit Reparaturen angefangen. Mit der Zeit hat sich das zu einem Hobby verselbständigt, das parallel zum Musikmachen bestand. Inzwischen ist es zu einer richtigen von meinem Arbeitgeber genehmigten Nebenerwerbstätigkeit geworden. Ich repariere und renoviere auch Synths als bezahlte Aufträge. Allerdings bestenfalls vier oder sechs pro Jahr.
Ich mache auch weiterhin gerne Modifikationen an analogen Synths oder an Drummaschinen. Die Ideen dafür entstehen meistens dadurch, dass ich beim Live-Auftritt irgendeine Funktion vermisse, und dann mir überlege, wie man das lösen könnte.
Daneben arbeite ich auch Konzepte für Modifikationen aus, die ich selbst nie bauen könnte. So stammen etwa die Ideen für viele Funktionen des KIWI-3P und die ganze Bedienstruktur des Systems von mir. Dass es die Tubbutec SH-1oh1 Erweiterung gibt, das ist meine Idee, die ich Tobias Münzer angetragen habe, nachdem ich von seiner Juno-66-Erweiterung gelesen hatte. Ich wusste, dass der Juno-60 und der SH-101 mit ganz ähnlicher Keyboard-Technik arbeiten, und dass es für Tobias ein Leichtes sein müsste, so etwas zu entwickeln. Tobias sind dann noch ganz tolle Zusatzfeatures eingefallen.
Peter:
Was sind das dann für Modifikationen, die Du selbst umsetzt?
Florian:
Eine klassische Änderung bei Analogsynths ist zum Beispiel die Angleichung des Pegels an die Resonanz. Diese Funktion ist zwar bei vielen Synthesizern schon mit eingebaut, aber oft ist sie zu schwach ausgeprägt, und manchmal – wie beim Jupiter 6 – fehlt sie eben ganz. Bei alten Rhythmusmaschinen baue ich externe Clock-Eingänge ein oder Trigger-Ausgänge. Sehr einfach ist es auch, die Envelope-Zeiten von Synthesizern schneller zu machen.
Ich habe aber auch schon ziemlich wilde Sachen gemacht. Ein Freund hat einen Concermate MG-1, der mit einer kompletten Modulationsmatrix ausgestattet wurde und bei dem die Polysektion die Hardsync des VCO-2 ansteuern kann. Bei meinem Polymoog habe ich die Pulsbreitenmodulation auf Cross-PWM umgebaut; da moduliert der Sägezahn-Oszillator die Pulsbreite. Klanglich liegt das dann irgendwo zwischen PPG und DX7. Sehr wild, aber unendlich mühsam, weil man 72 Voicecards umbauen muss. Dieser Polymoog ist dann leider einem Blitzschaden zum Opfer gefallen.
Die meisten meiner Modifikationen veröffentliche ich übrigens auf meiner Web-Page.
Peter:
Du hast eines der deutschsprachigen Standardwerke geschrieben über Synthese-Grundlagen und -Anwendung. Wenn mich nicht alles täuscht, wird das immer noch verlegt. Wie kam es zu dem Buch?
Florian:
Ich war von etwa 1990 bis 1999 Autor für die Zeitschrift Keys. Als das Doepfer A-100 auf den Markt kam, schlug der damalige Chefredakteur vor, dass ich eine Einführung in Modularsysteme als Artikelserie schreiben solle. Damals waren diese Kästen ja ziemlich in Vergessenheit geraten. Mit dem monatlichen Schreiben der Serie merkten wir schnell, dass es eigentlich nicht um Modularsysteme im Speziellen, sondern um Synthesizer im Allgemeinen geht. An den Modularsystemen kann man halt die Synthesetechniken sehr schön beschreiben. Als die Serie dann Ende der 90er abgeschlossen war, kam bald die Idee auf, daraus ein Buch zu machen. Da ich mittlerweile einen „ordentlichen“ Beruf mit 40-Stunden-Woche hatte, dauerte es nochmals ein Jahr, bis ich in der Freizeit die einzelnen Artikel zu einem Buch umgeschrieben hatte. Später habe ich zwei neue Kapitel angefügt, und aktuell plane ich gerade ein weiteres Ergänzungskapitel, das sich um Delay-Module dreht. Momentan sieht es also nicht so aus, dass der Verlag es auslaufen lassen würde.
Peter:
Im Mai dieses Jahres hast Du erneut „öffentliches Aufsehen“ erregt als Autor mit dem Werk „R is for ROLAND“, einem Schmuckstück von Buch, das die ROLAND Klassikern huldigt. Du warst einer der Protagonisten, die zur Entstehung beigetragen haben. Erzähl uns doch die Geschichte, die zur Entstehung führte.
Florian:
Zunächst sollte man sagen, dass ich nicht der Autor des Buches bin. Das sind Tabita Hub und Michal Matlak. Auch die Idee stammt von den beiden. Ich bin letztlich Co-Autor und habe einiges an redaktioneller Arbeit dazu beigetragen.
Ich kenne Tabita und Michal schon sehr lange; ich habe vor ein paar Jahren mal eine Maxi von Michal aufgenommen und gemischt. Michal und ich haben in etwa den gleichen Zugang zu Synthesizern – sowohl von der Musikerseite als auch von der Technikerseite.
Was die Entstehungsgeschichte angeht: Zuerst sollte das nur eine Abschlussarbeit für Tabitas Fotografie- und Design-Studium sein, und die Aufgabe der Arbeit war eigentlich Bildgestaltung und Schriftdesign. Also fotografierte Tabita die Synthesizer ihres Freundes Michal und für die Schriftgestaltung adaptierte sie die diversen Roland-Schriften und gestaltete den Text, den Michal schrieb. Ein Teil der fotografierten Instrumente stammt von mir. Später fragte Michal mich noch, ob ich den von ihm geschriebenen Text korrekturlesen könne. Tabita bekam dann mit diesem „Ur-Buch“ ihr Diplom, doch das war nur in zwei Exemplaren gedruckt worden. Irgendwann kam die Idee, das nochmals als „richtiges“ Buch in höherer Stückzahl zu produzieren und zu verkaufen – tja und zu dem Zeitpunkt steckte ich schon viel zu tief drin, als dass ich mich noch hätte zurückziehen können (lacht). Jedenfalls dauerte es noch zwei Jahre voll Telefonieren, E-Mailen und Rumrechnen, bis dann eines Tages tatsächlich ein LKW mit mehreren Paletten mit Büchern bei Michal vor der Tür stand. Die ganze Geschichte kann man im Detail auf der Website zum Buch in Videos anhören und sehen. Eure Kollegen von Electronic Beats von der Telekom haben das ganze Projekt ganz toll dokumentiert und begleitet. Denen muss ich echt noch mal Danke sagen.
Peter:
Jetzt fragen wir uns natürlich, wann kommen die Bücher „Y is for YAMAHA“ und „K is for KORG“?
Florian:
Das kann ich jetzt nicht versprechen. Zumindest hat sich schon mal irgendein Webdomain-Händler die entsprechenden Domains gekrallt. Ich konnte mir gerade noch synth-book.com sichern. Aber im Ernst: Wir haben das Buch über die Geräte und Instrumente geschrieben, die wir besitzen, die wir benutzen und zu denen wir eine entsprechende Beziehung aufbauen konnten. Alle Instrumente in dem Buch gehören uns oder haben uns gehört.
Bei Korg oder Yamaha gäbe es zwar sicher genügend tolle Instrumente und auch designtechnisch haben beide Firmen interessante Entwicklungen gemacht. Aber sowohl Michal als auch ich haben nur zu wenigen dieser Instrumente eine persönliche Beziehung. Ich selbst habe zwar schon die unterschiedlichsten Korgs gespielt, aber außer dem MonoPoly und vielleicht dem Polysix habe ich keine tiefere Erfahrung mit Korgs. Bei den Yamahas liegt der Fall ganz ähnlich. Aber Michal hat schon andere Ideen, über die öffentlich zu sprechen noch verfrüht wäre. Sagen wir es so: Man sollte niemals „nie“ sagen.
Peter:
Mit viel Herzblut hast Du vor Jahren auch in München ein Synthesizer-Meeting organisiert, bei dem es zahlreiche Vintage-Exponate zu sehen gab. Der Süden ist mit solchen Events eher spärlich bedacht. Wie war die Resonanz?
Florian:
Die Leute waren wirklich sehr begeistert. Ich möchte aber gleich noch anfügen, dass nicht ich das Treffen alleine organisiert habe. Da haben ganz viele Leute zusammengearbeitet.
Peter:
Hast Du nicht vor, das Ganze nochmals zu wiederholen?
Florian:
Das werde ich immer wieder gefragt. Aber erstens war das Meeting nur als Ersatz für das Kufsteiner Treffen von Theo Bloderer gedacht, das 2010 ausfallen musste, da Theo gerade von Kufstein nach Vorarlberg umzog. Damals gingen noch alle davon aus, dass Theo dann im nächsten Jahr wieder etwas macht. Dazu kam es aber leider nicht.
Inzwischen gibt es ja regelmäßige Treffen im Züricher Raum. Und das ist dann eigentlich von der geografischen Lage noch besser.
Peter:
Auch in einschlägigen Synthesizer-Foren bist du recht aktiv. Nur leider sind nicht alle Kommentatoren dort kompetente Gesprächspartner. Unnötige Provokation und Halbwissen sind an der Tagesordnung. Wie gehst du damit um?
Florian:
Es wird immer jemanden geben, der in einer Sache doppelt so viel weiß, wie ich – da bin also ich der „Halbwissende“. Wie käme ich dann dazu, jemand anderem „Halbwissen“ vorzuwerfen? Ich selbst habe immer nur von anderen gelernt, und wenn ich jetzt mein Wissen an andere weitergeben kann, dann ist das meine Art, mich für die Hilfe zu revanchieren, die ich selbst einst bekommen habe.
Und was die Provokationen angeht – wer sich davon provozieren lässt, der fällt ja nur in die Selbsterhöhungsfalle. Ich bin da sicher nicht unanfechtbar, aber das Beste ist es, einfach freundlich und rein inhaltlich zu reagieren.
Peter:
Kommen wir mal auf Deine umfangreiche Vintage-Sammlung zu sprechen. Wie muss man sich das bei Dir zu Hause vorstellen? Lebst du zwischen unzähligen Flightcases und Kartons, oder ist alles fein säuberlich aufgebaut?
Florian:
Von einer Sammlung zu sprechen, ist etwas übertrieben; aber ich habe sicher mehr Instrumente als ich zum Musikmachen bräuchte. Leider ist nicht alles fein säuberlich aufgebaut. Ich wohne in einer 3-Zimmer-Mietwohnung und habe dort einen Raum, der im Prinzip als leidlich wohnlicher Studio-Regieraum aufgebaut ist, also mit 24-Kanal-Mischpult, Nahfeldabhöre und vier niedrigen 19“-Racks. Dort steht auch mein Klavier.
Ich hole mir dann immer ein paar Geräte auf einen Keyboard-Ständer, mit denen ich aktuell arbeite. Ein Teil der Instrumente befindet sich derzeit in einem selbstgebauten Keyboard-Regal in diesem Studioraum, einen anderen Teil lagere ich in einem anderen Raum im Haus. Und meine Liveausrüstung steht eigentlich immer fertig gepackt in Flightcases.
Peter:
Bist du immer noch am Erweitern Deiner Sammlung, oder reicht der Platz nicht mehr aus?
Florian:
Eigentlich plane ich, mich wieder zu reduzieren, was die Synthesizer angeht. Es ist schön, die Instrumente mal da zu haben und auszuprobieren, aber sie erweitern mir ja nicht meine musikalischen Möglichkeiten. Zum einen befolge ich ziemlich eisern die Regel, dass ich nur etwas Neues kaufe, wenn ein anderes Instrument dafür verkauft wird.
Zum anderen stellen einige Geräte inzwischen wirklich Wertanlagen dar, die Zuwächse bei den erzielten Preisen haben, die mir eine Bank oder ein Fond nicht bieten kann. Da beobachte ich die Preisentwicklung sehr genau, und ich werde die erst verkaufen, wenn ich merke, dass die Preise über längere Zeit nicht mehr steigen oder gar fallen.
Peter:
Wenn du dich plötzlich für 5 Synthesizer entscheiden müsstest, welche 5 wären das?
Florian:
Ach bei den Synthesizern und Drummaschinen käme ich mit erstaunlich wenig aus. Ich hatte zwanzig Jahre lang neben mein Klavier, den JX-3P, den Roland SH-101, einen Akai S-612, die TR-808 und ein Boss SC-33. Wo ich Schwierigkeiten mit dem Reduzieren bekäme, das ist das Studio-Outboard. Meine Technikaffinität kommt ja mehr aus der Toningenieurs-Ecke als aus der Musiker-Ecke. Als Musiker bin ich nicht so der Solist. Da ist mir das Zusammenspielen viel wichtiger.
Peter:
Und noch eine Frage zur alten Diskussion – Analog oder VA. Hörst du einen Unterschied – oder anders gefragt, ist das überhaupt ein Thema bei Dir?
Florian:
Lass es mich so erläutern. Ich habe wohl allgemein ein Faible für veraltete Techniken, aber ich nehme gerne davon die neue Variante: Ich rasiere mich mit dem Rasiermesser und beim Skifahren fahre ich eine 100 Jahre alte Technik aus Norwegen. Aber ich verwende ein modernes Rasiermesser mit Wechselklinge,
und meine Telemarkboots sind die neuesten italienischen Kunststoff-Stiefel.
Genauso ist es bei den Synthesizern. Mein aktuell liebstes Modul in meinem Modularkoffer ist das Brains von Mutable Instruments, ein digitaler Oszillator. Ich bin ein ziemlicher Fan des Nord Modular und mit der Roland TR-8 hat sich meinen Wunsch nach einer Roland TR-909 endgültig in Luft aufgelöst.
Was mich zu den alten Geräten hinzieht, das ist zuvorderst die Möglichkeit der unmittelbaren Bedienung und Ansteuerung. Ich ertrage ein Gerät nicht, bei dem ich in irgendwelchen Menüs die Controller-Nummer für das Filter in der nächsten Sequenz aus Zilliarden Möglichkeiten raussuchen muss und dafür zehn Minuten brauche – geschweige denn, dass das live auf der Bühne machbar wäre.
Außerdem nervt mich an MIDI die feste Verknüpfung von Noten- bzw. Parametersteuerung einerseits und zeitlichen Events andererseits. Ich stehe total auf die Möglichkeit, mit externen Triggersignalen die rhythmische Steuerung von der Tonhöhesteuerung zu trennen. Der Klassiker sind da die House-Bassfiguren, bei denen eigentlich ein Vier-Noten-Arpeggio im Juno-6 läuft, aber die Arpeggioclock kommt von der Cowbell der TR-707 auf die Schläge 1, 4 und 7. Da es nur drei Trigger pro Takt gibt, dreht sich die Melodik des Bassfigur jeden Takt eins weiter. Erst nach vier Takten kommt wieder die gleiche Figur. Das ist super einfach, super wirksam und lässt sich live spielen – aber es geht mit MIDI nun mal nicht. Und eigentlich alle VA-Synths sind nur über MIDI ansteuerbar.
Wenn mir jemand einen virtuell analogen Synthesizer präsentiert, bei dem ich die VCA-Envelopes der aktuell gespielten Stimmen separat mit einem Triggersignal oder meinetwegen einer Steuernote in MIDI antriggern kann, dann wäre ich der erste, der diese Kiste auf dem Tisch hat.
Den Sound des Roland SH-101 krieg ich auch woanders her, aber bisher hat mir noch niemand diese Kombination aus Sequencer, Arpeggiator und Sample & Hold am selben Clock in einem anderen modernen Gerät gezeigt. Das gilt für den JX-3P mit seinem Sequencer oder für den CSQ-100 mit irgendeinem Synth oder für den MonoPoly-Arpeggiator bei vier unterschiedlich eingestellten VCOs.
Peter:
Erst vor ein paar Monaten habe ich dich bei einem Live-Konzert in München gesehen. Alles sehr sphärisch. Wie wichtig ist es dir, live aufzutreten?
Florian:
Sphärisch fandest Du das? Dann bist Du zu früh gegangen (lacht); später haben wir noch ziemliche Bretter hingelegt. Ich spiele seit bald 15 Jahren fast nur noch live. Es macht mir wahnsinnig Spaß, mit anderen zusammen und für und vor Publikum zu spielen.
Peter:
Wie hat sich Eure „Combo“ gefunden? Habt ihr als Gruppe einen Namen?
Florian :
Die Combo heißt „ambioSonics“ (siehe www.ambiosonics.de). Die Ursprünge liegen im Jahr 2004. Es gab damals so was wie einen Elektronik-Musiker-Stammtisch. Dort entstand die Idee, einfach mal live improvisierend öffentlich aufzutreten. Daraus wurde dann ein festes Project mit dem Namen sphericlounge. Da ging es wirklich um sphärische Musik. Ein paar Teilnehmer wollten aber auch Beat-Lastigeres machen, und so haben wir 2006 ambioSonics als Seitenprojekt gegründet. Inzwischen finden die sphericlounge Sessions selbst nur noch ganz selten statt, und ambioSonics ist das präsentere Projekt.
Peter:
Wie muss man sich Eure Proben vorstellen. Während des Konzerts war viel improvisiert, ich hatte aber schon den Eindruck, dass alles nach einem gewissen Fahrplan abgelaufen ist. Zum Beispiel hatte die Sängerin Textnotizen in der Hand.
Florian:
Du musst Dir unsere Proben gar nicht vorstellen, denn es gibt keine Proben. Wir spielen nur live – es sind Jamsessions. Wir sind ja auch kein festes Team, sondern eine Gruppe von etwa fünfzehn Leuten, die über eine Mailliste kommuniziert. Wir haben einen festen Termin ein Mal im Monat im Club eines Bürgerzentrums. In der Woche vor dem Termin wird auf der Mailliste herumgefragt, wer beim nächsten Mal mitmachen mag. Da melden sich meist drei oder vier. Dann kommen wir zwei Stunden vor dem Auftritt in den Club, bauen auf und spielen dann los.
Ich selbst lösche vor dem Auftritt alle Sequenzen und Drumpatterns und beginne bei Null. Ich verwende auch keine abgespeicherten Sounds, sondern benutze alle Synths im Manual-Mode. Das Einzige, was ich in gewisser Weise einmal vorbereitet habe, das sind etwa zwanzig vierspurige Drum-Loops im Electrix-Repeater, die ursprünglich aus Stylus RMX von Spectrasonics stammen.
Wieviel sich die anderen vorbereiten, das weiß ich nicht, aber ich nehme an, das tendiert bei den meisten ebenfalls gegen Null. Das sind ja alles Leute mit einem Musik-fremden Fulltime-Job und mit Familie. Die Sängerin übrigens auch. Die druckt sich nur alte englische Gedichte aus, um irgendwelche Texte zu haben – moderne Texte gehen wegen dem Urheberrecht nicht. Das waren die Notizen, die Du gesehen hast.
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Peter:
Wie läuft das dann technisch ab und wie koordiniert ihr Euch musikalisch?
Florian:
Jeder von uns hat seine autarke Ausrüstung: Klangerzeuger, Mischpult, Effektgeräte, Kabel – bis hin zur Vielfachsteckdose. Die Stereomixes der einzelnen Musiker werden dann in einem zentralen Mischer, einem RX1602 von Behringer, zusammengefasst und dann über einen Behringer MX882 auf die PA, eventuell ein Monitorsystem und auf den Stereorecorder für den Mitschnitt verteilt. Für die Temposynchronisation nutzen wir einen MIDI-Pal oder eine Roland SBX-80 als Clock-Generator, und dahinter hängen dann zwei 8-fach MIDI-Thru-Kistchen. Von dort holt sich dann jeder die MIDI-Clock.
Musikalisch geht das so, dass einer sagt, er habe eine Idee, er spielt die an, und dann entwickeln die anderen was dazu. Wenn man dann mal in Fahrt ist, dann ergibt sich immer wieder was Neues. Da ist es eigentlich wichtiger, dass man ab und zu auch mal wieder anhält, den Stil ändert, oder zumindest das Tempo wechselt. Das klingt jetzt so einfach, aber es ist in der Anfangszeit durchaus öfters in die Hose gegangen. Inzwischen machen wir die Sessions seit fast zehn Jahren, und haben uns so eine gewisse Routiniertheit erarbeitet. Wenn mir heute einer sagt „Du musst in zwei Stunden bei einem Festival vor 20.000 Leuten auftreten“, dann würde ich das machen, sobald einer von den Kollegen da mitmacht. Oder notfalls sogar alleine (lacht).
Peter:
Lieber Florian, wir bedanken uns sehr für das ausführliche Interview und sind weiterhin gespannt auf Deine weiteren Veröffentlichungen, Live-Konzerte und Tipps in Foren.
Großes „like“ für dieses Interview.
Sehr schönes Interview!
Ich Liebe Musik ?
Peace Worldwide…..
EIn zeitloses Interview, welches man immer wieder mal lesen kann.
(Weitaus besser als Gear Gerüchte Artikel.)
„Wenn mir jemand einen virtuell analogen Synthesizer präsentiert, bei dem ich die VCA-Envelopes der aktuell gespielten Stimmen separat mit einem Triggersignal oder meinetwegen einer Steuernote in MIDI antriggern kann, dann wäre ich der erste, der diese Kiste auf dem Tisch hat.“ – Der Nord Lead kann das (über Special Function „A“).
@tandem Hallo Tandem,
Du übersiehst geflissentlich den Satz: „Ich ertrage ein Gerät nicht, bei dem ich in irgendwelchen Menüs die Controller-Nummer für das Filter in der nächsten Sequenz aus Zilliarden Möglichkeiten raussuchen muss […] – geschweige denn, dass das live auf der Bühne machbar wäre.“
Ich sehe gerne zu wie Du die Meute im Club mit folgendem Prozeder zum kochen bringst…
4. Hold down SHIFT and press MIDI CH. Set the MIDI Channel for Slot A to ‘1’.
5. Press each of the other
SLOT buttons and set them to MIDI Channel ‘16’. This is just to make sure they do not get used in this example.
6. Hold down SHIFT and press SPECIAL.
7. Press the SPECIAL button until the left digit in the DISPLAY reads ‘F’.
8. Make sure Slot A is selected. Otherwise press the SLOT A button.
9. Use the UP/DOWN buttons to set the value to ‘F.on’.
10.Press STORE. Use the UP/DOWN buttons to select MIDI Channel ‘2’.
11.Press STORE again and then the DOWN button to select ‘– – –’ (any MIDI note number).
12.Press STORE again
… uuuups, die Tanzfläch ist ja leer
@tandem Er meint analoger Triggereingang für Signale von TR’s und so weiter. Das fehlt und sollten alle haben, auch VAs.
MIDI war vermutlich nicht gemeint.
@moogulator Hallo Moogulator,
Triggerung durch ein MIDI-Event wäre schon auch in Ordnung. Aber bitte nicht über diesen Setup-Wahnsinn. Das „Unverschämte“ an einer Triggerbuchse ist ja, dass die einzige „Setup“-Aktion das Einstecken des Kabels ist.
Die Möglichkeit des Nordlead ist ja fein für jemanden der zu Hause im Kämmerlein alles sorgfältig vorbereitet, und das dann nur noch auf der Bühne reproduziert. Aber das hat für mich nur wenig mit Musikmachen zu tun. Ein Trompeter kann ja seinen Lippenansatz auch nicht zu Hause vorprogrammmieren – der macht das ja auch in Echtzeit auf der Bühne.
Naja, Dir muss ich das nicht erzählen.
(PS: wer die Chance hat, Moogulator mal live zu erleben, der sollte sich das nicht entgehen lassen. Das ist sehr beeindruckend!)
@Florian Anwander yepp –
und was das erleben angeht – total „seeeelber“ weil war immer gut – hoffe du bist demnächst auch wieder da live unterwegs, damit ich das mit bekomme. Ist nämlich auch richtig gut!
@Florian Anwander Es gibt schon Lösungen… Einen MidiPal z.B. habt Ihr ja offenbar, der kann das auch… :) Manche Sequenzer haben die Funktion ebenfalls, so etwa der Zyklus MPS1.
LG
@Pflosi Ja, klar haben viele Geräte diese Funktion und viele andere Funktionen, die ich sehr einfach in der CV/Gate/Trigger-Clock-Welt realisiere; nur eben mit einem blödsinnigen Konfigurationsaufwand bzw mit einem technischen Aufwand. Warum soll ich mir für 100 oder 200 Euro ein Zusatzgerät kaufen, wenn die gleiche Lösung mit einer Buchse und Bauteilen für unter einem Euro zu realisieren wären?
Ich sehe hier ein Problem, das ich aus der Softwarewelt nur zu gut kenne: Es ist unter Produktmanagern und zT. auch Entwicklern verpönt, Vorteile alter Technologien anzuerkennen (die also nicht vom Produktmanager oder vom Entwickler stammen), da man auf die Art weniger von sich präsentieren kann; das ist dem Selbstwertgefühl abträglich. Kein technisches sondern ein allzu menschliches Problem…
Vielen Dank Herr Grandl und Herr Anwander für das unterhaltsame Interview…
Sehr schön das…
„Ich selbst lösche vor dem Auftritt alle Sequenzen und Drumpatterns und beginne bei Null.“
Weitermachen…
Tolles Interview! Dank Florian hatte ich überhaupt die Motivation, mich mit analogen Synthesizern zu befassen. Ich konnte in der damals abonnierten Keys nur was mit den Audiobeiträgen des Workshops modulare Synthesen anfangen. Die Form der Improvisation ist mir nicht fremd, so etwas würde ich auch liebendgerne mal probieren. Leider ging an mir der Kelch vieler analoger Hardware vorüber, bislang zumindest. Ich denke, ein analoges System könnte wunderbar barrierefrei sein.
Danke für dieses tolle Interview! Ich habe mir erst letzte Woche das Standardwerk „Synthesizer“ von ihm gegönnt und finde es sehr gelungen! Auch wenn ich darum bitte bei der nächsten Auflage gleich noch ein passendes Döpfer A-100 System + persönliche Beratung mitzuliefern. …Ich würde bestimmt auch 10 Euro mehr bezahlen für das Buch! Bestimmt! ^^
Mein persönliches Fazit: Ihr seid cool. Weitermachen.
Hallo Peter und Florian,
Klasse Interview :-) Beide Daumen hoch!!!
Bevor man sich überhaupt einen Synth kauft muss man zeimal das Buch SYNTHESIZER durchackern, finde ich. Und ein drittes mal dann mit dem Synth. Das sollte staatlich kontrolliert werden, so wie ein Führerschein ;) dann wäre bald Schluss mit dem Presetgedüdel. Ein echt gutes Buch, das den Weg zur eigenständigen Synthese erst aufmacht. Danke dafür!!!
LG
David
Huhuuu Ihr beiden! Hat ja lange gedauert. (-,
Schöner Talk.
Sorry, hab diesen Artikel eben erst entdeckt. Sehr interessantes Interview zwischen Peter und Florian. Das hat alte wohlige Erinnerungen in mir geweckt. Peter kann sich sicher nicht mehr erinnern, aber wir sind sehr oft zusammen mit dem Bus ins Karlsfelder Industriegebiet gefahren. Er zu Akai und ich zu Gemini Sound Products. War durch die indirekte Bindung (beider GF’s) auch öfter im in der Hertzstraße. Davon hatten wir Kontakt über Live Lights Music. Eine sehr sortierende und inspirierende Zeit.
@Round Robin Na klar erinnere ich mich :) Schaffst du es evtl. zu unserem nächsten Experience Day am 24.10? Ist ebenfalls in Karlsfeld, und immer noch im selben Gebäude wo früher AKAI war :)