Heaven And Hell - das Leben als Support Band
Ich weiß ja nicht, wie es euch ging, aber als ich noch ein kleiner Scheißer war und mit großen Augen meine ersten Konzerte als Zuschauer erleben durfte, gab es zwei Sachen, die mich mit glänzenden Augen zurückließen. Da waren zum einen diese fetten Flightcases in allen möglichen Größen und Formen, bestückt mit dicken Kugelecken und zum anderen die imposanten Tourbusse, welche mit abgedunkelten Scheiben seitlich oder hinter der Halle parkten und der zentrale Teil meiner Begierde wurden. „Wenn ich mal in solch einem Teil auf Tour bin, habe ich es geschafft!“, war mein fester Glaube.
Ganz so blauäugig kann man diese These heutzutage nicht mehr sehen, aber nach wie vor bieten diese fahrbaren Hotels alles, was es für die abgefahrensten Thesen im Musikgeschäft braucht. Die einen glauben, es finden Tag und Nacht die wildesten Orgien mit willigen Gespielinnen im Innenleben der Fahrzeuge statt, die anderen sind sich sicher, dort lediglich saturierte Familienväter mit iPhone im Whatsapp / Facebook Modus vorzufinden. Um es vorneweg zu sagen, beides stimmt, allerdings abhängig vom Alter und Erfahrungsgrad des Künstlers.
Geht man allerdings mit etwas weniger Rock’n’Roll an die ganze Sache heran, kommt man schnell an den Punkt, dass auch die oben genannten Nightliner nur einen kleinen Punkt in einem komplexen, wirtschaftlichen Konzept darstellen, welches es benötigt, um eine durchschnittliche Tour erfolgreich an den Fan zu bringen, womit wir mitten im Thema sind.
Wir stellen uns vor, eure Band hat es geschafft, ein Teil des Tourtrosses zu werden. Nicht als Headliner, dafür zieht ihr eventuell noch nicht genügend zahlende Zuschauer, aber durch eine glückliche Fügung ist es gelungen, als Supportband auf eine gebuchte Tour aufzuspringen. Wohlan, welcome to the show! Aber halt, man hört doch immer wieder, dass der Support abgerippt wird, einen schlechten Sound hat und mies behandelt wird, damit der Headliner besser glänzen kann.
Dieser Workshop soll helfen, die Grundstruktur dieses Affenzirkus zu verstehen und nicht wie unzählige andere Künstler, unter anderem auch der Autor selbst, in die zahlreichen Fallen zu tappen, die sich während einer Tour nahezu minütlich eröffnen.
Workshop E-Gitarre: Basics
Um die Sache einfach zu halten, gehen wir von einer durchschnittlichen Tour mit durchschnittlichem Headliner und durchschnittlich Crew aus, welche in durchschnittlichen Venues bis max. 700 Personen Fassungsvermögen spielt. In der Stadion Liga von KISS o.ä. gibt es faktisch keinen Limits was „Extra ordinary Behavior“ angeht.
OK, wir haben einen durchschnittlichen Nightliner am Start, sagen wir mit zwölf Schlafkojen, im Fachjargon „Bunks“ genannt. Der Bus ist ein Singledecker mit ordentlichem Stauraum in den unteren Ladeluken, was aber dennoch nicht das gesamte Equipment aufnehmen kann, d.h. wir haben noch einen Trailer hinten dran und dürfen nur 80 km/h fahren, macht im Durchschnitt 50 km/h (sehr wichtig für das Errechnen der Lenkzeiten des Fahrers). Der Bus ist mit folgenden Personen belegt:
5 Musiker
1 Tourleiter
1 Saalmischer (FOH)
1 Monitormischer
1 Lichtmischer
1 Backliner Gitarre / Bass
1 Drum Tech
1 Merchandiser
Und schon ist der Bus knüppelvoll. „Ja und wo bleiben wir dann?“, fragt sich der Support Act, womit wir bei der ersten Frage sind: Wie reist die Support Band?
Sich einen eigenen Nightliner zu mieten, macht im Freundeskreis garantiert einen mächtigen Eindruck, ist aber faktisch wirtschaftlicher Selbstmord. Ein Nightliner kostet je nach Ausstattung aktuell ca. 800,- Euro pro Tag und wird nur eine bestimmte Kilometerzahl pro Tag absolvieren. Danach geht jeder Kilometer extra und so ein Buss geht mit einem Verbrauch von knapp 35 Litern pro 100 km ins Rennen. Um diesem Problem zu entgehen, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Man versucht den Headliner zur Buchung eines Doppeldeckers zu überreden und fragt, ob man die freien Bunks benutzen darf. Als Gegenleistung beteiligt man sich an den Kosten des Busses. Oder aber man macht den Klassiker in Form von selber mit Sprinter fahren und Etap Hotel, was in den meisten Fällen zwar günstiger, aber auch deutlich anstrengender ist.
Von der Methode „im Sprinter pennen“ kann man nur dringend abraten. Ihr habt zwar den ultimativ dreckigen Rock’n’Roll, aber ihr seid nach spätestens drei Tagen so durch, dass eure Leistung auf der Bühne sicher darunter leidet.
„Wieso bezahlen wir denn nicht den Bus von der Gage, die wir bekommen? Ist das hier etwa Pay-to-Play“? Ein weiteres Vorurteil, mit dem ich gerne ausräumen möchte. Auch wenn es um Musik geht, eine Tournee ist ein wirtschaftliches Konstrukt, das durchgeführt wird, um Geld zu verdienen. Ihr seht schon anhand der Nightlinerkosten, was da am Tag so an Kosten aufläuft. In einer Tour dieser Größenordnung fallen täglich grob geschätzt für Transport, Versicherungen, Steuern, Techniker und Instrumentenunterhaltung (Saiten, Felle, Batterien etc.) ca. 4.000,- Euro an, die erst mal verdient werden wollen.
Wenn die Supportband nicht mindestens, sagen wir einhundert zahlende Fans mitbringt, die sonst nicht zum Headliner Konzert gekommen wären, macht das für den Headliner wirtschaftlich leider keinen Sinn. Er ermöglicht euch vor Leuten zu spielen, die ihr sonst nicht erreicht hättet, d.h. ihr hättet einen doppelten Gewinn, während der Haupt Act nur Nachteile hätte. Von daher ist es absolut üblich, dass die Supportband keine Gage erhält und für alle Kosten selbst aufkommt. Dies ist kein Ripp-Off, sondern normales wirtschaftliches Denken.
Es empfiehlt sich auch, im Vorfeld mit dem FOH / Monitormann etc. des Headliners Kontakt aufzunehmen, ob er für kleines Geld nicht auch den Support mischen / betreuen möchte. Dies ist meist die einfachere Methode, als einen eigenen FOH mitzunehmen, der zum einen bezahlt, aber auch verpflegt werden möchte und irgendwo schlafen muss. Das gerne genommene Vorurteil, „der mischt den Support dann kaputt“ kann ich nicht bestätigen, da alle Mischer freischaffende Arbeitnehmer sind und ein solches Verhalten sich sehr schnell herum sprechen und dann wiederum andere Jobs kosten würde.
Workshop E-Gitarre: Die hohe Kunst der Kommunikation in Abhängigkeit der Hierarchie
Um es kurz zu machen, auf Tour herrscht eine Hierarchie. „Ja, kenne ich, kein Problem“, werden sich viele denken, aber dies ist ein Trugschluss. Die Hierarchie auf Tour ist stringenter als alles, was man sich im normalen Miteinander vorstellen kann und dabei sind die Egos der Musiker noch nicht einmal mit eingeschlossen. Dagegen ist die Bundeswehr ein netter Plauschabend mit Himbeertee. Um möglichst stressfrei aus der Nummer raus zu kommen, lohnt es sich immer, sich vor Augen zu führen, wer euer Ansprechpartner für welches Problem ist. In 90% alle Fälle ist der Tourleiter euer Ansprechpartner, auch wenn die Frage auf ein Fachgebiet abzielt. Er wird euch ggf. an das zuständige Crewmitglied weiter verweisen. Alles Technische muss mit dem Stagemanager besprochen werden, welcher in eigener Person unterwegs ist oder aber den Rang eines Backline Technikers bekleidet.
Was absolut tödlich ist, ist das Übergehen eines „Dienstgrades“ auf Tour. Wer zum Beispiel glaubt, er könnte eigenständig den Bühnenaufbau verändern, ohne sich beim Stagemanager das OK zu holen, kann sich auf einen gepflegten Plausch im Tour-Office gefasst machen. Dieses Gespräch findet in der Regel nur einmal statt, danach ist Koffer packen angesagt.
Auch wenn der Gitarrist des Headliners ein super Kumpel ist: Selbst er wird sich an die Befehlskette halten, sonst steht auch ihm ein klärendes Gespräch ins Haus. Das alles hört sich sehr martialisch an und variiert auch stark je nach Herkunftsland der Crew, aber es ist sehr hilfreich, hier einen Gang zurückzuschalten und lieber ein Gespräch mehr zu führen, als einen Anschiss zu kassieren.
Workshop E-Gitarre: Die fünf Todsünden, die euch garantiert aus der Tour kicken!
1. Der Kühlschrank des Headliners
Der ewige Klassiker in Sachen Fehlverhalten. Eigentlich selbsterklärend, aber immer wieder ein Streitpunkt. Merke, Garderobe und Kühlschrank des Headliners sind so tabu wie die Freundinnen der anderen Musiker. Wer jemals auf die Idee kommt, sich im Dressing Room des Headliners ein Bier zu „leihen“, kann sofort seine Sachen packen. Wenn er eingeladen wird, keine Frage, aber ohne Aufforderung, womöglich noch in der leeren Garderobe: No way! Ich alleine kenne einige namhafte Bands, die sich im „besoffenen Kopp“ auf diese Art von einer gut laufenden Tour geschossen haben.
2. Anmachparts des Headliners übernehmen
Meist haben sich die Sänger des Headliners gute Sprüche oder Anmachparts für das Publikum zurechtgelegt, welche auf langer Erfahrung oder einfach nur auf einem natürlichen Talent basieren. Wer nun glaubt, von diesen Punkten praktizieren zu können und ab der dritten gemeinsamen Show diverse „Hey-Hey-Spielchen“ und coole Sprüche des Headliners vorwegzunehmen, versaut sich nicht nur seinen Status im Tourtross, sondern sinkt auch mächtig in der Sympathie der Musiker. Nicht zu empfehlen!
3. Der Tourbus
Ich weiß, es ist nur allzu verführerisch, bei den Freunden, die zur Show erscheinen, den weltmännischen Lebemann raus hängen zu lassen. Aber glaubt mir, es ist absolut tödlich, den Tourbus des Headliners ohne Einladung zu betreten! Wer dem Ganzen noch die Krone aufsetzen möchte, führt seine Kumpels, gerne auch angetrunken, durch den fremden Nightliner. Hier befinden sich private Gegenstände der einzelnen Musiker, sozusagen das Wohnzimmer der Künstler, dem ein unangemeldetes Betreten einer Wohnungsstürmung in Polizeimanier gleichkommen würde. Erspart euch die Konsequenzen!
4. Das Equipment des Headliners
Haltet euch immer vor Augen, dass 90% der Konzertbesucher wegen des Headliners kommen, d.h. er wird die gesamte Bühne so ausrichten, dass seine Performance optimal dargeboten werden kann. Im Umkehrschluss heißt das, das ihr euch dort aufbauen müsst, wo Platz ist. Diskussionen im Sinne von „kann das Schlagzeug nicht noch etwas nach hinten“ oder „können wir die Amps nicht nach unserer Show wieder auf die Bühne räumen“ sind fruchtlos. Es gibt zwar immer noch Crews aus dem anglo-amerikanischen Raum, welche gerne einmal das Ar******* raus hängen lassen, aber im Allgemeinen versuchen alle gemeinsam, immer eine Einigung zu finden, mit der alle zufrieden sind. Die Backline der Headliner hingegen zu berühren oder gar eigenhändig zu verschieben führt allerdings zur umgehenden Disqualifikation.
5. Tourinternas über soziale Netzwerke posten
Zu einer guten Promotion hört natürlich eine intensive Berichtserstattung, welche ordentlich gepostet wird. Soweit, so gut. Was hingegen kontraproduktiv ist, sind Postings über private Sachen, die man zufällig erfahren hat, Bilder vom Macbook, welche die Spuren zeigen, die beim Headliner alle vom Rechner kommen, abfällige Kommentare über das Venue (sofern man dort noch einmal spielen möchte) und Bilder der Musiker mit anderen Frauen als der eigenen. Absolut tödlich und was noch viel schlimmer ist, nicht mehr rücknehmbar. Überlegt jedes Mal intensiv, ob ihr dieses Posting wirklich verantworten könnt. Im Zweifelsfall lieber ein witziges Foto von einem selber, welches eventuell weniger knallig, aber auch weniger verfänglich ist.
Abschließend muss man bemerken, dass in 80% aller Fälle die Tourneen, angereichert mit Spaß und jede Menge Rock’n’Roll, reibungslos und zur Zufriedenheit aller Parteien über die Bühne gehen. Dieser Workshop soll nur vor Fallstricken bewahren, die praktisch überall lauern und nicht einfach zu erkennen sind. Letztendlich geht es darum, ein zufriedenes Publikum zurückzulassen, das mit ordentlichem Merchandise Umsatz mithilft, die Spritkosten und andere Ausgaben zurückzubekommen.
Viel Spaß auf Tour und viel Erfolg!
Hier unsere Workshops auf einem Blick:
- Workshop E-Gitarre: Tonabnehmer, Humbucker, Singlecoils
- Tutorial E-Gitarre: Vibrato, Floyd Rose, Tremolo
- Workshop E-Gitarre: Oktavreinheit
- Workshop E-Gitarre: Saitenwechsel
- Ratgeber E-Gitarre: Rund ums Plektrum
- Tutorial E-Gitarre: Humbucker und Coil-Tapping
- Workshop E-Gitarre: Effektpedale richtig verkabeln
- Workshop E-Gitarre: Mikrofonierung von Amps
- Tutorial E-Gitarre: Rund ums Delay
- Workshop E-Gitarre: MIDI Für Gitarristen
- Tutorial E-Gitarre: Gitarrenpflege
- Workshop E-Gitarre: True Bypass oder Buffer
- Tutorial E-Gitarre: Overdrive, Fuzz und Distortion
- Workshop E-Gitarre: DIY Workshops
- Ratgeber E-Gitarre: Survival Guide für Bands
interessant und gleichzeitig amüsant zu lesen. da schreibt jemand, der erfahrung hat.
ich bin kein livemusiker, sondern mache filme. die hierarchien und tabus sind am set sehr ähnlich.
Klasse Info.
Ich glaube zwar das eine solche Stelle als Vorband in großer Halle eher eine Träumerei von mir bleiben wird, so ist das Wissen darüber doch recht Sinnvoll. Ich denke man kann diesen Verhaltenskodex auch bei anderen Konzerten, bei denen mehr als eine Band spielt, anwenden.
Merkwürdig finde ich nur, das nahezu alle Punkte in meinen Augen eher Selbstverständlich sind und ich etwas überrascht war, das die überhaupt angesprochen werden mussten. Zum Beispiel das Betreten des Bandbusses der Headliner oder das „ausleihen“ von Bier.
Ich finde es auch interessanter, etwas über die Hintergründe im Musikbusiness zu erfahren, als ein Test über die 100ste Gitarre.
Was erleben Bands auf Kreuzfahrtschiffen ? Wie ist die Bezahlung ? Was kostet es als Supportband bei U2 oder Guns n Roses mitzumachen ? Wen muß man ansprechen ?
Kann man statt einem Nightliner nicht auch einen Bahnwagon mieten etc………
Herrlich geschrieben und ein schöner Einblick in die echte Welt :)